Kindererziehung – NIEMAND schafft das alleine!

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Liebe Katharina, als Du mir gestern wütend erzähltest, dass Deine Kinder das Computer-Ladekabel kaputt gemacht haben, da hab ich es wieder germerkt. Gemerkt, wie wichtig die Menschen um einen herum sind. Nicht nur, weil Du Dich bei mir auskotzen konntest, nein, weil Du mir fünf Minuten später glücklich mitteiltest, dass Dir die Nachbarin ein Ladekabel leihen konnte.

Peanuts, denkt ihr. Und ja, so ein Ladekabel ist nicht lebenswichtig. Lebenswichtig aber sind die Leute um einen herum.

Als wir noch in Berlin wohnten und ich mit all unseren Kindern zu Hause war, die Große vier, die Kleinen zwei Jahre alt, da stürzte der Kleinste so blöd, dass ich kurz die Vermutung hatte, er hätte sich die Lippe durchgebissen. Der Papa? Auf der Arbeit. Und ich mit drei Kindern ohne Auto. Ich dachte: Nein, mit der Straßenbahn schaff ich das jetzt nicht, mit zwei fidelen und einem blutenden Kind.

Also klingelte ich bei meinen Lieblingsnachbarn zwei Stockwerke über uns. Sie erkannten die Lage sofort, Ela übernahm die gesunden Kinder, packte sie zu ihrem Sohn und Valentin, ihr Mann, sprang mit mir und dem blutenden Kind ins Auto, um uns zur Klinik zu bringen. Ich bin ihnen so dankbar. Es war nichts Schlimmes, aber es hat gezeigt, was es beudetet, sich auf andere in der Umgebung verlassen zu können.

Denn, ja, NIEMAND kriegt alles allein hin. Natürlich hätte ich mir auch ein Taxi nehmen können, das sich dann geweigert hätte, mich und die Kids ohne Kindersitze mitzunehmen. Einen Krankenwagen hätte ich auch rufen können, der nimmt aber höchstens eine Begleitperson mit, was hätte ich also mit den anderen beiden Kids getan? Oder hätte ich den verletzten allein fahren lassen müssen?

Nimand jedenfalls hätte die tröstenden und beruhigenden Worte meines Nachbarn ersetzen können, nicht der Taxifahrer und nicht der Krankenwagensanitäter. Es wäre vielleicht irgendwie gegangen, aber nicht auf Dauer.

Wer immer alles allein schaffen muss, geht irgendwann mächtig auf dem Zahnfleisch. Oder geht gar nicht mehr, sondern liegt, weil er einfach nicht mehr kann.

Wir brauchen ein Netzwerk.

Wir müssen nicht alles alleine schaffen.

Wir dürfen und müssen Hilfe auch annehmen, selbst wenn uns das komischwerweise erst einmal schwer fällt, weil wir ja vor den Kindern auch unabhängig waren und nicht auf Hilfe angewiesen.

Ich weiß nicht, woher der Drang kommt, alles allein schaffen zu müssen, aber ich spüre ihn auch.

Soll ich Dir einen Kuchen mitbringen? Ach quatsch, back ich selbst.

Soll ich das Kind mal eine Stunde nehmen, damit Du schlafen kannst? Ich kann doch nicht schlafen, wenn Du da bist!

Doch!

Das geht.

Und das tut gut, auch wenn es sich erstmal merkwürdig anfühlt.

Als ich gestern beim SWR zum Thema regrettingmotherhood diskutierte, sagte eine Professorin in der Runde, dass Frauen früher die Kinder fast komplett auslagerten, sie ließen sie bei der Amme, es wurde nicht von ihnen verlangt, 24 Stunden volle Aufmerksamkeit dem Kind zu widmen, es wurde nicht verlangt, selbst zu stillen, das Kind zu tragen, es nur mit dem besten Essen zu bekochen, mit den tollsten Klamotten zu bekleiden, ihnen die tollsten Hobbys zu bieten und dabei noch den Haushalt und die Ehe zu schmeißen.

Die Diskussion um regrettingnotherhood hat auch gezeigt, wie stark der Druck ist, der auf uns Müttern lastet, wie sehr wir das Bedürfnis haben, auch mal Luft abzulassen.

Wir brauchen ein Netzwerk.

Wir brauchen Hilfe.
Wir müssen lernen, auch wieder Dinge abzugeben, auszulagern, in andere Hände zu geben, eine Unterstützer-Gemeinschaft zu sein.
Die Mutter ist nicht die einzige, die das Kind lieben  und beschützen kann. Das kann auch der Patenonkel, die Nachbarin, ja sogar die Kita-Erzieherin sein, mit der das Kind viel Zeit am Tag verbringt.  
Ja, das schreibt sich hier so fluffig. Aber es ist gar nicht so leicht, das auch so zu leben. Ich schaff das auch noch nicht immer. Meine Kinder verlangen mich zum Einschlafen. Oder den Papa. Oder die Oma. Ein Babysitter? Wuhaaa! Wollen sie nicht. Vielleicht müsste man es einfach mal ausprobieren.
Ich arbeite also auch noch dran.
Was ich aber merke: Seit wir mit den Großeltern im Haus wohnen, verteilt sich das auch schon sehr viel mehr. Wenn ich doof bin, ziehen die Kinder gern ab nach drüben. Wenn die Oma doof ist, kommen sie zu mir. Und ich weiß, wenn sie im Garten rumtollen, hab ich meist nicht die alleinige Aufsicht. Da ist immer irgendwer, der auch ein Auge drauf hat oder hört, wenn es auf dem Trampolin wieder einen Zusammenstoß gab und Tränen fließen. Was für eine Entspannung. Und was für eine Bereicherung für ALLE Beteiligten.
Ich denke, das ist damit gemeint, es auf mehrere Schultern zu verteilen. Seien es die Nachbarn, die Großeltern, die Freunde. So wie es auch früher wohl oft der Fall war, als es noch nicht hieß, dass nur die Mama Wunden pusten kann.  
 

Fotoquelle

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6 comments

  1. Liebe Lisa, danke zurück für
    Liebe Lisa, danke zurück für die schöne und partnerschaftliche Zeit mit euch im Haus. Wir haben euch immer sehr gern geholfen. Weil es so wichtig ist, wenn man jemanden einfach wegen Hilfe ansprechen kann, ohne das Gefühl, Bittsteller zu sein und ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Eben für andere da sein!

  2. Wie wahr…
    Ich könnte ohne mein Netzwerk nicht existieren. Seien es die Großeltern im Haus, meine Schwägerin oder und vor allem meine liebste beste Nachbarin, die auch schon für mich wie eine Oma war. Bei der ich schon aufgewachsen bin, so wie viele andere Kinder hier im Ort. Sobald wir in den Garten kommen, steht sie am Zaun, und weg ist die kleine. Dann hab ich Zeit, kann in aller Ruhe putzen, Wäsche machen, im Garten wühlen…unbezahlbar! Und die Dame selbst sagt, nach einem Tag ohne Kinderlachen gehts ihr einfach nicht gut. Im Notfall ist immer jemand da, und das gibt ein Gefühl der Sicherheit das mit Geld nicht zu kaufen ist!

  3. Ja, das ist ein sehr guter Ansatz!
    Ich finde die Idee des Networkings sehr gut.
    Ich habe so etwas auch wirklich nur für Notfälle (unser Opa, 76 und 30 Autominuten weg). Aber „mal eben“ Hilfe bekommen, die ich natürlich auch gerne erwidern würde – das gibt es nicht.

    Mit unseren vier Kindern ist es echt anstrengend ohne Unterstützung. Vor allem, weil mein Mann echt von morgens 8 bis abends halb 8 aus dem Haus ist.

    Eigentlich wuppe ich alles überwiegend alleine. Neben den Kindern, dem Haus (auch Landmama/mit Riesenhütte….) und dem Job seit letztem Juli auch noch eine Baustelle im Haus wegen eines Wasserschadens…Dauernd pesen hier Handwerker rum, fragen etwas, stöhnen über die Arbeit, klingeln, rufen an…

    Da merke ich mal wieder (unser Jüngster schläft übrigens inzwischen während der Fliesenschneider läuft mit 80 Dezibel), dass es toll wäre, wenn ich irgendwie mal loslassen und abschalten könnte. Außer abends ermattet auf das Sofa zu sinken … 😉

    Daher gefällt mir der Ansatz sehr!

  4. Leider
    Fehlt uns so ein bisschen dieses Netzwerk. Die Familie ist zu weit weg. Andere Eltern sind in der Regel beruflich recht eingespannt so dass da wenig Flexibilität bleibt (bei uns nicht sehr viel anders) oder man ist ohnehin mit den Kindern, deren Freunden und Hobbys beschäftigt. Neulich habe ich versucht meine Tochter „unterzubringen“, weil ich einen Anwaltstermin hatte zu dem ich schon den Kleinen mitgenommen hatte. Obwohl sie regelmäßige Spielverabredungen hat und wir auch immer wieder andere Kinder bei uns haben, kam ich mir vor wie eine Bittstellerin und es war echt nicht leicht jemanden zu finden wo sie mal zwei Stunden hinkonnte. Gäbe es einen krassen Notfall, könnte ich schon andere Leute in der Nähe bum Hilfe bitten, aber so für Kleinigkeiten, dass man die Kids mal übern Zaun zu den Nachbarn schickt, oder andere Kids mal eben hier „geparkt“ würden, das ist kaum möglich. Ich kenne ansonsten eine Familie wo die Eltern voll arbeiten und total drauf angewiesen sind, dass ihre Kinder oft von anderen mitgenommen werden bis zum (frühen) Abend. Das finde ich dann eher nervig. Vor allem sind dort Gegenbesuch unter der Woche oder wenn wir tatsächlich mal einen Engpass haben nie möglich.
    Also irgendwie sind hier die Menschen zu beschäftigt, als dass ein gutes Netzwerk funktionieren könnte.

  5. hey, bin stillberaterin und
    hey, bin stillberaterin und freu mich über diesen aufgeweckten block sehr. lebe auch auf dem land und habe viele zufriedene Mütter und Kinder um mich herum. tagtäglich spielen sie im Bach und quieken vor Vergnügen. glaub nicht, daß das dumm macht. lg

  6. Amme
    richtig ist, ja die Mütter haben die Aufgaben (Stillen, Versorgen, Erziehen) der Amme übergeben;

    wichtig zu wissen ist, natürlich hatte die Amme auch ein eigenes Kind (sonst hätte sie nicht stillen können) , das sie selbst nicht versorgen konnte und durfte und meist in ihrer Familie blieb, während sie zwecks Gelderwerb auf die Stellung als Amme angewiesen war;

    wichtig zu wissen ist auch, dass es für die damalige Oberschichts-Mama nicht als schicklich galt selbst zu stillen – auch diese Mütter hatten keine Wahl, sie durften das eigene Kind nur rudimentär selbst versorgen und erziehen – denn ihre eigentliche Aufgabe bestand in Repräsentationspflichten , eine Aufgabe die so klein und tödlich langweilig war, dass sich der Begriff von „lesesüchtigen“ Frauen
    herausbildete, denn das war eine der wenigen Beschäftigungen, die blieb;