Mehr Empathie: Wir richten unsere Worte an Menschen, die genervt von uns sind

briefkasten

Ach, wie leicht ist ein schneller Satz gesagt, wie schnell ein netter, wie schnell ein doofer. Wir haben kleine fiktive Briefe geschrieben an Menschen, denen wir mit unseren Kindern im Alltag begegnen. Und bei denen wir um Empathie und Verständnis werben. Denn ganz ehrlich: Auch wir sind manchmal genervt von schreienden, polternden, entscheidungsunwilligen Kindern. Aber: Wir geben unser Bestes. Und wollen ganz bestimmt niemanden extra ärgern mit dem Verhalten unserer Kinder.

Liebe Bäckersfrau,

ich weiß, meine Kinder sind manchmal wankelmütig und überlegen sich, gerade wenn Sie das Rosinenweckchen in die Tüte packen wollen, dass sie doch lieber die Laugenstange haben möchten. Manchmal sind wir an der Reihe, hinter uns eine Schlange anderer Kunden – und die Kinder schauen so lang durch die Scheibe auf die Leckereien, ohne sich entscheiden zu können, dass Sie alles Recht der Welt haben, genervt zu sein. Wirklich! Wissen Sie was? Ich verstehe sie! Ich bin nämlich manchmal genauso genervt davon und würde lieber nur eine, statt fünf Minuten warten, bis die Brötchen-Entscheidung gefallen ist. Aber in diesem Moment ist es im Leben der Kinder die weltentscheidende Entscheidung. Sie leben den Moment. Sie sind in Gedanken noch nicht beim nächsten Einkauf, beim nächsten Kunden, sie merken einfach nur, wie ihnen das Wasser in ihrem kleinen Mund zusammenläuft und wollen die für sie beste Entscheidung treffen. Sie wollen Sie nicht ärgern. Sie sind einfach noch klein.

Lieber Nachbar unter uns,

ich weiß, die Kinder wachen manchmal zu früh auf. Sie laufen nicht immer so leise, wie sie laufen könnten und manchmal streiten sie oder stürzen und schreien ganz herzzerreißend schlimm. Bestimmt mögen Sie das Gepolter nicht! Bestimmt fluchen sie manchmal darüber. Aber wissen Sie was? Wir tun das auch. Wir verstehen Sie. Wir träumen auch manchmal von Kindern, die den gesamten Tag lang brav an ihrem Tischlein sitzen und Bügelperlen sortieren, aber solche Kinder gibt es nicht in Wirklichkeit. Kinder sind laut und bunt und wild. Und wir lassen den Lärm nicht zu, um Sie zu ärgern. Wir können die Kinder nicht anbinden, sie wollen leben und rennen und schreien – auch morgens um 6h. Glauben Sie uns, wir tun unser Bestes, damit Sie so wenig davon belastet werden, wie möglich. Wir haben Teppiche ausgelegt und laufen in Hausschuhen. Wir würden sogar ausziehen, um Sie zu entlasten, aber die Mieten sind so teuer. Also müssen wir uns irgendwie arrangieren. Seien Sie gewiss: Wir denken uns in Sie hinein. Tun Sie das auch ein bisschen in uns?

Liebe Madame im Flieger,

wir hatten das auch anders geplant. Wir dachten, wir bekommen unser Baby beim Start des Flugzeugs mit dem Schnuller beruhigt, aber das klappte nicht. Wenn die Anschnallzeichen erloschen gewesen wären, wären wir aufgestanden und hätten versucht, unser Kind durch Schuckeln zu beruhigen. Aber wir durften nicht aufstehen. Auch wir hätten lieber einen ruhigen Start erlebt, Sie glauben gar nicht, welche Schweißausbrüche wir Eltern bekommen können, wenn wir in eine unangenehme Lage kommen, an der wir kurzfristig nichts ändern können. Ihr Spruch „Nun schalten Sie doch das Kind mal aus oder fliegen Sie ohne Kind“ hat uns in diesem Moment nicht weitergeholfen. Wir mussten diese Reise antreten, um die Uroma ein letztes Mal sehen zu können. Glauben Sie uns, wir wollten Sie nicht mit Absicht um ihren erholsamen Flug bringen.    

Wer fällt Euch noch ein, dem man einen solche Brief schreiben könnte? Lehrer? Busfahrer? Schreibt uns gern Eure Briefchen und wir ergänzen diesen Beitrag dann nach und nach!

Foto: Pixabay

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12 comments

  1. Hmm
    Aber mal gaanz ehrlich. Liebe Eltern. Ihr dürft euren Kindern auch mal was zumuten. Grenzen zum Beispiel. Die müssen sie später auch respektieren. Rücksicht aufeinander nehmen ist eine Fähigkeit, die auch Kinder bereits erlernen und verstehen können. Als Mutter finde ich das genauso wie als Lehrerin. Es gibt so viele Kinder, die internalisiert haben dass sich die ganze Welt nur um sie und ihre jeweils individuellen Bedürfnisse dreht, dass kein Unterricht mehr möglich ist, keine Gemeinschaft, kein Miteinander mehr. Ich bin immer wieder schockiert, wie unsozial solche kleinen Egomanen dann sind. Und wie sicher sie es damit später schwer haben werden. Meint ihr wirklich, ihr tut euren Kindern so unrecht, wenn ihr ihnen auch mal ein liebevolles Nein entgegensetzt, Grenzen wahrt, Rücksicht übt mit den Kindern und ab und zu das resultierende Geschrei aushaltet, anstatt ständig mit Verweis auf „aber sie sind doch noch sooo klein“ kleine Diktatoren heranzuziehen?

  2. Ihr lieben anderen Eltern,
    Ich weiß, dass mein Kind anders aussieht. Ich weiß, dass es manchen von euch Angst macht und ich weiß, dass viele von euch nicht wissen wie sie damit umzugehen haben. Aber tut mir einen Gefallen: Gafft nicht! Ihr könnt gerne schauen, ihr dürft auch gerne fragen, sehr gerne zeige und erkläre ich euch, warum mein Kind so ist wie es ist und was das alles ist. Aber gafft nicht. Wertet nicht ab. Das verletzt uns.
    Und seid nicht genervt, nur weil wir beim Kinderarzt vor dürfen. Das ist natürlich toll und praktisch und hilft… Aber ich würde viel dafür geben, mit einem gesunden bzw. nicht beatmeten Kind im Wartezimmer zu sitzen. Denkt mal drüber nach.

  3. Brief an mich
    Liebe Hanna, ich schreibe Dir, weil ich Dich ermuntern möchte, es nicht immer allen recht machen zu wollen. Gerade auch bei der Thematik Geduld von fremden Menschen mit Deinen Kindern.
    Erst gestern hast Du die Situation wieder mit diesem Wesenszug nicht gerade aufgelockert sondern verschärft als sich Dein gerade 4 gewordener Sohn in der Eisdiele im Einkaufszentrum nicht entscheiden konnte und der Mann hinter der Theke genervt die Bestellung „abgewartet“ hat. Erst wollte Dein Sohn blaues Eis, der Mann tat blitzschnell eine Kugel blaues Eis auf die Waffel, damit er die nächsten Bestellungen entgegen nehmen konnte. Dann aber protestierte Dein Sohn lautstark, er habe nie das blaue Eis gewollt sondern das braune und wieder tat der Mann die Kugel blitzschnell zurück während Du Deinem Sohn beibringen wolltest, dass er bei seiner ersten Entscheidung bleiben soll und sich nicht hundert Mal umentscheiden kann. Natürlich gab es wieder lautstarken Protest Deines Sohnes, er wolle kein blaues Eis und als Du sahst, dass der Eisverkäufer das blaue Eis zurück getan hatte, wolltest Du Deinen Sohn peinlichst berührt dazu bringen, sich schnell für eine andere Sorte zu entscheiden. Was sich als nicht so einfach herausgestellt hat, weil der Eisverkäufer und ich nicht sofort verstanden, welche Sorte es jetzt denn sein sollte.
    Jedenfalls hast Du in dieser Situation Blut und Wasser geschwitzt. Nimm das doch alles nicht immer so tragisch sondern sag Dir „meine Kinder haben auch eine Daseinsberechtigung auf dieser Erwachsenen-Welt“ und manchmal muss sich diese Erwachsenenwelt an die Kinder anpassen und nicht umgekehrt.

    Ich wünsch Dir bei den nächsten entsprechenden Situationen viel Gelassenheit und vielleicht erinnerst Du Dich ja dann auch an meinen Brief,

    In Liebe
    Hanna

  4. Brief an den Kinderarzt
    Lieber Kinderarzt, liebe Arzthelferin,
    meine beiden Kinder hatten diesen Monat eine U7/8-Untersuchung. Der Große wollte sich nicht ausziehen und wollte Ihnen seinen Pimmel nicht zeigen und erst recht nicht anfassen lassen. Er hat mit den Beine gestrampelt und Sie dabei leicht getreten. Sie hatten kein Verständnis dafür und haben den Kopf geschüttelt. Der Kleine wollte nicht auf die Waage steigen und sich nicht messen lassen und hat geweint und nicht entsprechend kooperiert. Sie haben verärgert und überrascht geschaut und ich habe mich gefragt: „Machen alle Kinder super gut mit und funktionieren wie gewünscht?“ So ein Arztbesuch ist doch eine besondere Situation und man braucht Geduld, damit die Kinder mitmachen. Aber Geduld heißt Zeit und die fehlt in Arztpraxen leider fast immer.

  5. Brief an den Restaurantbesucher
    Lieber Restaurantbesucher,
    wir sind heute mit unseren kleinen Kindern beim Essen. Wir machen das nicht oft, aber ab und zu. Und dieses Mal haben wir auch etwas zum Feiern. Es ist für uns etwas besonderes und wir freuen uns. Wir haben bewusst nicht das schickste Restaurant ausgewählt und es auch erst nachmittags (also nicht unbedingt die Uhrzeit für romantische Dinner). Aber Sie fühlen sich trotzdem von uns gestört und verdrehen Ihre Augen. Die Kinder sind Ihnen zu wild, reden zu laut und haben ein Glas kaputt gemacht. Sie fragen mich genervt: „Geht es auch leiser?“. Ja, es geht auch leiser, aber leider nicht gerade jetzt und hier. Sie geben uns kein gutes Gefühl. Das ist schade.
    Dafür ist der Kellner umso netter und als wir erschrocken sind, dass das Glas kaputt ist, denkt er nur an unseren Sohn und sagt: „Das Glas ist egal. Hauptsache ihrem Sohn ist nichts passiert.“

  6. Brief an die Erzieherin im Kindergarten
    Liebe Erzieherin,
    wir waren heute wieder zu spät da. Unser Kind ist genau in den Morgenkreis geplatzt. Sie haben ihre Nase gerümpft und waren nicht sehr erfreut. Und ich hatte noch ein schlechteres Gewissen als sonst. Ich weiß, dass wir die Kinder bis 9 Uhr in den Kindergarten bringen sollen. Ich tue auch alles dafür, dass es klappt. Meistens klappt es auch. Aber manchmal eben nicht zum Beispiel, wenn der Sohn um 8:43 Uhr sagt, dass er sich das Frühstücksbrot für den Kindi selber machen wollte und anfängt zu weinen, wenn ich sage, dass es schon fertig sei. Oder wenn er unbedingt noch fertig spielen muss oder ein Buch anschauen muss. Oder sich noch nicht anziehen oder Zähneputzen will. Kinder kennen keine Hektik, die Eltern schon. Und gerade Sie als Erzieherin sollten doch wissen, dass Kinder keinen Roboter sind. Ich würde mich sehr über mehr Verständnis freuen.

    1. Liebe Magda,

      Liebe Magda,
      die meisten ErzieherInnen haben großes Verständnis für die Bedürfnisse und Entwicklungsschritte von Kindern. Ich finde es toll, dass Sie dem Wunsch ihres Kindes nachkommen und es sein Brot allein bereiten kann. Allerdings ist es Aufgabe der Eltern, dafür zu sorgen, dass die Familie entweder pünktlich zur jeweiligen Arbeit kommt oder dann solange beim Kind zu bleiben, bis der Morgenkreis der anderen Kinder beendet ist. Wenn Sie in den Morgenkreis platzen, dann setzen Sie sich über den Wunsch der anderen Kinder im Kindergarten nach einem störungsfreien Tagesbeginn hinweg und stören so die Arbeit der anderen Kinder. Die bewusste Entscheidung in so einer Situation, „Heute kommen wir nach dem Morgenkreis in den Kindergarten“ nimmt viel Druck von ALLEN.
      Falls Sie nicht direkt neben dem Kindergarten wohnen, lese ich aus der Angabe, dass Sie 08:43 Uhr noch zuhause sind, wenn der Morgenkreis 09:00 Uhr beginnt, dass Sie gerade noch 7 Min. haben, um dorthin zukommen, damit Ihr Kind genügend Zeit hat, sich auszuziehen, Sie zu verabschieden, seinen Freunden hallo zu sagen und sich einen guten Platz im Morgenkreis zu suchen. Das klingt nach einem sehr engen Zeitrahmen.
      Ich wünsche Ihnen, dass Sie bald eine gute, entspanntere Lösung für sich und Ihr Kind finden.

      1. Danke
        Es waren 17 Minuten 😉 Danke für den Tipp mit dem „Morgenkreis“-abwarten. Ich war mir nicht sicher, wie ich entscheiden soll.

        1. 7 Minuten Stimmen 🙂
          Haklo Magda, ließ den lieben Text von Lisa bitte ganz genau. Du hattest in der Tat nur noch etwa 7 Minuten Zeit. Lisa schrieb ganz deutlich, dass du natürlich nicht bis 9 Uhr rechnen jannst, denn du musst dein Kind noch ausziehen, es will allen Hallo sagen, du willst dich verabschieden und der morgenkreis soll gemütlich gebildet werden. Um 9 Uhr geht der morgenkreis los! Und es ist den anderen Kindern gegenüber absolut unfair, wenn man diesen kaputt macht, indem man als Störfaktor hineinplatzt. Lisa zeigt einen guten Lösungsweg: natürlich darf dein Kind beispielsweise sein Brot selbst schmieren und dann kommt ihr halt zu spät, aber dann NACH dem morgenkreis. Soviel Respekt muss sein.

          Ich verstege dich vollkommen, ich selbst bin auch immer auf die letzte Minute und kann dein Denken „ach, sind doch noch 17 Minuten“ absolut verstehen. Passiert mir auch ständig! Nur dass es halt nicht 17 Minuten sind 🙂

    2. Liebe Eltern,
      Wir kennen Eure Sorgen und Bedürfnisse und haben meistens Verständnis dafür, vor allem, weil viele von uns selber Kinder haben und die Problematik von beiden Seiten kennen. Das Thema stören im Morgenkreis ist für alle Beteiligten lästig und unangenehm, Ihr Kind einbegriffen. (S.o.)
      Aber habt doch auch ein bisschen Verständnis für uns.
      Wir lassen euer Kind nicht im Matsch spielen, um Euch schmutzige Wäsche zu bescheren oder zu ärgern, sondern weil es für die Entwicklung und Wahrnehmung der Kinder wichtig ist und ihnen Spaß macht.
      Wir lassen nicht alle Kinder Fingerfarbe auf ihren Klamotten verteilen. Das passiert im Eifer des Gefechts einfach manchmal trotz Malkitteln.
      Wir lassen Kinder nicht einfach so in vollen Papiers sitzen, sondern haben es vielleicht noch nicht gemerkt oder wollten gerade zum wickeln gehen.
      Wir sprechen Sie nicht auf Versäumnisse an, um sie bloß zu stellen, sondern weil sie in unseren Augen wirklich wichtig sind, für Ihr Kind, für die Gemeinschaft oder den reibungslosen Tagesablauf.
      Wir spielen, singen, tanzen, lesen vor, basteln, trösten, albern herum, schlichten Streit, wickeln, säubern, begleiten bei Mittagessen und Mittagsschlaf, und und und. Wir würden es auch gerne schaffen, 20 Kinder 9 Stunden am Tag, 5 Tage in der Woche im Blick zu haben, um Ihnen als Eltern jedes kleine Detail, jeden Fortschritt, jede Begebenheit sofort berichten zu können. Leider geht uns dabei aber doch ab und zu mal etwas dadurch.
      Bitte entschuldigt das! Wir geben für Ihr Kind und Sie wirklich unser Bestes! Wir versuchen Verständnis für jede Situation aufzubringen, aber manchmal machen auch wir Fehler!

      1. Toll!
        wirklich schön geschrieben! Ich bin jeden Tag aufs Neue so dankbar für die Arbeit, die unsere tollen Erzieherinnen in der Kita leisten, so dass meine Minidame sich dort mehr als wohl fühlt.

        LG Evi