Nach 12 Jahren Kinderlosigkeit wurden wir durch eine Adoption endlich Eltern

kb

Liebe Katrin, erzähl doch mal, wer zu Deiner Familie gehört.

Zu unsere Familie gehören aktuell, außer mir selbst (37 Jahre alt): mein Mann Denis (46 Jahre alt), unser kleiner Sohn Aaron (18 Monate alt) und nicht zu vergessen unser Familienkater Bernhard (10 Jahre).

Aaron ist adoptiert. Kannst Du erzählen, warum Ihr keine leiblichen Kinder habt?

Wir haben 2004 beschlossen, ein Kind zu bekommen. Nach 2 Jahren Übung waren wir leider immer noch nicht Eltern, also suchten wir medizinische Hilfe. Dabei stellte sich heraus, dass ich eine Hormonstörung habe und mein Mann an Azoospermie leidet. Für uns kam damit nur eine ICSI in Frage, die erste ließen wir im März 2007 durchführen. Es folgten im Lauf der nächsten 7 Jahre noch 4 weitere ICSI und diverse Kryo-Versuche, die, bis auf eine sehr frühe Fehlgeburt, ohne Ergebnis blieben.

Wann hattet Ihr das erste Mal den Gedanken an eine Adoption?

Mein Mann hatte den Gedanken schon gleich nach unseren Diagnosen, ich selbst war damals ja erst 26 Jahre alt und konnte mich damit überhaupt nicht anfreunden, solange die Ärzte uns Hoffnung auf ein leibliches Kind machten. Erst als Bekannte von uns Anfang 2015 adoptierten, kam das Thema wieder auf. Und zu dem Zeitpunkt war ich dann auch bereit, zumindest darüber nachzudenken und mich näher zu informieren.

Hattet Ihr auch Bedenken? Und wenn ja welche?

Ich hatte jede Menge Bedenken. Was ist, wenn das Adoptivkind mit 16 total schrecklich ist? Werde ich dann denken: Wenn es mein eigenes wäre, wäre es total anders?! Und auch das Verfahren hat uns Angst gemacht. Man muss sich schon ziemlich „nackig“ machen vor dem Jugendamt.

Wie seid Ihr dann vorgegangen und wie lange hat das Prozedere gedauert?

Der erste Schritt war ein persönlicher Termin bei der Adoptionsvermittlungsstelle unseres Landratsamtes Anfang April 2015. Die zuständige Bearbeiterin war uns beiden auch wirklich auf Anhieb sympathisch, hat alles ganz wunderbar erklärt, was auf uns zukommen wird und uns nach 2 Stunden Gespräch erst einmal wieder nach Hause geschickt, mit der Aufgabe alles sacken zu lassen und eine Nacht darüber zu schlafen.

Am nächsten Tag waren wir sicher, diesen Weg gehen zu wollen und haben unseren Antrag angefordert. Um den Antrag in Gänze auszufüllen, haben wir etwa 6 Monate benötigt. Keine Angst, so lange brauchen nicht alle – ich habe im Juli 2015 einen neuen Job begonnen, da lag das Projekt Adoption ein wenig auf Eis. Zum Antrag gehörten Fragen zu unseren Lebensumständen, unserer finanziellen und familiären Situation, wir mussten Meldebescheinigungen, ein erweitertes Führungszeugnis und ein ärztliches Attest einreichen, in dem uns bescheinigt wird, dass wir keine lebensverkürzenden oder psychischen Krankheiten haben, die uns in der Erziehung eines Kindes beeinträchtigen. Außerdem wird von jedem Partner ein handgeschriebener Lebensbericht (von Geburt bis jetzt) erwartet, sowie ein gemeinsamer Lebensbericht ab dem Start der Beziehung.

Im Oktober 2015 besuchte uns unsere Adoptionsvermittlerin zu Hause um unser Wohnumfeld kennenzulernen und lud uns bei der Gelegenheit zu 4 Seminaren im Rahmen des Bewerbungsverfahrens ein. Nach Abschluss der Seminare (Mitte April 2016), die sich um ungewollte Kinderlosigkeit, Bindung und Wurzelsuche drehten und uns gut auf alles kommende vorbereitet haben, sollte Mitte Juni 2016 unser Abschlussgespräch im Adoptivbewerberprozess stattfinden. Im Rahmen des Abschlussgespräches wird noch einmal über das Bewerbungsverfahren gesprochen, ob man bei seiner Entscheidung bleibt, vielleicht nicht nur Adoptiv-, sondern Pflegeeltern werden möchte. Im Anschluss erfolgt eine abschließende Prüfung durch das Jugendamt und der Prozess endet mit der Zuteilung einer Bewerbernummer, mit der man auf der Warteliste geführt wird.

Wie und wann war der Moment, als Ihr erfahren habt, dass Ihr Eltern werdet?

Unfassbar aufwühlend. Denn so früh (Ende April 2016) hatten wir nicht mit einer positiven Nachricht gerechnet. Ursprünglich hieß es, dass das Adoptionsbewerbungsverfahren etwa 2 Jahre in Anspruch nimmt und man dann auf der Warteliste ist und es keine Garantie dafür gibt, wie lange es dauert, bis ein Kind Eltern sucht.

Wir waren also völlig überrascht, als 2 Wochen nach unserem letzten Seminar ein Anruf vom Jugendamt kam (Freitag). Ich habe in meiner Mittagspause zurückgerufen, weil ich dachte, wir bräuchten noch Unterlagen für das Abschlussgespräch oder es würde noch irgendetwas für den Antrag fehlen. Doch am anderen Ende der Leitung hieß es plötzlich: „Ich weiß, es ist sehr ungewöhnlich und schnell, aber am 02. Juni kommt ein Kind zur Welt, das zu Ihnen passen würde.“

Mir zittern jetzt noch die Hände, wenn ich das schreibe. Ich bekam ein paar Informationen zur abgebenden Mama und dass es ein Junge wird und sollte mit meinem Mann übers Wochenende nachdenken, ob wir dieses Baby aufnehmen wollen. Wenn wir uns dafür entscheiden, würde uns die abgebende Mama gern kennenlernen um ihrerseits zu entscheiden, ob wir passen würden. Gleich nach dem Auflegen rief ich völlig aufgewühlt Denis an und erwischte ihn auch in der Mittagspause beim Einkaufen. Ich glaube, er musste seinen Kollegen bezahlen lassen, weil er auch total überwältigt war. Wir wussten aber sofort: Natürlich wollten wir dieses Baby!!! Also riefen wir montags auf dem Jugendamt an und sagten zu. 11 Tage nach dem Anruf trafen wir uns auf dem Jugendamt mit unserer abgebenden Mama. Am nächsten Tag (Freitag der 13.) erhielten wir den erlösenden Anruf: „Ihr dürft Euch jetzt 3 Wochen schwanger fühlen!“

Wie und wo habt Ihr Euer Kind das erste Mal gesehen?

Am 3. Juni wurde unser Sohn um 14:59 Uhr per Kaiserschnitt geboren. Wir erhielten den Anruf um 18:30 Uhr und sind sofort losgefahren, 100 km bis in die Geburtsklinik. Dort trafen wir unsere Bearbeiterin vom Jugendamt und die zuständige Kollegin aus der Stadt, in der Aaron zur Welt kam. Um 20 Uhr haben wir ihn das erste Mal auf der Neointensiv besuchen können und in den Arm nehmen dürfen. Ein perfekter Moment. Die Welt stand ganz kurz still für uns. Nach 12 Jahren KiWu war es nun endlich geschafft – wir waren eine Familie.
Wer sich über die zeitliche Differenz wundert: nach dem KS musste erst gewartet werden, bis die Mama aus der Narkose erwacht war, um zu fragen, ob sie bei ihrer Entscheidung, ihr Kind zur Adoption frei zu geben, bleiben möchte. Erst nach ihrem O.K. wurden wir informiert.

Was wisst Ihr über Aarons Ursprungsfamilie? 

Wie oben schon beschrieben, haben wir im Vorfeld schon Kontakt zur abgebenden Mama gehabt, den abgebenden Papa haben wir nur kurz im KH zu Gesicht bekommen. Wir wissen, dass es bei beiden eine Suchtproblematik gab bzw. gibt, da unser Sohn einen Entzug nach der Geburt durchlebt hat.

Im Vorfeld war klar, dass die Mama ihr Leben nicht wirklich im Griff hat, das hat sie uns gegenüber auch so erklärt. Sie hat selbst als Kind zeitweise im Kinderheim gelebt, weil ihre Mutter erkrankt war und wollte das für ihr Kind nicht. Sie wirkte in unserem Gespräch sehr klar und reflektiert und ich habe den allerhöchsten Respekt vor ihrer Entscheidung Aaron abzugeben. Als Mama hat sie wirklich im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht, für ihr Kind das Beste zu tun. Und das verdient unsere Hochachtung.

Wir haben eine Regelung getroffen für künftige Kontakte: wir schreiben gegen Weihnachten einen Brief, sie antwortet und im Sommer treffen wir uns. Das Alles wird allerdings vom Jugendamt begleitet.

Wie war das Gefühl, als Ihr Aaron mit nach Hause genommen habt?

Er hat 11 Tage auf der Neointensiv verbracht und wir haben ihn jeden Tag dort besucht. Ich konnte nicht dort bleiben,  es gibt nur ein Familienzimmer, das natürlich stillenden Müttern vorbehalten ist. Also war das nach Hause kommen einerseits sehr aufregend und andererseits wirklich lang ersehnt, nachdem wir jeden Tag knapp 3 Stunden Fahrt hinter uns hatten. Und dann war alles total tiefenentspannt. So wie in der Klinik schon. Er schlief, er futterte, wir kuschelten ganz viel und waren einfach glücklich miteinander.

Wie ging es danach weiter? War das Adoptionsverfahren schon abgeschlossen?

Die ersten 8 Wochen mussten wir noch ein bißchen bangen, ob die abgebenden Eltern wirklich den Notartermin wahrnehmen und von ihrer Elternschaft ‚abtreten‘. Nach 10 Wochen war es dann soweit, Aaron bekam einen amtlich bestellten Vormund und sie besuchte uns regelmäßig bis zu unserem Notartermin im März 2017, bei dem wir notariell beglaubigen ließen, dass wir Aaron an Kindestatt annehmen wollen. Im Juli 2017 mussten wir 3 zum zuständigen Familiengericht und dort wurde entschieden, dass das Adoptionsverfahren abgeschlossen ist, Aaron jetzt unseren Nachnamen tragen darf und eine neue Geburtsurkunde bekommt, in der wir als seine Eltern eingetragen sind.

Was hättest Du nie so vermutet, bevor Du Mutter wurdest?

Dass ein Kind tatsächlich alles verändert. Die Welt dreht sich nur noch um den kleinen Zwerg, der Garten, das Haus – egal, wenn es unordentlich und ungeputzt aussieht, Hauptsache der Mini ist glücklich und zufrieden.

Wie waren die Reaktionen aus dem Umfeld auf die Adoption?

Durchweg positiv. Da wir sehr offen mit unserem Kinderwunsch umgegangen sind, hat sich wirklich jeder im Umfeld mit uns gefreut. Alle waren sehr überrascht, denn wir hatten von den Adoptionsplänen nur ganz engen Freunden erzählt, damit wir nicht ständig gefragt werden, wann wir endlich dran sind. Und überwältigend, wie viele Glückwünsche und Geschenke von Freunden, Bekannten, Nachbarn und Kollegen uns erreichten. Das rührt mich heute noch.

Was möchtest Du anderen ungewollt kinderlosen Paaren sagen, die über eine Adoption nachdenken und nicht wissen, ob das was für sie ist.

Hört auf Euer Bauchgefühl. Und informiert Euch am besten nicht nur im Internet, sondern wirklich vor Ort bei Eurem zuständigen Jugendamt. Nehmt Euch Zeit für diese Entscheidung und trefft sie nicht leichtfertig, aber habt auch keine Angst. Es ist nur halb so schlimm, wie ich am Anfang dachte und das Ergebnis entschädigt für all die Hürden die man überwinden muss.

Wie hat sich Euer Leben verändert, seit Euer Sohn bei Euch ist?

Wir sind eine Familie geworden. Das ist die wichtigste Änderung. Bald geht unser Sohnemann in den Kindergarten, das wird auch nochmal viel verändern, bisher waren wir 18 Monate zusammen zu Hause und haben die Zeit genossen. Er kann laufen und fängt inzwischen an, alles nachzubrabbeln, liebt Traktoren, Bagger, Laster, alles was groß ist und Krach macht. Die Prioritäten verschieben sich eben, wenn man Eltern wird. Aber das kennt Ihr doch sicher alle.

Wie und wann werdet Ihr Aaron sagen, dass Ihr nicht die leiblichen Eltern seid?

So früh wie möglich. Das haben wir auch in den Seminaren so gelernt. Wenn man kein großes Geheimnis darum macht, können die Kids es für gewöhnlich besser verarbeiten. Bestes Beispiel ist mein Neffe (bei Aarons Geburt 5 3/4 Jahre alt und 6 Wochen vorher nochmal großer Bruder geworden): am 4.6. waren wir schnell bei meinem Bruder, bevor wir ins KH fahren wollten. Er fragte ganz aufgeregt, wo denn mein Baby sei. „Im KH, dein Brüderchen musste doch auch noch ein paar Tage im KH bleiben.“ Nächste Frage: „Aber du warst doch gar nicht schwanger?!“ Schlaues Kerlchen…

Ich habe ihm dann erklärt, dass eine andere Frau Aaron geboren hat, sich aber nicht um ihn kümmern kann und ihm eine andere Familie gesucht hat, die ihn aufnehmen kann. Und dass wir Aaron genauso lieb haben und er genauso zur Familie gehört, wie sein neues kleines Brüderchen. Und am Sonntag, als meine Eltern aus dem Urlaub kamen, ist er ganz aufgeregt zu meiner Mama geflitzt: „Oma, Katrin hat ein Baby bekommen, das hat aber eine andere Frau geboren. Und wir haben Aaron genauso lieb wie meinen kleinen Bruder!“ Er hat bisher noch nicht wieder nachgefragt. Ähnlich werden wir es mit Aaron halten.

Foto: http://www.photolo.de

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6 comments

  1. Adoption
    Hallo,
    ich hab ein bisschen Probleme mit der Adoption,. Ich finde es ist für die Leibliche Mutter doch bestimmt sehr schlimm ein Kind abgeben zu müssen egal aus welchem
    Grund.
    Wäre es nicht besser so eine Art Patenschaft für das Kind zu übernehmen und die
    eigentliche Mutter zu unterstützen so dass sie ihr eigenes Kind großziehen kann.
    Ich finde bei der ganzen Adoption wird immer so getan als ob es dass große Glück
    wäre ein Kind zu bekommen aber wie muß sich die abgebende Mutter dabei fühlen????
    Das frage ich mich immer .

  2. Ein wunderschöner Bericht.
    Ein wunderschöner Bericht. Ich hab gleich ein paar Tränchen vergossen. Ich bin ebenfalls adoptiert. Und wenn Du magst, kannst Du meine Geschichte auf diesem Blog nachlesen. Alles Liebe

    Jutta

  3. Liebe Kathrin,

    Liebe Kathrin,
    Wahnsinn! Wir haben selbst 2 Kinder adoptiert und ich habe mich in deinen Schilderungen so wiedergefunden. Toll! Ich freu mich für euch.
    Gruß Anne

  4. Ein ganz ganz toller Bericht
    Liebe Kathrin,
    vielen Dank für dein tolles Interview.
    Es ist mit so viel Liebe geschrieben und wundervoll zu lesen.
    Ich wünsche euch alles gute Gute für euer weiteres Leben als Familie 🙂

  5. Vielen Dank
    … für das tolle Interview! Dank der Offenheit von Katrin lässt sich alles, was sie erlebt hat, sehr gut nachvollziehen. Der kleine Aaron hat es wirklich gut getroffen! Alles Liebe für ihn und seine Familie!