Gastbeitrag von Kathi: Wenn das Kind sieben Monate durchschreit…

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Schreibaby – wenn das Kind sieben Monate am Stück durchweint

Manche Dinge kann man sich nur schwer vorstellen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Etwa, dass ein Baby über Monate durchschreien kann. Wie überstehen Eltern das? Hier schreibt eine Mutter sehr persönlich über ihre Leidensgeschichte.

Unser erstes Kind war kein „anspruchsvolles“ Baby. Dieser Ausdruck entspricht nicht im Ansatz dem, was wir erlebt haben. Die Schwangerschaft verlief schon mehr als schwierig. Drei Monate permanente Übelkeit. Nichts ging. Dazu eine immer wiederkehrende Migräne, die mein Arzt zurückhaltend mit etwas Paracetamol zu bekämpfen versuchte. Es blieb beim Versuch. Als all das endlich besser wurde, ging es mir nur bedingt besser. Es war heiß, ich fühlte mich dick und unbeweglich. Dazu ständige Rückenschmerzen und Kreislaufprobleme –mit Vorliebe mitten im Seminar in der Uni. Unter Schwangerschaft hatte ich mir mit meinen 23 Jahren dann doch etwas anderes vorgestellt.

Dennoch freuten wir uns unglaublich auf dieses Baby. Alles war so wahnsinnig aufregend und endlich kamen die ersehnten Wehen. Die Geburt verlief zügig und komplikationslos. Nach zwei Stunden der große Schreck. Unser Sohn hatte plötzlich hohes Fieber und musste in die zwei Kilometer entfernte Uniklinik verlegt werden. Der Notarzt war innerhalb weniger Minuten da und teilte mir kurz nach Mitternacht mit, dass er ihn für weitere Untersuchungen mitnehmen müsste. Panik.  Zwei Tage sprach niemand mit uns. Es war Wochenende und die Neugeborenen-Intensivstation voll belegt und viel zu wenig Personal da. Wir erlebten, wie ein Kind starb – es lag im gleichen Raum wie unser Sohn. Am Montag kam dann endlich ein Arzt zu uns, der mir versicherte, dass alles halb so wild sei – Streptokokken. Er muss sich trotz Antibiose bei mir infiziert haben. Mit einer weiteren Antibiose ging es ihm zügig gut und wir konnten ihn nach einer Woche nach Hause holen.

Drei Tage später der nächste Schock. Ich hatte hohes Fieber – eine Sepsis drohte. Von diesem Moment an schrie unser Sohn permanent. Ich hatte ihn mit ins Krankenhaus genommen. Nach zwei Tagen musste mein Mann ihn mit nach Hause nehmen. Es ging mir zu schlecht, um mich um ihn zu kümmern. Und er schrie. Nach einer Woche war ich endlich zu Hause und er schrie immer noch. So ging es dann für geschlagene sieben Monate.  

Er schrie von 20 Uhr bis 4 Uhr früh. Zum Glück hatte mein Mann gerade sein erstes Staatsexamen abgelegt und wartete noch auf seinen Referendariatsplatz. So konnten wir uns in Schichten um unseren Sohn kümmern. Das Geschrei war unerträglich. Nichts half. Es war egal, ob wir ihn trugen oder hinlegten. Er hatte weder Hunger noch Bauchweh. Wir konnten nichts erkennen. Unser Kinderarzt sagte schlicht, Babys schreien halt und das hätten wir doch wohl vorher gewusst. Die Hebamme war davon überzeugt, der Junge sei von dem schwierigen Start völlig verwirrt. War ich etwa selber schuld?! Ich hatte die Streptokokken. Ich war krank geworden, weil ich mich in den ersten Tagen völlig übernommen hatte.  Heute sage ich ganz klar: So ein Schwachsinn!  

Die einzigen, die gar nichts sagten, waren meine beste Freundin und meine Eltern. Sie kamen immer, wenn sie konnten und nahmen uns das Baby ab. Sie gingen mit ihm spazieren, halfen mir im Haushalt, sorgten dafür, dass wir endlich mal essen und schlafen konnten. Ich nahm in den ersten Monaten mit Baby knapp zehn Kilo ab. Wenn ich zurückdenke, erinnere ich mich an Geschrei, Verzweiflung und unglaubliche Müdigkeit. Ich hatte den Punkt erreicht, an dem ich verstand, warum Eltern ihre Säuglinge misshandeln, sie schütteln, schlagen oder auch gegen die Wand werfen. Ich hätte es niemals getan, aber auch nur, weil ich so viele Menschen um mich hatte, auf die ich zählen konnte. Selbst die Nachbarin, die wir bis zur Geburt nur flüchtig gekannt hatten, stand eines Tages vor der Tür und bot sich zum Kinderwagenschieben an. Auch sie hatte mitbekommen, dass dies der einzige Ort war, an dem das Kind ruhig war und schlief. Ich bin ihr bis heute unglaublich dankbar.

Es gab auch schöne Momente. Unser Baby konnte wundervoll lachen und gurgeln. Es fällt nur so schwer, sich daran zu erinnern.  Die meiste Zeit hatte ich einfach nur Panik, dass er wieder schreien könnte.

Mit etwa fünf Monaten stellten wir fest, dass er bei Harald Schmidt aufhörte zu schreien. Er schlief sogar ein. In meiner Verzweiflung nahm ich Harald Schmidt-Sendungen auf Video auf und spielte sie auch tagsüber ab. Es klappte leider nur bedingt, beruhigte mich aber.

Mit sieben Monaten konnte unser Baby sitzen. Von diesem Moment an schlief er problemlos und weinte nur noch selten. Geschrei gab es überhaupt nicht mehr.

Die nächsten Jahre verliefen für unseren Sohn gesundheitlich nicht immer einfach. Er hatte viele Mittelohrentzündungen, bekam Paukenröhrchen, Logopädie, motorisch war er den anderen Kindern immer hinterher, er litt unter Migräneattacken wie wir dachten. Er wurde auf Epilepsie getestet. Keiner konnte diese Schmerzen im Stirnbereich erklären. Mit acht Jahren kamen Wirbelblockaden dazu. Er konnte sich von jetzt auf gleich überhaupt nicht mehr bewegen; musste in die Klinik. Dort  erklärte man uns nach acht langen Jahren, dass er diese Blockaden schon immer gehabt habe müsse. Daher die Schmerzen, daher das Geschrei.  Zu dem Zeitpunkt hatte er schon zwei kleine Geschwister. Mit jedem Kind wurde die Babyzeit leichter. Mittlerweile ist noch ein weiteres Kind dazugekommen. Bei ihr haben wir die Blockaden schon in den ersten Tagen selber erkannt. Unsere Kinderärztin, die unsere Geschichte kennt, hat uns umgehend nach der U3-Untersuchung zum Therapeuten geschickt. Unsere kleine Tochter hat nicht einen Tag geschrien, da man uns von vornherein ernst genommen hat.

Genau das wünsche ich mir einfach von allen Umstehenden. Liebe Kinderärzte, Hebammen, Freunde, Nachbarn: Nehmt die Eltern ernst. Babys schreien nicht einfach. Ihre Eltern sind auch nicht gleich unfähig. Sie brauchen Verständnis und jemanden, der ihnen unter die Arme greift. Und sei es nur ein freundliches Lächeln. ES HILFT UNGEMEIN!

 

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9 comments

  1. Kennen wir nur zugut
    Liebe Katharina,
    Dein Beitrag spricht uns aus der Seele. Unser Sohn hat die ersten 6 Monate nur geschriehen, sobald man Ihn hinlegte. Gefühlte 24 std. am Tag. Eines Nachts, als wir um 03:00 Uhr morgens meine Schwiegermutter aus dem Bett geklingelt haben, weil wir total fertig waren, kam Sie auf die Idee zum Osteopaten zu gehen. Dort wurde festgestellt das unser Sohn seit bzw. durch die Geburt den Atlaswirbel ausgerenkt hatte und somit schmerzen beim liegen hatte. Als dieser eingerenkt war hatten wir ein vollkommen „neues“ Kind.

  2. Das ganze kommt mir relativ
    Das ganze kommt mir relativ bekannt vor. Mein Kleiner hatte ab dem 9.Tag Koliken und schrie fast den ganzen Tag. Vom Arzt hieß es nur, Bäuchlein massieren und das geht schon weg. Unsere Hebamme meinte er wäre ein lebhaftes Kind… Keine Rede von Koliken. Jegliche Infos habe ich mir selbst beschafft. Grauenvoll das niemand einem glaubt.

  3. Danke
    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Ich bin jetzt zum dritten mal Mama geworden und ich hab jetzt schon angst, wenn das nächtliche Geschrei wieder los geht. Vielleicht haben wir diesmal aber auch mal Glück.
    Ich bin auch der Meinung,dass man Eltern ernster nehmen muss.

  4. Grauenvoll
    Ich möchte diesen Artikel nicht im Ansatz weiterlesen. Die ersten drei Sätze reichen schon. Wenn Menschen nicht in der Lage sind, auf das menschliche zu hören, sollten nicht die Kinder daran schuld tragen. Es ist grauenhaft wie man diese Gedanken ausspricht und für immer im Internet hinterlässt. Ich frage mich wie man seinem Kind erklärt wenn dieses ein gewisses Alter hat, das man es schlagen, oder auch anderes anstellen wollte. Es wird sich ungeliebt, und noch schlimmer wenn es dieses Glück eines eigens Kindes erfährt – wahrscheinlich misshandelt fühlen. Traurig das es Menschen gibt, die nicht im Ansatz darüber nachdenken was man mit einem Kommentar im Internet verursacht.

  5. Sehr gut gemeistert
    Klasse wie Du und Deine Familie das gemeistert hat. Ich kann Dir da nur vollkommen Recht geben: Eltern müssen wahr und ernst genommen werden. Öfters mal über den Tellerrand schauen. Aber viele Ärzte sind , und das is oftmals noch nicht mal deren Schuld, überarbeitet oder, je nach Alter, langsam Betriebsblind. Trotzdem muss einfach besser auf Eltern und Kind eingegangen werden. Und das mit den Blockkaden wird immer häufiger diagnostiziert aber die wenigesten Ärzte kommen drauf.

  6. Kommt mir bekannt vor 😉
    Das kommt mir sehr bekannt vor! Bei unserem Sohn hörte es nach 5 Monaten auf. Manchmal habe ich nur eine Jacke über den Schlafanzug gezogen und bin so schnell wie möglich mit ihm im Kinderwagen raus.
    Leider hat sich niemand getraut, uns ein schreiendes Kind mal abzunehmen. Ich habe selbst im Schlaf noch vom Schreien geträumt.
    Auch ich konnte in der Zeit nachvollziehen, warum manche Eltern ihre Kinder einfach nur schütteln wollen. (Ich habe es natürlich auch nicht gemacht!)
    Ich möchte so etwas nie wieder erleben und glaube auch nicht, dass ich es nochmal durchstehen könnte, deswegen bleibt unser Sohn auch ein Einzelkind.

  7. Idee
    Liebe Kathi, ich fühle so mit! Ich hatte zwar kein Schreikind, aber dafür (ab der 4. Woche) bekam mein Sohn starken Milchschorf und später schwere Ausschläge (Neurodermitis). Nächtliches Streicheln und Abhalten oder Lindern des Juckreizes war über Monate nachts meine Aufgabe – neben dem Stillen. Das Gefühl von „Ich halte das nicht mehr aus“ kenne ich. Aber nun meine Frage: wann bekam Euer Sohn seine erste Impfung?? Dieses Mittelohrthema und mögliche Kopfschmerzen von Schwermetallen, die sich im Kopf ablagern, könnten daraufhin deuten…Euch alles Gute! (Mein Sohn ist mittlerweile 10 und erfreut sich bester Gesundheit ) Liebe Grüße – Ellen (P.S.: Zum Thema „Schreikind“ erfuhr ich auch neulich etwas über eine wunderbare Frau. Ruth Priese in Berlin. Siehe www.)

  8. Schreiambulanz half mir
    Ich kann das so nachvollziehen – mein Sohn schrie zwar nicht permanent,jedoch hatte er gerade ab dem späteren Nachmittag/ Abend immer wieder untröstliche Schreiphasen. Das hat mir schon gereicht. Ich habe Hilfe bekommen in einer Schreibabyambulanz in Leipzig (Praxis „Geburt aus der Mitte) und nach ein paar Sitzungen schlief er entspannter ein und ich konnte vieles bearbeiten (hatte auch eine Trennung nach der Geburt von ihm).