Gastbeitrag von Mimi: „Die Abtreibung wurde mir zu leicht gemacht“

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Ihr Lieben, wir haben vor einiger Zeit auf unserer Facebookseite gefragt, ob jemand sich trauen würde, uns von seiner Abtreibungs-Erfahrung zu erzählen. Nie hätten wir gedacht, welche Resonanz dieser Aufruf hervorrufen würde. Uns erreichten etliche Mails und Nachrichten, was uns zeigt: Ja, es gibt viele Betroffene und ja, es wird zu wenig darüber geredet.

Oft geschehen Abtreibungen im Verborgenen, wer spricht schon gern drüber. Aber eine solche Erfahrung will verarbeitet werden und so nahmen einige unserer Leserinnen die Chance wahr, ihre Geschichte einmal in Worte zu fassen und aufzuschreiben. Wir sind sehr gerührt von Eurem Vertrauen. Katharina und ich haben viel mitgenommen aus diesen Mails und wir danken Euch von Herzen, dass Ihr Euch diese Zeit für uns nehmt, dass Ihr Eure Geschichte noch einmal anfasst, obwohl das ganz sicherlich sehr aufwühlend ist und war.

Wir werden drei von diesen Texten hier bei uns veröffentlichen und bitten um faire Kommentare, denn hinter jedem dieser Texte steckt ein Mensch mit Gefühlen. Heute erzählt uns Mimi ihre berührende Geschichte. 

Wumm – schwanger. Wow. Jetzt? Ich? Hier? Naja, das passt ja. Man muss vielleicht wissen – wir halten nicht so viel von Planung. Nein, das stimmt nicht, wir halten sehr viel von Planung, aber wir neigen dazu, diese trotzdem nicht abzuwarten oder einzuhalten.

Naja, so kam unser erster Engel unerwartet zu uns. Und nach 8 unfassbaren Monaten mit Baby, mit neuer Rolle (als Mutter) und nach 5 Monaten gleich wieder neuer Rolle (Vollzeitarbeitende Mama mit Papa in Elternzeit) kam diese freudige Nachricht wie eine Explosion. Das Gefühlschaos war perfekt. Wow – noch ein Kind. Freude, Sorge, Angst, Überraschung, und dieses innerliche Grinsen, das jede, die schon mal schwanger war, kennt. All das kam. Und schnell suchten wir nach Lösungen.

Unsere Tochter sollte mit einem Jahr in eine Krippe meines Arbeitgebers, wir beide wieder voll arbeiten – wie sollte das gehen, wenn nun noch ein Kind kommt? Die Krippe, 30 km von uns zuhause weg, nicht wirklich praktisch, wenn ich mit Baby zuhause sein sollte. Und dann war da die neue Arbeit, mit Führungsfunktion, die mich völlig einnahm und an die Grenzen brachte aber auch unheimlich erfüllte und herausforderte. Was würden die Kollegen sagen? Und noch schlimmer, was würden sie denken?

Ein AuPair erschien uns als eine Lösung, mit der wir flexibel unsere verschiedenen Bedürfnisse und Wünsche gemanagt bekommen. Wir suchten, knüpften Kontakte – ja wir waren voll in den Planungen. Und dann kam sie – die Hyperemesis. Sie überrollte mich wieder, wie der ersten Schwangerschaft – nur heftiger. Vollzeitarbeit, Vollzeitmama (denn die Verantwortung gibt man nie ab), schwanger, neue Stelle, neue Aufgaben, Betreuung ungeklärt und dann diese Übelkeit und das Erbrechen, die Probleme überrollten mich – und plötzlich war mir klar – ich kann dieses Kind nicht bekommen. Ich kann es nicht schaffen. Ich werde daran kaputt gehen. Es war mir so deutlich – und plötzlich war klar – dieses Kind kriegen wir nicht.

Dann ging ALLES ganz schnell – Gespräch mit meinem Mann – er unterstützte meine Entscheidung, dass es zu viel für uns ist – Termin bei der Diakonie.

Im Beratungsgespräch wurde mir nach dem Mund geredet. Ja so ein Kind ist eine große Verantwortung. Es ist ok, wenn man seine Grenzen spürt, abzutreiben. Es könnte sein, dass es für mich danach schwierig wird, dann dürfe ich gerne wieder kommen. Das wars. Und schon hatte ich den unterschriebenen Zettel. Es war einer der wenigen Momente, in denen ich zweifelte. Warum? Weil es sooo einfach ging. Weil es nicht einen Einspruch, nicht einen Versuch gab, ob man das mit Hilfe nicht schaffen kann. Kann das richtig sein?

Terminabsprache mit der Abtreibungspraxis. Eine Woche sollte es dauern, bis es soweit war. Eine lange Woche. Ein Termin beim Arzt war nochmal hart – das Herzchen schlägt kräftig (ich könne wegschauen meinte der Arzt noch…). Hochzeitsfest am Samstag, Geburtstagsfeier montags – und dann war es so weit – Mittwoch morgen. Wir sind hin. Ein Bericht darüber, würde einen eigene Artikel geben.

Einen Babysitter organisiert, den besten Mann an der Seite kamen wir vor dem Mittag zurück. Wir haben beide geweint. Aber wir haben keine Sekunde wirklich gezweifelt.

Nicht an dem Tag, nicht in der Woche.

Ich weiß nicht, wann es anfing. Aber das Bereuen kam. Am Anfang tat ich es noch ab – als „typisch Frau weint allem nach“. Aber so war es nicht.  Ich habe die Wochen gezählt. Und den errechneten Geburtstermin durchgeweint, ich habe mir überlegt, wie alt sie (da bin ich sicher) jetzt wäre und was sie gerade Neues entdecken würde.

Ich habe mich schuldig gemacht. Ich habe ein Kind getötet. Und auch wenn die Meinungen hier weit auseinander gehen – für mich ist es so. Heute weiß ich, dass es absolut bescheuert war, in einer solchen Ausnahme-Stress-Situation eine solch weitreichende Entscheidung zu treffen. Ich hätte Hilfe gebraucht, Vorbilder, jemanden zum Reden und anlehnen, einen Arbeitgeber der sich offen zu Kindern, Schwangerschaft und Elternzeit bekennt aber vor allem hätte ich die Klarheit gebraucht, dass ich, wie auch in der ersten Schwangerschaft, durch die Hormone völlig durchgedreht bin. Dass ich auch da dachte, ich schaff es nicht, aber statt zur Abtreibung zur Therapeutin bin.

Heute – 4 Jahre später – bin ich noch immer traurig. Wir haben zwei wundervolle Kinder und so Gott will soll noch ein drittes dazukommen. Und wir wissen, dass im Himmel dieses Baby, das wir nicht annehmen wollten, auf uns wartet.

Ich bin schuldig, gegenüber dem Baby und mir selbst. Ich habe meine eigenen Prinzipien ignoriert.

Ich habe auch gelernt dadurch. Dass man niemals urteilen sollte, denn man weiß nicht, wie und warum Menschen handeln wie sie es tun. Und zweitens habe ich gelernt, anderen zu vergeben. Denn was brauche ich mehr als Vergebung? Und ich habe gelernt, dass die Prioritäten im Leben immer klar sein sollten. Ist es wirklich wichtig, dass neue Kollegen mich für ein Arbeitstier halten, dass auch die eigene Familienplanung hinten ansteht?

Viele Frauen treten für eine Enttabuisierung und einer „gesellschaftlichen Akzeptanz“ von Abtreibung ein. Mich macht das nachdenklich. Auch ich bin für Selbstbestimmung. Aber für mich war es zu leicht, das Baby abzutreiben. Vielleicht würde unsere kleine Eva leben, wenn man mir statt einer Abtreibung Hilfe angeboten hätte. Vielleicht könnte ich heute drei Kinder in die Kita bringen, weil ich Vorbilder gefunden hätte, die es geschafft haben, solche Situationen zu managen.

Ich habe damals den einfachen Weg gewählt. Wenn ich eins fürs Leben gelernt habe, dann: es geht nicht immer um den einfachen Weg und dieser ist auch nicht immer der beste.  Manche Stolpersteine machen unser Leben erst reich – wir vermissen unseren kleinen Stolperstein sehr und werden ihn immer vermissen.

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18 comments

  1. Der Gang ist schwer genug
    Auch wenn der Beitrag schon älter ist, möchte ich dennoch einen Kommentar schreiben.
    Ich habe ebenfalls abgetrieben – ohne Zweifel und ohne nachträgliche Gewissensbisse. Wir haben früh und unter finanziell schwierigen Verhältnissen unsere ersten beiden Kinder bekommen. Ungeplant ist unsere Jugenliebe zwischen Abitur und Ausbildung in das Projekt Familie gestolpert. Ich bin zu Hause geblieben, mein Mann hat versucht, uns mit viel Arbeit durchzufüttern. Kein Geld, wenig Zeit… aber viel Liebe und Glück – auch wenn auf wirklich viel verzichtet wurde. Die Kinder wurden groß, fast schon Teenies, wir waren nach Jahren der dauernden Engpässe endlich aus dem Gröbsten raus. Und dann – mitten zwischen Hausbau und beruflichen Neuanfang – erneut schwanger.
    Noch einmal alles von vorne? Ich habe nur geweint. Der Gedanke war furchtbar. Und ich habe nicht einen Moment darüber nachgedacht, oder nur kurz erwägt, dieses Kind zu bekommen.
    Ich war mit mir selbst im Reinen. Aber der Gang zum FA und zur Beratung, der kam einem seelischen Striptease gleich. Was soll ich fremden Menschen erläutern, warum ich welche Entscheidung fälle? Ich fand es schlicht demütigend.
    Wir haben schnell reagiert, ich habe kein Ultraschallbild gesehen, ich habe die Schwangerschaft nicht „gelebt“, ich war zeitnah in der Praxis und bin mit einem einzigen, allumfassenden Gefühl da raus – der absoluten Erleichterung. Nichts anderes habe ich empfunden. Wir waren danach schön frühstücken, haben Zeit zu Zweit verbracht und intensive Gespräche geführt – und haben das Ganze schlicht abgestreift. Ich müsste jetzt rechnen, das Jahr kann ich gar nicht mehr nennen, vor circa fünf, sechs Jahren war das. Im Winter. Den Geburtstetmin weiß ich nicht mehr.
    Der Sohn ist bereits in der Oberstufe, die Tochter wird 14. Wir haben den ersten Flugurlaub dieses Jahr gemacht, mein Mann und ich haben mittlerweile gute Jobs, sind die ersten Male allein verreist und haben viele Pläne, für die Zeit nach den Kindern. Leben – ganz egoistisch – nicht nur für die Kinder – sondern für mich. Ich liebe es.

    Ich habe übrigens nie jemanden davon erzählt – weil es sich wie eine Schande anfühlt. Und ich mich schäme. Nicht für meine Entscheidung, sondern weil ich es überhaupt trotz aller Vorsicht dazu habe kommen lassen. Heute bin ich sterilisiert.

    Vergangenes Jahr habe ich eine Freundin begleitet, nach Holland. Wunderbar. Ohne großes Tamtam, Termin, mit der SS-Bestätigung hin, ein nettes Gespräch und gut. Die Niederlande haben trotz sehr lascher Regeln eine sehr niedrige Abbruch-Quote. Mich wundert es nicht.

  2. Herzergreifend
    Mir sind sofort die Tränen gelaufen, als ich diesen Satz las:“Und wir wissen, dass das Baby das wir nicht annehmen wollten, im Himmel auf uns wartet!“ Diese Worte schmerzen wirklich jede Mutter :'(
    Es ist sehr traurig, dass das Thema Abtreibung so schnell einfach geht ohne Hilfe oder Zuspruch zu bekommen. Ich fühle mit dir! Und eines Tages werdet ihr euch wieder spüren und es wird vergeben!

  3. Vielen Dank für Deinen
    Vielen Dank für Deinen Artikel! Es ist wirklich mutig von Dir, Dein Erfahrungen so klar zu schildern. Aber es tut mir sehr Leid, dass Du keine ordentliche Beratung erhalten hast. JA, die Beratung soll ergebnisoffen sein. Ergebnisoffen heißt aber eben nicht nach dem Mund zu reden. Eigentlich gehört die Beratung hinsichtlich der Möglichkeiten MIT Kind auch dazu. Vielleicht findest Du ja im Nachhinein noch die Kraft, die besagte Einrichtung anzusprechen, damit dort etwas geändert werden kann (falls es noch so ist).
    Und ja, Du hast Recht, eine Abtreibung ist Mord. Jeder, der das nicht so sieht, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit. Umso toller ist es, dass Du Dich damit auseinandergesetzt hast, dass das Baby in Deinen Gedanken ist und Du diesen Beitrag schreiben konntest. Rückgängig machen kann man es nicht mehr, daher wünsche ich Dir, dass Du Deinen Frieden damit finden und Dein Leben genießen kannst. Alles Liebe für Dich und Deine Familie 🙂

  4. Danke.
    Vielen Dank für diesen berührenden Text. Ich sitze hier weinend am Rechner. Geh mit dir und deiner Entscheidung nicht zu hart ins Gericht. Vielleicht können deine Erfahrungen anderen Frauen helfen. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute!

  5. Eine weitaus bessere Beratung
    Eine weitaus bessere Beratung, die dir bestimmt mehr Mut gemacht hätte (trotz ergebnisoffener Beratung! ) ist 1000plus.
    vielleicht liest das noch jemand, dem es hilft…

    Für dich hoffe ich, dass es dir eines Tages leichter fällt, damit zu leben. (())

  6. Danke,
    dass du diesen Teil deiner Geschichte hier veröffentlivh hast. Vor ziemlich genau 5 Jahren habe ich ähnliches erlebt, mein Beratungsgespräch hat keine zehn Minuten gedauert, es war viel mehr ein Zettel abholen als alles andere. Heute bin ich Mutter einer fast einjährigen Tochter und mir sind oft die Tränen gekommen. In Worte fassen kann ich es nicht wirklich, aber der Schmerz und die Reue, das Schuldgefühl bleibt mir wohl ewig im Herzen. Ich wünsche euch als Familie weiterhin alles Gute.

  7. Dein Text geht mir sehr sehr
    Dein Text geht mir sehr sehr nahe. Gerade auch als Mutter zweier Kinder und Hebamme. Ich wünsche Dir und Deiner Familie alles Gute!

  8. Tränen in den Augen
    Ich sitze hier und weine. Danke für die Offenheit! Es macht einen sehr nachdenklich. Ich war nie in dieser Situation, aber wer Kinder hat, kann so etwas glaube ich nicht lesen, ohne kräftig zu schlucken. Und ich denke, Du hast Recht, Mimi: Zu der Abtreibungsberatung sollte auch eine wirkliche Beratung gehören, darüber, welche Hilfen es gibt, für wen sie sind, wie man an sie herankommt. Genauso wichtig finde ich es, Frauen nach der Entscheidung nicht alleine zu lassen. Zumal zu dem psychischen Durcheinander ja auch noch das hormonelle Durcheinander dazukommt.

  9. du hast so recht
    es wird einem wirklich viel zu leicht gemacht so einen Schritt zu tun. Und es ist wahr wenn man schwanger ist ist man so verletzlich und schwach, körperlich und psychisch, gerade am Anfang, da sollte man wirklich Zuspruch und Hilfe bekommen damit man das Kind freudig annehmen kann. Es tut mir so leid für dich, auch für dein kleines Mädchen. Ich werde beten für dich und deine Familie. Ich hoffe es tröstet dich ein bisschen Schön, dass du noch mehr Kindern das Leben geschenkt hast. Alles Liebe

  10. Du schreibst mir aus der Seele
    Liebe Mimi, vielen Dank für deinen Mut!
    Genau das gleiche habe ich durchlebt und durchlebe es immer noch.
    Fühl Dich fest gedrückt!

    Liebe Grüße
    Lena mit zwei Kindern an der Hand und eins im Herzen

  11. Liebe Mimi, das sehe ich anders
    Ich bin froh darüber, dass es Frauen heute in unserem Land „so leicht gemacht wird“ abzutreiben. Ich habe zweimal abgetrieben. Ich bin zweimal trotz Verhütung (Spirale) ungewollt schwanger geworden. Ich fand die Gänge zum Arzt und zur Beratungsstelle schwer genug. Die Tränen die da laufen, die schweren Entscheidungen die man trifft. Mir hat niemand zu Munde geredet oder mir ein schlechtes Gewissen gemacht. Auch hatte ich verständnisvolle Ärzte, die mir geholfen haben, ohne die Moralkeule rauszuholen. Jede Frau hat ihre Gründe, warum sie sich gegen eine Schwangerschaft entscheidet. Und ich bin auch der Meinung, dass das Thema enttabuisiert werden sollte. Es gibt so viele Länder, in denen es Frauen nicht möglich ist. Ich bin trotzallem oder gerade deswegen eine liebende gute Mutter für meine Kinder die ich geboren (und auch, für die, die ich nicht geboren habe). Sie sind trotzdem in meinem Herzen, auch wenn sie nicht physisch bei mir sind. Und das ist gut so.

    1. Ich finde den Titel bedenklich
      Danke Anne, danke Mimi.
      Ich finde den Titel gefährlich. Ich kann deine Gefühle verstehen, Mimi. Aber, ich finde jeder sollte die Verantwortung für seine Entscheidungen schon bei sich selbst suchen. Ich bin ebenfalls sehr froh das wir in einem Land leben in dem Frauen diese Möglichkeit haben.
      Aber wir leben auch in einem Land in dem es jede Menge Anlaufstellen (Jugendämter, Selbsthilfegruppen, Donum Vitae, Pro Familia,…..) gibt die einen in dieser Situation auch mental Unterstützen können. Man muss sich die Hilfe, wenn man sie will, aber suchen. Ich finde den Titel wirklich bedenklich. Wie ein Aufruf um es Frauen bitte zukünftig wieder schwer zu machen solch einen Schritt zu gehen.

  12. Jetzt muss ich weinen. Ich
    Jetzt muss ich weinen. Ich kann sowas einfach nicht mehr lesen, seit ich selber ein Kind habe.
    Liebe Mimi, lass dich drücken. Manchmal macht man Dinge, die man ewig bereut. Diese sollten uns nicht nachhängen, wenn wir es ehrlich meinen, denn wir wussten es in dem Moment nicht besser.

    Liebe Grüße
    Nicole von dasliebkind.de

  13. Danke
    Liebe Mimi, dein Text berührt mich sehr. Vielen Dank, dass du ihn mit uns allen teilst.
    Und danke an stadtlandmama- ihr seid toll