Wenn die Angst um das Kind zu groß wird – Gastbeitrag von Melli

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Ihr Lieben, fast jede Schwangere und Mutter hat mal Ängste. Denn für uns alle wäre es wohl das Schlimmste, wenn unseren Kindern etwas passieren würde. Die meisten von uns können diese Ängste besiegen und sind nicht im Alltag eingeschränkt – unsere Leserin Melli hat aber fast die Kontrolle darüber verloren. Hier gibt es Ihre Geschichte:

"Ich hätte vor Glück platzen sollen. Endlich war ich schwanger! Für mich war eine Schwangerschaft nicht selbstverständlich. Doch nach einer gescheiterten Ehe, zwei Fehlgeburten und einem Neustart in Sachen Liebe, schien endlich alles den richtigen Weg zu gehen.

Wie gesagt: Eigentlich sollte ich mich darüber freuen und mit einem Dauergrinsen  durch die Stadt laufen. Aber das tat ich nicht. Vor lauter Angst eine erneute Fehlgeburt zu haben, konnte ich mich von Anfang an nicht so richtig auf die Schwangerschaft einlassen. Hätte ich den erneuten Verlust verkraftet? Würde erneut eine Ehe darunter leiden? Ich habe mir unendlich viele Gedanken gemacht. Immer und immer wieder. 

Zum Glück kam unsere Tochter gesund und munter per Kaiserschnitt zur Welt. Ich freute mich das erste Mal richtig und weinte vor Glück, als ich das erste Mal in ihre Augen blicken konnte. Niemand konnte und sollte mir das mehr nehmen. Mir war klar, dass ich dieses Wunder mit allem was ich konnte beschützen werde.

Die Tage im Krankenhaus zogen sich. Ich fühlte mich fit, trotz des Kaiserschnitts. Ich bin gleich am nächsten Tag spazieren gegangen und konnte es kaum erwarten endlich mit meinem Mann und meinem Kind nach Hause zu kommen.

Bevor es jedoch so weit war, mussten wir mit unserer Tochter noch zur U2. Und da fing alles an…

Die Ärztin hielt mir einen 5 minütigen Vortrag über die richtige Temperatur im Schlafzimmer, die Notwendigkeit eines Schnullers beim Schlafen, das zwingende Tragen eines Schlafsacks und das Schlafen auf dem Rücken. Wir kauften ein Thermometer für das Kinderzimmer und hielten uns an alles, was die Ärztin vorgab – und das mit penibler Genauigkeit.

Von da an glaubte ich, dass der plötzliche Kindstod mir mein Kind nun doch noch nehmen könnte und all mein Glück zerstören wurde. Ich wurde panisch. Ich dachte, wenn ich nich nur in einer Nacht nicht an alle Vorgaben halten würde oder tagsüber nicht genügend aufpassen würde, würde mein Kind sterben. 

Ich weinte jeden Tag, hatte furchtbare Angst, etwas falsch zu machen und deswegen mein Kind zu verlieren. Mein Mann, meine Mutter und auch meine Schwiegereltern erkannten mich kaum wieder.

Als meine Mutter uns zum Essen einlud, musste mein Mann auf dem Weg dorthin alle 10 Minuten anhalten, da unsere Tochter im Auto schlief und ich mich vergewissern musste, dass sie auch noch atmete. Ich hatte das Gefühl verrückt zu sein, aber ich konnte mein Verhalten nicht ändern. Ich las vermutlich jeden verfügbaren Artikel und Forenbeitrag, den ich zum Thema plötzlicher Kindstod fand und steigerte mich immer mehr hinein. Ich schlief keine einzige Nacht durch, wurde andauernd wach und sah nach, ob mein Kind noch lebt. Vermutlich hätte ich eine Ameise durchs Zimmer laufen hören.

Mir war klar, dass das nicht gut ist. Und fragte mich, wie lange das so gehen soll. Ein Jahr? Dann wäre ja die gröbste Gefahr für den plötzlichen Kindstod gebannt…

Ich versuchte, jedes Riskio zu minimieren. Wer rauchte, musste sich vor dem Kontakt mit meiner Tochter umziehen und sich gründlich die Hände waschen und desinfizieren. Ich achtete auf alles, denn ich kannte ALLE Risikofaktoren für den plötzlichen Kindstod. Im Sommer zog ich mit meiner Tochter ins Gästezimmer im Keller, da ich nur dort die 18 Grad im Schlafzimmer garantieren konnte, die Pflicht waren. Alles drehte sich nur noch um meine Angst.

Als ich mit meiner Hebamme darüber sprach, diagnostizierte sie eine Wochenbettdepression und gab mir homöopathische Medikamente. Depression? Ich? Schwachsinn, dachte ich damals, ich mache mir lediglich Sorgen um mein Kind. Meine Hebamme hab ich zu diesem Zeitpunkt vermutlich auch nicht ernst genommen. Diese Kügelchen nahm ich nur ein, weil meinem Mann und dem Rest meiner Familie die Sorge um mich ins Gesicht geschrieben war.

Ich weiß bis heute nicht, ob es diese Medikamente waren, die mir geholfen haben, oder die vielen Gespräche mit meiner Mutter und meinem Mann. Aber es wurde irgendwann Stück für Stück besser, ich weinte weniger und versuchte mir möglichst wenig Sorgen zu machen. Irgendwo las ich das die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt sehr viel höher ist, als die des plötzlichen Kindstods. Das führte ich mir immer und immer wieder vor Augen, schließlich war die Fehlgeburt die erste Angst, die ich überstanden hatte. Und so schaffte ich es Stück für Stück zurück zur Normalität. 

Heute ist unsere Tochter 2 Jahre alt und ich würde mich nicht mehr als übervorsichtige Mama bezeichnen, eher im Gegenteil. Ich lasse unsere Tochter alles ausprobieren und renne nicht bei jeder Kleinigkeit los. Ich freue mich über freie Abende, wenn sie bei ihrer Oma schläft oder über Nächte in denen sie komplett in ihrem Bett durch schläft.

Was geblieben ist, ist der Blick in ihr Zimmer, bevor ich ins Bett gehe. Aber ich glaube, das macht jede Mama so.

—–ZUM WEITERLESEN:

Ich habe Depressionen und will nun mein Leben ändern 

Wieviel Angst habt Ihr um Eure Kinder, fragt sich Lisa

Über die Angst, jemand Geliebtes zu verlieren

 

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4 comments

  1. 16-18 Grad
    Liebe Melli,
    danke, dass du hier so offen über deine Ängste schreibst. Ich denke, dass es vielen Müttern so geht und die Gefahr, dass die Angst überhand nimmt ist sicher nicht zu verachten. Auch mir geht es so, dass ich manchmal in Tagträume versinke in denen meiner Tochter oder meinem Mann irgendwas schlimmes passiert. Total verrückt!

    Zum Thema Kindstod: Mich ärgert es regelrecht, wie Eltern mit diesen 16-18 Grad verrückt gemacht werden. Wer kann bitte im Hochsommer für kühle 18 Grad sorgen (derjenige möge sich bitte melden – wir schwitzen im Sommer nämlich immer ordentlich in der Nacht ;-))? Und kommt es zu einem sommerlichen Massensterben von Babys? Und in den südlichen Ländern? Wie machen die das bitte?

  2. das macht jede Mama
    Ich bin keine der üervorsichtigen Mütter. Viele fragen mich wie ich da mache, die Kinder einfach machen zu lassen. Weiss ich nicht. Ich denke, es hat alles seine Richtigkeit.
    Aber Abends- bevor ich schlafen gehe, beuge ich mich über beide Bettchen und höre dem Atem zu… Erst dann kann ich ruhig ins Bett gehen.

    Schöner Artikel und toll, dass du zu dir uns deinen Ängsten stehst!
    LG YoYo

  3. Gott kenne ich diese Angst
    Mein kleines Wunder ist 2 Monate alt und ich kenne diese Angst sehr gut. Der einzige Unterschied ist, dass ich vor 2 Wochen aufgewacht bin und er nicht mehr geatmet hat. Dann als ich dachte das war ein einzelnes Erlebnis ist es noch einmal passiert.

    1. Mir ist das gleiche passiert.
      Mir ist das gleiche passiert. Ich war nie eine übervorsichtige Mama. Aber auch meine Tochter lag mit 7 Wochen grau und leblos im Bett. Ohne Decke, Schlafsack, Kopfkissen. Nur auf der Matratze. Und warm war es auch noch nicht.