„Seid nicht blauäugig und glaubt, dass Sexismus nicht mehr existiert!“ Interview mit der Edition F- Chefredakteurin Teresa

teresa buecker

Ihr Lieben, es gibt Frauen, die uns einfach begeistern. Die Ladies, die die Internetseite EDITION F machen, gehören definitiv dazu. Gerade haben die Gründerinnen Susan und Nora ihr neustes Projekt verraten: Sie möchten mit einer digitalen Akademie, der Female Future Force Akademy, Frauen privat und beruflich voran bringen. Eine super Idee! Wir finden die Ladies nicht nur deshalb toll, weil sie nur so vor Ideen sprühen, sondern auch, weil einige von ihnen vormachen, wie man Job und Familie wuppt. Deshalb haben wir heute mit der Chefredakteurin von Edition F über ihre Jobtipps und die Kindererziehung gesprochen:

Liebe Teresa, Du bist Chefredakteurin von EDITION F und hast eine kleine Tochter. Welche Werte willst Du Deiner Tochter vermitteln?

Selbstvertrauen, Aufgeschlossenheit und Humor sind die wichtigsten drei, würde ich jetzt spontan sagen. Dabei glaube ich, dass wenn man viel miteinander lacht und Quatsch macht, die Neugierde eines Kindes stärkt und sehr viel Liebe zeigt, dass Selbstvertrauen automatisch mitkommt. Das kann man ja schlecht erlernen, man kann nur gute Bedingungen dafür schaffen, dass das natürliche Selbstbewusstsein, das kleine Kinder haben, wachsen kann und erhalten bleibt. Wir wohnen jetzt seit ein paar Monaten in Berlin-Wedding, wo man zum einen eigentlich jeden Tag ältere Menschen auf der Straße trifft, die einen von sich aus ansprechen und die Kleine auch jedem Nachbarn und jeder Oma auf der Straße „Hallo“ sagt, und ich finde es wirklich schön, diese offenen Begegnungen im Alltag zu haben und meiner Tochter so vermitteln zu können, dass Offenheit gegenüber anderen etwas Gutes ist.

Du und Susan, die Gründerin von Edition F, habt beide Kinder – wenn man Euch online verfolgt, sieht es so aus, als würdet Ihr Job und Familie mühelos wuppen. Ist das tatsächlich so?

Haha, also ich glaube, dass ist eine stark verzerrte Wahrnehmung. Ich twittere ja auch über meinen Schlafmangel und ziehe morgens meist das an, was gerade am nächsten liegt. Meine ganzen hohen Schuhe habe ich seit der späten Schwangerschaft nicht mehr getragen. Ich bin sechs Monate nach der Geburt meiner Tochter wieder Vollzeit eingestiegen – das war krass, gar keine Frage. Es ist auch bis heute krass und anstrengend. Wenn ich zum Beispiel meine Tochter morgens zur Kita bringe und weiter ins Büro fahre, bin ich eine bis eineinhalb Stunden unterwegs. Hinzukommt: Ich bin ein introvertierter Mensch, der sehr viel Zeit für sich braucht und auch Ruhe. Dass ich diese Zeit nur selten habe, ist wirklich schwierig für mich. 

Ich habe definitiv Abstriche gemacht: Ich kann nicht mehr alles lesen, was ich will und nicht mehr in allen Themenbereichen up-to-date sein. Ich gehe auf weniger Netzwerk-Veranstaltungen, kann nicht jede Vortragsanfrage annehmen und in den aktivistischen Gruppen, bei denen ich mitwirke, kann ich nun auch viel weniger beitragen – das hab ich nämlich früher spät am Abend oder nachts gemacht.

Und ich muss auch ganz klar sagen: Es gibt diese Momente, in denen ich denke, nicht mehr zu können, weil das Kind einfach mal sehr lange zum Einschlafen braucht und keine einzige Minute vom Abend übrig bleibt und man danach einfach selbst ins Bett gehen kann und noch nicht einmal Abendessen hatte.

Auf der anderen Seite ist aber auch weiterhin ganz viel möglich: In unserem Büro ist eigentlich jeden Tag mindestens ein Kind zu Gast und sie gehören einfach dazu. Ich hatte neulich hier einen Fernsehdreh und die Kita hatte geschlossen und dann war die Kleine eben mit im Büro. Meine Kolleginnen freuen sich darüber total und sie wurde von vielen Leuten in der Zeit bespaßt. Sie lernt damit auch, dass Arbeit etwas ist, wo sie nicht ausgeschlossen ist, sondern dass sie auch hier willkommen ist. Zudem hab ich sie auch schon als Baby überall mithingenommen. Sie war schon mehrere Male mit im Bundestag, neulich im Hauptstadtbüro des Spiegels und auf einer Konferenz, auf der ich ein Gespräch moderiert hab, saß sie vorne auf dem Bühnenrand und hat so lange ein Stück Kuchen gegessen. In der Regel ist es so, dass total positiv darauf reagiert wird und man sich freut, dass sie mit dabei ist. Ich glaube, gerade ältere Frauen finden das toll, denn sie sehen, wie es heute klappen kann.“

Wie sieht ein typischer Tag unter der Woche bei Dir aus?

Meine Tage sehen nicht alle gleich aus – zum Glück. Heute morgen zum Beispiel konnte ich vor der Arbeit laufen gehen, weil meine Tochter bei ihrem Vater geschlafen hat. Wir sind seit letztem Jahr getrennt und leben mit ihr ein Wechselmodell, daher stehe ich manchmal morgens ohne sie auf und bin ab und an auch ganz allein in der Wohnung. Ich arbeite aber in der Regel jeden Tag vom Büro aus, weil auch in der redaktionellen Arbeit der echte Kontakt zum Team total wichtig ist und viele Absprachen so besser laufen als digital. Ich bin aber unterschiedlich lang da, weil ich meine Tochter auch von der Kita abhole, und mache dann später noch mal was.“

Welchen Tipp hast Du für alle berufstätigen Mütter?

Was mir noch einmal bewusst geworden ist, seitdem ich Mutter bin: Wenn ich nicht für mich selbst sorge, kann ich nicht so für mein Kind da sein, wie ich es möchte. Sport ist tatsächlich etwas, das für mich sehr wichtig ist – das hat nichts mit noch mehr Selbstoptimierung zu tun – ich mach das einfach gern und ich fühl mich wohler, wenn ich mich regelmäßig bewege. Jede Mutter sollte also für sich wissen, was sie braucht, damit es ihr gut geht – und dann findet sie hoffentlich die Zeit dafür.

Und: Arbeit Arbeit sein lassen, wenn du mit dem Kind zusammen bist. Gerade ich als Journalistin fand es schwer, mich aus dem Nachrichtenstrom auszuklinken. Mittlerweile gelingt mir das sehr gut und ich bekomme am Wochenende echt kaum etwas mit, was so passiert. Aber nachdem ich das geschafft hatte, bin ich selbst ruhiger geworden. Ich nutze mein Telefon auf dem Spielplatz, um Fotos von meiner Tochter zu machen, aber E-Mails beantworten kann man echt wann anders. Die überwiegende Mehrheit von uns hat doch Jobs, wo niemand stirbt, wenn man nicht sofort auf eine digitale Nachricht anwortet.“

Und welchen Tipp für die Frauen, die gerade erst in die Arbeitswelt eintauchen?

Das wird jetzt ein wenig ernüchternd klingen, aber es ist noch so: Seid nicht blauäugig und glaubt, dass Sexismus nicht mehr existiert. Ihr werdet alle die Erfahrung machen, früher oder später, dass es einen Unterschied macht, dass ihr eine Frau seid – und Diskriminierungserfahrungen liegen nicht daran, dass ihr euch blöd verhalten habt, sondern an Strukturen. Je früher man dafür sensibilisiert ist, desto besser kann man damit umgehen, glaube ich. Ihr werdet aber auch Menschen treffen, die an euch glauben und euch Dinge zutrauen. Den besten Rat, den ich von meinem ersten Vorgesetzten bekommen habe, war: ,Sag immer ja, wenn dir etwas angeboten wird, was dir eine Nummer zu groß erscheint.‘ Meine Erfahrung war, dass ich daran immer gewachsen bin – aber nie gescheitert.“

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich früher in Gehaltsverhandlungen viel zu schnell eingeknickt bin. Glaubst Du, es geht vielen Frauen so? Und warum geht es Frauen vielleicht eher so als Männern?

Frauen sollten nicht glauben, dass sie per se schlechter verhandeln. Viele können das ganz hervorragend, vor allem dann, wenn sie wissen, was sie wollen und was sie wert sind. Viel hat also mit Vorbereitung zu tun – unbedingt recherchieren, was andere verdienen, und nicht nur Freundinnen fragen, sondern auch Freunde. Gegenvorschläge machen, wenn die Summe X nicht drin ist und dann zum Beispiel eine Weiterbildung heraushandeln oder einen zugesicherten Gehaltssprung nach einem halben Jahr, mehr Urlaubstage, was auch immer. 

Fakt ist aber auch, dass sehr viele Frauen als Mädchen zur Bescheidenheit erzogen wurden und zum Nett-Sein. Das kriegt man nicht so schnell aus dem eigenen System. Von daher finde ich es sehr wichtig, dass es gesetzliche Vorstöße zu Lohngleichheit und –transparenz gibt. Besser verhandeln ist das eine, weniger diskriminieren aber das andere. Frauen können diese Schieflage nicht individuell beheben, in dem sie an sich arbeiten.“

Warum stellen viele Frauen, die aus der Elternzeit kommen und früher in tollen Positionen waren, so oft ihr Licht unter den Scheffel?

Hm, vielleicht, weil sie schon bei anderen Frauen beobachtet haben, wie sie nach der Elternzeit ausgegrenzt wurden? Ich kenne Dutzende Geschichten von Frauen, die nach der Elternzeit direkt gekündigt wurden oder auf unliebsame Projekte abgeschoben wurden. Es gibt immer noch Unternehmenskulturen, die nicht elternfreundlich sind. Ich denke, dass es daher unheimlich wichtig ist, zu zeigen, dass Elternschaft und Freude und Erfolg im Beruf sich nicht ausschließen. Ich hoffe, dass wir bei EDITION F das den jüngeren Kolleginnen zeigen können und denjenigen, die mal Kinder möchten, Mut machen, das auch zu tun. Dazu gehört auch, dass Mütter und Väter, die in Führungspositionen arbeiten, in Elternzeit gehen und zeigen: Auch wir sind entbehrlich. Ein Vorgesetzter, der keine Elternzeit nimmt oder nie sein Kind aus der Kita abholt, ist ein schlechtes Vorbild und macht seinem Team keinen Mut zu sehen, dass Vereinbarkeit gefördert wird.

Es ist natürlich ein Privileg, sich ein familienfreundliches Unternehmen aussuchen zu können. Viele sind eben angewiesen auf ihre Jobs und es ist kein guter Tipp, einfach zu kündigen, wenn das Klima schlecht ist. Es ist aus meiner Sicht aber auch okay, erst einmal wieder in den Job hineinzuwachsen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das ist mit Kind und Beruf. Ich kann aber aus eigener Erfahrung nur Mut machen: Egal ob ihr drei Monate oder ein Jahr pausiert – das ist keine lange Zeit, ihr habt nicht den Anschluss verloren.

Feminismus ist für viele ein negativ besetzter Begriff – was bedeutet Feminismus für Dich?

Ich hab auch erst Mitte 20 angefangen, mich Feministin zu nennen. Ich hatte mit dem Begriff lange keine Berührung, weil ich damit nicht groß geworden bin. Schade eigentlich. Das sollte als Thema wirklich in die Schulen, denn es ist ja schon immer eine ganz ganz wichtige 

Bewegung gewesen und man kann sehr viel darüber lernen, wie Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren – und wie wenig sich bewegt. Feministinnen kämpfen schon seit dem 19. Jahrhundert für die gleichen Themen.

Feminismus bedeutet für mich an erster Stelle, die Freiheit der Frauen zu stärken. Also frei darüber entscheiden zu können, wie sie leben wollen und dass nicht alles, was Frauen tun, an männlichen Maßstäben gemessen wird, sondern wir eigene Ideen und eigene Maßstäbe für unser Tun und Handeln entwickeln und immer wieder herausfordern, was als Status-quo betrachtet wird. Feminismus muss dabei unbedingt intersektionell arbeiten, das heißt, das Zusammenspiel von verschiedenen Diskrimierungsformen berücksichtigen und versuchen aufzulösen, zum Beispiel sind kopftuchtragende Frauen von Sexismus und Rassismus betroffen, Frauen mit Behinderungen erfahren deutlich mehr Diskriminierung im Alltag als andere usw. Feminismus ist dabei auch längst nicht mehr nur auf gleiche Rechte für Frauen beschränkt: Denn unter dem Rassismus, den muslimische Männer erfahren, leiden eben auch muslimische Frauen.“

Welche 3 Frauen haben Dich in der letzten Zeit begeistert?

Meine Freundin, die keinen Bock mehr darauf hat, dass Frauen und Paare allein damit sind, dass sie nicht schwanger werden und auf medizinische Unterstützung angewiesen sind. Sie erzählt jetzt einfach sehr offen von ihrer Fehlgeburt und von ihrer Behandlung und macht damit möglich, dass die Frauen in ihrem Umfeld sich öffnen können und nicht allein damit kämpfen müssen. Das hat sie Überwindung gekostet und ich habe einen riesigen Respekt davor.

Meine andere Freundin Laura Dornheim, die ein tolles Rolemodel für jeden Lebensbereich ist und trotz Baby auf jeder Demo anzutreffen ist und jetzt ganz spontan und mutig entschieden hat, dieses Jahr für den Bundestag zu kandidieren.

Und dann die 16-jährige Hava, die ich letztes Jahr auf einem Workshop für geflüchtete Mädchen kennengelernt habe, die mich wahnsinnig beindruckt hat, wie sie ohne Familie gegen ihre Abschiebung kämpfte und gleichzeitig noch so engagiert war und sich den Mut nicht hat nehmen lassen, dass sie sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen kann.

Mit der Female Future Force Akademie wollt ihr Frauen beruflich und persönlich unterstützen und voranbringen. Welche Menschen haben Dich beruflich geprägt?

Für mich war es ein langer Weg überhaupt herauszufinden, was ich beruflich machen wollte, denn mir haben als Teenager und Kind die Vorbilder gefehlt. Denn im Westdeutschland der 80er Jahre waren jetzt nicht unbedingt viele Frauen berufstätig. Ich hab dann, eher um familiäre Erwartungen zu erfüllen, erst einmal Tiermedizin studiert. 

In meinem klassischen Berufsumfeld wurde ich vor dem Wechsel zu EDITION F vor allem gefragt: „Ist dir ein Startup nicht zu viel Risiko“ oder auch „Warum gehst du nicht zu einem großen Verlag?“ Beruflich am meisten geprägt haben mich wohl all die Frauen, mit denen ich feministisch und aktivistisch zusammenkomme und die mir Mut gemacht haben und immer wieder zeigen, dass es sich lohnt, engagiert und unbequem zu sein. 

Mich prägen aber aktuell immer wieder Menschen, denen ich begegne. Das ist wirklich das tolle daran, Journalistin zu sein: Immer wieder neue Menschen treffen und ausquetschen können. Es ist aber auch ein ziemliches Privileg, diesen Zugang zu haben und dass in Berlin viele Veranstaltungen sind, bei denen man beeindruckende Persönlichkeiten treffen und von ihnen lernen kann. Das ist auch ein Grund, warum wir die Female Future Force Academy machen: Wir wollen dieses Wissen zugänglich machen, gerade auch für Frauen, die nicht in großen Städten leben oder sich digital weiterbilden möchten, weil neben ihnen ihr Baby schläft.“

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1 comment

  1. Tolle Frau
    Tolles Interview! Danke, dass hier solche Themen stattfinden und nicht nur das übliche Spielplatz Blabla