„Mein Freund hat sich das Leben genommen“ – Interview mit Janine

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Liebe Janine, Dein Lebensgefährte hat vor 13 Jahren sich das Leben genommen. Kannst Du uns von dem Tag erzählen?

Es war ein Freitag im August 2004, es war mein letzter Arbeitstag vor unserem Urlaub. Mein Lebensgefährte wollte mit Freunden auf ein Konzert und erst am nächsten Tag wieder heimkommen. Er stieg richtig glücklich auf sein Motorrad, wsr voller Vorfreude. Nachts um 2 Uhr bekam ich eine SMS mit den Worten: "Ich liebe dich".
Das war das letzte Lebenszeichen, er kam nicht mehr nach Hause. Es dauerte eine Woche bis die Bereitschaftspolizei ihn fand. Ich wusste von Beginn an, dass etwas Schlimmes passiert ist. Dass er einfach abgehauen ist, kam nicht in Frage. Doch die Ungewissheit, was genau passiert ist, war schrecklich. 
Als die beiden Kripobeamten am Fundtag bei mir klingelten, wusste ich, dass sie haben ihn tot gefunden. Meine erste Frage lautete dennoch: "Ist er tot?" Und die zweite Frage: "War er es selbst?"
Es klingt blöd, aber es war mir wichtig, dass er es selbst getan hat und nicht Opfer eines Verbrechens wurde. Es hat mir in meiner Trauer irgendwie geholfen zu wissen, dass es wohl sein Wunsch war zu sterben. Man möchte für diejenigen, die man liebt, das Beste. Und wenn es für ihn so das Beste war, dann soll es auch für mich ok sein – das sagte ich mir immer wieder wie ein Mantra vor. Denn natürlich ist mein Leben ist in diesem Moment wie ein Kartenhaus eingestürzt.
 

Kam der Suizid für Dich überraschend oder gab es vorher Anzeichen?

Er litt an Depressionen, war auch in psychologischer Behandlung. Die letzten 8 Monate ging es ihm viel besser. Er lachte viel und hatte wieder Ziele und neue Projekte, hatte sich beruflich verändert. Ich dachte, wir hätten es geschafft. 

Es klingt komisch, aber irgendwie habe ich immer gefühlt, dass ein Suizid passieren könnte. Nur nicht zu diesem Zeitpunkt. 
 
Wie hast Du die ersten Wochen und Monate nach dem Tod erlebt?
 
Ich war innerlich gebrochen. Ich hab nur noch funktioniert, wie ein Roboter. Mein alter Hund hat mich am Leben gehalten, um ihn musste ich mich kümmern, ihn versorgen.
Ich hatte dann einen unglaublichen Drang, unser Zuhause zu verändern. Kleiderschrank ausräumen, neue Möbel, ausmisten. Ich wollte alles verändern, um den Schmerz dadurch weniger zu spüren. Bloß nicht nachdenken über das Geschehene. 
Nach meinem Urlaub ging ich wieder arbeiten – so als wäre nie was gewesen. Einerseits hat es gut getan, dass der Rest in meinem Leben noch stabil war, aber andererseits war meine Leistungsfähigkeit sehr reduziert, so dass ich auch am Wochenende arbeiten musste, um mein Pensum zu schaffen. 
 
Während mein Freund verschwunden war, gab es Suchmeldungen in den örtlichen Zeitungen – jeder wusste also, was los war. Für mich war das Leben dann wie ein Spießrutenlauf, ich wurde beim Einkaufen oder Spazierengehen angestarrt oder fremde Menschen sprachen mich einfach an – mitunter sehr taktlos. 
 
Wie sind Bekannte und Freunde mit Dir umgegangen?
 
Meine engen Freunde waren in dieser Zeit immer für mich da. Meine beste Freundin hat auch in der Zeit der "Suche" bei mir geschlafen. Meinen Freunden bin ich immer noch von Herzen dankbar. Bekannte haben so getan, als sei nichts passiert oder haben mich vollgejammert, dass sie einfach nicht verstehen, wie er sowas tun konnte. 
 
Was hat Dir in dieser Zeit geholfen?
 
Meine Freunde, vor allem meine beste Freundin und mein Hund. Und meine Arbeit. 
 
Was waren besonders harte Momente in dieser Zeit?
 
Über die eigenen Kräfte zu gehen. Meine ganze Kraft hatte ich in der Suchzeit verloren. Ich hatte meinen Selbstwert verloren.  
Die Beerdigung war hart, ebenso wie die Fundstelle zu sehen. Ich war mit vielem überfordert. Dabei habe ich auch meine Eltern oft vor den Kopf gestoßen, ich konnte mit ihrer Liebe und ihrer Bemutterung nichts anfangen, es hat mir die Luft abgedrückt. Das tut mir heute sehr leid. 
 
Suizid ist immer noch ein Tabu-Thema. Warum ist das so?
 
Ich denke, dass Angehörige sich dafür schämen – zumindest war es bei mir so. Es ist kein natürlicher Tod. Und damit kommen Menschen bzw die Mitmenschen nur schwer klar. Generell haben die meisten Menschen Angst vor dem Tod, da redet man ungern darüber. 
Und zusätzlich ist dem "gesunden" Menschenverstand unbegreiflich, wie man Suizid begehen kann. Ich selbst habe von klein auf im Religionsuntersicht gelernt:  "Du darfst nicht töten, auch nicht dich selbst."
 
Was möchtest Du Menschen sagen, die gerade ähnliches erlebt haben wie Du damals?
 
Macht euch keine Vorwürfe, dass ihr zu wenig getan oder geholfen habt.  Derjenige sah den Freitod als Erlösung, als Ausweg für sich selbst. Es hat mit Euch persönlich gar nichts zu tun. Es ist eine Kurzschlussreaktion oder manchmal auch geplant. Die Frage nach dem Warum, wird bei den meisten bleiben, aber tief in eurem Herzen kennt ihr die Antwort, nur kann man die rational sehr schwer nachempfinden. Fühlt euch alle umarmt. 
 
WICHIGE INFO: Sollten Sie selbst Hilfe brauchen: Bei der Telefonseelsorge erhalten Sie rund um die Uhr Hilfe – und zwar unter der kostenlosen Rufnummer 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222.
 

 

 

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3 comments

  1. Bitte nicht so unsensibel über Suizid berichten!
    Wenn in den Medien über Suizid berichtet wird, dann steht da normalerweise drunter, wo man Hilfe und Beratung erfährt, falls man selbst betroffen ist. Ich finde, dass man darüber sehr viel verantwortlicher berichten muss und war entsetzt, dass der Disclaimer in eigener Sache zum Scoyo-Award führt.
    Bitte anders!