Dr. Renz-Polster zum Film Elternschule: Wir müssen gutmütig sein, damit unsere Kinder gutmütig werden

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Ihr Lieben, natürlich beschäftigt uns der Film "Elternschule" ebenso wie Euch. Nur wussten wir nicht genau, wie wir uns dem Thema nähern sollen – denn wir haben den Film nicht gesehen. Also haben wir beschlossen, jemanden zu fragen, den wir sehr schätzen – und zu schauen, wie er den Film bewertet. Dieser Jemand ist Dr. Herber Renz-Polster, Kinderarzt, Wissenschaftler, Autor und Vorbild für Eltern, die ihre Kinder zugewandt und auf Augenhöhe erziehen wollen. Wir freuen uns sehr über dieses Interview! 
 
Lieber Dr. Renz -Polster, Deutschlands Eltern diskutieren über den Film "Elternschule". Haben Sie ihn auch schon gesehen und mit welchen Gefühlen haben Sie das Kino verlassen?
 
Klar habe ich ihn gesehen, ich habe mitgelitten und mitgeschrieben … und das Kino mit Bildern verlassen, die mich bis heute nicht loslassen
 
Kinder aufgrund "schlechten" Verhaltens zu isolieren oder sie so lange schreien zu lassen, bis sie entkräftet einschlafen – wie man es im Film sieht – sind Methoden, die heute eigentlich die meisten Eltern ablehnen. Haben Sie auch das Gefühl, dass sich da in den letzten Jahren unheimlich viel getan hat?
 
Ich habe nicht nur das Gefühl, sondern kann mich auch auf Daten stützen. Nach einer repräsentativen Umfrage unter deutschen Eltern führen heute nur noch 9% der deutschen Eltern Schlaftrainings durch, noch vor zehn Jahren waren es fast drei mal so viele.
 
Häufig tun sich frischgebackene Eltern schwer, sich gegen die alten Erziehungsmuster der Großeltern durchzusetzen. Welchen Rat würden Sie gerne frischgebackenen Eltern mit auf den Weg geben?
 
Großeltern sind super wichtig und man sollte nichts unterlassen, um gute Stimmung mit ihnen zu haben. Ach doch, eines: man sollte so liebevoll wie möglich klarmachen, dass man seinen eigenen Erziehungsstil hat und das nicht ohne Grund.
 
Wenn ich Sie bitte, die fünf Dinge zu nennen, die Kinder am dringendsten brauchen, welche nennen Sie dann?
 
Keine fünf, sondern drei: Kinder brauchen Eltern, die sie so selten wir möglich in Not bringen – daraus schöpfen sie das Gefühl von Sicherheit. Und sie brauchen Anerkennung – das Gefühl eben, Bedeutung zu haben, so wie sie sind. Das dritte? Weil wir Eltern das nicht immer schaffen, brauchen Kinder Eltern, die bereit sind dazuzulernen.
 
Und welche drei Dinge brauchen Eltern am dringendsten, die in einer Erziehungssackgasse sind und einfach nicht mehr weiter wissen?
 
Erziehungssackgassen dürfen gerne zu einem selber führen: Wo bin ICH vielleicht in die Sackgasse geraten? Oder WIR als Eltern, als Paar, in der Familie? Wo ist unser Lebensmut auf der Strecke geblieben?
 
Häufig heißt es, die jetzige Elterngeneration würde ihre Kinder verziehen, wenn sie ihnen auf Augenhöhe begegnen. Und dass die Kinder zu wenig Grenzen gesetzt bekommen. Was denken Sie dazu?
 
Kinder, mit denen wir menschenfreundlich und gutmütig umgehen, können das nutzen, um selbst gutmütig und menschenfreundlich zu werden – es gibt keinen anderen Weg. Und zu diesem Umgang gehört dazu, dass wir Interessen ausgleichen, Kompromisse schließen und die Kinder ihre Stimme haben lassen. Solange unsere Beziehungen funktionieren, funktionieren auch die Grenzen. Und die Freiheit auch. Es ist nur peinlich, wenn ich die Angst höre, vielleicht ließen sich die Kinder im Auto nicht anschnallen, wenn wir nett mit ihnen umgehen…
 
Was passiert mit Kindern, die ständigem Druck, physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt sind?
 
Sie flüchten sich in Aggression, Depression oder aber Hörigkeit.
 
Welchen Satz sollten Eltern ihren Kindern viel viel häufiger sagen?
 
Keine Angst, zusammen kriegen wir das schon hin.
 
Foto: Marco Kost

 

 

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8 comments

  1. Hm
    Ich finde die Überschrift irreführend. Beim lesen hatte ich erwartet, dass Stellung zu dem Film genommen wird, aber letztlich wird dieser einmal erwähnt.
    Das finde ich schade, denn ich hatte gehofft einen qualifizierten und fundierten Beitrag von einer Fachperson darüber zu lesen, aber dieses Interview finde ich doch ziemlich nichtssagend, zumindest bezogen auf die Überschrift.

    1. Hm, Teil 2
      Dass Kinder Liebe und Begegnung auf Augenhöhe brauchen ist richtig und gut, aber ich würde stark behaupten, dass der Leiter der Station in dem Film das auch so sehen würde (und tatsächlich ist er der Supervisor einer Freundin von mir und sie spricht sehr sehr positiv von ihm), aber was so ganz außen vor gelassen wird ist die Tatsache, dass dort Familien hinkommen, die eine lange, teilweise jahrelange, Leidenszeit hinter sich haben. Ich bin sicher, dass die Eltern schon eine Menge ausprobiert haben (und sicherlich auch versucht haben ihrem Kind auf Augenhöhe zu begegnen, zumindest einige von ihnen), es hat aber aus unterschiedlichen, nicht genannten Gründen geklappt. Die Dynamiken sind derart fest gefahren, dass die Eltern nicht weiter wissen. In dem Film handelt es sich ja nicht um das „normale“ Kind mit Einschlaf-oder Essstörungen, sondern um Kinder mit massiven Regulationsstörungen (was in dem Film, soweit ich weiß, nicht genannt wird und das finde ich höchst kritisch).
      Unter diesem Gesichtspunkt frage ich mich was schlimmer ist, ein jahrelanges Leiden und im schlimmsten Fall Eltern, die handgreiflich gegen ihr Kind werden oder es abgeben, oder aber eine Therapie, die vergleichsweise über einen kurzen Zeitraum hinweg absolviert wird und der Familie hilft aus der Spirale heraus zu kommen. Und dass es der Familie danach sehr oft sehr viel besser geht wird ja auch gezeigt und ist ja auch in den Ergebnissen seiner fast 30 jährigen Forschung belegt.
      Bevor der große Aufschrei kommt, nein ich heiße solche Methoden nicht gut und ich glaube das wäre auch nicht nötig, gäbe es mehr Unterstützung für Familien, (Familien)Netzwerke und Prävention, aber die haben wir leider nicht (mehr) in unserer Gesellschaft.
      Und solange sollten Eltern, die sich in ihrer Not an diese Station wenden nicht verurteilen, noch diese Methoden als generell richtig (oder falsch, je nachdem) beurteilen.

      1. Therapien
        Liebe Anna, wir alle kennen weder die Diagnosen dieser Kinder, noch die Alternativtherapien, die bereits probiert wurden. Was wir aber sehen sind Babies, Kleinkinder und Kinder und Eltern, die in grosser Not sind. Die Frage ist zum einen: wird in der Klinik in Gelsenkirchen etwas pathologisiert, was gar nicht pathologisch ist? Beispiel Babyschlaf. Herr Langer hatte bis vor kurzem noch auf seiner Homepage stehen (wird derzeit überarbeitet), dass Babies ab vier Monaten selbstständig ein- und durchschlafen sollten. Ist mein Baby also schlafgestört, weil es das nicht tut? Muss diese “Störung“ beispielsweise mit Schlaftraining behandelt werden? Im Netz findest du zahlreiche Berichte von Müttern, die deshalb in der Klinik waren. Zum anderen stehen die Therapieinhalte im Mittelpunkt. Beispiel Essstörungen: es gibt viele andere Kliniken, die wiederum andere Ansätze verfolgen – mit Erfolg! Der Film suggeriert zum einen: hier wird “gute“ Erziehung vermittelt, die wiederum auf alle Familien übertragbar ist. Das ist natürlich Quatsch.
        Und auch für Familien mit jahrelangem Leidensdruck gibt es keine dreiwöchige Wunderkur, nach der alles wieder super ist.

        1. Liebe mimi
          Tatsächlich kenne ich Mitarbeiter der Station und weiß daher auch, dass es sich eben nicht um „normale“ Probleme handelt. Und dort kommen auch keine Familien „einfach mal so“ hin, nur weil das Baby nicht durchschlafen will. Dass der Film das suggeriert, finde ich höchst verwerflich und falsch!
          Dass Herr Langer so etwas auf der Homepage stehen hatte, stelle ich erstmal in Frage, solange ich das nicht selbst gelesen habe, möchte es aber auch nicht ausschließen (ich vermute du wirst es gelesen haben vor der Überarbeitung, sonst hättest du es nicht geschrieben).
          Übrigens gibt es durchaus Therapieformen, die schnelle Erfolge bringen. Und was die Essstörungen betrifft, ich habe mich da vorher unklar ausgedrückt. Es werden ja keine Kinder, bzw Jugendliche mit Essstörungen (Bulimie, Anorexie etc) behandelt im Film. Das war von mir falsch formuliert.
          Und nochmal, ich heiße die Methoden nicht gut, aber ich vermisse dennoch in der ganzen Diskussion darüber etwas mehr Sachlichkeit und weniger Verurteilung (von beiden Seiten!).
          Man könnte durchaus mal fragen, was dieser Film überhaupt soll, weswegen er damit beworben wird, dass jeder Elter ihn gesehen haben sollte, diese „Werbung“ finde ich persönlich am schlimmsten, denn er suggeriert völlig falsche Erwartungen.

          1. Probleme
            Na, es ist schon klar, dass diese Kinder nicht einfach so da hin kommen. Aber allzu schwer scheint es auch nicht zu sein. Google mal nach Erfahrungsberichten. Da ist der einer Mutter eines Viermonatigen, die vom Schlafprogramm berichtet. Da ist der eines Neurodermitis kranken Kleinkinds, das mit Hilfe von Trennung geheilt werden soll. Ich bin selbst Neurodermitiskrank. Und mit dieser chronischen Erkrankung kommst du ganz schnell in einen Kreislauf aus Kliniken, Therapien, Kuren. Bereits als ich klein war, wurde das Gelsenkirchener Behandlungsmodell angepriesen. Und ich kann nur sagen: Gott sei Dank haben sich meine Eltern vorab mit den Inhalten auseinander gesetzt und sich für Alternativen entschieden. Deshalb stellt es mir alle Nackenhaare auf, wenn ich lese und sehe (ich musste es einfach), was Kinder und Babies heute – also 2018 nicht 1980 – dort noch so erleben müssen. Frei jeglicher heutiger entwicklungspsychologischen Erkenntnisse. Gut, dass das im Rahmen der Doku nun ans Tageslicht kam. Gut, dass sich so viele Fachleute sehr eindeutig positionieren. Und gut, dass der Kinderschutzbund und diverse andere Vereine offene Worte finden. Meine Kasse unterstützt einen Aufenthalt dort übrigens seit einigen Jahren nicht mehr. Ich bin mir sicher, dass viele Kassen folgen werden.

    2. @Anna
      Schade, dass Du das so siehst. Auf der Internetseite von Renz-Polster (Kinder-verstehen.de) findest Du zahlreiche Beiträge von ihm zu dem Film. Liebe Grüße

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