Zwei Kinder und ihr Mann haben Krebs: „Ich weiß nicht, ob wir uns nochmal wiedersehen“

Familie Ewald

Foto: Margret Witzke, Fotografie in der Altstadt

Ihr Lieben, durch diesen Blog lernen wir so viele Familien kennen – das empfinden wir als große Bereicherung. Manche Schicksale berühren uns besonders, die Interviews lassen uns lange nicht los. Dieses ist so eines. Was Stefanie und ihre Familie durchmachen ist für uns kaum nachvollziehbar. Die Last, die sie tragen, ist unfassbar schwer. Deshalb sagen wir heute besonders kräftig DANKE. Danke, dass Ihr Euch so öffnet. Wir wünschen Euch ganz viel Kraft für den Weg, der noch vor Euch liegt. 

Liebe Stefanie, im Jahr 2014 hat sich Euer Leben komplett verändert. Erzähl mal, wie Euer Leben zuvor war.

Mein Mann ist Notfallsanitäter und ich Beamtin. Wir haben ein schönes kleines Doppelhaus und wohnen in einem 2000-Einwohner-Dorf am Rand von Lübeck. Wir waren eine „stinknormale“ süße kleine Familie. Heute haben wir drei Kinder: Jonas ist 10 Jahre alt, Neele 6 Jahre alt und Lenja 1 Jahr. Mein Mann 37 Jahre und ich bin 35 Jahre. 

Lass uns ins Jahr 2014 zurück.  Es begann im Amerika-Urlaub. 

Meine Schwester lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Amerika – sie hat sich damals als Au-pair-Mädchen in einen Amerikaner verliebt, wurde schwanger und ist geblieben. Wir haben sie daher fast jedes Jahr besucht, diesmal war ich alleine mit den beiden Kindern (Jonas war damals fünf Jahre alt und Neele knapp zwei).

Neele saß auf meinem Schoß, ich fühlte einen Knubbel an ihrem Bein und ich dachte erst, das sei was vom Knochen. Um einen Knochenbruch auszuschließen, sind wir dort ins Krankenhaus. Die Ärzte vermuteten sehr schnell einen Tumor und so sind wir in den nächsten Flieger nach Hause. 

Dort ging dann alles ganz schnell, zehn Tage später hing Neele schon an ihrer ersten Chemo. Danach folgten OPs, um den Tumor zu entfernen und wieder Chemos. Das ging bis Mai 2015. Im Anschluss daran sind wir in eine Familien-Reha, im September 2015 konnte Neele wieder in den Kindergarten. Wir dachten, wir hätten es überstanden. 

2017 ging es dann plötzlich deinem Mann schlechter.  

Genau, ab März 2017 klagte er über Übelkeit, Nachtschweiß, Kopfschmerzen. Wir klapperten alle möglichen Ärzte ab, keiner wusste aber, was es war. Die meisten tippten auf „kurz vor dem Burnout.“ 

Doch das war es nicht. 

Am 2. August bekam ich einen Anruf von meinem Mann. Er sagte, dass seine Gesichtshälfte hängt und dass er glaubt, dass er einen Schlaganfall hatte. Er sagte, dass er uns liebt, dass er sich aber so schlecht fühlt, dass er nicht weiß, ob wir uns nochmal sehen.

Seine Mutter fuhr ihn direkt ins Krankenhaus, ich machte mich auch auf den Weg. Im Krankenhaus die Diagnose: Gestreuter Krebs im Endstadium. Die Ärzte gaben ihm noch 2-3 Monate und sagten: „Wenn sie Weihnachten noch zu viert feiern, ist es großes Glück.“ 

Wenig später stellte sich durch eine Biopsie heraus, dass er eine ganz seltene Mutation des Lungenkrebses hat, er bekam ein Medikament, das gut anschlug. 

Kannst du dich an deine Gefühle und Gedanken erinnern, als die Diagnose deines Mannes kam?

Da war einfach nur noch Schock. Der absolute Albtraum. Ich war Anfang 30 und der Gedanke, dass meine beiden Kinder ohne Vater aufwachsen könnten… Einfach nur ein Schock. 

Die Ärzte wurden schließlich stutzig, dass erst Neele und dann der Papa krank wurden und machten einen Gentest. 

Genau. Neele musste ja auch alle drei bis sechs Monate zur Vorsorge und die Ärzte wurden hellhörig, als sie hörten, dass zwei Familienmitglieder so früh an Krebs erkranken. Auch der Vater meines Mannes war übrigens mit 39 Jahren an Krebs verstorben, meine Mutter mit Anfang 40 an Brustkrebs. Der Krebs war also verdächtig häufig bei uns in der Familie. 

Der Gentest ergab, dass Neele, mein Mann und auch unser Sohn Jonas am Li-Fraumeni-Syndrom leiden. Das ist ein seltener Gendefekt, der ursächlich für häufige und frühe Krebs-Erkrankungen jeglicher Art ist. Weltweit sind davon 400 Familien betroffen. Durch die Diagnose wussten wir nun endlich, warum wir so betroffen waren – und dass uns keine „Schuld“ trifft. 

Wir nahmen die Diagnose als Chance, die Kinder gründlich zu beobachten. Das hieß: Alle drei Monate Vorsorge, halbjährlich MRTs, bei jeder Veränderung (Kopfschmerzen, blaue Flecke) zum Arzt. 

Inmitten diese Zeit bist du schwanger geworden. Da das Syndrom vererbbar ist, hast du kurz über einen Abbruch nachgedacht, dich aber dann dagegen entschieden. Kannst du uns von dieser Entscheidung berichten? 

Ja, ich muss dann im November schwanger geworden sein. Erst dachte ich, wir könnten dieses Kind nicht bekommen. Ich wusste ja nicht mal, ob mein Mann bis zur Geburt noch lebt. Und was, wenn das Kind den Gendefekt erbt?

Und dennoch: Ich konnte das Kind nicht abtreiben. Es ging einfach nicht. Gleich nach Lenjas Geburt wurde Nabelschnur-Blut entnommen, um zu testen, ob auch sie betroffen ist. Sie hat den Gendefekt nicht geerbt und ist komplett gesund. Sie ist mein Wunder.

Leider ist vor Kurzem auch Euer großer Sohn Jonas erkrankt. 

Ja, wir wussten ja, dass auch Jonas den Gendefekt hat. In den ersten Untersuchungen war alles noch okay, ab September 2018 bekam er immer häufiger Kopfschmerzen. Zunächst hofften wir, dass er nur eine Brille braucht und die Kopfschmerzen von der Anstrengung der Augen kommt. Anfang 2019 brachte dann ein Kopf MR die Gewissheit, dass er einen Gehirntumor hat. 

Innerhalb weniger Wochen verschlechterte sich alles, er hat ein inoperables Bithalamisches Glioblastom. Seine Chancen gehen gegen 0. Zuletzt bekam er Bestrahlung und Chemo, aber der Gehirntumor wächst weiter. Nun gibt es den letzten Versuch mit einer anderen Chemo. 

Wie geht es deinem Mann?

Zunächst schlugen die Medikamente gut an, dann wurde er dagegen resistent. Er nahm an einer Medikamenten-Studie teil, die uns tatsächlich noch ein Jahr zusammen geschenkt hat. Seit August streut der Krebs wieder, er hat über 30 Metastasen im Kopf. 

Wie wird man trotz des Wissens, dass fast die ganze Familie sterbenskrank ist, nicht verrückt? 

Es gibt Tage, da würde ich am liebsten nicht mehr aufwachen. Unser Leben ist wie ein Albtraum, aus dem man nicht aufwachen kann. Wir werden nie wieder unbeschwert zusammenleben. Wir können nicht sagen: „Alles wird wieder gut.“ Was mir bleibt ist die Hoffnung auf ein Wunder – oder zumindest auf gemeinsame Zeit. 

Wie steht ihr als Paar das alles durch?

Wir planen nichts mehr, weil wir wissen, dass wirklich von einer auf die andere Sekunde alles vorbei sein kann. Wie wissen alles zu schätzen und sind dankbar, dass wir alle noch zusammen sind. 

Was wünscht du dir?

Ich hätte mir so sehr eine heile Familie und vor allem eine unbeschwerte Kindheit für unsere Kinder gewünscht. Nun wünsche ich mir, dass ich meinen Kindern trotz ihres Schicksals ihr Leben so schön wie möglich machen kann. 

Ich wünsche mir außerdem, über das Li-Fraumeni-Syndrom aufzuklären, damit ggfs. andere Menschen eine Chance haben, durch Früherkennung „gerettet“ zu werden.

Wer Stefanies Familie helfen möchte, kann dies mit einer Spende tun. Konto: Stefanie und Sebastian Ewald, IBAN: DE36 2307 0700 0333 7086 02, Bank: DB PFK (Deutsche Bank PGK)

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8 comments

  1. Hallo!
    ich bin Portuguisen, lebe in Düsseldorf.
    ich bin sprachlos, was von Schicksal,die ganz Familie erlebt,wie Wiel Kraft braucht Mann um so was zu überleben.
    Ich habe in der letzten Zeit,
    Probleme mit mir selbst.
    ich bin gesund, als ich gelesen habe, was mit dieser familien passiert ist.
    Ich dachte, Mein Gott ich leide ganz Zeit das ich Problem habe!
    Was ich habe ist nichts, zum Vergleich was diese Familie hat.
    ich soll mir Gedanken machen, was dieser Familie hatte, und meine Gedanken, nur für sie, jeden Tage, positiv denken, für die Familie, ich wünsche es mir gut Besserung.
    Schön Gruß,
    Die werden es schaffen.
    Guten Besserung.

  2. StadtLandMama,
    Mir sind die Tränen gelaufen beim Lesen diesen schweren Schicksals, es macht mich einfach sprachlos (was dieser Schei…… Krebs alles anrichtet und Traurig zu gleich.
    Ich ziehe den Hut vor Stefanie Ewald so eine Starke Frau.
    Liebe Stefanie und Familie ich wünsche euch ganz viel Kraft, starke Hilfe und Hände und noch ganz viele Stunden voll Licht und Liebe.

  3. Tränen
    Ich habe einfach nur Tränen in den Augen. Es tut mir so unendlich leid. Ich glaube niemand kann nachvollziehen, was diese Familie durch macht! Ja, wir hätten beinahe auch unseren mittleren Sohn verloren – das war schon unerträglich. Aber sowas? Liebe Stefanie und Familie ich wünsche euch ganz viel Kraft, starke Hilfe und Hände und noch ganz viele Stunden voll Licht und Liebe.

  4. Hallo StadtLandMama,

    Hallo StadtLandMama,
    danke für das Teilen dieses schweren Schicksals. Ich kenne dieses Syndrom und es macht mich sprachlos…. Vielleicht könnt ihr Kontakt zu Flugkraft aufnehmen? Dies ist eine mega tolle Hilfsorganisation, die krebskranke Familien unterstützt. Uns half sie auch schon ganz viel.
    Liebe Grüße
    Susanne

  5. Schrecklich, wie viel Leid
    Schrecklich, wie viel Leid eine Familie ertragen muss!!
    Ich wünsche Euch noch so viele schöne Momente, die ihr immer im Herzen tragt!
    Ganz viel Kraft für jeden Tag!

  6. Sprachlos
    Als ich den Beitrag gelesen habe, kamen mir die Tränen. Wahnsinn was die Familie alles durchstehen muss. Und trotzdem kämpft sie weiter. Ich ziehe meinen Hut vor der Familie und wünsche ihnen viel Kraft und noch viele Tage zusammen, mit möglichst wenig Schmerzen.

  7. Hartes Schicksal
    Ich wünsche der Familie noch möglichst viel gemeinsame Zeit und viel Kraft. Diese Geschichte macht wirklich betroffen. Schon ein schwer erkranktes Familienmitglied ist ein hartes Schicksal. Manchmal ist es unfassbar wieviel Kraft Menschen aufbringen können, wenn sie es müssen.

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