Kontaktabbruch: Was sag ich meinen Kinder, wenn sie nach der Tante fragen?

Kontaktabbruch

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Ihr Lieben, wie oft ein Kontaktabbruch in Familien vorkommt, ahnt man vielleicht gar nicht, wer spricht schon gerne darüber, dass es mit Teilen der Verwandtschaft nicht geklappt hat, dass es besser ist, eigene Wege ohne die anderen zu gehen. Unsere Leserin Josephine hat eine Schwester, die keinen Kontakt mehr zu ihr und den Eltern hat. Nun beginnen, die Kinder Fragen zu stellen: Wieso haben wir keinen Kontakt zu unserer Tante? Hier kommt Josephines Gastbeitrag.

Kontaktabbruch eines Familienmitglieds

Wenn ein Kind den Kontakt zu den Eltern abbricht, ist das hart. Wenn das auch noch ohne Aussprache passiert und selbst ohne Angabe eines noch so kleinen Grundes, ist es unerträglich. Man verliert den Menschen, der einem einfach alles auf der Welt bedeutet. Mit dem Verlust des Kindes (zwar erwachsen, aber immer noch das eigene Kind) fertigzuwerden, ist letztlich ein Ding der Unmöglichkeit und die Eltern kommen oft jahre- und jahrzehntelang nicht damit zurecht. Zumal, wenn die Frage nach dem Warum unbeantwortet bleibt.

Doch macht so ein Bruch in der Familie auch etwas mit dem weiteren Personenkreis. Ich selbst hatte nie ein gutes Verhältnis zu meiner Schwester – unser Konflikt, den wir (ich?) nicht lösen konnten, ging dem Bruch seitens meiner Schwester zu unseren Eltern und auch mir voraus, auch wenn er bei Weitem nicht das einzige Problem war. Natürlich mache ich mir Vorwürfe und spiele auch jetzt noch, über zehn Jahre später, im Kopf Szenarien durch, wie ich wann und wo etwas hätte besser machen können.

Hätte ein anderes Verhalten womöglich den ganzen Schlamassel verhindert? Warum ich damals so und nicht anders gehandelt habe, nicht anders handeln konnte, führt zu weit. Vor allem zu weit in die Vergangenheit mit vielen verworrenen Vorkommnissen, Missverständnissen, Verletzungen und einigen handfesten Lügen und Gemeinheiten.

Verwandtschaft: Meine Kinder fragen nach der Tante

Ich habe nun selbst eine Familie mit Kindern im Teenager-Alter. Sie haben ihre Tante, ihren Onkel, Cousinen und Cousins nie gesehen oder können sich zumindest nicht daran erinnern. Die Tante hat sich nun mal zu Zeiten, in denen noch Kontakt bestand, nicht für sie interessiert und ist nicht mal zur Taufe aufgetaucht. Natürlich sind sie mit dem Wissen aufgewachsen, dass Oma und Opa noch eine Tochter haben. Schließlich gibt es Fotos von früher und hin und wieder eine Bemerkung, wenn die Großeltern erzählen. Und irgendwann tauchte tatsächlich die Frage auf, vor der ich immer Angst hatte: „Warum kennen wir unsere Verwandtschaft nicht?“

Trennungskinder begleiten
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Dazu muss man vielleicht wissen, dass wir mehrere Hundert Kilometer weit von den Großeltern und ebenfalls von der Verwandtschaft meines Mannes entfernt wohnen, in einem 800-Seelen-Dörfchen. Hier hat jeder Familie, wenn nicht direkt nebenan, dann wenigstens ein paar Dörfer weiter. Jeder hat Onkel und Tanten, einen Haufen Cousins und Cousinen und oft auch eine riesige, unübersichtliche Verwandtschaft. Nur wir nicht. Wir sind nur wir vier.

Das fanden meine Kinder irgendwann merkwürdig und waren auch neidisch auf die anderen. „Wieso haben die immer so viele Leute um sich herum und wir nicht?“ Natürlich kann man die „spezielle“ Situation unserer Familie erklären. Wir machen kein Geheimnis daraus und haben nach und nach alles ausgepackt, natürlich immer altersgemäß. Haben uns verteidigt und versucht zu verdeutlichen, warum diese Situation natürlich schlecht ist, aber für uns persönlich immer noch die bessere Alternative.

Kein Kennenlernen: Ich musste meine Kinder enttäuschen

Doch irgendwann kam die Bitte: „Wir möchten aber trotzdem unsere Familie kennenlernen! Meld dich bitte bei unserer Tante, vielleicht schickst du ihr eine Karte zum Geburtstag, vielleicht will sie uns ja treffen!“ Das war für mich die schwierigste Situation in dem ganzen Dilemma überhaupt.

Ich musste meine Kinder enttäuschen, weil ich nicht anders konnte. Denn auch, wenn ich mit dem Kontaktabbruch wesentlich besser leben kann als damals mit den ständigen Konflikten und Verletzungen, tat es unendlich weh, meine Kinder zu enttäuschen. Ihnen nicht die große fröhliche Familie bieten zu können, die sie sich wünschten, die andere für sich hatten und die sie irgendwo auch verdienten. Aber ich konnte es einfach nicht über mich bringen, zurückzugehen in ein völlig toxisches Verhältnis, das mich irgendwann kaputtmachen würde.

Heute sind sie alt genug, um selbst entscheiden zu können: „Wir wollen die nicht haben, wenn die uns von Anfang an schon nicht wollte.“ Dennoch blieb ein Stachel. „Was glaubst du, wie sich das anfühlt? Alle haben Familien-Whatsapp-Gruppen, alle haben riesig viele Gäste zum Geburtstag, können sich aufeinander verlassen. Wir sind nur zu viert!“ Ich kann es so gut verstehen.

Da ist eine Schwester und ich habe sie nicht.

Da ist eine Schwester und ich habe sie nicht. Ich vermisse sie. Nicht sie als Menschen, dafür ist zu viel passiert, aber ich hätte so gern eine Schwester zurück. Dieser Verlust prägt mich und auch mein Familienleben. Denn bei Konflikten in unserer kleinen Familie und beim Geschwisterstreit schwingt die Angst mit. Angst, dass es nicht immer wieder gut wird, dass wir uns nicht immer wieder vertragen. Dass eins meiner Kinder mich auch irgendwann im Stich lassen oder die Geschwister miteinander brechen könnten.

Trauernde Jugendliche
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Die Unsicherheit, ob wir nicht doch irgendwo einen Fehler machen und die Familiengeschichte sich wiederholt. Das Vertrauen in unsere kleine Familie zu behalten, zu stärken und in die nächste Generation weiterzugeben, ist eine Aufgabe, die mich sicherlich für immer begleiten wird.

Nach und nach lernten wir, dass Familie mehr ist als gemeinsame Gene. Wir haben die Taufpaten unserer Kinder mit sehr viel Bedacht ausgewählt. Und nicht nur einen für jedes Kind, sondern gleich drei. Nur eine Patin stammt aus der „echten“ Verwandtschaft, die anderen sind aus dem Freundeskreis, manche sind sogar Freundschaften noch aus unserer Kindergartenzeit.

Wenn Freundschaften zur Wahlverwandtschaft werden

Sie sind liebevollere Onkel und Tanten, als die „echten“ es jemals hätten sein können. Sie lassen sich stolz Onkel und Tante nennen, manche haben selbst Kinder, deren Taufpaten wir sein dürfen und die ihrerseits Tante zu mir sagen. Meine Kinder bezeichnen sie als ihre Cousinen und Cousins. Blut ist vielleicht dicker als Wasser – die gemeinsamen Erinnerungen mit ihnen sind aber dicker als Blut.

Mittlerweile sind meine Eltern im hohen Alter. Es wird leider nicht ewig dauern, bis die Themen Beerdigung und Erbschaft auf mich zukommen werden. Und dann werde ich mich doch noch mal mit meiner Schwester auseinandersetzen müssen. Davor habe ich große Angst. Nicht nur wegen meines Nervenkostüms, schlimmstenfalls suche ich mir eine Anwältin, die mir das Rechtliche vom Hals hält.

Angst, weil ich dann den hinterbliebenen Elternteil beschützen muss, damit in der sowieso schon unerträglichen Situation nicht noch mehr Schmerz auf ihn zukommt. Es sind alte Leute und sie haben es verdient, ihre letzten Jahre ruhig und zufrieden zu verbringen. Ohne dass alter Schmerz wieder hochgespült wird, soweit das überhaupt vermieden werden kann.

Wie weitreichend so ein Kontaktabbruch ist

War es absehbar, was über die Jahrzehnte hinweg noch alles an diesem Kontaktabbruch hängt? Was so ein Bruch für die nächste Generation bedeutet? Welche Narben noch ewig bleiben werden? Wie macht man sich für die Zukunft frei davon? Das waren alles Erfahrungen, die wir im Laufe der Zeit sammeln mussten, als wir lernten, mit der schwierigen Familiensituation zu leben. Geblieben ist die Erkenntnis: Glück ist fragil. Wer es auf seiner Seite hat, sollte es zu schätzen wissen.

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8 comments

  1. Es kann auch plötzlich eine positive Wendung kommen: meine Mutter und mein Bruder hatten 30 Jahre keinen Kontakt zueinander. Beide haben drunter gelitten und ich mit, weil ich zwischen den beiden Stühlen stand. Zu meiner Hochzeit und den Taufen und der Erstkommunion meiner ersten beiden Kinder konnte ich immer nur einen der beiden einladen. Wie schrecklich das zu entscheiden. Bei unserem dritten Kind haben wir zur Erstkommunion einfach beide eingeladen, wohl auch deshalb, weil meine Mutter mittlerweile sehr alt und gebrechlich geworden ist und wir dachten, das ist vielleicht die letzte Chance…Und oh Wunder: es sind tatsächlich beide gekommen! Zuerst haben sie kurz unbeholfen voreinander gestanden. Dann haben sie sich in den Arm genommen und gesagt, dass es ihnen leid tue, dass sie sich so lange nicht gesehen haben. Ich musste vor Rührung weinen. Klar, dass damit nicht alle Wunden der Vergangenheit geheilt sind, aber es ist ein Anfang gemacht, und der erfordert von beiden Seiten Einsicht und Mut!

  2. Indem ihr das einfach so klar sagt. Und ich glaube dir Kinder trifft das garnicht so persönlich, sie kennen die Tante nicht, daß sind nur die Gedanken und Ängste der Mutter. Deshalb geht doch nicht das Familienleben den Bach runter. Und es hängt von der Eltern-/ Kindbeziehung ab, wie man sich ( auch später) versteht. Und dafür ist nur das Verhalten der Eltern wichtig sowas ist nicht erblich.

  3. Ich finde, ihr habt schon gut versucht, mit dem Kontaktabbruch umzugehen. Ihr habt eine „Wahlfamilie“ aufgebaut. Vielleicht versucht ihr mit euren Kindern zu besprechen, was sie sich vom Kontakt mit der Tante erhoffen. Denn wenn es Familienchats und Familienfeste sind, dann werden sie wahrscheinlich enttäuscht, da die Tante bisher auch kein Interesse daran hatte. Versucht doch, eure Wahlfamilie noch mehr um euch zu sammeln. Macht eine Chatgruppe mit allen Paten und Patenkindern und versucht, zu den Feiern, viele Freunde einzuladen.

    Vielleicht hilft es euren Kindern auch, wenn sie ihre Freunde mal fragen, wie Tanten, Onkel und deren Kinder so sind. Denn nur weil man mit diesen Kontakt hat, ist das Verhältnis ja nicht immer gut. Ich habe auch Kontakt zu meinem Onkel, weil er bei Familienfeiern immer dabei ist. Aber das Verhältnis war noch nie gut zwischen uns.

    Und da du fragst, wie man sich in Zukunft frei davon machen kann: Meiner Meinung nach würde es helfen, das mit einem Psychologen oder einem Familientherapeuten aufzuarbeiten.

  4. Auch mein Onkel hat den Kontakt zu meinen Großeltern und meiner Mutter abgebrochen.
    Nach 15 Jahren, in denen ich die Geschichten meiner Mutter über ihren egoistischen, gemeinen, narzisstischen Arschlochbruder, nur nur mit Anwalt und ordentlich viel Gerichtsverfahren in Schach gehalten werden konnte, dämmerte es mir langsam, dass nicht automatisch der Onkel der Böse ist, nur weil er den Kontakt abbrach, sondern dass es immer zwei Seite einer Medaille gibt (und zugegeben wohl sowohl Onkel als auch meine Mutter Traumata in ihrer Kindheit erlitten haben, die ihnen selbst nur bedingt bewusst waren.

    Tatsächlich sind mein Bruder und ich jetzt egoistische, gemeine, narzisstische Arschlochkinder, genauso wie meine Großeltern und meine Mutter hat uns blockiert und ist in ein Land 10 Stunden weit weg ausgewandert. Naja, dafür haben wir jetzt einen coolen Onkel und nette Cousins 🤓 Außerdem haben wir beide Partner mit vielen Geschwistern und bunten, lustigen Familienfeiern geheiratet. Man kann nicht alles im Leben haben.

  5. Lustig, wie der Spruch „Blut ist dicker als Wasser“ immer genau falsch herum benutzt wird, auch hier. Der volle Spruch lautet: The blood of the covenant is thicker than the water of the womb.
    Heißt, selbst gewählte Verbindungen sind stärker als familiäre Beziehungen (Eltern, Geschwister, Tante, Onkel etc.), die man sich nicht aussuchen kann.

  6. Ich habe auch keinen Kontakt mehr zu der Schwester. anfangs tat es so weh aber als sie mir vorwarf, ich würde nur herum lügen, da war der Satz, den ich gebraucht hatte, es abzuschließen. Noch ab und zu sehe ich sie, da sie auch bei der Familienfeier dabei ist, aber mittlerweile ignorieren wir uns. Ich vermisse sie nicht. Als Kinder waren wir auch nicht so eng zueinander. Wenn man keine Vertrauen zu der Schwester hat, wie soll die Beziehung funktionieren? Wenn man nicht bereit ist für Gespräche und Veränderungen, dann wird es nicht funktionieren.

    Wir sind auch nur zu viert, sind auch eine enge Familie und ich habe auch immer gesagt, komm zu mir wenn es einen Problem gibt. Ihr sollt nicht so Konflikte, wie wir Schwestern ha(tt)ben. Wir helfen uns. Habe auch Angst, dass meine Kinder sich zerstritten sein könnten.

  7. Dieser Text hat mich berührt, angeregt und zum nachdenken gebracht, dafür vielen Dank ! Nur vom letzten Satz war ich einwenig irritiert.Glück ist fragil. Wer es auf seiner Seite hat, sollte es zu schätzen wissen. Hat diese Situation wirklich etwas mit Glück haben / nicht haben zu tun ?

  8. ich kann es von der anderen seite erzählen. och möchte keinen kontakt zur mutter. es ist viel passiert und sie fragt sich immer „warum?“. aber möchte den grund bzw die gründe gar nicht hören. es gibt vieles was bei mir dazu geführt hat. das allermeiste ist aus der zeit als ich noch kind / jugendlich war. aber sie schiebt mir die ganze schuld für das schwierige verhältnis zu und nur ich würde „alles so kompliziert machen“. sie will! geht nicht wissen oder versucht mal zu verstehen wie es mir geht. da ist hopfen und malz verloren ein gespräch zu führen um irgendwas zu klären…
    wenn sie anderen davon erzählt werde ich wohl die schlimme tochter sein die sie nicht ihre enkelkinder sehen lässt. aber es gibt halt auch meine sicht der dinge die einfach niemand ernst nimmt und interessiert.

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