Kontaktabbruch: Die Mutter ist nicht immer automatisch die Böse!

Mutter

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Ihr Lieben, neulich hatten wir hier ein Interview mit Christiane Yavuz, Diplom-Sozialpädagogin (FH), Familienberaterin, sie sprach davon, dass zu viele Töchter immer nur brav seien und möchte Frauen ermutigen, sich aus einer belastenden Mutter-Tochter-Beziehung zu lösen und patriarchal geprägte Rollenmuster zu hinterfragen (HIER nachzulesen)

Daraufhin hat sich Angela bei uns gemeldet, sie schrieb, dass sich Beziehungen auch verschlechtern können, wenn die Mutter beschließt, nicht immer nur noch „brav“ zu sein. Denn genau das ist Angela ihrer Einschätzung nach passiert. Wir haben sie dazu befragt.

Liebe Angela, du hast dich nach dem Interview zu den „braven Töchtern“ gemeldet. Wie ist denn dein Verhältnis zu deiner Tochter?

Ich hatte lange das Gefühl, dass wir eine sehr enge, vertrauensvolle Beziehung hatten. Sie ist mit ihren Anliegen zu mir gekommen, wir konnten über alles offen sprechen. Natürlich gab es, wie in jeder Familie, auch Reibungen – vor allem in der Teenagerzeit, aber das betraf meist Alltagsthemen. Trotz meiner beruflichen Belastung habe ich versucht, immer für sie da zu sein.

Nun ist aber das Verhältnis zu dieser Tochter heute sehr schlecht. Du sagst, das kommt, weil du dich nicht so verhalten hast, wie sie es wollte. Wie meinst du das?

Heute ist unser Kontakt leider schwierig. Ich habe lange versucht zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Mein Eindruck ist: Es wurde dann kompliziert, als ich begonnen habe, mich stärker um mich selbst zu kümmern, Grenzen zu setzen und nicht mehr alle Erwartungen widerspruchslos zu erfüllen.

Ich habe mein Leben verändert, nachdem ich aus einer langjährigen Beziehung gegangen bin, die für keinen von uns – auch für meine Tochter nicht – gesund war (jedoch auch nicht toxisch, wie man heute sagen würde, es war einfach nicht mehr gut für uns alle). Ich habe mir geschworen, mich nicht mehr so aufzugeben wie früher. Diese Haltung hat mein Verhalten verändert. Ich habe nicht mehr jeden Wunsch sofort erfüllt, sondern auch abgewogen, was für mich passt. Das wurde nicht immer gut aufgenommen.

Früher habe ich oft geschwiegen, wenn mir etwas missfallen hat – auch aus Angst, die Harmonie zu gefährden. Doch irgendwann habe ich begonnen, auch unangenehme Dinge anzusprechen. Ich habe mir erlaubt, Entscheidungen zu treffen, die nicht immer allen gefallen haben. Beispielsweise wollte ich meine zweite Hochzeit nicht nach den Terminen anderer richten (die meines zukünftigen Schwiegersohns nämlich), sondern so gestalten, wie es für mich stimmig war.

Es macht mich traurig. Ich habe das Gefühl, dass ich nun für meine neue Haltung „bestraft“ werde. Für den Mut, mich zu verändern, für das Bedürfnis, auch mal an mich zu denken. Als Mutter immer stark sein zu müssen – das scheint fast zur Falle zu werden. Wenn man sich dann emanzipiert, irritiert das. Plötzlich wird einem vorgeworfen, dass man nicht mehr „wie früher“ ist. Aber ich glaube, Mütter dürfen sich entwickeln. Es sollte Raum für alle Perspektiven geben – auch für die der Mutter.

Das heißt, der Freund deiner Tochter spielt in dem Ganzen auch eine große Rolle…

Ich denke, in jeder engen Beziehung spielen auch andere Menschen eine Rolle – das lässt sich nicht ganz vermeiden. Es gibt Dynamiken, die ich beobachte und die nicht leicht zu durchschauen sind. Manche Veränderungen in der Haltung meiner Tochter sind für mich schwer einzuordnen. Ich will da aber nicht urteilen – nur sagen: Es macht mich nachdenklich.

Hast du versucht, das Verhältnis mit ihr zu verbessern? 

Ja, mehrfach. Wir haben Gespräche geführt, auch mit Unterstützung von außen (Mediation). In einem dieser Gespräche hatte ich das Gefühl, wir sind auf einem guten Weg. Leider kam es danach wieder zu Rückschlägen. Besonders schmerzlich war für mich, dass persönliche Themen dann auch öffentlich – etwa in künstlerischer Form – aufgegriffen wurden, was mich verletzt hat. Als ich darum bat, hier sensibler zu sein, wurde das offenbar als Eingriff in ihre Freiheit empfunden. Seither ist der Kontakt abgebrochen. Ich respektiere, dass sie Zeit braucht. Auch wenn es weh tut.

Was macht das alles mit dir? Bist du traurig, nachdenklich, wütend?

Ich bin traurig – über das, was verloren gegangen ist. Diese tiefe Verbindung, dieses Vertrauen, das einmal da war. Ich frage mich, wie es sein kann, dass ich heute dafür kritisiert werde, dass ich mich selbst ernst nehme. Als Mutter darf man Fehler machen – genauso wie Kinder auch. Ich glaube, das Wichtigste ist, sich gegenseitig mit Menschlichkeit zu begegnen.

Wie reagiert dein Umfeld auf diesen Streit?

Mein Umfeld ist entsetzt über das Verhalten meiner Tochter und wundert sich, warum ich trotzdem dran bleibe, hoffe und mit offenen Armen auf sie warten will. Sie sind auch verwundert, dass ich doch immer recht gefasst bin (naja, manchmal muss ich dann doch heulen, aber es wird besser).

Hast du manchmal das Gefühl, dass Kinder zu hart zu ihren Eltern sind oder zu wenig dankbar? 

Es scheint fast, als ob man als Mutter nur dann akzeptiert wird, wenn man sich für andere aufopfert und ich denke da geht es vielen Müttern gleich. Aber warum soll Muttersein nicht auch bedeuten dürfen, frei, klar und bei sich zu sein? Mich macht traurig und wenig wütend, wie schnell Müttern eine Schuldrolle zugeschrieben wird. Ja, wir machen Fehler. Aber wir machen auch sehr viel richtig. Es ist schmerzhaft, wenn genau das übersehen wird. Ich wünsche mir mehr Verständnis für die Komplexität von Beziehungen. Und auch die Bereitschaft von erwachsenen Kindern, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen – nicht um Schuldige zu suchen, sondern um Frieden zu finden.

Welche Sätze würdest du dir von deiner Tochter wünschen, wenn du sie am Telefon hättest?

Ich würde mir wünsche, dass wir wieder miteinander lachen können (auch wenn wir nicht den gleichen Humor haben). Dass wir uns zuhören, offen sprechen, ohne Angst vor dem nächsten Missverständnis. Dass sie weiß: Ich habe sie lieb. Immer. Aber ich bin auch eine Frau, die auf ihre Weise ihren Weg geht und das auch ok sein sollte.

Und was würdest du ihr sagen? 

Dass ich stolz bin auf sie. Dass ich nicht perfekt bin, aber immer mein Bestes gegeben habe – und dass ich sie niemals loslasse in meinem Herzen. Ich wünsche mir, dass wir wieder miteinander ins Gespräch kommen, ohne Schuldzuweisungen, sondern mit dem Wunsch, einander wirklich zu begegnen.

Was ist dir noch wichtig zu sagen? 

Ich habe lange versucht, alles richtig zu machen. Ich habe viel getragen, viel gegeben. Heute sage ich mir: Ich darf mein Leben mit Freude leben. Und ich freue mich auf den Tag, an dem wir uns wieder ehrlich begegnen können – nicht als perfekte Mutter und perfekte Tochter, sondern einfach als zwei Menschen, die einander wichtig sind.

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13 comments

  1. Ich bin selbst Mutter und das erst seit Sommer 2016/Winter 2022. Trotzdem merke ich, wieviel ich schon nach neuesten Erziehungserkenntnissen falsch gemacht habe. Von mir kann ich sagen, dass ich mein Bestes versuche, mich nach meinem Fehlverhalten entschuldige (um Entschuldigung bitte) usw. Obgleich ich es so nie kennengelernt hatte, Kindheit war lieblos (Umarmung gab es nur zum Geburtstag, Stiefvater beschimpfte mich, Mutter wollte, dass ich bei der Großmutter wohnte, die auch nur am Schimpfen war, wenn ich maaaaal negativ auffiel, Lob gab es nur für meine gemalten Bilder, sonst war ich nur eine Last), Erwachsene hatten „immer Recht“, keine Einsicht, dass sie etwas falsch gemacht hatten etc…. Es fehlt Millionen Eltern an Selbstreflektion (das sehe ich auch an gleichaltrigen Erziehungsberechtigten sowie meinem Mann). Und Generationen zuvor hatten ohnehin Schwierigkeiten damit, Fehler einzugestehen und um Entschuldigung bei ihren Kindern zu bitten (generell). Das galt und gilt leider immer noch als Schwäche. Ein Teufelskreis, aus dem wenige herauskommen.

    Trotzdem kann es sein, dass Kinder einen verkorksten Charakter durch außerfamiliäre Einflüsse entwickeln. Nicht jede Person mit egoistischen, narzisstischen und/oder egozentrischen Zügen hatte eine schlechte Kindheit oder unfaire, unreflektierte Eltern. Manchmal biegen Personen trotz allem anders ab.

  2. Ich finde, dass es leichter wäre, das Ganze einzuordnen, wenn da konkretere Beispiele stehen würden. So klingt es für mich, weil es so allgemein gehalten ist, recht nichtssagend und schwurbelig und ich kann mir nicht wirklich ein Bild machen. Grundsätzlich denke ich, dass Kinder niemals ohne Grund den Kontakt abbrechen.
    Es wäre zum Beispiel interessant gewesen zu erfahren, was „nach dem Kalender des Schwiegersohnes richten“ bedeutet. Wenn von vornherein klar war, dass er da nicht kann, der Termin aber trotzdem gewählt wurde, kann sich das schon verletzend anfühlen. Und „auf eigene Bedürfnisse“ achten kann schon gewöhnungsbedürftig sein, wenn dies als Gegensatz zu den Bedürfnissen der anderen gewertet wird.
    Auch ist die Frage, ob die Tochter der Sichtweise zustimmen würde, dass die Mutter früher sov viel für die Kinder getan hat, eventuell ist das die retrospektive (beschönigende) Sicht der Mutter?
    Und schließlich macht der Ton die Musik, wir wissen nicht, wie die Kommunikation hier ist. Mir macht diese Selbstdarstellung der Mutter, die sich selbst nur positiv darstellt, eher ein komisches Gefühl.

  3. Klar darfst Du dir eine Meinung bilden und die auch äußern. Schwierig finde ich es, wenn man die zur allgemeingültigen Wahrheit, mit gefühlter Statistik belegt, hochstilisiert.
    Ich teile übrigens deine Wahrnehmung, dass Kontaktabbruch von Töchtern derzeit ein mediales Thema ist. Das berechtigt allerding nicht zu einer Wertung.

  4. Ich kann die Autorin total gut verstehen und ihre Aussagen nachvollziehen. Aber der Fairness halber, müsste man die Tochter auch zu Wort kommen lassen, denn nur so kann man sich ein genaueres Bild über die Situation machen.

    1. Ja, die andere Seite zu kennen, wäre natürlich spannend. Aber wenn es danach geht,könnte hier eigentlich gar kein persönlicher Artikel veröffentlicht werden, denn es gibt ja immer eine andere Seite. Der getrennte Partner, das Straßenkind, die Oma… Meistens möchte eben nur ein Teil interviewt werden. Und dass die Bekannten und Freunde der Mutter eher auf der Seite der Mutter sind, überrascht mich jetzt auch nicht.

  5. @Katrina: wow, ich bin beeindruckt von deiner Kompetenz. Du scheinst ja wissenschaftlich ganz tief im Thema zu sein, woher solltest du sonst das Recht nehmen dich so wertend zu äußern? „Meist Ausdruck egozentrischer Weltsicht“, etc. sogar mit statistischer Einordnung!
    Einerseits sagst Du, dass es eindeutige Schuldzuweisungen ja nicht geben kann, aber dein Kommentar transportiert doch genau das: die Töchter distanzieren sich nicht von einem unlösbaren Konflikt sondern Fröhnen der Egozentrik (Ausnahmen bestätigen die Regel). Ich finde das anmaßend und übergriffig. Aus jeder Zeile spricht, dass Du, für meine Begriffe, keine Ahnung hast wovon Du schreibst. Gerade weil Schuldfragen nicht hilfreich sind und meist auch nicht geklärt werden können (es geht ja eigentlich auch mehr um Kausaltät als um Schuld) ist der Kontaktabbruch doch manchmal der einzige Lösungsweg, für beide. In einer guten Therapie gehört es durchaus dazu, zu versuchen die Position/das Verhalten der Mutter zu verstehen. Aber man muss auch ganz klar sehen, dass bei allem rationalen Verständnis für die Mutter und auch ohne böse Absichten ihrerseits, manche Verletzungen zu tief sind um weiterzumachen und sich dem fortlaufend auszusetzen. Das Recht eines jeden erwachsenen Menschen. Auch von braven Töchtern. Ein Glück

    1. @ die andere S:
      Wieder einmal ein Versuch von dir, Personen mit anderer Meinung mundtot zu machen.
      Ich finde es normal, dass jeder in Abhängigkeit von selbst gemachten oder gehörten und gelesenen Erfahrungen, zu eigenen Schlüssen kommt.
      Das ist doch die Grundlage für jede Diskussion.
      Mir begegnet in der medialen Betrachtung mehr Verständnis für die Seite der Töchter. Deren Lobby und deren mediale Präsenz ist mächtiger als die der Mütter. Auf der Seite der Töchter ist die öffentliche Empathie für den Kontaktabbruch.

  6. Jedem müsste doch der gesunde Menschenverstand sagen, dass es gar keine eindeutigen Schuldzuweisungen geben kann. Also es kann sie natürlich von beiden Seiten geben, aber es hält einer objektiven Betrachtung zumeist nicht stand.
    Aus meiner Sicht ist schon ein Trend zu beobachten, dass junge Frauen darin bestärkt werden, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen, dass Eltern den Kontakt zu den Kindern abbrechen ist sicher seltener. Dem Wesen des Kontaktabbruches ist das Unverständnis des Parts, der „abgebrochen“ wird, ja immanent.
    In einer Beratung, Selbsthilfegruppe oder Therapie ist kaum zu erwarten, dass Verständnis für den jeweils anderen Part herausgearbeitet wird. Diese Kontakte stützen immer nur die eigene Position (und sind deshalb nicht wirklich brauchbar).
    Ich sehe Kontaktabbrüche sehr kritisch. Sie sind doch häufig Ausdruck einer egozentrischen Weltsicht und eher selten Ausdruck eines unlösbaren Konfliktes.

    1. Als Kind einer Mutter, die sich oft aus Überforderung abgegrenzt hat fehlt mir hier sehr die Sicht der Tochter. Das Hochzeitsbeispiel ist für sich allein stehend natürlich sehr eindeutig. Nichtsdestotrotz vermute ich, dass da Eigenwahrnehmung und Fremdwährung der Aufopferung sehr stark auseinandergehen. Und ich finde auch, dass sich Eltern, die sich ja aktiv für ihre Kinder entscheiden, häufig merkwürdig ablehnend benehmen, wenn die erwachsenen Kinder Unterstützung brauchen. Das ist eine sehr deutsche Sache, glaube ich.

    2. @katrina: 1. Wer genau bestärkt denn Deiner Meinung nach junge Menschen darin, den Kontakt zu den Eltern abzubrechen, und mit welcher Motivation? Das sehe ich gar nicht, ganz im Gegenteil finde ich, dass viele junge Menschen heute eine sehr enge, freundschaftliche Beziehung zu ihren Eltern haben.
      2. Seit wann wird in Therapien und Beratungen eine egozentrische Sicht gefördert und die Gegenseite nicht gesehen? Diese These halte ich für genauso unfundiert wie die erste. Gute Therapeuten werden immer versuchen, auch die andere Seite zu beleuchten, so habe ich das jedenfalls kennengelernt.

  7. Puh, schwieriges Thema wenn man nur eine Seite kennt – bin Psychotherapeutin und betreue viele Menschen, deren Eltern ebenfalls denken, sie hätten ihnen alles gegeben bzw die Menschen denken oft selber, sie hätten ja so viel bekommen und wundern sich lange, dass sie trotzdem nicht klar kommen und dann stellt sich raus, dass sie ganz essentielle Dinge nicht bekommen haben, nämlich Empathie, ‚echten‘ Altruismus etc. Kein Kind will seine Eltern doof finden, deshalb ist tatsächlich in der Regel irgendwas dran an der Geschichte „die Eltern sind immer schuld“, auch wenn die Eltern das natürlich meist anders sehen. Hier ist angeblich das ganze Umfeld der Meinung, dass das Kind zu 100% schuld ist, die Aussage ist ziemlich entlarvend.

    1. Danke, das Gefühl hatte ich auch.
      Die Autorin geht in dem ganzen Interview davon aus, den Grund für den schwierigen Kontakt zu kennen.
      Mir würden noch so viele andere Gründe einfallen…

      Ich würde auch gern mehr wissen über die beiden und ihre Vergangenheit und die Seite der Tochter hören.

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