„Erst seit ich 29 bin, habe ich einen Papa in meinem Leben“

Vater

Foto: pixabay

Ihr Lieben, das Leben nimmt manchmal so spannende Wendungen, dass man an einen Roman denken könnte. Aber nein, solche Geschichten passieren wirklich, in echt, mitten unter uns. Hier erzählt uns unsere Leserin davon, wie sie ohne Vater aufwuchs, wie wirklich nicht die schönsten Geschichten über ihn erzählt wurden und wie sie ihn dann mit 29 und als Selbst-schon-Mama kennen und lieben lernte…

„Mir war damals schon klar, dass ich es sein würde, die den ersten Schritt machen musste. Es war doch schon so viel Zeit vergangen und ich war überzeugt davon, dass er demütig genug sein müsste, sich zurückzuhalten. Doch es kam anders. Ende März nahm mein leiblicher Vater völlig unerwartet per SMS Kontakt zu meiner Mutter auf. Er benötigte meine Geburtsurkunde für seinen Rentenbescheid.

Nur sporadisch Kontakt mit dem Vater

Ich bin jetzt 43. Ich traf meinen Vater ein einziges Mal bewusst, als ich vierzehn Jahre alt war und ich erinnere mich gut daran, dass wir uns auf Anhieb gut verstanden hatten. Ich bat also meine Mutter, die durch diese Kontaktaufnahme sehr aufgewühlt war, um die Telefonnummer meines Vaters. Vielleicht würde ich mich melden, dachte ich, irgendwann mal.  

Vielleicht zur Vorgeschichte: Meine Mutter wurde mit 18 schwanger mit mir. Damals war man erst mit 21 volljährig. Mein Vater war damals 21. Beide waren also eigentlich noch Kinder. Ich denke, meine Mutter hat sich früh eine Familie gewünscht, weil ihre eigene Geschichte ihr leider ein liebevolles Zuhause verwehrt hatte.

Ich habe viele Geschichten über meinen Vater von ihr gehört. Wie er sie verlassen hat, dann in der Schwangerschaft wieder zurückkehrte… und dachte, er könne mich mit Sex abtreiben. Er sei mit einer Pistole auf sie losgegangen, hieß es. Er sei ständig fremdgegangen.

Keine Unterstützung in der Schwangerschaft für die Mama

Meine Eltern waren beide in der Gastronomie unterwegs gewesen. Meine Mutter kellnerte. Sie hatte nie eine Ausbildung gemacht. Mein Vater war Türsteher, DJ, Thekenmann und ein Hallodri. Als meine Großmutter von der Schwangerschaft erfuhr, teilte sie meiner Mutter mit, dass sie keinerlei Unterstützung bekommen würde. Sie hätte sich das selbst eingebrockt und müsse das nun auch selbst ausbaden. Und das, obwohl sie selbst in der Schwangerschaft mit meiner Mutter von ihrem Partner verlassen worden war und es Ende der 50er als Alleinerziehende verdammt schwer hatte.

Ich weiß, dass mein Vater von seinem Bruder in die Klinik geschleppt wurde, als meine Mutter mich bekam und ich weiß, dass meine Eltern es danach noch ein paar Mal miteinander versucht hatten. Aber das war so früh in meinem Leben, dass ich davon nichts mehr weiß. Es gibt nur wenige Fotos, die das belegen. Auf einem sitze ich auf den Schultern meines Vaters. Wir beide lachen. Dieses Foto hat bisher in jeder meiner Wohnungen einen Platz an der Wand gefunden.

Wenig Kontakt, wenig Wissen über den Vater

Ich erinnere mich dunkel, dass ich mit etwa fünf auf einem Familienfest der Familie meines Vaters war. Danach trafen wir uns als ich 14 war und es gab kurz Kontakt, als ich nach dem Abitur Unterlagen für meinen BAföG-Antrag von ihm benötigte. Und nun, 29 Jahre später, meldet er sich wieder.

Als meine Mutter von seiner Kontaktaufnahme mit ihr berichtete war ich ganz ruhig, ich habe habe keinerlei Aufregung in mir verspürt. Eine Woche später schrieb ich ihn an, dass ich es toll fände, wenn wir uns in diesem Leben noch einmal träfen, da ich ja immerhin zu fünfzig Prozent aus seinen Genen bestehe und ich es spannend fände zu sehen, wer und wie er so ist.

Er reagierte prompt mit einer Einladung und freute sich sehr. Wir schrieben uns einen Monat und entdeckten verdammt viele Gemeinsamkeiten. Ich entdeckte in mir allerdings keinerlei Groll gegen diesen Mann. Ich hatte ja keine Geschichte mit ihm und so wie auch meine Mutter ihre zweite Chance bei mir bekommen hatte (ich habe nie wirklich bei ihr gelebt, aber das ist eine andere Geschichte), so sollte auch er sie bekommen.

Eine zweite Chance für Papa

Die Vergangenheit kann man ja nicht mehr ändern. Klar, kann man darüber sprechen, aber sie eben nicht mehr rückgängig machen und wie wir uns alle durch unser Leben verändern, finde ich es schwierig, den Menschen heute für den Menschen, der jemand damals vor vierzig Jahren war, zur Rechenschaft zu ziehen.

Und so fuhr ich also am 1. Mai zu meinem Vater. Natürlich war ich etwas nervös, aber eher so, wie wenn man zum ersten Date fährt. Tja, und dann stand er da. Graues Haar, dickes Bäuchlein (nach dem dritten Herzinfarkt hatte sich das eingestellt) und wies mir einen Parkplatz zu. Als ich dann auf ihn zuging, merkte ich, dass er nicht wusste, was er machen sollte und da lächelte ich ihn einfach an und nahm ihn in den Arm.

Ich fühlte mich bei ihm und seiner Frau sehr willkommen und wir verbrachten Stunden mit Gesprächen, Witzen, gutem Essen und einem ständig wiederkehrenden Erstaunen darüber, wie ähnlich wir uns waren. Und ja, er hatte einige Male Pipi in den Augen. Für mich ist es unheimlich spannend, zu erfahren, wie stark die Gene uns beeinflussen und was ich und meine beiden Kinder von der Familie meines Vaters mitbekommen haben.

Ein neues Leben: Zusammen!

Und so unverständlich es auch für Außenstehende sein mag und so sehr ich auch schon in mich hineingefühlt habe – da ist einfach keine Wut. Höchstens ein bisschen Wehmut. Dennoch sind wir uns beide einig, dass unsere Begegnung zum jetzigen Zeitpunkt in unser beider Leben sehr stimmig ist.

Es ist schon verrückt, wenn du nach 29 Jahren deinen Vater triffst und du dich so gut mit ihm verstehst und dich so wohl und verstanden fühlst, als würdet ihr euch schon immer kennen. Wie eine sehr enge Freundin zu mir sagte: „Andere verlieren in deinem Alter ihren Vater und du gewinnst einen. Das ist doch schön.““

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