Selbst-Optimierung zwischen Saftkur und Pilates: Ich mach da nicht mit!

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Meine Freundin M. macht gerade wieder eine Saft-Fastenkur. Kollegin P. isst seit Wochen noch noch 6 Stunden am Tag, was waaaaaahhhnnnnssssiiinnniiiiig gesund ist und ihr total viel Energie gibt. Meine Cousine hat Alkohol und weißes Mehl komplett vom Menü-Plan verbannt, die Nachbarin hat dem Zucker für immer abgeschworen – was gar nicht so leicht ist, „weil man sich ja gar nicht vorstellen kann, wo überall Zucker drin ist. SO krass, echt!“

Freundin H. trainiert für einen Halbmarathon, den will sie noch laufen, bevor sie nächstes Jahr 40 wird. Und die Mutter aus der Kita formt ihren Body jetzt in so einem hippen Barre-Studio. Barre, das ist ein Mix aus Ballett, Yoga und Pilates – wie, das hast du noch nie gehört? Macht doch jetzt jeder, weil es lange Muskeln macht. Und die will jetzt jeder.

Wann ist es eigentlich uncool geworden, abends mit Freundinnen ein paar Gläser Rotwein zu trinken?

Freundin W. sitzt abends nicht einfach so auf der Couch. Während sie TV schaut, bearbeitet sie nebenbei ihre Faszien mit einer Rolle. Und natürlich steht sie derzeit um 5:30 Uhr morgens auf – das ist gerade eine Challenge auf Instagram. Dann trinkt sie einen Ingwer-Shot und meditiert eine halbe Stunde.

Jetzt mal ganz im Ernst: Wir sind alle Frauen um die 40 – wann ist es eigentlich uncool geworden, abends mit Freundinnen ein paar Gläser Rotwein zu trinken, um sich gemeinsam vor dem Sport zu drücken? Als wir alle frischgebackene Mamas waren, war es normal, dass wir uns mal eben an der Tanke ein Snickers geholt haben, weil das so gut tat. Da war es das Schönste, im Jogging-Anzug Serie zu gucken.

Faszien-Fasten-Faszination: Selbst-Optimierungswahn deluxe

Jetzt sind die Kinder größer und alle verfallen in den Selbst-Optimierungswahn. Yoga-Hosen gelten als normales Kleidungsstück, mit Collagen-Masken sollen unsere Falten verschwinden und dreimal die Woche Workout muss schon drin sein – neben den Kindern und dem Job. Und wer bei der Frühaufsteh-Challenge nicht mitmacht, verpasst ja so viel! (Und ist stinkig faul!)

Ist das anstrengend! Ich mach da nicht mit. Ich gehe gerne spazieren, fahre Rad. Ich gehe gerne zum Friseur und freue mich, wenn ich eine neue tolle Bodylotion habe. Ich achte auch auf mich, aber ich bin doch keine zwanzigjährige Hupfdohle.

Mein Köper, mein Äußeres muss nicht optimiert werden durch Saftkuren, Essenspausen oder Ballettstangen. Mein Körper wird geliebt, geachtet, nicht geknechtet. Wenn er Ruhe braucht, dann bekommt er die. Wenn er nach Schokolade schreit, dann kriegt er die. Wenn er sich nach einer Massage sehnt, dann buche ich diese. Aber ich kämpfe nicht gegen jede Rolle, jede Falte, jeden Pickel. Ich bleibe morgens gerne so lange wie möglich im Bett und freue mich, dass das ENDLICH wieder möglich ist, jetzt, wo die Kids größer sind.

Und wieder dem nächsten heißen Hype hinterher: Puh, mir ist das alles zu anstrgend

Meine Freundinnen, die sich nur nur flüssig oder weizenfrei ernähren, sagen: „Ich mach das nur für mich. Ich hab mich noch nie so fit gefühlt.“

Ja, ich fühle mich nicht immer fit. Weil ichs nicht bin. Weil ich abends zu lange mit einer Freundin telefoniert habe oder das letzte Glas Wein zu viel war. Aber das sind dann meisten die Momente, bei denen ich sage: „Ich mach das für mich. Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht/so ein tolles Gespräch geführt.“ Sollte es in unserem Leben nicht viel viel mehr genau darum gehen?

Dieser Gastbeitrag stammt von unserer Leserin Pia. Sie ist 39 Jahre alt, lebt in Berlin und hat zwei Kinder.

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9 comments

  1. Du schreibst mir aus dem Herzen.Bin zwar schon über 50 habe aber das Gefühl das auch in meinem Alter nichts über Optimierung geht ,wie ein Wettkampf.Ich finde man sollte zu seinen grauen Haaren u.s.w. stehen.Das befreit.

  2. Du sprichst mir AUS DER SEELE! Ich hab auch so das Gefühl um mich herum spinnen alle mit ihrer Selbstoptimierung! Ich bin im August 40 geworden und hab 2 Kids – aber den Drang mich zu optimieren suche ich vergeblich und ess lieber Schokolade wenn alle im Bett sind 😉

  3. Ich finde Du hast völlig recht. Wenn man Zeit hat, darf man die geniessen und abhängen und muss sich nicht gleich aufs nächste Projekt stürzen.

    (Und diese ständig wechselnden Ernährungsmoden finde ich unsagbar sinnlos und Zeitverschwendung. Wir leben in einem reichen Land und sollen hungern und darben? Wofür?)

  4. Ich bin auch eben 40 geworden und habe auch mit all dem angefangen: weniger Zucker, mehr Pilates, habe endlich alle Vorsorgeuntersuchungen gemacht und mir neue Wanderschuhe gekauft.
    Ich finde das nicht „Selbstoptimierung“, sondern „Selbstfürsorge“. Nach fast 10 Jahren Kleinkindphase kann ich auch mal wieder was für mich tun. Ich sehe das als „Instandsetzen“ 😉
    (Was haben wir bloss für Luxusthemen hier in Deutschland!..)

    1. So sehe ich das auch. Solange es einem Freude macht, warum denn auch nicht? Es gibt doch nicht nur schwarz (wenig Sport etc.) und weiss (viel Sport) im Leben, so wie es im Text anklingt.
      Ich fühle mich mit 4x Sport pro Woche einfach deutlich wohler (auch weil dann meine Rückenschmerzen verschwinden). Deswegen verzichte ich aber auch nicht auf Kaffee etc.

  5. Hm. Wenn in meinem Bekanntenkreis Freundinnen mit solchen Dingen anfangen, ist das meist nicht von langer Dauer, Stichwort: komplett zuckerfreie Ernährung, vier Mal die Woche Sport, etc.
    Bei mir selbst im Übrigen auch nicht. 🙂

  6. Kann nicht einfach jede für sich entscheiden? Wenn es den Freundinnen gut tut, ist das doch toll! Ich mache beides (früh am Wochenende aufstehen und Sport, aber auch mal lange schlafen), je nachdem was ich mehr brauche. Gesund ist beides…
    Abgesehen davon freue ich mich (Ende 30) auch auf die Zeit, spontan Sport machen zu können. Selbst entscheiden zu können, wann ich was mache, weil die Kinder dann schon größer sind. Dafür zu sorgen, dass es einem besser geht oder mal neue Sachen auszuprobieren, hat meiner Meinung nach nichts mit einem Hype zu tun, sondern gehört einfach dazu. Und mit 40 haben die meisten Mütter (und Väter) nun mal die Zeit und Ruhe dazu. Man muss doch nicht mitmachen bzw. kann doch auch mal was Neues ausprobieren?!

    1. Ich habe aus dem Artikel herausgelesen, dass Pia ziemlich allein da steht mit ihrer normalen Lebensweise. Essen gehen mit Freundin: geht nicht. Entweder Saftkur oder Weizen oder kein Zucker oder zu spät, weil die Freundin nach 18 Uhr nichts mehr isst. Die anderen sind mit Sport beschäftigt.
      Zeit, sich mal auf Wein und Kaffee zu treffen, ist nicht. Und wenn mal was zustande kommt, dann hört man sich genau die Geschichten vom ach so gesunden Lebensstil an. Langweilig.
      Die Frauen stellen sich und ihren Körper in den Mittelpunkt und haben keine Zeit mehr für dich. Für ein Gespräch unter Freundinnen. Zu fragen: Wie geht’s dir …wirklich? Hast du Sorgen? etc.
      Das ist das, was Pia vermisst. Du unterstellst ihr Neid, aber das ist es nicht. Es ist die Trauer um die alten vertrauten Zeiten. Sie vermisst ihre Freundinnen von damals, die, die noch nicht den Fitness- und Gesundheitswahn verfallen waren. Ich kann das gut verstehen.

      1. Wo unterstelle ich ihr Neid? Sie verlangt Verständnis von ihren Freundinnen, hat selbst aber keins dafür, dass sie nun eben alle was Neues ausprobieren wollen (zumindest klingt es hier so, aber das kann natürlich auch anders gemeint gewesen sein). Ich denke, als Freundin kann man doch auch ehrlich sagen, wenn solche Themen auf Dauer nerven. Und dann eben über was anderes reden. Es wird auch nicht aus dem Text ersichtlich, ob sie ihre Freundinnen schon darauf angesprochen hat oder nicht.

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