Bye, bye, Schönheitsideal: „Auch wenn ich meine Beine nicht mag“

Schönheitsideal

Das hier wird ein ganz schön persönlicher Text zum Thema Schönheitsideale, deshalb habe ich lange überlegt, ob ich ihn veröffentliche. Denn wenn man etwas Persönliches von sich erzählt, macht man sich verletzlich und angreifbar und das kann im Internet mitunter echt unangenehm sein….

Um es einfach rauszuhauen: Ich mag meine Beine nicht. Ich mochte sie noch nie, jedenfalls nicht, seit ich meinen Körper bewusst wahrnehme. In Frauenmagazinen habe ich gelernt, wie ich meine Problemzone kaschiere: Nie kurze Hosen, keine kurzen Röcke. Ich habe viel Geld für Cremes ausgegeben und gehofft, ich könnte die Dellen so wegcremen.

Denn ja, ich habe Dellen. Und Haare und Muttermale und Besenreiser. Ein lustiges Netz aus dünnen, blauen Äderchen zieht sich über die Oberschenkel, die ich schon immer für zu breit und weich halte. Vor zwei Jahren habe ich mal 200 Euro in die Hand genommen, bin damit zu einer Hautärztin, die mir irgendwas in meine Besenreiser gespritzt hat, damit diese sich auflösen. Das hat ganz schön wehgetan, ich hatte den ganzen Tag danach Schwindel und über zwei Wochen Blutergüsse an den Beinen. Trotzdem bin ich zwei Wochen später wieder hin und habe nochmal 200 Euro für diese Prozedur bezahlt. Gebracht hat es fast nichts, ich mag meine Beine immer noch nicht.

Das Absurde ist: Ich habe sehr wahrscheinlich sehr okaye Beine. Denn ich bin normalgewichtig, mache regelmäßig Sport, ernähre mich halbwegs gesund, trinke wenig Alkohol. Wenn ich jemand anderes mit meinen Beinen sehen würde, würde ich wahrscheinlich gar nichts denken – auf jeden Fall aber nicht: Oh, das sind aber hässliche Beine.

Mein Schönheitsideal aus den 90ern

Es ist nur so, dass ich in den 90ern groß geworden bin und meine gesamte Jugend eine Gehirnwäsche in Sachen Körperwahrnehmung bekommen habe. Beine sollen glatt, ohne Adern, schlank, straff sein. Ich bin aber nun mal fast 44 Jahre alt, habe vier Kinder bekommen und nicht das beste Bindegewebe. Mein Kopf hat aber trotzdem gespeichert: Beine sollten mit 44 immer noch so aussehen wie die von 21-jährigen Pilatestrainerinnen.

Ich hatte nie eine Essstörung und mag ganz viel an meinem Körper. Nur meine Beine eben nicht. Was zur Folge hat, dass ich im Sommer bis heute eigentlich nie Shorts trage und – egal, wie heiß es war – immer in langen Hosen gejoggt bin. Auch, wenn ich danach fast einen Hitzschlag hatte, war es für mich undenkbar NICHT in Leggins zu laufen.

Denn beim Joggen wackelt ja alles noch mehr, die eh schon immer sehr kurz geschnittenen Hosen rutschen hoch und Radlerhosen sind für mich das Grauen. Was, wenn die Menschen, an denen ich vorbei jogge, danach tuscheln: Ganz schön mutig mit DEN Beinen kurze Hosen zu tragen. Was, wenn irgendwelche Männer die Shorts als Einladung verstehen? Bitte bloß nicht auffallen, bloß keine falschen Signale senden – auch so Gedanken, die Frauen von Beginn an immer wieder mitbekommen…

WAS IST DAS FÜR EIN BRAINFUCK?, habe ich mir vor einer Woche gedacht und beschlossen, mich meiner Unsicherheit zu stellen. Denn davon bin ich überzeugt: All das, was ich mir da ausdenke, was ich mir selbst über mich erzähle – das ist einfach nur meine eigene Unsicherheit.

Also habe ich mir eine uralte schwarze Lauf-Shorts aus dem Schrank geholt (die ich wahrscheinlich vor 10 Jahren mal gekauft habe und nie anhatte) und bin damit joggen gegangen. Und jetzt kommen drei Knaller:

  1. Es ist so viel angenehmer, bei warmen Temperaturen in Shorts joggen zu gehen!!!
  2. Es hat keiner was gesagt. Niemand hat getuschelt, niemand hat gegafft. Vielleicht hab ich einfach nicht mitbekommen, viel wahrscheinlicher ist aber, dass niemand was gesagt hat
  3. Es war mir einfach scheißegal. Und das meine ich total ernst. Ich habe mir immer wieder ganz klar gesagt: Es sind nur Beine. Du bist ein gesunder Mensch. Es ist total egal, ob du Dellen an den Beinen hast. Es ist dir egal und es ist anderen Menschen egal – so, wie es dir egal ist, ob andere Menschen Dellen an den Beinen haben. Es ist jetzt Schluss mit dieser Unsicherheit.

Das heißt jetzt nicht, dass ich plötzlich meine Beine liebe. Aber ich will mich einfach nicht mehr von dieser Unsicherheit, die nur in meinem Kopf existiert, beschränken lassen. Denn nochmal: Ich habe keine WIRKLICHEN Probleme mit den Beinen (z.B. Lipödem oder schmerzhafte Krampfadern), sondern einfach nur ein schräges Selbstbild in Bezug auf meine Beine.

Ich habe meiner Freundin davon erzählt und sie sagte: „Ich kenne all diese Gedanken, ich fühle das alles so. Ich trau mich aber noch nicht nachzuziehen.“ Und da kam es mir: Ich habe nicht eine einzige Freundin, die sich zu 100 Prozent wohl in ihrem Körper fühlt. All diese wunderbaren, klugen, tapferen Frauen haben Schiss vor Dellen, Röllchen, Narben und Adern. Weil sie gelernt haben, dass das nicht normal ist. Dabei ist es so normal. Keine meine Freundinnen hat einen Model-Körper und ich finde sie trotzdem großartig.

Vielleicht mag das alles für die ein oder andere albern klingen, aber für mich war es tatsächlich eine Überwindung, das erste Mal wieder in Shorts joggen zu gehen. Ich glaube, wir müssen uns alle immer wieder überwinden zu uns selbst zu stehen und wir müssen unser Gehirn umprogrammieren. Denn wenn das Gehirn gelernt hat, dass Beine nur schlank schön aussehen, dann kann es auch lernen, dass Beine nur Beine sind. Lasst uns versuchen, uns einfach anzunehmen, so wie wir eben sind. Mit Dellen und Narben, Hoffnungen und Enttäuschungen, Wunden und Glow, gerissenen Bäuchen und starkem Bizeps. Wir alle sind so viel mehr als unser Äußeres.

08c0186baa1946a2b573ade0898a4815

Du magst vielleicht auch

5 comments

  1. Kenne ich, sich überwinden, vor der Welt und sich selbst zuzugeben, dass man nicht dem Ideal entspricht. Es fühlt sich befreiend an, wenn man die Gedanken an andere fahren lässt und man dann einfach das macht, womit man sich im eigenen Körper am besten fühlt (Kein Langarm im Sommer, kein Hitzestau beim Sport…)

    Wunderbar, Dein letzter Satz: Wir alle sind so viel mehr als unser Äußeres. Und das können andere auch „sehen“ wenn sie genau hin schauen.

  2. Sehe ich genau so. Bin mit den gleichen Schönheitsidealen aufgewachsen.
    Wie einen das lähmt und wieviel Zeit man investiert (hat), das ist doch unglaublich. Irgendwo hab ich mal gelesen , in der ganzen Zeit, die man für die Schönheit aufgebracht hat, hätte man eine neue Sprache lernen können, zb …
    Auch als Mutter von Töchtern gilt es doch, das abzulegen, oder wenigstens zu reduzieren. Ich spüre auch eine große Erleichterung, sich diesem Druck nicht mehr zu beugen. Immer wieder denke ich inzwischen , „ist mir egal, ich lass das jetzt so“…( tut auch in anderen Bereichen gut 😉 )

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert