Kein Schulabschluss: Ich schäme mich für meine geringe Bildung

geringe Bildung

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, neulich haben wir in unseren Insta-Storys gefragt, ob es etwas gibt, für das ihr euch schämt. Anlass war mein Artikel darüber, dass ich meine Beine nicht mag, deshalb jahrelang immer in langen Hosen gejoggt bin, nun aber auf die Scham pfeife und endlich Shorts anziehe.

Wir haben unzählige Nachrichten bekommen von Frauen, die sich für ihre Körper schämen, das hat uns sehr berührt und sehr nachdenklich gemacht. Sabine hat sich auch bei uns gemeldet, schrieb, dass sie sich für ihre geringe Bildung schämt. Uns hat sie anschließend mehr darüber erzählt, wir danken ihr sehr für ihr Vertrauen.

Liebe Sabine, auf unsere Umfrage hast du dich damit gemeldet, dass du dich für deine geringe Bildung schämst. Lass uns mal vorne beginnen. Was haben deine Eltern gearbeitet und wie wichtig war Bildung in deinem Elternhaus?

Meine Eltern hatten mittlere Bildungsabschlüsse und Ausbildungsberufe in Angestelltenverhältnissen. Heute sind sie Rentner. Beide waren fleißig und hatten häufig sogar zwei Jobs, damit wir finanziell über die Runden kommen. Das Geld haben sie aber auch gerne in Dinge gesteckt, die andere sehen konnten, also z.B. Kleidung. Rücklagen oder Versicherungen dagegen fanden sie nicht so wichtig. Es galt: Mehr Schein als Sein.

Ich habe in meinem Elternhaus wenig bis gar keine positive Bestärkung bekommen. Mein Vater hat mir oft gesagt, ich sei dumm. Was definitiv dazu geführt hat, dass ich wenig Selbstbewusstsein habe und mich schwer getan habe, Freunde zu finden.

Wie warst du in der Schule?

Ich war eine fleißige Schülerin, ich musste immer lernen, zugeflogen ist mir nichts. Ich habe pflichtbewusst meine Aufgaben erledigt und war eigentlich ganz gerne in der Schule.

Was für Berufswünsche hattes du als Kind und Jugendliche?

Ich wollte gerne Hebamme werden. Meine Eltern rieten mir wegen des Schichtdienstes und anderer Gründe dringend ab. Mir war es wichtig, meinen Eltern zu gefallen und habe deshalb diesen Traum schnell begraben. Ich habe dafür nicht gekämpft, weil ich eben einfach nicht selbstbewusst war.

Mit welchem Schulabschluss hast du die Schule verlassen und wie ging es dann weiter?

Ich habe auf der Gesamtschule noch kurzzeitig die 11. Klasse der Oberstufe besucht. In Mathematik und Französisch bekam ich Schwierigkeiten, hätte Nachhilfe oder mehr Förderung gebraucht. Meine Eltern sagten dann, es sei ihnen aus finanziellen Gründen lieber, wenn ich von der Schule abgehe und eine Ausbildung mache.

Also bin ich mit 17 von der Schule abgegangen und habe bei uns im Ort im kaufmännischen Bereich als Praktikantin gestartet und habe bei nächster Gelegenheit die Ausbildung zur Bürokauffrau gestartet. Das war das, was meine Eltern wollten.

In welchen konkreten Situationen konkret schämst du dich heute und was macht diese Scham mit dir?

Ich lebe heute in einem Umfeld und Freundeskreis, wo ich die Einzige ohne abgeschlossenes Studium oder toller Karriere bin. Um mich herum: Ärzte, Lehrer, Juristen, Journalisten. Definitiv haben alle mehr Verantwortung und erleben und verdienen viel mehr in ihren Berufen als ich.

Tja, was macht das mit mir….Ich bin mir sicher, dümmer zu sein als unsere Freunde. Deswegen halte mich bei manchen Themen zurück, weil ich meiner Allgemeinbildung nicht traue. Ich schäme mich immer, wenn ich z.B. von neuen Bekanntschaften gefragt werde, was ich beruflich mache. Ich selbst würde ich so eine Frage deshalb nie stellen, obwohl mein Gegenüber mich meist aufrichtig interessiert. Genauso schäme ich mich, wenn im Gespräch rauskommt, dass ich bereits mit 24 Mutter wurde, irgendwie verbindet man ja mit so früher Mutterschaft auch eine fehlende Bildung oder Karriere.

Die Scham fühlt sich vielleicht ähnlich an, wie andere Menschen sich für ihren Körper schämen, wenn Sie sich beim Arzt ausziehen müssen und deshalb Arzttermine vermeiden. Ich vermeide eben Themen wie Schulabschluss, Karriere, Beruf.

Hast du dir überlegt, ob du dich weiterbilden willst und wenn ja, warum hast du es noch nicht gemacht?

Heute hätte ich von meinem Mann die Unterstützung dazu. Er würde sich sogar freuen, glaube ich. Ich bin aber nicht stark belastbar und befürchte, deshalb zu scheitern oder nicht schlau genug zu sein oder unsere Familie damit zu belasten. Ich lege mir gedanklich Szenarien zurecht, warum eine Umschulung nicht gut wäre oder ich scheitern könnte…

Wenn du heute nochmal ganz von vorne anfangen könntest  – welchen Bildungsweg würdest du nehmen?

Ich würde mich von meinen Lehrern beraten lassen, welcher Schulabschluss für mich realistisch wäre. Würde dann hart daran arbeiten und mich früher von den Wünschen und Ideen meiner Eltern lösen. Ich würde Hebamme werden, vielleicht selbstständig arbeiten und Frauen beistehen. Darin wäre ich bestimmt gut.

Wie wichtig ist dir das Thema Berufsbildung bei deinen Kindern?

Uns ist wichtig, dass sie etwas machen, was ihnen Freude bereitet. Aus Freude entsteht Enthusiasmus und Engagement. Wir bemühen uns immer, die Beiden gut zu fördern und zu unterstützen und so möglichst gute Voraussetzungen zu schaffen.

Unsere Freunde vermitteln ihren Kindern, dass ein Abi das A und O ist. Das glaube ich gar nicht. Wenn man liebt, was man tut, an sich selbst glaubt, mutig und fleißig ist, sich immer weiterentwickelt, kann man viel erreichen und verdienen.

Zum Glück sind unsere Kinder selbstbewusst und stehen sich nicht selbst im Weg, so wie ich. Sie werden ihr Berufsleben meistern und nicht so schnell aufgeben. Und wenn sie mal nicht weiter wissen, finden wir gemeinsam einen neuen Weg.

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