Ihr Lieben, Kirsten hat 30 Jahre als Erzieherin gearbeitet und so natürlich sehr viele Eindrücke über Familien sammeln können. Wir hatten Kirsten neulich hier schon einmal im Blog, da hat sie als zertifizierte Elternbegleiterin Tipps gegeben, wie wir Eltern in stressigen Situationen die Nerven bewahren können.
Wir wollten aber auch noch mehr über Kirstens Erfahrungen aus der Kita hören und haben deshalb nochmal nachgefragt.
Liebe Kirsten, du hast lange als Erzieherin gearbeitet. Was waren die schönen und was die weniger schönen Momente in diesem Beruf?
Besonders schön fand ich die Bindung zu den Kindern. Ihre Offenheit, ihre Freude an den kleinsten Dingen, ihre Neugier und ihre Entdeckerfreude haben mich jeden Tag aufs Neue berührt. Kinder lernen unglaublich schnell und stellen oft Fragen, die einen selbst zum Nachdenken bringen. Dieses gemeinsame Wachsen hat mich immer sehr erfüllt.
Sie schenken einem so viel Vertrauen und Liebe. Sie sind immer ganz im „Hier und Jetzt“, was sehr inspirierend ist. Am allerschönsten waren die Momente, in denen wir gemeinsam herzlich gelacht haben, bis uns die Tränen kamen. Auch Ausflüge habe ich sehr geliebt: Raus aus dem Alltag und gemeinsam die Welt entdecken!
Die weniger schönen Momente gab es vor allem dann, wenn ich das Gefühl hatte den Kindern nicht gerecht werden zu können, sei es durch den hohen Pflegeanteil, kranke Kinder in der Gruppe oder den immer wieder präsenten Personalmangel. Besonders belastend waren Situationen, in denen einzelne Kinder mit herausforderndem Verhalten die ganze Gruppe aufgewühlt haben. Wenn man den ganzen Tag mit Eskalationen beschäftigt ist bleibt wenig Raum für das Schöne und Pädagogische.
Wie hast du die Eltern damals erlebt?
Die meisten Eltern waren sehr entspannt und dankbar. Sie freuten sich, wenn ihre Kinder gerne in die Kita kamen, sich dort wohlfühlten und sich gut entwickelten. Viele staunten über die Fortschritte, die ihre Kinder innerhalb kurzer Zeit machten.
Vor allem die Mütter hatten oft mehr Zeit für Gespräche. Die sogenannten „Tür-und-Angel-Gespräche“ dauerten damals mitunter etwas länger, was oft sehr wertvoll war. Die Eltern haben sich eingebracht, Verantwortung übernommen und waren grundsätzlich bereit, mit ihrem Kind negatives Verhalten zu sprechen. Das war eine gute Zusammenarbeit.
Hattest du auch „Lieblings-Eltern“ und Eltern, die du nicht so mochtest?
Ich würde nicht sagen das ich Lieblingseltern hatte. Es gab jedoch Eltern, die unsere Arbeit sehr wertschätzten und im Sinne ihres Kindes eng mit uns zusammenarbeiteten. Diese Dankbarkeit habe ich immer als Geschenk empfunden.
Gleichzeitig war es mir wichtig mit allen Eltern einen guten Kontakt aufzubauen, auch mit den zurückhaltenderen oder unzufriedeneren. Diese Situationen waren herausfordernd, aber auch lehrreich. Ich glaube, dass Ehrlichkeit und Authentizität entscheidend sind. Wenn mich etwas irritiert hat habe ich das offen angesprochen, was oft viel bewegt hat. Wichtig ist dabei nichts persönlich zu nehmen. Die Eltern wollen doch nur das Beste für ihre Kinder.
Mit etwas Abstand: Inwieweit siehst du heute Eltern anders als früher?
Ich sehe vor allen Dingen, dass Väter eine viel aktivere Rolle im Alltag ihrer Kinder einnehmen. Das finde ich sehr positiv. Dadurch komme ich öfter mit beiden Elternteilen ins Gespräch und kann beobachten, wie unterschiedlich Kinder je nach Bezugsperson reagieren.
Gleichzeitig beobachte ich, dass viele Eltern heute sehr unter Druck stehen, sowohl beruflich als auch gesellschaftlich. Es gibt unzählige Ratgeber, Meinungen und Vergleiche. Dadurch haben viele Eltern das Vertrauen in ihr eigenes Bauchgefühl verloren, obwohl sie doch die Experten für ihr Kind sind. Das finde ich sehr schade.
Außerdem nehme ich wahr, dass sich viele Eltern sehr stark über das Glück und die Leistung ihrer Kinder definieren. Wenn ein Kind unglücklich ist oder Schwierigkeiten hat, empfinden sie das oft als persönliches Versagen. Ist mein Kind nicht glücklich, bin ich schuld. Ist mein Kind nicht gut in der Schule, habe ich versagt. Viele setzen alles daran dies zu ändern. Das bedeutet einen enormen Druck für Kinder und für Eltern. Wer kann schon immer glücklich sein oder perfekt. Oft fehlt es an Klarheit und Konsequenz, es wird viel diskutiert. Eltern fällt es manchmal schwer, auszuhalten, dass ihr Kind auch mal wütend ist oder sie „doof“ findet.
Und ja, Eltern sind auch ängstlicher geworden. Einerseits möchten viele Kontrolle behalten, andererseits geben sie Verantwortung ab und erwarten dann, dass alles so läuft wie sie es sich vorstellen. Das kann zu Spannungen führen.
Gibt es vielleicht sogar eine Situation aus dem Kita-Alltag, die dir bis heute im Gedächtnis geblieben ist?
Da gibt es ziemlich viele. Ich habe ein gutes Gedächtnis 😉
Ich weiß nicht warum, aber ich muss gerade an einen Vater denken, der die Eingewöhnung von seinem 2-jährigen Sohn gemacht hat. Er arbeitete im Homeoffice und war dadurch während der Eingewöhnung noch in der Kita, stand allerdings stark unter Druck.
Wir haben nach dem „Berliner Modell“ eingewöhnt, was den Eltern vor Vertragsunterzeichnung genau erklärt wird. Trotzdem wird das Thema oft erst aktuell, wenn die Eltern merken, dass es bei ihrem Kind länger dauert als gedacht. In dieser sensiblen Phase fehlt dann manchmal das Einfühlungsvermögen, obwohl alle das Beste für ihr Kind wollen.
Naja, dieser Vater hat sich anfangs so ziemlich an keine Abmachung gehalten und es gab tägliche Diskussionen. Das hat sein Sohn natürlich auch mitbekommen. Der Vater verabschiedete sich nicht richtig, kam zu spät oder blieb zu lange. Ich habe dann klare Grenzen gesetzt und mit der Zeit wurde es besser. Die Atmosphäre war lange angespannt, aber ich habe sein Verhalten nicht persönlich genommen, denn ich wusste, dass er unter Stress stand.
Ich hatte eine gute Bindung zu seinem Kind und als ich nach zwei Jahren die Kita gewechselt habe, hat er sich am Ende sehr herzlich bedankt und meine Arbeit sehr wertgeschätzt.
Er sagte: „Obwohl wir Startschwierigkeiten hatten, möchte ich mich heute bei ihnen bedanken“, und nannte viele schöne Dinge, die er wertgeschätzt hat. Das war für mich eine große Bestätigung. Ich habe trotz der Herausforderungen einen guten Job gemacht.
Warum hast du diesen Beruf aufgegeben?
Ja da gibt es viele Gründe. Ich versuche es mit einer Kurzfassung. Die Anforderungen von Politik, Trägern und Eltern haben sich in den letzten 30 Jahren massiv verändert, ebenso wie das Verhalten der Kinder. Manches finde ich übrigens sehr positiv, zum Beispiel das wir heute bei Kindeswohlgefährdung handeln dürfen und Unterstützung durch Fachkräfte erhalten. Früher musste man manches einfach aushalten, weil niemand zuständig sein wollte.
Vieles hat sich aber in meinen Augen zum Nachteil entwickelt. Durch den hohen Dokumentationsaufwand, den Fachkräftemangel und Datenschutzvorgaben ist Spontaneität im Kita-Alltag kaum mehr möglich. Ein spontaner Ausflug, weil das Wetter schön ist? Kaum machbar. Auch das freie Spiel wird durch den starren Tagesablauf und Bildungsprogramme oft eingeschränkt.
Du kannst heute nichts mehr mit den Kindern spontan machen, so wie ihre Bedürfnisse sind, alles muss dokumentiert werden und im besten Fall schriftlich von den Eltern abgesegnet werden. Dazu kommt, dass viele Kinder heute deutlich weniger selbstständig sind. Sie verweigern vieles und alles wird diskutiert. Selbstständiges Spielen ist selten, wenn kein Erwachsener dabei ist. Viele Konflikte entstehen, weil die Kinder weniger kompromissbereit sind.
Eltern wünschen sich, dass Erzieherinnen mehr Verständnis für das Verhalten ihres Kindes zeigen und dabei werden oft die Bedürfnisse ihres Kindes über alles gestellt, auch wenn das nicht immer realistisch ist.
Eltern bringen häufig kranke Kinder in die Kita, obwohl sie wissen, dass das Personal ohnehin am Limit ist. Das ist sehr belastend. Ich verstehe, dass der Druck der Eltern sehr hoch ist, aber ein krankes Kind gehört einfach nicht in die Kita.
Was müsste sich ändern, damit Erzieher*in wieder ein Beruf ist, den viele junge Leute wählen?
Damit der Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers wieder attraktiver für junge Menschen wird sind grundlegende Veränderungen notwendig.
An erster Stelle steht die Reduzierung der Gruppengrößen, denn nur so kann eine individuelle und bedürfnisorientierte Betreuung der Kinder gelingen. Wir brauchen nicht immer mehr Bildungsangebote, wir brauchen mehr Zeit, um die Kinder individuell zu fördern.
Gleichzeitig ist mehr qualifiziertes Personal erforderlich. Der Einsatz von Hilfskräften ohne pädagogische Ausbildung verursacht häufig mehr Arbeit, da ihnen die notwendige Fachkompetenz im Umgang mit Kindern fehlt. Kinder erkennen sehr schnell, wem sie etwas zutrauen können. Das kann eine ganze Gruppe destabilisieren. Oft habe ich lieber allein gearbeitet als unter diesen Bedingungen.
Ein weiteres großes Problem ist der hohe bürokratische Aufwand. Die vielen Dokumentationspflichten, Datenschutzvorgaben und Qualitätsnachweise sind sehr zeitaufwendig! Diese Zeit die den Kindern verloren geht. Es fehlt Raum für Spontanität, für echte Begegnung, für Spiel und Freude. Stattdessen schreibe ich Berichte oder muss z.B. Kühlschranktemperaturen messen.
Ein weiteres Thema ist die mangelnde Unterstützung im Alltag. Es braucht dringend mehr Reinigungskräfte, Hausmeister und Küchenpersonal. Viel zu oft mussten wir als pädagogisches Team selbst das Küchengeschirr säubern oder improvisieren, weil Räume unbenutzbar waren und sich niemand um die Reparaturen kümmerte. Diese Überlastung frustriert und lässt kaum Kraft für das Eigentliche, nämlich die Arbeit mit den Kindern.
Wichtig wäre auch mehr Verständnis für die Situation des Personals. Eltern zeigen ihren Unmut über verkürzte Betreuungszeiten oder geschlossene Gruppen oft ausgerechnet gegenüber denjenigen, die vor Ort alles geben, damit der Alltag irgendwie funktioniert. Das ist demotivierend und führt bei vielen Kolleg:innen zur inneren Kündigung. Es braucht mehr Wertschätzung, nicht nur in Worten, sondern auch in Form konkreter Entlastung.
Zudem wünsche ich mir, dass Eltern wieder mehr Verantwortung für das Verhalten und Handeln ihrer Kinder übernehmen, nicht die Einrichtungen. Kita und Schule können zwar unterstützen, begleiten und Impulse geben, sie können aber nicht das ersetze was zu Hause an Erziehung und Haltung vermittelt wird. Auch Eltern benötigen hierfür Unterstützung in Form von ehrlicher, alltagsnaher Elternbildung sowie einem offenen, respektvollen Austausch mit den Fachkräften. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um das gemeinsame Tragen von Verantwortung.
Schließlich müssen wir auch Wege finden Kinder mit besonderen Bedürfnissen besser zu begleiten. Diese Kinder benötigen häufig eine Eins-zu-eins-Betreuung oder ein spezielleres Umfeld. Früher war es ein Kind pro Gruppe, heute sind es oft vier oder fünf. Unter diesen Bedingungen kann niemand gute pädagogische Arbeit leisten, weder für diese Kinder noch für den Rest der Gruppe.
Wenn sich all das nicht grundlegend ändert, wird es schwer, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Dabei ist er so wertvoll: Wenn man ihn gut ausübt, ist er einer der schönsten Jobs der Welt.