Alle reden über Schulen und Kita – uns Hort-Erzieher sieht niemand

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Liebe Ava, Du arbeitest als Hort-Erzieherin. An was für einer Schule? Wieviel Kinder betreust du normalerweise und wieviele gerade?

Ich arbeite an einem Hort in einer Grundschule mit ca. 280 Kindern, viele davon sind besonderen Belastungen im Alltag ausgesetzt, wie z.B. beengter Wohnraum, Deutsch als Zweitsprache. Zudem gibt es bei uns viele Familien, in denen ein Elternteil alleine erzieht – für diese Familien waren die letzten Wochen besonders hart.

Von diesen 280 Kindern besuchen normalerweise 95%  auch den Hort. Seit einer Woche sind alle Grundschulen und Kitas bei uns in Sachsen wieder vollständig im eingeschränkten Regelbtrieb geöffnet, d.h. alle Kinder haben jeden Tag die Möglichkeit Schule und Hort zu besuchen. Die Umsetzung obliegt jeder Grundschule und jeder Kita allein. Aus Angst vor einer möglichen Infektion mit Corona, aber auch weil die neuen Auflagen pädagogische Arbeit in extremer Weise einschränken, haben sehr viele von unseren Familien ihre Kinder aus dem Hort abgemeldet. In einer Gruppe sind sonst 20-25 Kinder, aktuell sind es teilweise nur noch 3-10 Kinder.

Wie ist die Stimmung unter Euch Kollegen?

Meine Kolleg*innen sind überfordert. Innerhalb einer Woche mussten Konzepte erstellt werden, wie die Betreuung aller Kinder wieder möglich wird, natürlich unter strengen Auflagen und Hygienekonzepten. Wir haben uns wahnsinnig auf alle unsere Kinder gefreut, da wir bei vielen auch in Sorge waren, wie es ihnen in den Zeiten der Schul- und Kitaschließungen ergangen ist.

Auf der anderen Seite kam die Anordnung, dass sich die Gruppen untereinander nicht begegnen dürfen und es darf keinen Wechsel von Personal in den Gruppen geben. Diese Punkte bauen unheimlichen Druck unter den Kolleg*innen auf und dann soll natürlich auch noch sinnvolle pädagogische Arbeit stattfinden und nicht bloß Betreuung.

Was mir auch aufgefallen ist: Keine Kolleg*in hat Angst vor einer Ansteckung, obwohl einige zur Risikogruppe gehören und über 60 Jahre alt sind. In der letzten Dienstberatung standen einer Kollegin die Tränen in den Augen, weil sie aufgrund von Personalmangel zwei Gruppen in zwei Räumen betreuen musste. In dem einen Raum konnten 5 Kinder aus einer Klasse zusammen spielen, während in dem anderen Zimmer ein Junge mehrere Stunden allein spielen musste. Sowas zu erleben, während der ersten Woche der Öffnung, ist furchtbar.

Zu Beginn der Notbetreuung waren ja sicherlich ganz wenig Kinder da, was haben die Erzieher in dieser Zeit gemacht?

Zu Beginn der Notbetreuung haben wir teilweise nur ein Kind betreut, meistens vier. In dieser Zeit haben Kollegen aufgeräumt, Portfolios für die Kinder erstellt, an Online-Weiterbildungen teilgenommen, aber auch Mund- und Nasenschutz für Krankenhäuser und Pflegeheime genäht.

Wir haben nach ca. drei Wochen begonnen, uns auf einer Wiedereingewöhnung der Kinder vorzubereiten und standen dazu im engen Austausch mit der Schule und Schulsozialarbeit. Besonders zu Ostern haben viele Kolleg*innen Briefe und Postkarten an ihre Kinder gechrieben und persönlich zu ihnen nach Hause gebracht. Einige Kinder waren außer sich vor Freude. Außerdem haben wir einige Konzeptionsbestandteile überarbeitet und schon mal geschaut, was wir mit den Kindern in den Sommerferien machen können, wenn Freibäder und andere Einrichtungen für uns nicht zugänglich sind.

Wie hast Du Kinder und Eltern in den letzten Woche  bei Euch im Hort erlebt?

Ich bin in meiner Funktion besonders für die Elternarbeit im Hort verantwortlich und habe mit einigen Familien persönlichen Kontakt gehalten, bei denen ich wusste, dass diese Zeit eine enorme Herausforderung darstellt.

Schon kurz nach den Schließungen gingen Anrufe von verzweifelten Eltern bei uns ein, ob wir ihre Kinder nicht in die Notbetreuung aufnehmen könnten. Sie waren zuhause überfordert mit Betreuung und Vermittlung von Schulstoff. Als die Notbetreuung das erste Mal erweitert wurde, konnten wir auch Kinder aufnehmen, bei denen das Jugendamt die Lage zuhause als kindeswohlgefährdend einschätzte. Das hat mich sehr beruhigt.

Die Kinder in der Notbetreuung waren fröhlich und haben es genossen, die ganze Schule und den Schulhof für sich nutzen zu können. Da der Essenanbieter nicht mehr geliefert hat, hat ein Kollege mit ihnen jeden Tag gemeinsam gekocht. Daraus wurde ein richtiges Projekt.

Jetzt sind alle Kinder wieder da und ich sehe die Freude über das gemeinsame Lernen und Spielen bei allen. Es ergeben sich in den festen Gruppen ganz neue Spielkonstellationen, z.B. beobachte ich, dass Jungen und Mädchen viel häufiger zusammen spielen- ich sehe also auch Vorteile. Allerdings vermissen sie es auch mit Freunden aus anderen Klassen zu spielen.

All die Unbeschwertheit wird durch strenge Hygienekonzepte und Auflagen getrübt. Die Kinder können sich nicht mehr frei auf dem Schulhof bewegen, da dieser jetzt in 4 Abschnitte eingeteilt ist und sie haben zum Mittagessen nur noch 20 Minuten Zeit, weil dann die nächste Gruppe kommt, der sie nicht begegnen dürfen. Außerdem müssen sie auf den Gängen und in den Gemeinschaftsräumen einen Mund- und Nasenschutz tragen.

Was für die Eltern aktuell besonders schwierig ist, sind unsere eingeschränkten Öffnungszeiten. Da jede Erzieherin fest für ihre Gruppe zuständig ist, können wir keinen Früh- und Spätdienst mehr anbieten, was für Vollzeit berufstätige Eltern eine Katastrophe ist.

Du hast ja auch gesagt, dass Hort-Erzieher in dieser ganzen Diskussion oft hinten runter fallen. Ärgert dich das? Und was unterscheidet Euch gerade zb, stark von Lehrern /Kitaerziehern?

Mich ärgert, dass der Hort in der Öffnungsdiskussion absolut keine Rolle spielt. Horte müssen sich einfach den Gegebenheiten der Schulen anpassen und ihre Konzepte mittragen, sind aber ganz anderen Bedingungen und Konzepten unterworfen. Wir als Hortpädagog*innen sind es gewohnt, immer etwas stiefmütterlich behandelt zu werden, aber die aktuellen Entscheidungen frustrieren uns sehr.

Wir haben uns immer als Ausgleich zur Schule gesehen, wir haben den Kindern Freiheiten gegeben, sich am Nachmittag auszuleben, sich frei zu bewegen und auszupowern. Jetzt betreuen wir die Kinder in ihren engen Klassenzimmern und kleinen, abgesteckten Bereichen auf dem Außengelände, genau wie die Schule am Vormittag.

Kindergärten haben freiere Gestaltungsmöglichkeiten, können zum Beispiel mal einen Tag im Wald oder Park verbringen, das lohnt sich am Nachmittag nur für die wenigsten Kinder. Im Hort gibt es für die Gruppen aufgrund des Betreuungsschlüssels auch nur eine feste Bezugserzieher*in, wir haben absolut keine Ahnung, was wir machen, wenn davon zwei im Urlaub und zwei krank sind. Eine Zusammenlegung der Gruppe ist nicht möglich und wird von der Schule äußerst kritisch beäugt.

Die Lehrer*innen haben aktuell auch ein Mantra: Nur noch bis zu den Sommerferien! Für uns starten die aktuellen Probleme dann erst so richtig. Ferien sind auch für uns Urlaubszeit, d.h. wir arbeiten meist mit der Hälfte des Personals. Wir haben aktuell noch keine Auflagen, wie wir die Ferien im Hort gestalten können und dürfen. Sollten wir dann immer noch am festen Gruppenmodell festhalten müssen, werden es anstrengende Wochen, besonders für die Kinder.

Was wünscht Du Dir?

Ich wünsche mir einfach, dass Hortpädagogik einen festen Stellenwert bekommt, z.B. eigene Fachtagungen und Weiterbildungsangebote. Es ist fast schon unmöglich Fachliteratur zu finden, die sich nicht rein mit Schule oder Kindergarten auseinandersetzt. Ich wünsche mir auch mehr engagierte Kolleg*innen, die uns helfen, den Hort von seinem schlechten Image zu befreien. Wir leisten einfach mehr als reine „Aufbewahrung“ der Kinder am Nachmittag. Wir arbeiten eng mit der Schule zusammen, überlegen uns alters- und geschlechtsangemessene Angebote, haben unsere Kinder genau im Blick und möchten nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern begleiten.

Was ist Dir sonst noch wichtig zu dem Thema?

Wichtig ist mir, dass die Praktiker*innen mit ins Boot geholt werden, um Konzepte zu schreiben. Dass sich Politiker*innen vor Ort anschauen, wie schlecht diese Auflagen umzusetzen sind und wie sehr die Kinder darunter leiden. Ich habe in den letzten Woche viel von jammernden Erzieher*innen gelesen, um die soll es nicht gehen. Alle Erzieher*innen konnten in den letzten Wochen Luft holen, um jetzt ein bisschen mehr zu investieren, aber auch die halten es nicht ewig aus, ihre Kinder leiden zu sehen.

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2 comments

  1. Ach das tut so gut, dass das mal so ausführlich und anschaulich geschildert wird! So ist es, während die Kinder, denen die wechselhafte Situation mit 2 Tagen Präsenzunterricht sowieso schon zu schaffen macht, es schwer haben, sich in die strengen Coronakonzepte am Nachmittag einzufügen, müssen die pädagogischen Kräfte in der OGS oder im Hort dafür sorgen, dass sie sich trotzdem wohl fühlen und pädagogisch wertvoll betreut sind. Gleichzeitig muss ein Regelwerk an Vorschriften befolgt werden, die sich zudem immer wieder mal ändern. Maskenpflicht und ständiges Ermahnen, den Abstand zu wahren, stören jedes noch so gut durchdachte Programm. Kinder aus schwierigen Verhältnissen sind natürlich sehr willkommen, sprengen aber mitunter, weil sie eine Riesendosis Zuhause mitbringen, oftmals den Rahmen, der nötig wäre, um in diesen Zeiten einigermaßen wertvolle Arbeit zu leisten. Und um alles herum beäugen einige kritische Eltern das Geschehen, beurteilen es und lassen gern Kritik verlauten, jedoch merklich weniger Lob oder gute Worte für diese wichtige und anspruchsvolle Arbeit. Das sind wir gewöhnt, damit können wir leben, aber wie die Verfasserin des Artikels schon sagt, es wäre schön, wenn uns mal jemand wahrnehmen würde als die Personen, die mit daran arbeiten, den Kindern ein Stück weit Normalität wiederzugeben.
    Viele Grüße!

  2. Liebe AVA, ich habe einen Drittklässler und er ging schon immer sehr gern in den Hort und weiß die vielseitigen Angebote sehr zu schätzen. In den letzten beiden Wochen ist er allerdings nach Schulschluss gleich nach Hause gekommen, weil sowohl ich als auch mein Mann noch oft zu Hause waren. Allerdings hat er seiner Horterzieherin täglich noch guten Tag gewünscht. Ab nächster Woche geht es bei uns in Vor- Corona- Intensität auf Arbeit weiter und wir sind sehr glücklich, dass wir ihn im Hort gut betreut wissen! Auch an unserer Schule macht sich der Hort große Gedanken, wie er den Kindern die Betreuung am Nachmittag mit den geltenden Regeln sinnvoll gestalten kann. Dafür ein großes DANKESCHÖN!!! Ich bin auch sehr froh, dass im Zuge der Schulöffnung die Horte wieder mit geöffnet haben! Denn die Wirtschaft geht in schnellen Schritten in die neue Normalität und da ist es für uns Eltern wirklich sehr gut zu wissen, dass dabei die Kinder nicht vergessen werden und auch die „Neue Normalität“ mit ihren bekannten Bezugspersonen und Freunden erleben können.

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