Erzieher-Streik: Es geht um das Wohl Eurer Kinder!

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Liebe Regine, du arbeitest als Erzieherin. Erzähl mal seit wann und in welcher Art Einrichtung. 

Ich arbeite seit fast 20 Jahren in dem Beruf. Durch Zeitverträge habe ich mehrere Träger und Einrichtungen kennengelernt und dadurch die verschiedensten Einblicke bekommen. In meiner jetzigen Einrichtung betreuen wir Kinder im Alter von 1-6 Jahren, zum Teil mit Förderbedarf.

Warum hast du damals den Beruf ergriffen?

Ich bin selbst als Kind gerne in den Kindergarten gegangen und schon damals habe ich gesagt, dass ich später auch einmal im Kindergarten arbeiten möchte.

Ich mag meinen Beruf. Mir macht es viel Spaß Kinder und Familien zu begleiten, mit ihnen die Welt zu entdecken.

In einigen Städten streiken derzeit die Erzieher – was für manche Eltern echt ein Schock ist. Du hast uns geschrieben, dass du voll hinter dem Streik deiner Kollegen stehst. Was müsste sich SOFORT für euch Erzieher/innen ändern?

Der Beruf attraktiver gemacht werden- dazu gehört auch, dass dieser Beruf besser bezahlt wird. Unser Gehalt ist einfach zu niedrig und deshalb ist für viele junge Leute dieser Beruf nicht mehr attraktiv.

Wir brauchen so dringend mehr Personal. In den meisten Einrichtungen nicht einmal die fehlenden Kollegen der Corona-Risikogruppe ersetzt worden. Und gerade jetzt haben wir viel mehr zu tun: Zwischen wickeln, trösten, spielen, singen, tanzen, Hausmeister und Krankenschwester sein, desinfizieren wir Spielzeug, haben natürlich ein offenes Ohr für die Eltern, schreiben Berichte und Dokumentationen. Diese Mehrbelastung ist für immer weniger Erzieher nicht machbar. Deshalb stehe ich auch hinter den streikenden Kollegen.

Natürlich kann ich verstehen dass Eltern Angst vor fehlender Betreuung haben! Geht mir nicht anders, ich habe selbst ein Kitakind. Aber wenn nicht jetzt bessere Arbeitsbedingungen gefordert werden – wann dann?

Stichwort Personalmangel: Wo spürst du den jeden Tag?

Wir haben viel zu wenig Zeit für qualitativ gute Beziehungs- und Bildungsarbeit. Nur Kinder, die sich sicher und gut aufgehoben fühlen, sind bereit zu wachsen und zu lernen.

Vieles erledigen wir nebenher und mal eben – das geht natürlich auf Kosten der Kinder. Immer dieses „schnell wickeln“ oder „schnell Schuhe ausziehen“ oder „schnell trösten“ oder „mal eben erklären“  Alles oft mit einem hohen Lärmpegel.

Leider ist die Stimmung unter Kollegen gerade nicht so gut. „Oh, xy ist schon wieder krank? Na toll, jetzt muss ich ihre Gruppe übernehmen..“ oder „Das Kind von Xy muss schon wieder zum Arzt? Wie oft denn bitte noch?“ Der Herbst und Winter steht uns noch bevor und NATÜRLICH werden auch Erzieher oder Erzieher-Kinder krank. Aber das heißt dann, Gruppen müssen zusammen gelegt werden, Erzieher haben noch mehr zu tun. Selbst die professionellsten Kollegen können da eine schlechte Stimmung kaum noch verbergen.

Hast du das Gefühl, gerecht bezahlt zu werden?

Nein, denn wir leisten so viel. Die Eltern vertrauen uns das Wertvollste und Liebste an, was sie haben – das sollte mehr wert sein. Die Kids sind unsere Zukunft, unsere zukünftigen Krankenschwestern, Bäcker, Lehrer…

Gehst du noch gerne arbeiten oder bist du ausgepowert/frustriert?

Ja, ich gehe sehr gerne arbeiten. Aber das Tempo, das zur Zeit in den Kitas gefahren wird, kann so kaum beibehalten werden. Ich bin oft am Rande der Belastbarkeit. Und oft sind es die leuchtenden Kinderaugen, die mich weitermachen lassen…

Was wünscht Du Dir von den Eltern?

Unterstützung. Es wäre toll, wenn die Eltern mit uns auf die Straße gehen würden. Es geht um das Wohl ihrer Kinder!

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3 comments

  1. Der Artikel ist sehr gut geschrieben und trifft den Kern!
    Das ganze Berufsbild müsste um es attraktiver zu machen reformiert werden. Die fünfjährige Ausbildung ohne jegliche Vergütung, ist für viele junge Menschen nicht attraktiv und für viele Eltern finanziell kaum zu stemmen.
    Die Träger und Vereine müssten und könnten „IHRE neue Erzieher“ selbst ausbilden und vergüten! 80 Prozent der Einrichtungen befinden sich mittlerweile in einer Trägerschaft mit eigenen Tarifen.
    Der Lohn einer ausgebildeten Erzieherin ist dem heutigen Arbeitpensum entsprechend nicht mehr zeitgemäß. Hier erfordert es ebenso einer Lohnangleichung, wie in der Krankenpflege oder in der Altenpflege.

  2. Mein Mann ist selbst Erzieher (in Ausbildung) und wird gut bezahlt. Das Gehalt ist aber leider unterschiedlich von Stadt zu Stadt, von Einrichtung zu Einrichtung, deswegen kann ich den Unmut schon verstehen. Ich wäre durchaus bereit, mehr zu zahlen, doch dieses Jahr sind so viele Eltern von Kurzarbeit und Jobverlust gebeutelt, dass ich das gern auf 2021 vertagen würde… ohnehin sollen die Kosten für den Krippenplatz hier bald von 220€ auf 280€ erhöht werden. Da ist dann auch mehr Geld für Erzieher*innen drin? Ein Streik ist dieses Jahr echt schwierig. Wer hat 2020 noch Urlaubstage nach der extrem langen Schließzeit? Wer hat noch Geld, Zeit und Nerven?

  3. Hut ab das Du schon 20 Jahre als Erzieherin tätig bist und ich bin ganz bei Dir! Ich arbeite auch als Erzieherin. Aktuell befinde ich mich im zweiten Mutterschutz und beginne bald meine Elternzeit.
    Schon oft erwische ich mich bei der Frage wie lange schaffe ich dieses hohe Arbeitspensum. Ich kenne einige die vor kurzem in Rente gegannen sind, finde es wirklich klasse.
    Aber mal ehrlich, ist das in unserer momentanen schnelllebigen und extrem leistungsorientierten Gesellschaft überhaupt möglich „durch zuhalten“?!
    Nach meiner Elternzeit mit zwei Kindern erfahre ich von neuem diese Herausforderung und ich unterstelle jedem der in diesem Beruf ist es auch perfekt machen möchte.

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