Hilfe, mein Kind hört einfach nicht auf mich! Tipps von der Expertin für Stress-Momente

Kind

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Ihr Lieben, jede Familie hat ja andere Stress-Momente – was aber wohl alle eint ist, dass man oft das Gefühl hat, dass das Kind einfach nicht auf einen hört. Tausendmal wird gebeten, sich endlich die Zähne zu putzen oder den Teller wegzuräumen ohne dass etwas passiert.

Kirsten ist ausgebildete Erzieherin, sie hat 30 Jahre lang in Kitas gearbeitet, zertifizierte Elternbegleiterin und Mutter einer Tochter (*2005) und zweier Bonus-Söhne (*1990 und *1992). Mit ihr haben wir darüber gesprochen, wie viel Kinder mitentscheiden sollten und was Konsequenz eigentlich bedeutet. Wer mehr über sie erfahren möchte, findet auf ihrer Website weitere Infos.

Liebe Kirsten, alle Eltern kennen wohl diese Szene: man bittet sein Kind morgens, sich endlich die Schuhe für die Kita anzuziehen, aber das Kind spielt einfach weiter. Man gerät in Zeitnot und am Schluss gibt´s Geschrei. Wie kann man solche Stresssituationen vermeiden?

Oh ja, diese Situation ist wohl jeder Familie bekannt. Es gibt nicht die eine Lösung, denn Kinder und Eltern sind nun einmal unterschiedlich. Was aber fast immer hilft, ist, einen Weg zu finden und dabei zu bleiben, statt jeden Tag eine neue Methode auszuprobieren. Kinder brauchen Zeit, um sich an Veränderungen zu gewöhnen. Hier sind ein paar Ideen:

Klare Regeln gemeinsam besprechen

Gerade am Nachmittag könnt ihr gemeinsam den nächsten Morgen besprechen. Was steht an? Was ist wichtig? Was machen wir, wenn es stressig wird? Je jünger das Kind ist, desto kleiner sollte sein Entscheidungsspielraum sein. Aber ganz ohne Mitspracherecht funktioniert es in der Regel auch nicht. Ein guter Mittelweg ist wichtig.

Feste Signale für Übergänge

Kinder tun sich oft schwer, von einer Situation in die nächste zu wechseln – etwa vom Spielen zum Anziehen. Rituale helfen dabei sehr. Wie wäre es mit einer kleinen Sanduhr für die Spielzeit oder einem bestimmten Lied als „Aufbruchssignal”?

Entscheidungsfreiheit innerhalb klarer Grenzen.

Statt zu fragen: „Ziehst du jetzt bitte deine Schuhe an? (was zum Nein-Sagen einlädt), sage lieber: „Möchtest du die roten oder die grünen Schuhe anziehen?” So ist klar, dass jetzt Schuhe angezogen werden, aber welche, darf dein Kind mitentscheiden. Wenn auch das nicht hilft, funktioniert oft der Satz: „Du kannst entscheiden oder ich entscheide jetzt.” Das gibt deinem Kind eine faire Chance, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Mehr Humor und Spiel

Wir erwarten oft, dass unsere Kinder morgens vernünftig mitarbeiten. Aber seien wir ehrlich: Sind wir morgens immer vernünftig? Wahrscheinlich sind alle noch etwas müde. Anstatt in Konflikte zu geraten, hilft oft ein spielerischer Zugang. Wie wäre es mit einem Schuh-Wettanziehen oder dem gegenseitigen Anziehen der Schuhe? Vielleicht wollt ihr auch hüpfend das Haus verlassen, auf einem Bein oder mit einem Riesensprung.

Ich weiß, viele denken jetzt: „Puh, da bin ich viel zu müde am Morgen.” Aber sind wir nicht auch zu müde, um zu schimpfen und alles zehnmal zu sagen? Wenn Eltern und Kinder gemeinsam Spaß haben, gehen sie gut gelaunt aus dem Haus, und das gibt eine wunderbare Energie. Ich kann es nur empfehlen.

Von der Großeltern-Generation hören wir oft, dass wir heute alle viel zu viel mit den Kindern reden würden – siehst du das auch so? 

Es kommt darauf an, worüber wir mit unseren Kindern reden. Grundsätzlich finde ich es sehr gut, wenn Eltern versuchen, ihren Kindern die Welt zu erklären. Wenn es jedoch darum geht, Entscheidungen zu treffen, dann sehe ich das ähnlich wie die Großeltern-Generation.

Oft beobachte ich, dass Eltern ihren Kindern eine Entscheidung genau erklären wollen. Reagiert das Kind mit einem „Nein“ oder einem Wutanfall, versuchen sie es immer wieder, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass das Kind doch noch einsichtig wird.

Aber Kinder lassen sich stark von ihren Gefühlen leiten und können in solchen Momenten oft gar nicht verstehen, was die Eltern sagen wollen. Wenn ein Kind wütend ist, ist es unmöglich, mit ihm zu reden. Dann braucht es erst einmal etwas anderes, z. B. Körperkontakt oder Verständnis dafür, dass es wütend ist.  Das bedeutet jedoch nicht, dass das Kind immer bekommt, was es will. Kinder brauchen Regeln und klare Konsequenzen, dann werden sie gar nicht so viel mit den Eltern diskutieren.

Wir wollen unsere Kinder auf Augenhöhe begleiten, überfordern wir die Kinder manchmal damit? 

Ich kann gut nachvollziehen, was viele Eltern bewegt. Oft wollen wir es besser machen als unsere eigenen Eltern, gerade weil wir uns an schwierige Momente aus unserer eigenen Kindheit erinnern. Doch wenn wir versuchen, alles richtig zu machen, geben wir unseren Kindern manchmal zu viel Entscheidungsspielraum, was sie überfordert.

Wir dürfen nicht vergessen: Wir stehen nicht auf derselben „Augenhöhe“ wie unsere Kinder. Während wir auf 20, 30 oder 40 Jahre Lebenserfahrung zurückblicken, sind die unserer Kinder vielleicht gerade einmal 2, 5 oder 8 Jahre alt. Sie können die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen noch gar nicht abschätzen, etwa wenn sie denken, dass Zähneputzen nicht so wichtig ist. Dass schlechte Zahnpflege später zu Schmerzen, kaputten Zähnen oder sogar Krankheiten führen kann, können sie noch nicht nachvollziehen.

Noch eine Stress-Situation ist, wenn Kinder morgens selbst ihre Kleidung aussuchen dürfen und dann aber bei minus 10 Grad im T-Shirt rauswollen. Was kann man da machen?

Zunächst sollten wir uns fragen, ob das Kind überhaupt alt genug ist, um das Problem selbstständig zu lösen. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass das T-Shirt oder die Temperatur in vielen Fällen gar nicht das eigentliche Problem darstellen. Vielmehr geht es um einen typischen Machtkampf zwischen Erwachsenen und Kind, bei dem es in Wahrheit um ganz andere Themen geht. Wahrscheinlich möchte das Kind selbst entscheiden, den Ton angeben und sich als „der Boss“ fühlen. Es möchte, dass umgesetzt wird, was es sagt.

Deshalb ist es wichtig, in einer positiven Stimmung vorab Absprachen mit dem Kind gemeinsam zu treffen. Vielleicht machen sie gemeinsam eine Gradzahl aus, ab wann eine Jacke getragen werden muss und ab wann nicht. Gemeinsam hängen sie ein Thermometer vor der Haustür auf. Wichtig ist, die Konsequenz vorab zu klären, wenn sich das Kind nicht an die Abmachung halten möchte. Wenn diese Dinge besprochen und klar sind, sind Kinder viel eher bereit zu kooperieren. Weil sie das Gefühl bekommen, mitentscheiden zu dürfen.

Bei jüngeren Kindern finde ich es sehr hilfreich, die Kleiderwahl am Vortag zu klären. Ich würde immer eine wärmere und eine luftigere Garnitur mit dem Kind bereitlegen, zwischen denen das Kind am Morgen entscheiden kann. Morgens sind alle müde und unter Zeitdruck – das ist das eigentliche Problem.

Hast du das Gefühl, dass wir Eltern heute manchmal Angst haben, streng zu sein?

Ich habe das Gefühl, dass viele Eltern heute schlecht mit Streit mit ihren Kindern umgehen können. Sie wollen eine gute Beziehung zu ihnen haben, was ich ganz wundervoll finde. Aber Streit gehört nun einmal zum Leben dazu.

Wenn ein Kind zum Beispiel sagt: „Mama/Papa, ich finde dich doof“, dann tut das vielen Eltern weh. Wichtig ist, dass Eltern das nicht persönlich nehmen. Kinder meinen das oft nicht so. Mit ihrem Verhalten wollen sie etwas erreichen, ohne es bewusst zu planen. Wir müssen Kindern zeigen, wie man Streit freundlich und mit Respekt löst.

Was ist für Dich der Unterschied zwischen streng und konsequent?

Für mich bedeutet streng, dass ich laut werde, vielleicht sogar schimpfe oder Verbote erteile. Dabei entziehen wir unseren Kindern gerne ihre Lieblingssachen. Das können Süßigkeiten, das Fernsehen oder besonders geliebte Spielsachen und Kleidung sein. Das Kind versucht sich dann meistens anzupassen, damit das nicht passiert. Es handelt aus Angst. 

Konsequent bedeutet für mich, dass ich dem Kind Wahlmöglichkeiten anbiete. So kann es selbst entscheiden. Entscheidet es sich für die schlechtere Wahl, ist es wichtig, dass wir unsere Ankündigungen konsequent durchziehen. Sonst sind wir nicht glaubwürdig. Wichtig ist, dass wir dabei immer freundlich bleiben und nichts persönlich nehmen.  Das Kind trifft Entscheidungen nicht aus Angst, sondern es akzeptiert die Konsequenzen. Für die Zukunft lernt es, bessere Entscheidungen im Leben zu treffen.

Was brauchen Kinder, um glücklich groß zu werden?

Ich denke, Kinder müssen unbedingt wissen, dass sie geliebt werden – so, wie sie sind, und nicht so, wie wir sie gerne hätten. Das gibt ihnen absolute Sicherheit. Sie brauchen klare Grenzen und Regeln, und wir Eltern sollten gute Vorbilder sein. Es ist wichtig, dass Eltern konsequent sind, um dem Kind Sicherheit zu vermitteln und damit es sich gut in der Gesellschaft zurechtfinden kann.

Wir sollten ihnen ein starkes Selbstvertrauen mitgeben, denn wenn ich mir selbst vertrauen kann, dann kann ich alles schaffen. Ein respektvoller Umgang, die Förderung der Selbstständigkeit und ganz viel Ermutigung stärken unsere Kinder enorm. Und ganz wichtig: Wir sollten nicht alles zu ernst nehmen. Denn Humor, Freude und Spaß sind das, was Kinder lieben.

Und was brauchen Eltern, um darüber nicht im Burn out zu landen? 

Viele Eltern denken, dass sie nur dann glücklich sein können, wenn ihre Kinder es sind. Das ist jedoch ein gefährlicher Gedanke, denn niemand kann rund um die Uhr glücklich sein. Ganz im Gegenteil: Durch Herausforderungen und Misserfolge wachsen wir in unserer Persönlichkeit.

Ich vergleiche das gerne mit einer Szene im Flugzeug. Wenn dort die Sauerstoffmasken herunterfallen, wer soll zuerst versorgt werden? Zuerst sollen wir uns selbst versorgen, damit wir dann für andere da sein können. Ähnlich ist es auch in der Erziehung. Eltern sind nicht nur Eltern, sondern auch noch sie selbst. Nur wer sich gut um sich selbst kümmert, kann sich auch gut um andere kümmern.

Mein liebster Tipp an alle Eltern: Vernetzt euch! In unserer heutigen Zeit sind viele Eltern auf sich allein gestellt, doch das muss nicht so bleiben. Wenn sich Kinder mit anderen Kindern treffen und gemeinsam spielen, profitieren alle davon: Die Kleinen haben Spaß, lernen voneinander und erleben wertvolle soziale Momente. Die Eltern bekommen die Gelegenheit, einmal durchzuatmen und einen kinderfreien Nachmittag zu genießen.

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Kirsten

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