Warum streiten Geschwister so viel und wie können sie zum Team werden?

geschwister als team

Ihr Lieben, wir wissen nicht, wie es bei Euch zu Hause läuft, aber bei uns gibt es enormes Verbesserungspotential in Sachen Geschwisterstreit. Hier fliegen mehr als einmal am Tag die Fetzen.

Darum waren wir so froh, als wir endlich Nicola Schmidts neues Werk "Geschwister als Team – Ideen für eine starke Familie" (Affiliate Link) auf dem Tisch liegen hatten. Wir haben der Autorin, die ihr vielleicht durch ihr artgerecht-Projekt kennt, einmal unsere drängendsten Fragen geschickt, weil wir wirklich mal wissen wollten, was wir als Eltern tun können, damit die Geschwister nicht mehr gegeneinander, sondern als Team zusammenarbeiten.

Liebe Nicola, wir haben jeweils drei Kinder, schon oft haben wir gehört, eine gerade Zahl wäre besser, weil bei Dreien immer Zwei gegen Einen kämpfen. Was würdest Du auf einen solchen Satz antworten?

Ja, das hört man oft, aber nach meinen Recherchen ist die Sache klar: ob gerade oder ungerade – das spielt am Ende kaum eine Rolle. Wir hören von Eltern in jeder Konstellation, dass Geschwister sich verstehen oder streiten. Nach Studienlage ist viel wichtiger, wie wir miteinander umgehen, wie wir kommunizieren. Ob wir dann zwei, drei oder sieben Kinder haben, ist eher nebensächlich. Allerdings steigt natürlich mit jedem Kinder der „Trubelfaktor“, aber auch die Zahl an Spielkameraden.

Manchmal haben wir das Gefühl, dass Geschwisterstreit in unseren Familien das große beherrschende Thema ist. Und manchmal denken wir: Hach, wie schön alles sein könnte, wenn einfach alle miteinander spielen würden statt sich gegenseitig die Butter auf dem Brot nicht zu gönnen…

Oh, wie gut ich das verstehe! Die Statistik zählt unter Geschwistern bis etwa sechs Streitereien pro Stunde – bei uns zu Hause waren es mindestens so viele. Bei uns änderte sich das schlagartig, als ich im Zuge von „Geschwister als Team“ gelernt habe, Streit ganz neu zu sehen. Streit ist nämlich vor allem Verhandlungstraining. Er bereitet uns auf die Konflikte im Leben vor. Wenn ich mit meinen Geschwistern lerne, unterschiedliche Interessen auszugleichen, meinen Standpunkt zu vertreten, Lösungen zu finden, dann kann ich das ein Leben lang.

Meine Kinder sind darin mittlerweile richtig gut und wir haben deutlich weniger Auseinandersetzungen. Ich hingegen bin Einzelkind und musste das erst in Seminaren lernen. Seit ich Streit als Training fürs Leben sehe, hat er einen Platz und einen Sinn. Das ändert aber nichts daran, dass auch meine Kinder manchmal hören: „Hey, ich will einfach nur in Ruhe kochen, hört einfach auf zu streiten!“ – ich glaube, das gehört dazu. 

nicola schmidt

„Der hat aber angefangen“ oder „Das war ich aber nicht“, diese Sätze kennen wir wohl alle. Wie können wir als Eltern gut darauf reagieren? Immerhin können wir nie herausfinden, wer nun zu streiten begonnen hat oder wer die Nutella an die Wand geschmiert hat. Oder ist das am Ende vielleicht auch gar nicht so wichtig?

Genau so ist es. Wenn wir als Eltern anfangen, uns wie Schiedsrichter oder Detektive zu benehmen, haben wir schon verloren. Und mal ehrlich: Haben wir dazu Lust? Und sind wir vor Gericht? Geht es wirklich darum, wer angefangen hat? Eigentlich geht es doch darum zu fragen: Was ist hier los? Woher kommt der Druck? Was brauchen wir, um friedlich zusammen zu leben? 

Ich frage meine Kinder daher schon lange nicht mehr „Wer war das?“ Ich sage grundsätzlich: „Mir ist egal, wer das war, aber ich will nicht, dass das passiert. Wir machen es jetzt gemeinsam weg und überlegen, was hier eigentlich los ist.“ Meine Kinder finden das nicht immer lustig – auch für sie wäre ein Streit darum, wer es war, einfacher und angenehmer. 

Aber oft steckt hinter Streit ja etwas ganz anderes als die blaue Tasse. Besonders bei größeren Kindern. Ein Beispiel aus unserem Alltag: Meine Tochter (6) hatte ihren Bruder (9) tagelang gepiesackt. Natürlich wurde er am Ende aggressiv, aber wer war jetzt schuld? Wer hatte angefangen?

Ich setzte mich mit den beiden hin und versuchte mit ihnen herauszufinden, was wirklich los war. Meine Tochter sagte am Ende des Gespräches unter Tränen ihrem großen Bruder: „Ich würde so gerne mehr mit dir spielen, aber du willst immer nicht! Dann bin ich sauer! Ich fühle mich wie Luft, wenn du nicht mit mir spielst!“ und sie weinte herzzerreißend. Mein Sohn war erst irritiert, aber dann nahm er sie gerührt in den Arm und sagte: "Hey, das wusste ich gar nicht. Okay, ich will zwar nicht immer mit dir spielen, aber wie wäre es jetzt? Zehn Minuten?" Aus zehn Minuten wurden ein ganzer Abend und sie waren beide glücklich.

Und manchmal merke ich, dass es auch unter Erwachsenen gut tut, wenn wir nicht „wer war das?“ fragen, sondern über das reden, worum es wirklich geht…

Warum streiten Geschwister denn überhaupt so viel?

Wir sollten nie vergessen: Geschwister sind Menschen, die unsere Kinder sich nicht ausgesucht haben. Aber sie müssen mit ihnen unser kostbarstes Gut teilen, nämlich die Aufmerksamkeit der Eltern. Stellen wir uns das mal als Erwachsene vor – wir müssen in einer WG mit jemandem leben, den wir total anstrengend finden und dann sagt unser Partner auch noch: „Nun stell dich nicht so an, sie ist doch total nett, natürlich darf sie deinen Laptop ausleihen!“

Es kommt außerdem auch auf das Alter an: Kleine Kinder, besonders Kinder unter drei, streiten um Ressourcen – Eltern und Spielzeug. Das eskaliert schnell, weil sie ihre Bedürfnisse nicht aufschieben können und weil sie sich nur schlecht in jemand anderen hineinversetzen können. Wir haben dann zwei – oder mehr – sehr junge Menschen, die noch nicht die gleiche Sprache sprechen. Deshalb brauchen sie unbedingt unsere Hilfe.

Außerdem ist für kleine Kinder ja alles absolut – wenn die blaue Tasse weg ist, geht die Welt unter. Dass das nicht so ist, müssen Kinder erst lernen. Später geht es dann um Aufmerksamkeit, um Freiräume und um Rollen in der Familie. 

Wie kann aus Geschwistern, die sich dauernd ärgern („Du bist erst auf Seite 11? Ich bin schon auf Seite 16, boah bist du dumm!“) ein Team werden?

Das ist in der Tat knifflig, ich schreibe im Kapitel über Rollen und Talente darüber, was wir tun müssen. Da hilft nach aller Forschung nämlich vor allem Prävention. Kinder spiegeln uns und die Werte, die wir ihnen vorleben.

Fragen wir uns also: Ist es wichtig, dass man schnell liest? Vergleichen wir die Kinder? Loben wir Kinder dafür, dass sie schneller als andere sind? Dann müssen wir uns nicht wundern. Wenn wir aber vorleben, dass es nicht um Leistung geht, sondern dass hier jeder liebenswert ist, egal was er leistet, ist der wichtigste Schritt schon getan.

Konkret heißt das: Wir sollten nicht sagen „Dein Bruder hat schon seine Schuhe an, warum kannst du das nicht?“ „Schau mal, wie schön eine Schwester aufgeräumt hat!“ „Lisa ist schon fertig, warum bist du nur so langsam?“ Auch Spiele wie „Wer zuerst am Auto ist“ sind witzig, solange wir ein Kind haben – ab zwei Kindern fördern solche Spiele eher die Konkurrenz.

Was können wir sonst sagen? Wir können wertschätzen was ist, ohne Bewertung: „Hey, du bist schon auf Seite elf, und du auf Seite 16, wie schön, dass meine Kinder so gerne lesen!“ oder „Jeder hier hat seine Qualitäten, einer macht alles schnell, einer lieber ruhiger und beides brauchen wir in der Familie – ich bin froh, dass ich so wundervolle, unterschiedliche Kinder habe!“

Sobald wir vorleben Leistung nicht das wichtigste Kriterium ist – dann übernehmen die Kinder das. Natürlich sehen sie in der Schule und an anderen Orten das Leistungsprinzip, dann sage ich größeren Kindern auch schonmal, dass hier bei uns „zu Hause“ das nicht gilt und jeder seinen Platz hat. Wenn ich die Kinder motivieren will, dann tue ich das niemals mit Vergleichen, sondern immer mit konkretem Lob: „Wow, du hast echt lange geübt, jetzt kannst du das Klavierstück, spiel es nochmal!"

In manchen Familien verstehen sich die Geschwister wunderbar, in anderen gar nicht. Da wird gehauen, gekratzt, geboxt – und das täglich. Ist das alles Erziehungssache oder gibt es auch einfach streitlustigere Kinder?

Ja, es gibt Konstellationen, in denen Kinder sich deutlich mehr streiten. Das hängt von vielen Faktoren ab: Vom Geschlecht, vom Alter, vom Abstand und vom Temperament. Aber was daraus wird, hängt am Ende immer an uns Eltern – so unangenehm diese Erkenntnis ist. Ich würde daher eher sagen: Manche Geschwister muss man mehr begleiten, andere weniger. Von alleine läuft es nur ganz ganz selten.

Und wir sollten froh sein, wenn unsere Kinder streiten – denn nur wenn Kinder nicht sicher sind, dann stehen sie einander kompromisslos bei. Wenn meine zwei aufeinander los gehen, genehmige ich mir daher manchmal einen Moment von: „Wie schön, dass ihr euch so sicher fühlt, dass ihr eure Konflikte austragen könnt!“ – und dann erkläre ich, dass ich jetzt aber bitte in Ruhe kochen will.

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Du gibst drei Tipps in Deinem Buch: Vergleichen Sie Ihre Kinder nicht, ergreifen Sie niemals Partei, rasten Sie nie aus. Ich möchte mich in dieser Causa schuldig bekennen. Ich glaube, ich müsste ein Übermensch sein, um das nie zu tun.

Weißt du was – es geht mir genauso! Daher gilt für mich der Slogan aus meinem Buch "Slow Family" (mit Julia Dibbern): Jeden Tag ein bisschen. 

Und wirklich, das reicht. Wenn wir einmal nicht vergleichen, einmal nicht ausrasten, sondern ruhig bleiben, einmal nicht Partei ergreifen, sondern in Ruhe beide Seiten anhören, dann ist viel gewonnen. Wir lernen alle noch! Und Kinder sind unglaublich nachsichtig mit uns Erwachsenen, wie es Antoine de St. Exupéry in „Der kleine Prinz“ formuliert.

Nun gibt es bei uns noch die Konstellation der eineiigen Zwillinge, die sehr ähnlich aussehen, sehr ähnlich stark sind und die im Grunde jeden Tag aufs Neue schauen wollen, wer nun heute am stärksten ist – und die sich auch untereinander vergleichen…

Ja, Zwillinge sind eine sehr schwierige Konstellation, dazu gibt es im Buch ein extra Kapitel. Wir müssen bei Zwillingen als Eltern ganz besonders darauf achten, dass wir deutlich machen: Jeder hat seinen Platz. Ihr müsst nicht gleich sein. Ihr müsst euch nicht messen – es sei denn, ihr habt beide Spaß daran. Jeder Mensch ist mal stark, mal schwach, mal schnell, mal langsam, mal ordentlich, mal unordentlich. Ich finde es wichtig, dass wir immer wieder vorleben, dass das sein darf.

Erst dann kann jeder sein volles Potenzial entfalten. Wenn die Kinder hingegen beide Spaß am Wettbewerb haben, dann sollten wir sie nicht aufhalten. Die Frage muss ja immer lauten: „Wer braucht gerade was? Und wie können wir das hinkriegen?“

Du sprichst in Deinem Buch auch von der einen Sache, die alle Eltern tun sollten. Welche ist das?  

„Bleiben Sie in Kontakt. Sagen Sie ihrem Kind mit allen, was Sie tun, aus ganzem Herzen: „Ich bin für dich da“. Das ist schon alles. Manchmal macht man innerlich die Tür zu. Man kann es nicht mehr hören, es ist alles zu viel. Aber wir dürfen unser Herz nicht verschließen, es sind Kinder, sie brauchen uns. Wir müssen da bleiben – anwesend sein, zuhören, wirklich verstehen wollen.

Wir sollten sehen, wie zerbrechlich diese kleinen Seelen sind und wie sehr sie uns brauchen. Auch und gerade wenn sie uns fürchterlich auf die Nerven gehen. Dann brauchen sie uns nämlich ganz besonders. Kinder wollen Teil einer glücklichen Familie sein. Dazu gehört auch, dass sie lernen dürfen, wie man Konflikte austrägt, wie man gemeinsam Veränderungen meistert und wie man immer wieder zusammenfindet und sich sagt: Hey, ich hab dich von Herzen lieb.

 

Fotos: Pixabay, David Carlson, Kösel

 

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