Hoden-Tumor: An meinem 40. Geburtstag bekam mein Sohn die Krebs-Diagnose

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Liebe Nora, Euer Jahr 2019 begann am 1. Januar abends in der Notaufnahme. Warum bist Du dort hingefahren?

Ich hatte am Vormittag bei meinem gerade 1jährigen Sohn eine Verdickung im Hoden entdeckt. Er hatte keine Schmerzen, zahnte ein wenig, aber war ansonsten eigentlich fit. Dennoch hatte ich ein ungutes Gefühl. Mein Mann meinte, wir könnten das einfach im Blick halten – er ist selbst Mediziner – aber ganz sicher war er nicht, das merkte ich. Ich sprach dann abends noch mit einer anderen Ärztin aus unserer Bekanntschaft und fuhr mit dem Kleinen sogar noch zu ihr. Sie war ebenso verwirrt, telefonierte wiederum mit einem ihr bekannten Urologen und alle zusammen entschieden wir, obwohl es dem Kind gut ging, zur Sicherheit in die Klinik zu fahren.

Dort wurden wir sofort in einen Behandlungsraum gebracht und eine sehr nette junge Ärztin kam. Sie wiederum war auch irritiert, denn eine typische Entzündung oder gar Hodenverdrehung passte so überhaupt nicht zum Gesamtbild. Der Oberarzt wurde dazu gerufen und entließ uns für den Abend schließlich mit einem Antibiotikum für den wahrscheinlichsten Fall einer Entzündung und bestellte uns für den nächsten Morgen in seine Sprechstunde. Er wollte noch einen weiteren erfahrenen Kollegen drauf schauen lassen.

Welche weiteren Untersuchungen wurden dann gemacht?

Die nächsten Tage wurde der kleine Mann auf eine Hodenentzündung behandelt und er wurde auch operiert, um einen unentdeckten Leistenbruch auszuschließen. Dabei wurde auch der Hoden bzw die Verdickung punktiert. Uns gegenüber wurde diese gesamte Zeit von einer vermuteten Entzündung gesprochen, die ja auch um ein vielfaches wahrscheinlicher war, als die letztendliche Diagnose eine Tumors.

Die Ärzte der Klinik waren aber auch so ehrlich zu sagen, dass es im schlimmsten Fall sein könne, dass eine OP mit der Entfernung des Hodens nötig sein könnte.

Die Diagnose lautete Tumor – wann stellte sich das heraus?

Die Punktion war am 3.1., am 15. sollten die Ergebnisse im besten Fall da sein. Letztendlich dauerte es aber ein paar Tage länger, bis der Anruf kam, dass wir zur Besprechung der Befunde vorbei kommen könnten. Es war der Tag meines 40. Geburtstages. 
Ich hatte die ganze Zeit ein ungutes Gefühl. Trotz guter Betreuung durch die Ärzte, merkte ich bei den Untersuchungen ja auch, dass diese auch unsicher waren, weil sich die Verdickung durch das Antibiotikum nicht veränderte.

Kannst Du Dich an Deine Gefühle erinnern, als die Diagnose kam?

Ich weiß nur noch, dass wir im Behandlungsraum saßen und der Chefarzt selbst zur Besprechung kam. Das hätte ich schon als Vorzeichen werten können, aber ich wollte einfach nicht glauben, dass unser Sohn richtig krank sein könnte. 

Aber als der Chefarzt dann das Gespräch ohne große Umschweife mit dem Satz: „Es ist ein Keimzelltumor, der da im Hoden ihres Kindes wächst!“ begann, habe ich nur noch gedacht: „Scheiße, unser Sohn hat Krebs!“ Der Rest des Gesprächs ist nicht mehr bei mir angekommen. Ich hab nur noch unseren Sohn gedrückt und ich hatte Angst. Angst vor der Ungewissheit, was da nun auf uns zukommen wird. Mein Mann hat zum Glück gleich auf „professionell“ umgeschaltet und einen Großteil der wichtigen Informationen für uns aus diesem Gespräch mitgenommen.

Ich war erst später auf dem Krankenhausflur wieder in der Lage zu denken und habe in unserer Kinderarztpraxis um einen zeitnahen Gesprächstermin gebeten. Die Damen am Empfang haben nach meiner Schilderung gleich am selben Nachmittag noch einen Termin für uns eingerichtet und wir konnten noch einmal in Ruhe mit unserer Kinderärztin über die Befunde sprechen. Das war sehr wichtig für mich, denn in dieses Gespräch bin ich dann ja bereits mit dem Wissen, dass da ein Tumor in unserem Kind ist, reingegangen und konnte ganz anders mit ihr reden, als kurz zuvor mit den Klinikärzten.

Abends rief die Kinderärztin sogar noch einmal an. Sie hatte sich über diese seltene Form des Keimzelltumors noch einmal näher informiert und wollte mir den Tag ein bisschen retten, indem sie zu berichten wusste, dass über 99% der kleinen Jungen mit diesem Tumor nach der Entfernung und Therapie ein gesundes Leben führen.

Wie ging es dann weiter? 

Bereits am nächsten Morgen hatten wir einen Termin in der Kinderonkologie der Uniklinik. Diesen Termin hatten die Ärzte der anderen Klinik für uns ausgemacht, um ein möglichst schnelles weiteres Vorgehen zu sichern. Er wurde ausgiebig untersucht, Blutwerte wurden bestimmt, ein ausgiebiger Ultraschall wurde gemacht und ein Röntgenbild vom Oberkörper. Die vorläufigen Ergebnisse bekamen wir noch am selben Tag und der Onkologe war danach bereits schon recht zuversichtlich.

Es gab keinerlei weitere Auffälligkeiten. Ein MRT musste ein paar Tage später dennoch folgen, weil dieses das diagnostische Instrument ist, auf das alle behandelnden Ärzte jederzeit zurückgreifen können. Dennoch sagte der Onkologe bereits am Tag des Ultraschalls, er würde dem Kollegen sehr vertrauen. Wenn dieser nichts gesehen hätte, wäre da mit ziemlicher Sicherheit auch nichts weiteres, da bei so kleinen Kinder mit einem Ultraschall noch das gesamte Kind durchschaut werden könne. Und so war es zum Glück auch. 

Das MRT musste unter Narkose stattfinden. Aber wir hatten glücklicherweise einen Termin zur Mittagschlafzeit, so dass ein medikamentös unterstützter und überwachter Mittagschlaf reichte und keine Vollnarkose nötig war.

Am 31.1. wurde er dann wieder operiert. Diesmal wurde der Hoden entfernt. Zum Glück konnte der Tumor aber durch den Leistenkanal entnommen werden, so dass unser kleiner Schatz äußerlich erst einmal keine großen Narben hat. Dadurch, dass alle Befunde bis zur zweiten OP unauffällig waren, durften wir ihn auch wieder in unserer Klinik operieren lassen. Vom ersten Aufenthalt kannten wir die Station und ich brauchte ein paar vertraute Menschen um mich herum. In diesem Fall die Schwestern, die uns Anfang Januar so freundlich und liebevoll behandelt hatten, trotz allem Stress auf der Station.

Nach 6 Tagen konnten wir nach Hause. Das Chinesische Neujahrsfest war für uns noch einmal ein Neustart in das Jahr 2019 – ohne Tumor! 

Wie geht es deinem Sohn heute? 

Anfang März war die erste Kontrolle in der Uniklinik. Alle Blutwerte hatten sich normalisiert. Das war das Beste, was uns in dieser Situation passieren konnte, denn das bedeutete, dass der Tumor tatsächlich noch so isoliert war, dass keine weitere Therapie außer einer engmaschigen Kontrolle der Blutwerte nötig sei.  Auch die umliegenden Blutbahnen und der nächstgelegene Lymphknoten waren ohne Tumorzellen. 

Jeden Monat fahren wir nun zur Kontrolle der Blutwerte zur Kinderärztin und alle 3 Monate gibt es weitere Untersuchungen inkl Ultraschall in der Uniklinik. Im Frühjahr werden diese Untersuchungen auf 2Monate/4Monate ausgeweitet, im 3.-5. Jahr dann 3 Monate/6Monate. Nach 5 Jahren gibt es dann eine letzte große Abschlussuntersuchung, bevor unser Sonnenschein dann als komplett geheilt gilt.

Wer hat Dir in dieser Zeit Kraft gegeben?

Es waren viele kleine Momente, die mir rückblickend noch in tiefer Erinnerung sind. Ich habe in meiner Verzweiflung zum Beispiel noch einmal Kontakt zu meiner Hebamme gesucht. Sie konnte mich während der Schwangerschaften schon immer gut beruhigen und ich brauchte ihre Meinung. Immer mal wieder kamen dann Nachrichten oder Anrufe von ihr und einmal traf ich sie auf der Straße und wir haben ganz spontan Tee zusammen getrunken.

Meine Mutter hat nach der Diagnose spontan angeboten, dass sie im Fall der Fälle einfach früher in Rente gehen würde, um während längerer Krankenhausaufenthalte für unsere anderen Kinder da sein zu können, ohne dass mein Mann für uns finanzielle Einbußen hinnehmen müsste. Zum Glück war das nicht nötig, aber es tat gut, das zu wissen.

Meine eigene Ärztin rief mich an, nachdem ich kurz nach der Diagnose einen Vorsorgetermin von mir abgesagt habe. Sie hatte von ihrer Mitarbeiterin gehört, dass ich morgens in einer sehr merkwürdigen Verfassung den Termin abgesagt hätte und wollte wissen, ob sie in irgendeiner Form helfen könne. Wir hatten immer wieder Kontakt in dieser Zeit.

Eine Freundin, mit der ich in unserer parallel verlaufenen Schwangerschaft und Babyzeit schon viel Kontakt hatte, steckte ebenfalls in einer schweren Phase, aber wir haben in dieser Zeit (nachts) viel geschrieben, gesprochen und geweint. Sie war auch belastet, aber wir beide hatten den Eindruck, dass wir uns gegenseitig vielleicht besser stützen können, als die, die im normalen Alltag stecken.

Insgesamt haben aber viele Freunde mit uns gelitten und gehofft und sich mit uns gefreut, über jeden positiven Schritt. Und manchmal war es nur eine stumme Umarmung oder eine Tasse Kaffee mit gemeinsamem Schweigen, die mir die Tage gerettet haben.

Wie hast Du Dich im letzten Jahr verändert? Und wie Ihr Euch als Paar/Familie?

So komisch es vielleicht klingt, 2019 hat mir noch einmal sehr geerdet. Nicht, dass ich sonderlich abgehoben war. Aber ich habe sehr stark gemerkt, was im Leben wirklich wichtig ist und dass es sich manchmal einfach nicht lohnt, über belanglose Dinge Kraft zu verschwenden.

Mein Mann und ich hatten sehr unterschiedliche Verabeitungsweisen. Aber durch seinen Beruf hatte er die Chance viele Dinge vielleicht auch mit Kollegen bzw befreundeten Ärzten zu besprechen. Mir gegenüber war er der ruhende Pol, der aber auch mehr als einmal nötig war und wofür ich ihm sehr dankbar bin. Hätte ich ihm seine Angst deutlich angemerkt, wäre meine Angst ins Unermessliche gestiegen.  

Was wünscht Du dir für 2020?

Im Augenblick müssen wir noch monatlich zu Kontrolluntersuchungen. Ich wünsche mir sehr, dass diese Untersuchungen alle gut bleiben. Und dann wünsche ich mir, dass uns 2020 weiter zur Ruhe kommen lässt und dass wir ein ganz normales, gutes Jahr erleben dürfen, in dem freudige Nachrichten überwiegen und alle meine Lieben und ich selbst gesund bleiben.

 

Foto: Pixabay

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6 comments

  1. Hallo,
    ich freue mich für euch, dass zum jetztigen Zeitpunkt alles gut ausgegangen ist und drücke die Daumen, dass es so bleibt. Ich weiß, euer Junge ist noch klein und die Gedanken an mögliche Enkelchen noch weit entfernt. Da ich aber weiss, wie sehr das Gedankenkarussel manchmal kreist: Meinem (jeztigen) Mann wurde als jungen Erwachsenen auch wegen einer Krebsdiagnose ein Hoden entfernt- wir haben es trotzdem zu drei Kindern geschafft…Alles Gute für euch!

  2. Vielen Dank für Deinen
    Vielen Dank für Deinen Bericht. Für mich ist es immer wieder besonders interessant, von Müttern zu lesen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich. Mein Sohn hat mit 4 Monaten einen Nietentumor diagnostiziert bekommen und wir hatten eine zum Glück kurze, aber sehr belastende Zeit, bis alle OPs und Chemotherapien überstanden waren. Jetzt wird er bald 2 Jahre alt, strotzt vor Lebensfreude und Gesundheit und kommt mir einmal mehr wie ein Wunder vor..

  3. Ein sehr berührender Bericht.
    Ein sehr berührender Bericht. Vielen Dank für deine Offenheit! Ich wünsche euch alles erdenklich Gute für die folgenden Kontrolluntersuchungen und ganz viel Kraft. Ich bin überzeugt davon, dass das Glück auf eurer Seite sein wird.

  4. Der Sohn…
    …von guten Freuden von uns hatte mit einem halben Jahr auch einen Keimzelltumor, allerdings in der Niere. Diese wurde komplett entfernt und nach vielen Nachuntersuchungen (die alle ohne Befund blieben), ist der kleine Mann heute stattliche 5 Jahre alt und immer noch gesund. Ich wünsche Euch von ganzem Herzen, dass eurem kleinen Sohn dasselbe beschieden sein möge..
    Alles Gute weiterhin für euch und eure Familie!
    Barbara (selbst Mama von zwei kleinen Söhnen)

  5. Ich drücke euch die Daumen
    Das ist ein sehr bewegender Bericht, vielen Dank für die Offenheit.
    Ich drücke euch die Daumen, dass euer kleiner Mann weiterhin unauffällige Bluttests hat!

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