Nach vier Jahren in einer Pflegefamilie leben meine Kinder nun wieder bei mir

Pflegefamilie

Ihr Lieben, vor über zwei Jahren haben wir hier die Geschichte von Viktoria erzählt, deren Kinder in einer Pflegefamilie lebten. Sie und ihre Kinder haben durch ihren Ex-Mann schwere häusliche Gewalt erfahren. Viktoria hat es lange nicht geschafft, sich von ihrem Mann zu trennen – erst als Mutter und Kinder ins Krankenhaus mussten, schaltete sich die Polizei und das Jugendamt ein.

Viktorias Mann bekam eine mehrjährige Haftstrafe, die Mädchen kamen zu einer Pflegefamilie. „Ich habe alles verloren. Für alle war ich die Mutter, die es nicht geschafft hatte, ihre Kinder von einem gewalttätigen Mann zu schützen. Es war, als würden alle mit dem Finger auf mich zeigen“, sagte Viktoria damals. Seit ein paar Monaten leben die Kinder wieder bei Viktoria, bis dahin war es ein langer Weg. Davon erzählt sie uns heute und wir wünschen ihr und den Kindern alles Gute.

Leider ist häusliche Gewalt in allen Gesellschaftsschichten ein großes Thema. Wenn ihr selbst welche erlebt oder bei anderen davon mitbekommt: Die Nummer des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ ist kostenlos – und 365 Tage im Jahr rund um die Uhr erreichbar: 08000 116 016. Ihr könnt euch aber auch an die Opferhilfe-Organisation Weißer Ring wenden, auch sie haben ein „Opfer-Telefon“ eingerichtet, anonym und kostenfrei, besetzt täglich von 7 bis 22 Uhr, die Nummer: 116 006. 

Liebe Viktoria, wie lange waren die Kinder insgesamt in der Pflegefamilie? Und wie war der Kontakt in dieser Zeit?

Meine Kinder waren über vier Jahre in der Pflegefamilie. Alle zwei Wochen konnten wir uns zwischen drei und sechs Stunden sehen. Der Umgang wurde immer mehr ausgeweitet, auch um die Kinder wieder daran zu gewöhnen, wieder nach Hause zu gehen.

Dein Ex-Mann musste ins Gefängnis. Hast du jeden Kontakt abgebrochen?

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Foto: pixabay

Ich hätte gerne jeden Kontakt abgebrochen, ich will keinen Kontakt und denke auch, dass er nach wie vor gefährlich für mich und die Kinder ist. Leider hat er den Umgang eingeklagt und ein Gericht hat tatsächlich entschieden, dass er zweimal im Monat mit den Kindern für 10 bis 15 Minuten telefonieren darf. Am Anfang haben die Pflegeeltern die Telefonate mit den Kindern begleitet, mittlerweile mache ich das.

Du hast nach unserem ersten Artikel viel Kritik einstecken müssen, weil du deinen gewalttätigen Mann nicht sofort verlassen hast. Kannst du nochmal beschreiben, warum du lange gezögert hast?

Darauf kann ich keine einfache Antwort geben. Ich war damals einfach wahnsinnig eingeschüchtert, er hat mir ja auch oft mit dem Jugendamt gedroht, wenn ich ihn verlasse. Ich hab als Kind schweren körperlichen und seelischen Missbrauch erfahren und deshalb einige Probleme. Ich dachte, wenn er zum Jugendamt geht und die erfahren, was ich durchgemacht habe, dann habe ich keine Chance und er bekommt die Kinder.

Lange war er ja nur mir gegenüber gewalttätig und ich habe mir eingeredet, dass er die Kinder nicht anfassen wird. Zudem habe ich mir ja immer die Schuld für seine Ausraster gegeben. Ich war der festen Überzeugung, alles falsch zu machen. Ich bin ziemlich übergewichtig und er und seine Mutter haben mich deshalb immer fertig gemacht. Ich solle froh sein, dass ich überhaupt einen Mann abbekommen hätte. Denn niemand könne verstehen, wie man mich lieben könne. Seelische und körperliche Gewalt war eine lange Zeit für mich fast „normal“.

Dass die Kinder einige Zeit nicht bei dir leben durften, war ein riesiger Schock für dich. Doch du hast auch gewusst, dass du einiges in deinem Leben regeln musst. Wie und was hast du dich seitdem verändert? 

Zum einen habe ich eine Therapie gemacht, in der ich sehr, sehr viel begriffen habe, gelernt habe. Zum anderen habe ich einige neue Freunde gefunden, die mich nicht nur niedergemacht haben, sondern zu mir gehalten haben. Das hat mein Selbstwertgefühl sehr gestärkt.

Ich habe mich zudem wirklich stark mit all dem, was passiert ist, auseinandergesetzt. Alleine schon dadurch, dass ich bei Gericht immer alles bis ins kleinste Detail erzählen und so nochmal durchleben musste. Viele haben mit dem Finger auf mich gezeigt, haben mich Mittäterin genannt, das hat mir sehr weh getan, hat mich aber auch gezwungen, mich mit meiner Schuld auseinander zu setzen.

Ich hatte aber auch einen sehr guten Richter, der mir klar gemacht hat, dass ich nicht die Hauptschuld trage. Dass ich einen Teil beigetragen habe, aber dass mein Ex zugeschlagen hat. Die Verurteilung von ihm und die Gewissheit, dass ich erstmal Ruhe vor ihm habe, hat mir auch viel Kraft gegeben.

Wie war in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt?

Ehrlich gesagt war die anfangs echt schlecht. Gespräche sind regelmäßig eskaliert und auch mit den Pflegeeltern war es nicht einfach. Irgendwann wusste ich aber, dass es so nicht weiter gehen kann. Ich habe einen langen Brief ans Jugendamt geschrieben, dann gab es auch einen Wechsel der Sachbearbeiterin und plötzlich hat sich die Situation sehr entspannt.

Wie kam es dann zu der Rückführung der Kinder?

Nachdem die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt immer besser wurde und auch der Umgang gut verlief, wurde natürlich auch meine Wohnung inspiziert. Da sagte die Sachbearbeiterin eines Tages: „Das sieht doch alles ganz gut aus, was halten sie von einem Termin in 3 Monaten?“

Ich sagte: „Klar, in 3 Monaten können wir uns wieder treffen.“ Da meinte sie: „Nein, wir fangen jetzt mit der Rückführung an, in drei Monaten ziehen ihre Kinder wieder bei ihnen ein, sorgen sie dafür das, dass das. Kinderzimmer vorbereitet ist“. Ich war so sprachlos, ich weiß nicht mehr, was ich darauf sagte. Als die Frau weg war, habe ich nur noch geweint.

Wie war es dann, als die Kinder wirklich wieder bei dir waren?

Das Gefühl, dass meine Kinder nach Hause kommen war echt überwältigend – und ich muss auch kurz überfordernd sagen. Es gab ja Zeiten, an denen es unklar war, ob wir je wieder zusammenleben dürfen. Es hat auch sicher einen Monat gedauert, bis es sich wirklich wieder real und normal angefühlt hat, dass die Kinder bei mir sind. Ich wurde bis kurz vor Weihnachten auch noch sehr eng von einer Familienhilfe begleitet und stehe weiterhin im Kontakt mit dem Jugendamt.

Gab oder gibt es eine Entfremdung zwischen den Kindern und dir?

Bei jedem Umgang hatte ich Angst, dass die Kinder sich entfremdet haben. Vor allem bei der Kleinen, die ja praktisch bei den Pflegeeltern groß geworden ist. Glücklicherweise finde ich nicht, dass wir uns fremd geworden sind.

Aber natürlich haben die Pflegeeltern viele Dinge anders gemacht als ich sie mache. Die Kinder sind zum Beispiel katholisch bei ihnen erzogen worden, ich habe mich schon als Teenie bewusst gegen diese Religion entschieden und lehne sie ab. Dass meine Tochter jetzt gerne in den Religionsunterricht geht und an Gott glaubt, ist nicht so einfach für mich.

Manchmal tut es auch weh, wenn die Kinder sagen: „Die Tanja hat das aber so und so gemacht.“ oder „Der Bernd hat aber gesagt…“ Aber diese Vergangenheit gehört eben zu meinen Kindern dazu und ich kann es nur akzeptieren und meine Kinder so annehmen wie sie jetzt sind.

Wie geht es den Kindern aktuell, erinnern sie sich an die Gewalt?

Den Kindern geht es gut und sie haben sich gut bei mir eingelebt. Die Große geht gerne in die Schule, die Kleine gewöhne ich gerade in eine neue Kita ein.

Meine große Tochter erinnert sich noch genau an das, was passiert ist und spricht auch oft darüber. Sie hat ihren Vater auch mal am Telefon gefragt, warum, er uns geschlagen hat. Die Kleine erinnert sich nicht daran und telefoniert gerne mit ihrem Vater. Aber sie hat natürlich mitbekommen, dass ihr Vater uns Gewalt angetan hat und da hat sie mal gesagt: „Wenn du uns nochmal weh tust, male ich nie wieder ein Bild für dich.“

Was wünschst du dir für die nächsten Monate?

Dass wir endlich eine neue Wohnung finden, denn noch leben wir in der „Tatwohnung“, was für mich sehr schwer ist. Ich will mit einer neuen Wohnung weiter zur Ruhe kommen, den Alltag noch stabiler werden lassen, damit wir weiter zusammenwachsen können. Finanziell habe ich dolle zu kämpfen, da wäre etwas Entspannung auch schön. Irgendwie wird es schon werden alles….

Was kannst du Frauen in ähnlichen Situationen raten?

Wartet nicht so lange, wie ich es getan habe. Vertrau dich Freunden oder Verwandten an. Und geh zur Polizei und zum Jugendamt – dort können sie dir wirklich helfen.

Höre auf deine Freunde, wenn jemand sagt: „Ich habe kein gutes Gefühl mit diesem Mann.“ Ein Blick von außen kann sehr guttun.

Denk nicht, du musst alleine aus der Situation rauskommen. Alleine ist alles schwerer. Hol dir Hilfe!

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3 comments

  1. Alles Gute für Viktoria! Ich wünsche ihr, dass sie ihr Selbstbewusstsein findet und nicht wieder so eine Beziehung eingeht. Sie ist Vorbild für ihre Töchter und sollte ganz klar vermitteln, daß diese Misshandlung in der Beziehung nie normal oder richtig ist.

    1. Hut ab! Ich hoffe, Mutter und Kinder konnten sich in den vier Jahren sehen und ich hoffe auch für die Pflegeeltern, dass sie Kontakt halten können und dürfen.

  2. Danke für den ehrlichen Bericht. Es klingt, als habe die Mutter der beiden Kinder wirklich viel innere Arbeit geleistet und sich frei gekämpft. Ich wünsche ihr alles erdenklich Gute auf dem weiteren Weg mit den Kindern. Es klingt, als sei sie eine gute Mama, die ihre Kinder liebt.

    Ich hätte sehr gerne gewusst, ob die Kinder noch Kontakt zu ihren Pflegeeltern halten können -immerhin waren diese vier Jahre lang zentrale Bezugspersonen. Es muss sehr schwer auch für die Pflegeeltern sein, so einen Abschied zu verkraften.

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