Häusliche Gewalt: Vielen Frauen fällt es schwer, sich Hilfe zu holen!

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Ihr Lieben, vor ein paar Tagen brachten wir hier den Gastbeitrag von Viktoria, der zu vielen Leser-Reaktionen führte. Viktoria ist an Depressionen erkrankt, hat durch ihren Ex-Mann Gewalt erfahren, ihre Kinder leben nun in einer Pflegefamilie.

In etlichen Kommentaren wurde Unverständnis darüber geäußert, dass Viktoria nicht nach dem ersten Vorfall Hilfe geholt hat, sondern die Gewalt des Partners ertragen hat. Daraufhin haben wir ein Interview mit der Opferschutzorganisation "Weisser Ring" geführt und erfahren: Häusliche Gewalt ist immer noch ein Tabu-Thema und vielen Frauen fällt es schwer, sich Hilfe zu holen. Wir bedanken uns bei Rhena Hieke-Rössler vom "Weissen Ring" für dieses Interview!

Frau Hieke-Rössler, warum ist Häusliche Gewalt immer noch ein solches Tabu-Thema?

Häusliche Gewalt kommt in allen Altersklassen und Bevölkerungsschichten vor, egal ob an sozialen Brennpunkten oder in Akademikerfamilien. Trotzdem gilt das Sprechen darüber als Tabu. Niemand gibt gern zu, dass die heile Welt der Familie gar nicht so heil ist, wie sie nach außen hin oft scheint. Laut BKA wurden allein im Jahr 2017 113.965 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Dabei liegt die Dunkelziffer noch deutlich höher.

Worunter haben betroffene Frauen zu leiden?

Häusliche Gewalt hat viele Formen: Psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt. Das Besondere an häuslicher Gewalt ist das andauernde Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Täter und Opfer. Und das Heimtückische dieser Gewalt: Sie findet hinter verschlossenen Türen statt und ist für andere meist unsichtbar.

Durch Manipulation, Wutausbrüche und Demütigungen setzen Täterinnen und Täter ihre Partner unter Druck, erniedrigen und isolieren das Opfer nach und nach von seinen sozialen Kontakten während sie gleichzeitig nicht erlauben, dass das Opfer sich aus der Beziehung befreit. 

Opfer häuslicher Gewalt leiden oft jahrelang unter dem Verhalten der gewalttätigen Partner: Selbstaufgabe, Scham, Angst, Leere, Verdrängung von Problemen, ein mangelndes Selbstwertgefühl können Folgen sein.

Vielen Opfern fällt es schwer, sich jemandem anzuvertrauen – zu groß ist die Scham. Dabei brauchen sie dringend ein Ohr, das zuhört, und eine Hand, die sie aus der Not führt. Hier setzt die Hilfe des WEISSEN RINGS an.

Warum fällt es betroffenen Frauen schwer, über Gewalt in der Partnerschaft bzw. in der Ehe zu reden und sich Hilfe zu holen?

Viele Frauen fühlen sich zum Teil mitschuldig und diese angebliche Mitschuld überlagert ihr Handeln. Außerdem wird häusliche Gewalt in der Gesellschaft als Privatangelegenheit betrachtet und deshalb fällt es vielen Betroffenen schwer, sich bei diesem schambesetzten Thema professionelle Hilfe zu holen.

Dazu kommen „Liebesbekundungen“ der gewalttätigen Partner, die den Frauen Hoffnung geben: Es wird alles wieder gut, das war alles nicht so gemeint. Täter setzen diese „Entschuldigungen“ gezielt ein, um die Partnerin an sich zu binden. Die emotionale und finanzielle Abhängigkeit sorgt zusätzlich dafür, dass Frauen in den meisten Fällen zu gewalttätigen Partnern zurückkehren.

Gibt es Schätzungen, wie viele Kinder von Gewalt betroffen sind?

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik für das Jahr 2018 wurden 3.487 Fälle von Misshandlung von Kindern registriert. Bei Misshandlung von Kindern waren 44,7 % der Tatverdächtigen weiblich (2018). In diesem Deliktsbereich ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, weil viele Fälle gar nicht erst bekannt werden. Vertiefende Infos hier.

Warum sind oftmals Kinder die Leidtragenden in gewaltbereiten Familien?

Grundsätzlich richtet sich häusliche Gewalt gegen den Partner, nicht immer automatisch auch gegen die Kinder. Natürlich bekommen Kinder diese Gewalt trotzdem mit, und das hinterlässt auch bei den Jüngsten Spuren.

Wenn Erwachsene Kinder misshandeln, stehen oftmals Hilflosigkeit und Überforderung dahinter: Stress und Konflikte, Armut und das Fehlen von Korrektiven, eigene Gewalterfahrungen als Kind oder Verharmlosung von körperlicher Züchtigung.

Kindesmisshandlung findet leider in allen gesellschaftlichen Schichten und zum ganz überwiegenden Teil im familiären Kontext statt. Schläge, Ablehnung, psychischer Druck, Vernachlässigung – darunter leiden betroffene Kinder und Jugendliche auch noch viele Jahre später massiv. 

Wie soll man sich verhalten, wenn man vermutet, dass in einer befreundeten Familie/Nachbarsfamilie häusliche Gewalt auftritt?

Hier ist Fingerspitzengefühl gefordert: Man kann z.B. die betroffene Frau in einer abgeschirmten Atmosphäre vorsichtig ansprechen und ihr Hilfe anbieten, sich gemeinsam an den WEISSEN RING oder an eine andere Hilfseinrichtung zu wenden. Ein offenes Ohr und eine Schulter, an die man sich anlehnen kann, sind besser als die direkte Konfrontation.

Opferhelfer hören zu, beraten und suchen mit Ihnen zusammen Auswege.

Wie kann der WEISSE RING betroffenen Frauen und deren Kindern helfen? Kann man sich auch anonym an die Opferschutzorganisation wenden?

Sich professionelle Hilfe beim WEISSEN RING zu holen, ist für Betroffene ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Opferhelferinnen und Opferhelfer  des WEISSEN RINGS versuchen als Lotsen betroffene Frauen an die Hand zu nehmen und ihnen mögliche Wege aufzuzeigen, ins Leben zurückzufinden: Sie hören zu, beraten und suchen mit ihnen zusammen Auswege.

Es gibt das Opfer-Telefon unter der Telefonnummer 116 006 oder die Onlineberatung der Opferschutzorganisation. Betroffene können sich hier anonym und kostenfrei Hilfe holen. Sie können aber auch vor Ort ihren persönlichen Ansprechpartner und Opferhelfer finden.

Wie sieht die Hilfe des WEISSEN RINGS bei häuslicher Gewalt konkret aus?

Wir begleiten die Betroffenen zu Gerichts- und Behördenterminen und stehen an ihrer Seite. Es ist uns möglich, unkompliziert Hilfe zugänglich zu machen durch einen:

  • Hilfescheck für eine psychotraumatologische Erstberatung
  • Hilfescheck für eine anwaltliche Erstberatung

Wir unterstützen bei der Durchsetzung des Gewaltschutzgesetzes und zeigen, welche rechtlichen Mittel es gibt, zum Beispiel:

  • Annäherungsverbote
  • die Untersagung von Anrufen oder Textnachrichten
  • die Möglichkeit einer befristeten Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung. Sogar unabhängig von den vertraglichen Eigentums- oder Mietverhältnissen.

Daneben haben wir in bestimmten Fällen auch finanzielle Hilfsmöglichkeiten. Beispiele hierfür sind die:

  • Unterstützung bei einem Umzug
  • Unterstützung bei der Wohnungseinrichtung
  • Hilfe zur Überbrückung tatbedingter Notlagen, z. B. wenn bei einer Trennung das Einkommen des Täters wegbricht

Wir vermitteln zudem auch Hilfen zu anderen Anlaufstellen, wie z.B. Frauenhaus, Frauenberatungsstellen.

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