Familie auf Zeit: So war es für uns, ein Gastkind aufzunehmen

Gastkind

Ihr Lieben, habt ihr schon mal überlegt, ein Gastkind aus dem Ausland in eure Familie aufzunehmen? Viele haben vielleicht Bammel davor, dass es zu Sprachschwierigkeiten und/oder Konflikten kommen könnte. Celina berichtet hier mal von einem durch und durch positiven Beispiel, bei ihr lebte zehn Monate ein Jugendlicher aus Finnland.

Liebe Celina, ihr hattet 10 Monate einen finnischen Gastsohn. Wer gehört sonst noch zu eurer Familie und wie lebt ihr?

Ich heiße Celina und bin 42 Jahre alt. Ich arbeite als Grundschullehrerin. Mein Mann Henrik ist 44 und als Ingenieur für Verkehrsplanung für eine Unternehmensberatung tätig. Dort ist er Geschäftsführer. Wir sind Eltern von drei Töchtern. Silje ist 17, Freja 9 und Kajsa 5 Jahre alt. Wir leben in einem kleinen Reihenhaus mitten in Hamburg-Altona. Und Justus aus Finnland hat von September 2021 bis Juli 2022 bei uns und mit uns gelebt.

Wie seid ihr auf Finnland gekommen und was für ein junger Mann war da bei euch? 

Unsere älteste Tochter wollte ein Auslandsjahr in Thailand verbringen. Als die Austauschorganisation anfragte, ob wir uns vorstellen könnten, in dieser Zeit Gasteltern zu sein, sagten wir spontan ja. Siljes Austausch fiel dann coronabedingt sehr kurzfristig aus. Wir beschlossen, Justus trotzdem aufzunehmen.

Als Justus zu uns kam, war er 17, er feierte dann bei uns seinen 18. Geburtstag. Seine Heimat ist eine kleine Stadt in der Nähe von Oulu. Justus kommt aus einer Familie mit drei Brüdern. Er ist der zweitälteste. Sein jüngster Bruder war zum Zeitpunkt des Austausches 13.

Wir reisen oft und gerne nach Skandinavien. Als die Austauschorganisation uns drei Gastschüler vorschlug, hat unser Herz spontan für den Finnen geschlagen. Kajsa wünschte sich einen großen Bruder und wir konnten uns gut vorstellen, auf Zeit einen Sohn zu haben. Zufällig hat Justus fast den gleichen Nachnamen wie wir. Die Namen werden gleich gesprochen, nur etwas unterschiedlich geschrieben. Als uns das auffiel, war klar, dass wir unseren Gastsohn gefunden hatten.

Wie habt ihr euch auf eurer Gastkind vorbereitet?

Heute können wir alle ein paar wenige Wörter Finnisch. Die Sprache ist wirklich unglaublich schwer… Da wir wussten, dass Justus seit einiger Zeit Deutsch lernt und hervorragend Englisch spricht, haben wir uns sprachlich nicht vorbereitet. Vor seiner Ankunft habe ich mit den beiden kleinen Mädchen in der ganzen Wohnung Klebezettel mit den richtigen Bezeichnungen an viele Möbel und Gegenstände gehängt.

Mit Justus hatten wir Kontakt per Mail und auch bei Whatsapp. Wir haben viele Fotos geschickt, damit er eine Vorstellung von seiner Gastfamilie und seinem Zuhause bekommt. Silje ist vor seiner Ankunft in ihre erste eigene Wohnung gezogen. (Sie ist sehr erwachsen und selbstständig und die Wohnung liegt direkt um die Ecke.) Daher hatte Justus sein eigenes Zimmer bei uns.

Wie sah sein Tagesablauf bei euch aus?

Justus ist zusammen mit Silje zur Schule gegangen in die 11. Klasse eines Gymnasiums. Das heißt, er hat in der Woche viel Zeit in der Schule verbracht. Morgens frühstückten wir alle zusammen und auch abends aßen wir oft zusammen. Er hat sich nachmittags, abends und am Wochenende mit Freunden getroffen und Hamburg erkundet.

Er hatte also auch außerhalb der Familie Anschluss?

Bei uns in der Nähe lebten noch einige andere Austauschschüler*innen, die Justus auf Treffen kennengelernt hat. Mit Ihnen hat er viel Zeit verbracht. Aber auch mit den Schüler*innen seiner Klasse hat er sich verabredet.

Inwiefern hat er eure Familie und euren Alltag bereichert?

Wir haben viel über Finnland und die Finnen erfahren. Die finnische Lebensweise und viele finnische Eigenarten sind uns sehr sympathisch. Es war eine tolle Erfahrung einen erwachsenen Sohn zu haben.

Kajsa und Freja haben ihn besonders ins Herz geschlossen. Er hat oft mit ihnen gespielt und sie waren seine besten Sprachlehrerinnen. Wir als Familie haben uns mehr Zeit für Brettspiele und Unternehmungen genommen, um Justus zu integrieren. Das hat uns allen gut getan und die ganze Familie sehr verbunden.

Gab es auch Momente, in denen es hart war mit ihm?

Wir hatten da wahnsinnig viel Glück miteinander. Es gab wirklich keine Konflikte. Das ist wohl wirklich selten so in Gastfamilien.

Richtig hart war der Abschied nach 10 Monaten. Wir haben nicht damit gerechnet, wie sehr wir als Familie zusammenwachsen würden. Wir alle vermissen Justus bis heute noch oft. Besonders Kajsa hat Sehnsucht nach ihrem Bruder. Für uns alle ist er wirklich ein Familienmitglied geworden.

Was meinst du: Welche Voraussetzungen/Eigenschaften sind sinnvoll, wenn man ein Gastkind aufnehmen möchte?

Man muss bereit sein, sein Zuhause und seine Familie zu öffnen. Jemanden wirklich aufnehmen wollen und wie ein eigenes Kind behandeln. Ich habe Justus auch wie meinen Töchtern vertraut. Ich fand wichtig, dass Justus sein eigenes Zimmer hatte und sich auch mal zurückziehen konnte. Es ist schön für ein Gastkind, Geschwister zu haben, aber keine zwingende Voraussetzung.

Kannst du was zu dem finanziellen Aspekt sagen?

Gastfamilien werden im Regelfall nicht bezahlt, damit keine finanziellen Interessen im Vordergrund stehen. Die Austauschorganisation übernimmt Fahrtkosten zu den Austauschtreffen mit anderen Austauschschüler*innen und auch eventuelle Fahrtkosten zur Schule.

Von ihren Eltern bekommen Gastkinder Taschengeld. Wir sind mit Justus auch in den Urlaub gefahren und haben den für ihn auch bezahlt. Das haben andere Gastfamilien anders gehandhabt: Gastkinder sollten den Urlaub selber bezahlen. Man hat das selber in der Hand und der finanzielle Aufwand muss nicht groß sein.

Würdet ihr wieder ein Gastkind aufnehmen?

Wir können uns gut vorstellen, nochmal Gastfamilie zu werden. Es war für uns alle eine wunderbare Erfahrung. Wir haben weiterhin regelmäßigen Kontakt mit Justus und seiner Familie und waren auch schon in Finnland.

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1 comment

  1. Für eine Familie finde ich ein Gastkind eine schöne Möglichkeit, andere kulturelle Hintergründe kennenzulernen. Ich lebe in einer interkulturellen WG und hatte auf diese Weise in den letzten Jahren mit Menschen aus mehr als 60 Ländern zusammengelebt. Das ist ein ganz großer Reichtum.

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