In der 18. Schwangerschaftswoche bekam ich die Diagnose Leukämie – Gastbeitrag von Mareike

mareike fotor

Es klopft an der Tür zu meinem Zimmer, Nr. 146, Station 9. "Frau Bothe, wir haben da etwas gefunden…"

Der Rest des Satzes, den der Arzt, der am Morgen die Knochenmarkpunktion – um Schlimmeres auszuschließen – durchgeführt hat, hört sich an als wäre ich unter Wasser oder hätte Watte in den Ohren. Ich will noch nicht sterben. Ich bin 24. Ich bin in der 18. Woche schwanger. Ich habe zwei kleine Jungs. Gerade erst haben wir ihren ersten und zweiten Geburtstag gefeiert.

Akute Leukämie – AML M3. Aha. "Und wie lange habe ich noch?" Ich bin so nüchtern und frage die Fakten ab, um irgendwie meine Gefühle in Schach zu halten. "Morgen Frau Bothe, da geht's los! Leider dürfen Sie ihre Kinder während der Chemotherapie nicht sehen. Ansteckungsgefahr zu groß. Sie müssen sich morgen früh verabschieden." "Und wenn ich das nicht überlebe? Und was ist mit dem Baby?"  "Es gibt eine 50:50 Chance, es tut mir leid."

Diese Diagnose ist nun 5 Jahre her und wenn ich diese Zeilen schreibe, fühlt es sich an wie die Geschichte einer anderen. Ich versuche Distanz zu diesen Erinnerungen zu wahren. Doch ist das fast unmöglich, denn das ungeborene Baby von damals schaut mich jeden Tag aus ihren wundervollen wasserblauen Augen an. Gesund. Neugierig. Wunderhübsch und sooo unendlich stark.

Bevor ich damals ins Krankenhaus kam, hatte ich kaum Anzeichen für irgendeine Krankheit. Ich war müde… ja. Schwanger eben. Ich hatte ein paar blaue Flecke mehr. Vom Toben mit den Jungs natürlich. Dann der Routine Check bei meinem Gynäkologen: Blutwerte miserabel. Am nächsten Morgen direkt ins Krankenhaus. Nach 14 Tagen diverse Verdachtsdiagnosen und zig Untersuchungen dann die Diagnose Leukämie.

Die Therapie begann rasch. Es wurden Zugänge gelegt, ein spezieller Port und ich bekam ein Zimmer auf der Isolations-Station. Aber halt, der Abschied von den Kindern… es war grauenvoll. Mein Mann kam mit den Jungs ins Krankenhaus und es war langweilig für die beiden. Sie trotzten, tobten und waren einfach überdreht. Wir machten es daher kurz. Kurz  – aber nicht schmerzlos. Als sie den Flur hinuntergingen und ich da alleine stand, zersprang mein Herz in 1000 Stücke. Es waren wirklich körperliche Schmerzen.

Was mir unheimlich Kraft gab, war mein kleines Babymädchen in meinem Bauch. Ich war nicht allein. Niemals. Ihr zu Liebe musste ich diesen ganzen Scheiß durchstehen. Wir schaffen das, sagte ich, wir sind Powerfrauen. Insgesamt drei Chemotherapiezyklen habe ich mit meiner Tochter im Bauch durchgestanden. Ich habe 15 Kilo abgenommen. Ich habe geweint, ich habe mich aber auch gefreut, als die Blutwerte besser wurden, wenn ich ein paar Tage nach Hause durfte, wenn meine Kinder mich umarmten.

Als meine Tochter bei 36+1 per Kaiserschnitt geboren wurde und fest stand, dass sie mit ihren 46 cm und 2560 Gramm ein topfites kleines Mädchen ist, war ich so unendlich glücklich. Dieser ganze Kampf hatte sich gelohnt. Allein für diesen einen ersten Moment mit diesem wundervollen Baby. Ein Chemotherapiezyklus stand mir allerdings noch bevor. 10 Tage nach der Entbindung sollte es losgehen, was hieß, dass ich mein 10 Tage altes Baby lange nicht sehen würde. Nein, nein, nein – das durfte einfach nicht sein, das konnte keiner von mir verlangen…

Zwei Tage bevor es im Krankenhaus wieder losgehen sollte, bekam ich einen Anruf von meinem behandelnden Arzt. "Wir haben uns entschlossen, aufgrund Ihrer immer recht stabilen Blutwerte und ihrer persönlichen Umstände die letzte Chemotherapie ambulant durchzuführen", sagte er. Ich schätze, der Arzt ist noch immer taub auf einem Ohr oder hat mindestens ein kleines feines Dauerpiepen zurückbehalten von meinem Freudenschrei.

Im November 2012 erhielt ich also meine letzte Chemo – und befand mich dann in kompletter molekulargenetischer Remission. Klingt super, ne?! War es auch. Und ist es immernoch. Anschließend musste ich noch 1,5 Jahre lang Medikamente nehmen und mir einmal wöchentlich eine Spritze abholen. Erhaltungstherapie. Es ging mir gut während der Zeit. Erstaunlich gut. Ich war und bin immer positiv und ich glaube ganz fest daran, dass das sehr hilft.

Heute habe ich noch zwei weitere kleine Wunder in meinen Armen. Während den Schwangerschaften war meine Angst erneut zu erkranken immer da. Immer wieder gibt es Momente, Dinge, Situationen, die mich zurückversetzen. Flashback. Doch meine Tochter erinnert mich immer daran, wie stark ich war. Wie stark sie war. Was für ein perfektes Team wir sind. Wir könnten gegen den Rest der Welt bestehen. Sie ist meine Welt. Und ich bin ihre.

Chemotherapie und (erneute) Schwangerschaft – wie kann das funktionieren. Vielleicht fragt sich das die ein oder andere nun. Ich möchte vorab klarstellen, dass ich die folgenden Dinge nur betreffend für meinen persönlichen Fall schreibe. Ich bin kein Professor und glänze daher nur mit dem Wissen, was ich mir angeeignet habe und mit meiner Erfahrung. Jede Krebserkrankung ist anders und jede Chemotherapie ebenso. Die Reaktion des Körpers natürlich auch. Ich hatte Glück im Unglück. Gleich mehrfach. Meine Form der Leukämie hat prognostisch günstige Aussichten. Sie betrifft hauptsächlich das Gerinnungssystem. Die größte Gefahr sind spontan auftretende Blutungen. Die Chemotherapie – für meinen Fall – war eine der nicht hoch aggressiven und die Chancen, dass ein ungeborenes Baby das übersteht, waren durchaus gegeben. Außerdem hatte ich das erste Trimester der Schwangerschaft bereits hinter mir. Die Organe waren alle angelegt und die kritische Zeit vorbei. Die Kleine war also ausgestattet mit allem, was sie brauchte um mit mir in den Kampf zu ziehen. Ich wurde engmaschig kontrolliert. Ultraschall, Abstriche, Organsscreenings… zu bestimmten Zeiten alle zwei Tage.

Mein Baby war immer aktiv und es beruhigte mich ungemein sie zu spüren. Vergleichbare Fälle gab es kaum bis gar nicht. Deshalb konnten auch die Ärzte mir nicht sagen, wie es ausgeht, wann sie geholt werden muss, welches das größere Risiko ist: eine frühe Frühgeburt oder die Gefahr der Chemotherapie während sie in mir heranwächst. Da es ihr gut ging, ließ man sie so lange wie möglich in meinem Bauch. Dennoch waren alle jederzeit darauf vorbereitet, dass auch alles anders kommen könnte. Die Lungenreife bekam ich sehr zeitig. Für den Falle eines Falles…

Die erneuten Schwangerschaften sind für mich nicht selbstverständlich und ja, es gab auch kritische Stimmen. Meine Eizellen waren schließlich schon während der Chemo in mir und keiner kann sagen, inwieweit mein Erbgut eventuell geschädigt wurde. "Ihr seid leichtsinnig!" "Wieso setzt du deine Gesundheit auf's Spiel?" Ja. Wieso? Es hat mir sehr geholfen, diese eine Schwangerschaft zu verarbeiten. Ich habe mich während dieser Zeit sehr mit meinen Ängsten beschäftigt und war mir zu jeder Zeit bewusst was passieren kann, wenn eine meiner Eizellen nicht "gesund" ist. Mir wurden alle möglichen und unmöglichen Vorsorgeuntersuchungen angeboten. Die meisten habe ich abgelehnt. Was hätte es geändert? Nichts. Mein Baby ist mein Baby. Und ja, sie sind beide gesund. Ja, wir hatten Glück. Aber mal ehrlich: Das haben wir uns mehr als verdient.

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2 comments

  1. Danke
    Hallo,

    meine Freundin hat heute die Nachricht bekommen auch Leukämie zu haben. Schwanger im 22 Monat. Sie hat schon zwei Kinder… ;-(

    Allerdings raten die Ärzte zur Abtreibung – .ich suche wie blöd nach Alternativen, wo es keine zu geben scheint…

    Viel Glück mit deinem Kind… Wir sorgen uns wie nie zuvor…

  2. Wow
    Einfach wow! Frauen sind Helden und diese Frau ist superwoman!
    Alles gute für Dich und Deine Familie! Gesundheit und viel Kraft!
    Danke für die tolle und mutige Geschichte.