Diagnose Brustkrebs: „Eigentlich wollte ich noch ein zweites Kind“

Diagnose Brustkrebs

Foto: Mo Wüstenhagen

Ihr Lieben, bei Rebecka schlug die Diagnose Brustkrebs mitten rein ins Leben. Sie hatte eine Tochter, machte sich grad selbständig, träumte von einem weiteren Kind… doch dann trat der Tumor in ihr Leben und mit ihm der unfreiwillige Abschluss der Familienplanung. Und damit sich niemand in dieser Gefühls-Achterbahn mehr so allein fühlt wie sie damals, hat sie das Projekt #einevonacht gegründet, für das sie Brustkrebs-Patientinnen interviewt und soooo viel mitnimmt. Hier kommt ihr Gastbeitrag.

Über die Diagnose Brustkrebs und die Frage: „Möchten Sie noch Kinder haben?“

„Möchten Sie noch Kinder haben?“ Ich zucke zusammen. Es ist der erste Tag im Brustzentrum. Am Tag zuvor hatte ich erfahren, dass ich Brustkrebs habe. Nun sitze ich hier vor diesem riesigen Schreibtisch und höre meiner neuen Ärztin zu. Sitze da, mit Zettel und Stift. Und sauge alles auf. Versuche zu begreifen, was hier gerade passiert. Versuche zu verstehen, was sie da alles sagt. Beantworte ihre Fragen. Aber mit dieser Frage kann ich nichts anfangen.

„Möchten Sie noch Kinder haben?“

In meinem Kopf rattert es. Ich verstehe nicht, warum sie das wissen möchte. Aber ich sage nichts, ich gucke sie nur an.

„Naja, wenn Sie noch Kinder haben möchten, müsste ich Sie ins Kinderwunschzentrum überweisen.“

Es ist einer dieser Momente, die mir ewig in Erinnerung bleiben werden.

Es war der 19.10.21. Und ich war noch ganz am Anfang meiner Reise durch den Brustkrebs-Kosmos.

„Ich wusste nicht, was kommt. Ich hatte keine Ahnung von Brustkrebs.“

Diagnose Brustkrebs
Foto: Rebecka Heinz

Ich hatte keine Ahnung von Brustkrebs. Ich hatte keine Ahnung, was die Diagnose Brustkrebs wirklich heißt. Und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, welch geballte Ladung an Themen noch auf mich zukommen würde. Wie viele Fragen und irreversiblen Entscheidungen hinter dieser an sich schon ätzenden Diagnose noch schlummern.

Alles war Neuland. Ich wusste nicht, dass man bei meiner Art von Tumor nach der Chemotherapie in die Wechseljahre versetzt wird. Und dass man, wenn man vielleicht noch Kinder haben möchte, ins Kinderwunschzentrum gehen muss, um Eizellen entnehmen zu lassen. Weil es nach der Chemo und nach der Anschlusstherapie vielleicht kein „Wir lassen es mal drauf ankommen“ mehr geben wird.

„Mein Tumor war in der Schwangerschaft entstanden“

Ich wusste auch nicht, dass mit der Chemo erst begonnen wird, wenn ich in der Kinder-Frage eine Entscheidung getroffen habe und ggfs. behandelt wurde. Wenn ich entweder im Kinderwunschzentrum war oder aber wenn ich klar gesagt habe, dass ich nicht ins Kinderwunschzentrum gehen möchte, ergo keine Kinder mehr haben möchte.

Ich hatte an diesem ersten Tag im Brustzentrum, als ich da vor dem riesigen Schreibtisch meiner neuen Ärztin saß, auch noch nicht verstanden, dass mein Tumor offenbar in der Schwangerschaft entstanden ist, ausgelöst durch die hormonellen Schwankungen. Wenn ich das zu dem Zeitpunkt schon realisiert hätte, hätte ich gleich sagen können, dass eine erneute Schwangerschaft für mich grundsätzlich überhaupt keine Option ist. Weil ich meinen Körper nicht noch einmal diesen hormonellen Schwankungen aussetzen würde.

„Vorstellung im Kinderwunschzentrum nicht erwünscht bei abgeschlossener Familienplanung.“ So wird es in meinem Befund stehen. Das war’s mit Kindern. Familienplanung abgeschlossen.

„Wir müssen den Emotionen Raum geben.“

„Du hast eine Tochter“, sagen Leute zu mir – und wollen mich mit dem Satz glaube ich trösten. Ja, es stimmt, ich habe eine Tochter. Aber es geht hier um etwas anderes. „Die Freude über das erste Kind ersetzt nicht die Trauer um das zweite, auch wenn es noch eine Idee war“, so wird meine Psychoonkologin es mir später erklären. „Sie müssen Trauerarbeit machen. Sie müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass Sie ein weiteres Kind haben könnten.“

Die Diagnose Brustkrebs hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Und ich frage mich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn der Tumor früher entdeckt worden wäre. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass in meiner vollen Milchbrust irgendwas außer Milch sein könnte.

#einevonacht Frauen ist in ihrem Leben von Brustkrebs betroffen. Das sind 70.000 Frauen pro Jahr, allein in Deutschland. Knapp 30.000 von ihnen sind unter 55.

Diagnose Brustkrebs

Als ich mit der Arbeit für das Projekt #einevonacht begonnen habe, wollte ich eigentlich nur meine Schwangerschaftsgeschichte erzählen. Ich wollte andere Frauen darauf hinweisen, dass bei mir Schwangerschaft und Stillzeit zur Entstehung eines ziemlich großen Tumors geführt hatten. Nicht, damit sie Angst haben, sondern um aufzuklären.

Damit sie die Wahl haben und für sich selbst entscheiden können, ob sie in dieser Zeit Untersuchungen einfordern wollen oder nicht. In den Leitlinien stehen diese Untersuchungen nämlich noch nicht… Ich persönlich hätte das alles aber gern vorher gewusst. Und ich hätte die Kontrolluntersuchungen im Zweifelsfall auch liebend gern selbst gezahlt.

Je mehr Zeit ich dann aber im Brustkrebskosmos verbracht habe, desto mehr habe ich verstanden, wie unterschiedlich die Brustkrebserfahrungen sind. Wie verschieden das ist, was wir erleben. Für mich persönlich ist die Brustkrebsdiagnose eine Zäsur.

Die Krankheit war eine Zäsur. Es gibt ein Leben davor und ein Leben danach.

Ich war eigentlich gerade dabei, mein Business weiter auszubauen, in Gedanken ein zweites Kind am Horizont zu sehen – ich war auf Expansionskurs. Nun hatte ich gefühlt ein Plateau erreicht und musste mich neu sortieren. Musste gucken, wie ich weitermache, was ich machen möchte, welche Ziele ich habe, was ich hinterlassen möchte.

Das Kinderwunschthema und die neue Rolle als Mama, die ein „potenziell Tod bringendes Karzinom an Bord“ hatte, wie ein Chirurg zu mir gesagt hat – das sind nur zwei der Themen, die einen mit der Diagnose Brustkrebs überrollen können. Andere hatten dieses Kinder-Mama-Thema vielleicht nicht so sehr und würden auf die Frage, wie die Brustkrebs-Phase ihr Leben verändert hat, vielleicht ganz anders antworten. Themen haben alle. Denn spurlos geht so eine Krebsdiagnose an niemandem vorbei. Irgendwas ändert sich immer.

Alle Patientinnen erleben den Krebs anders

Die eine wird vielleicht im Job auf einmal als „Low Performerin“ eingestuft, weil sie gesagt hat, dass sie nicht mehr zehn Stunden pro Tag arbeiten möchte, eine andere trennt sich von ihrem Partner, die nächste hat Jahre nach der Chemotherapie noch Konzentrationsprobleme und muss neue Strategien für ihren Alltag entwickeln – und eine andere hat sich vielleicht einen Lebenstraum erfüllt und ist ausgewandert.

Es gibt viele Geschichten zu erzählen – jenseits der Schwangerschaftsgeschichte. Viel zu lernen. Und so habe ich während meiner Chemotherapie damit begonnen, andere Brustkrebspatientinnen zu interviewen. Ich trage ihre Erfahrungen für das Projekt #einevonacht zusammen.

„Nebenwirkungen“: Wechseljahre, Kinderwunsch, Depression, Brust-OP, Karriereknick

Wir sprechen darüber, wie sie ihren Weg durch die Krankheit gemeistert haben, was sie erlebt und aus dieser Zeit mitgenommen haben, wie sie unterstützt wurden, was ihnen geholfen hat – und was sie anderen mit auf den Weg geben würden. Wir sprechen über all die Tabu-Themen, von denen man sonst so wenig hört, wir sprechen über Brustkrebs und Wechseljahre, Kinderwunsch, Depression durch die Medikamente, Einbrüche in der beruflichen Laufbahn.

Wenn wir unsere Erfahrungen teilen und auch über die Dinge reden, über die wir sonst nicht sprechen würden, können wir anderen vielleicht helfen – und ihnen den Umgang mit der Krankheit erleichtern. Jeder Tumor, jede Frau, jede Geschichte ist anders. Und jede Frau kann mit ihrer Geschichte eine Inspiration für andere sein.

„Lasst Euch Zeit. Kommt in Ruhe und bewusst in Eurem neuen alten Leben an.“  

Diagnose Brustkrebs
Foto: Mo Wüstenhagen

Was ich den nächsten Frauen, die Brustkrebs bekommen, mit auf den Weg geben würde? Lasst Euch von anderen inspirieren und findet dann Euren eigenen Weg. Gestaltet ihn aktiv. Sucht Euch die Hilfe, die Ihr braucht. Und gebt Euch danach Zeit. Zeit, diese Diagnose zu verarbeiten, Zeit, in Eurem neuen Leben anzukommen.

Am Anfang hat es mir das Herz zerrissen, wenn ich Mütter mit kleinen Babys gesehen habe. Heute freue ich mich für sie. Freue mich, dass sie dieses Wunder erleben dürfen. Gucke meine Tochter an. Und freue mich noch mehr – dass sie bei mir ist, und dass ich bei ihr sein kann. Freue mich auf und über mein Leben mit meiner Tochter, mit meiner Familie. Und schätze jeden Moment.

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Rebecka Heinz ist Managerin und Strategieberaterin und hat sich 2019 nach vielen Jahren als Führungskraft in der Musikindustrie selbstständig gemacht. Sie berät Kommunikations- und Eventabteilungen bei der Umsetzung ihrer Livestreams und hilft beim Loud & Clear Lab als Business Coach jungen Frauen in Führungspositionen, ihren eigenen Führungsstil zu entwickeln und insbesondere gegenüber älteren, männlichen Kollegen in der Führungsriege klar zu kommunizieren.

2020 wurde ihre Tochter geboren und 2021 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. 2022 hat Rebecka Heinz während ihrer Chemotherapie das Projekt #einevonacht gestartet, für das sie ehemalige Brustkrebspatientinnen interviewt und ihre Erfahrungen und Tipps zusammenträgt, um künftigen Brustkrebspatientinnen den Umgang mit der Krankheit zu erleichtern.

Gemeinsam mit Expertinnen aus ihrem Netzwerk bietet sie bei #einevonacht Coachings speziell für ehemalige Brustkrebspatientinnen an und hilft ihnen bei der Neupositionierung und dem Wiedereinstieg in den Beruf. Für Firmen gibt es bei #einevonacht Workshops, in denen für den Umgang mit betroffenen Kolleginnen sensibilisiert und praxisnah erarbeitet wird, was Unternehmen konkret tun können, damit die Frauen schnell wieder in ihren Beruf zurückkehren und arbeiten können.

Rebecka Heinz lebt mit Mann, Tochter und Hund in Berlin.

Ihr Projekt #einevonacht findet ihr auch bei Instagram und LinkedIn.

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9 comments

  1. Ich kann Marie nur zustimmen, bitte korrigiert schnellstmöglich die Falschaussage, dass der Tumor durch die Schwangerschaft entstanden ist, bevor jetzt irgendjemand Angst bekommt!!! Ein Tumor entsteht nicht durch eine Schwangerschaft! Durch die Schwangerschaftshormone besteht die Möglichkeit eines schnelleren Wachstums, wenn es ein Hormonrezeptor-positiver Tumor ist. Aber mit der Entstehung eines Tumors hat die Schwangerschaft nichts zu tun.

    1. Nein, ein Tumor kann durch die Schwangerschaft entstehen! Ich (Krankenschwester) habe viele Jahre im Brustkrebszentrum Hamburg gearbeitet.
      Ich kann euch die Kolumne vom Prof. Ingrid Mühlhauser empfehlen. Bei Google eingeben „EBM Brustkrebs“.

      Zitat: “ es muss möglich sein wertfrei zu kommunizieren das dass Brustkrebsrisiko nach einer Schwangerschaft erhöht ist und dies auch viele Jahre so bleibt“

      Das liegt zu einem an den hohen Östrogenwerten, sowie am runtergefahren Immunsystem und am „aufschwemmen“ der Brustzellen.

      Eine Schwangerschaft ist ein (!) Risikofaktor für Brustkrebs von vielen. Punkt.

  2. Liebe Lisa, das ist so ein tolles Projekt, über das ihr da berichtet und ich finde es mutig von Rebekka, dass sie mit ihrer Diagnose an die Öffentlichkeit geht, da Krebserkrankte leider oft stigmatisiert werden.
    Ich möchte nur eine sehr wichtige Sache anmerken, da es schlicht medizinisch falsch ist: Brustkrebs, auch der der auf weibliche Hormone reagiert, wird nicht durch eine Schwangerschaft ausgelöst!!!! Ich finde es ganz wichtig, dass klar zu stellen. Es gibt Daten, die Hinweise zeigen, dass das Risiko nach einer Schwangerschaft etwas höher ist, bevor es dann im höheren Alter sogar niedriger ist. Aber die Schwangerschaft ist nicht der Auslöser. Wichtig ist auch beim Stillen und in der Schwangerschaft die Brust regelmäßig zu untersuchen und auch bei Knoten nicht immer nur an Milchstau zu denken.
    Bei jungen Frauen (da hattet ihr ja gerade einen tollen Artikel), wäre aber eine genetische Abklärung wichtig.

    1. Ich finde das Projekt auch prima und kann mir gut vorstellen, dass die unterschiedlichen Erfahrungen verschiedener Patientinnen sehr hilfreich für betroffene Frauen sein können.
      Aber inwiefern werden krebskranke Menschen „stigmatisiert“ und inwiefern sind Brustkrebs, Chemotherapie etc. „Tabuthemen“?
      Mal abgesehen davon, dass es heutzutage mM nach gar keine Tabuthemen mehr gibt – Krebs und Chemo und Tod (auch der Umgang damit mit Kindern) und Vorsorge etc…. all diese Themen sind doch überall präsent. Da verstehe ich wirklich nicht, was die Autorin und die Kommentatorin Marie meinen. Vielleicht könnt ihr mich aufklären?

      1. Liebe Sonja, durch die Arbeit mit Betroffenen, habe würde ich nicht sagen, dass eine Krebserkrankung etwas ist, über das jede Frau offen sprechen kann. Es hat sich sicher einiges getan, vor allem auch, dank der Arbeit von Frauen wie Rebecka. Aber ich habe es oft genug erlebt, dass Frauen nicht mal ihrer Familie von der Erkrankung erzählen wollten, es beim Arbeitgeber lieber verschwiegen und vor allem nach außen sichtbare Veränderungen wie der Haarverlust schlimm waren, da es dann „jeder gleich sehen konnte“. Es kommt also sehr auf die individuelle Situation und das Umfeld an.

        1. Das kann ich gut verstehen. Meine Nachbarin (mit Brustkrebs) hat das mal ähnlich gesagt. Sie will nicht, dass man ihr die Krankheit sofort ansieht, weil sie nicht immer in der Lage/Stimmung ist, darüber sprechen zu wollen, wenn sie dann jemand drauf anspricht.
          Das hat aber doch nix mit „Tabu“ oder Stigmatisierung zu tun. Auch dass man seine Familie damit nicht belasten will/es selber verdrängen…und es deshalb nicht erzählt-verstehe ich alles. Aber dann ist es doch immer noch kein Tabu!

          Entschuldige, dass ich da so nervig bin, aber ich habe so oft und bei vielen Themen das Gefühl, dass ein Tabu herbeigeredet wird und das finde ich für Betroffene eher schlimm!

          1. Hallo Sonja, frag doch mal deine Nachbarin, ob sie sich stigmatisiert gefühlt hat. Ich kann nicht für Rebecka sprechen, aber ich weiß, dass es durchaus Themen gibt (ob man sie jetzt als „Tabu-Themen betitelt oder vielleicht eher als schambehaftet), über die es sich nicht so einfach spricht. zB Sexualität bei Krebserkrankungen, Depression (vor allem auch, wenn die Krankheit besiegt ist) oder auch Schuldgefühle. Und ich finde durchaus, dass es etwas stigmatisierndes hat, wenn jeder sofort sieht, dass man Krebs hat und einen darauf anspricht (auch wenn es gut gemeint ist und das sicher besser ist, als das man sich verstecken muss).
            Da ich aber selber nicht betroffen bin, sondern nur Patientinnen berate (als Ärztin), kann ich es natürlich nicht endgültig beurteilen.

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