Ihr Lieben, als Jeannettes Tochter die Diagnose Diabetes erhält, verändert sich das gesamte Familiensystem. In ihrem ehrlichen Erfahrungsbericht erzählt die Mama, was sie durchgemacht hat und warum Mütter manchmal über sich hinauswachsen müssen, obwohl sie eigentlich kaum noch können.
Was würdest du tun, wenn dein Kleinkind plötzlich schwer krank wird, und dein ganzes Leben auf den Kopf gestellt wird? Als meine Tochter mit Typ-1-Diabetes diagnostiziert wird, beginnt für uns als Familie eine Zeit voller Kliniknächte, Kita-Absagen und emotionaler Grenzerfahrungen. Denn manchmal gibt es halt so Tage, die so unscheinbar beginnen, dass man nicht ahnt, wie sehr sie das eigene Leben auf den Kopf stellen.
Diagnose Ausnahmezustand: „Wenn dein Kind krank wird und du alles neu zusammensetzen musst.“

Die Diagnose Diabetes, die alles veränderte
Unsere Tochter war knapp zwei Jahre alt, als sie begann, sich zu verändern. Sie trank literweise Wasser, war dauermüde, anhänglich, weinte oft. In der Kita hieß es: „Sie ist irgendwie anders.“ Und wir dachten: eine Phase. Wachstum, Zähne, vielleicht ein Infekt. Nichts, worüber man sich beim zweiten Kind wirklich Sorgen macht.
Bis ich an einem Sonntag in der Notapotheke stand und Urinteststreifen kaufte. Der Ausschlag in der Windelgegend, die nassen Nächte, das viele Trinken, all das ergab plötzlich ein beängstigendes Bild. Vier von fünf Testfeldern leuchteten tiefrot. Am selben Abend fuhren wir in die Kinderklinik. Diagnose: Typ-1-Diabetes. Blutzucker: 55 mmol/l. Ich verstand den Wert damals nicht. Heute weiß ich, dass das ein enorm kritischer Wert war.
Klinikalltag im Ausnahmezustand
Zwei Wochen Krankenhaus folgten. Zwei Wochen Ausnahmezustand. Ich lernte, wie man Insulin dosiert, Katheter setzt, den Blutzucker misst, berechnet, Blutzuckerwerte korrigiert. Ich funktionierte, während mein Körper sich weigerte mitzuhalten: Entzündete Augen, tagelanger Husten, Schlafmangel, Herzrasen.
Raus aus der Klinik, rein ins Chaos
Aber der eigentliche Kampf begann erst nach der Entlassung. Unsere Kita kündigte uns. „Zu viel Verantwortung“, hieß es. Ich kündigte meinen Job, weil niemand sonst die Versorgung meiner Tochter übernehmen konnte. Wir lebten plötzlich nur noch von dem Gehalt meines Mannes. Ich telefonierte mit über 20 Einrichtungen. Alle lehnten ab. Bis eine sagte: „Wir trauen uns das zu.“
Wenn Alltag zur Zumutung wird
In der Zwischenzeit versorgte ich mein Kind rund um die Uhr. Ich hielt sie fest, wenn Insulin gespritzt werden musste. Ich tröstete sie, wenn sie mich dafür anschrie. Ich versuchte, die Kontrolle zu behalten und verlor mich selbst dabei aus den Augen. Was viele nicht sehen: Ein chronisch krankes Kind verändert nicht nur den Alltag. Es verändert das gesamte Familiensystem.
Die große Schwester, die zu oft zu kurz kam

Unsere große Tochter kam zu kurz, obwohl wir das nie wollten. Sie war damals vier und verstand natürlich nicht, warum plötzlich alles um ihre kleine Schwester kreiste. Unsere Ehe bestand eine Zeit lang nur noch aus Übergabe und Durchhalten. Mein Mann war da, zum Glück.
Gleichzeitig war da unsere Tochter mit der Diagnose, und ihre Verweigerung. Sie ließ sich nicht messen. Wollte das alles nicht. Nicht das Gerät, nicht das Piepen, nicht das Spritzen. Ich musste sie bei allem festhalten. Jeden Tag. Immer wieder. Und während ich versuchte, ihr das Leben zu retten, hatte ich Angst, dass sie das Vertrauen zu mir verliert.
Zwischen Anträgen, Ablehnungen und dem nächsten Tief
Die Behörden? Kaum eine Hilfe. Der Pflegegrad kam nach sechs Monaten Kampf. Den Behindertenausweis nach vier. Mit dutzenden Formularen, Attesten, Begründungen. Ich war nicht nur Mutter. Ich wurde zur Antragstellerin, zur Sachbearbeiterin, zur Koordinatorin eines Systems, das keine Pause kennt. „Es war nicht der Diabetes, der mich erschöpft hat. Es war alles drumherum, das niemand sieht.“
Neustart aus der Not heraus
Trotzdem ging es weiter. Ich fand eine Kita, in der die ErzieherInnen bereit waren, sich von mir anleiten zu lassen. Aus dieser Erfahrung heraus begann ich selbst die Ausbildung zur Erzieherin. Meine Motivation: Ich wollte es besser machen. Später arbeitete ich in einem Pflegedienst, der Kinder mit Diabetes in Kitas und Schulen betreut. Nicht, weil ich das geplant hatte. Sondern weil der Weg mich dahin geführt hat. „Ich wollte nur eine Salbe für den Windelausschlag. Bekommen hab ich Diabetes, Klinik, Pflegegrad und einen Crashkurs in Existenzneubau.“
Kein Happy End, aber ein echter Anfang
Heute ist meine Tochter elf Jahre alt. Sie managt ihren Diabetes weitgehend selbst. Das war nicht selbstverständlich. Das war Arbeit. Schmerz. Und ganz viel Liebe. Ich glaube nicht mehr an „Das war halt Schicksal“. Ich glaube an Prozesse. Und daran, dass Wachsen oft aussieht wie Zerbrechen. Ein chronisch krankes Kind zu begleiten, bedeutet nicht nur, medizinisch fit zu sein.
Es bedeutet, ständig auf Abruf zu sein. Keine Nacht durchzuschlafen. Keine Entscheidung ohne Abwägung zu treffen. Es bedeutet, Ängste auszuhalten, während du gleichzeitig ruhig bleibst, rechnest, kommunizierst, organisierst. Und dich selbst dabei vergisst.
Ich bin heute ruhiger geworden. Weniger panisch, aber nicht weniger wachsam. Ich weiß, wie viele Mütter da draußen mit ähnlichen Geschichten durchs Leben stolpern. Manche erzählen sie nie. Aber sie tragen sie. Täglich. „Ich wollte nur Mutter sein. Jetzt bin ich nebenbei Pflegedienst, Diätassistentin, IT-Support und Notfallpsychologin, aber hey: läuft.“
Und manchmal braucht es eben keine Heldinnen-Geschichte, sondern einfach nur das Eingeständnis: Ich war müde. Ich hatte Angst. Ich wollte aufgeben, aber ich konnte nicht. Wenn du gerade eine dieser Mütter bist: Ich weiß, was du trägst.
PS: Inzwischen habe ich drei kostenlose Begleithefte für Eltern, Kitas und Schulen erstellt, aus eigener Erfahrung heraus, nicht aus Theorie. Du findest sie hier. Wenn du mehr über meine Arbeit erfahren möchtest, findest du alles auf der Website.