Perfekt sein wollen ist der größte Quatsch der Welt – Gastbeitrag von Steffi

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Es gibt diese Tage, an denen es einfach keinen Spaß macht. An denen man die Kinder, die man so sehr liebt, einfach nicht mag. Weil alle ständig meckern, weil das Essen wieder mal nicht schmeckt. Weil die Socken in der Wohnung verteilt liegen und man schon Rückenschmerzen vom vielen Bücken hat. Im Keller stapelt sich derweil die Wäsche, der Kühlschrank ist auch fast leer. 

Man gibt sich Mühe, versucht geduldig zu sein – aber alles was zurückkommt, ist Gemecker. Dann kommen diese Gedanken: Sind die Kinder gerade so, weil ich was falsch gemacht habe? Kann ich das mit der Erziehung einfach nicht? Sind wir vielleicht die schlimmste Familie der Stadt, ach was, des Landes?

Und dann sieht man wieder die anderen Mütter. Deren Kinder sich nicht darum streiten, wer im Auto vorne sitzt. Deren Jungs und Mädchen freudestrahlend auf die Eltern zu gerannt kommen und das Gebastelte präsentieren. Die schon wieder eine 1 in Mathe haben oder sich gleich auf den Klavierunterricht freuen. Diese Kinder muss man nie anbetteln, das Instrument zu üben. Sie stellen ihre Schuhe immer ordentlich hin, verlieren nie die Turnbeutel. Ihre Mütter können sich morgens in Ruhe fertig machen, weil die Kinder in dieser Zeit friedlich spielen.

Ja, das sind meine Gedanken, wenn ich mürbe und müde im Auto sitze und mein Sohn mir von hinten gegen den Sitz trommelt – obwohl ich schon hunderttausend Mal gesagt habe, dass er das nicht machen soll. Ja, ich zweifel dann an mir, wenn meine Tochter die Türen schmeißt, weil ich so unfair bin. Wenn mein Mann mir einen Blick zuwirft, den ich mit "Du greifst ja auch nie richtig durch" interpretiere.

Aber: Ich weiß, dass diese Gedanken Mist sind. Ich weiß das, weil es keine einzige Familie gibt, in der wirklich immer alles klappt und in der immer alles harmonisch ist. Ich weiß das deshalb so genau, weil sich gerade Freunde von uns getrennt haben, die für mich immer die absolut perfekte Beziehung hatten. So freundlich, so zugewandt, so liebevoll. Was man von außen nicht sehen konnte: Das war sehr viel Show, die beiden waren schon lange nicht mehr glücklich. 

Als ich das erfuhr, dachte ich: Wenn dieses vermeintlich perfekte Paar schon nicht perfekt ist, warum habe ich dann den Anspruch, perfekt zu sein. Umso länger man darüber nachdenkt, desto klarer wird: Dieses Perfekt-sein-wollen ist der größe Quatsch der Welt. Für uns und für unsere Kids? Wer will schon perfekte Kinder? 

Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, war diese auch weit weg von dem, was ich heute als erstrebenswert ansehe. Ich war auch grummelig, motzig, ich bekam Hausarrest, manchmal die ganze Woche. Ich benahm mich so unmöglich, dass ich Taschengeld-Sperre hatte. Wieso denke ich jetzt, meine Kinder würden nicht durch solche Phasen gehen?

Wie oft hat meine Mutter mir eine Hose gegeben, die nicht mehr ganz sauber war und gesagt: "Ach, das geht schon noch für heute." Meine Mutter hat mal vergessen, mich vom Turnen abzuholen und ich stand frierend vor der Turnhalle, bis eine andere Mutter sich erbarmt hat, mich heimzufahren.

Und wisst Ihr was: Das hat keinen bleibenden Schaden hinterlassen. Ich war ein bisschen stinkig, aber hatte es bald vergessen. Nicht auszudenken, ich würde vergessen, eins meiner Kinder abzuholen. Ich würde mich wahrscheinlich selbst beim Jugendamt anzeigen. 

Was ich sagen will: Wir selbst sind doch auch gut groß geworden, unsere Mütter waren nicht perfekt. Auch bei uns gab es abends nur Salamibrot, Geschwisterstreit und Elternzoff. Dann hat man sich zusammengerauft und weitergemacht. Und genauso will ich das zukünftig auch mehr machen: Schütteln und weitermachen. Familie ist nicht perfekt.

Familie sind Auf und Abs, Kuschelabende auf dem Sofa und Türenknallen von Teenies. Deshalb an alle, die auch solche Tage haben, an denen sie denken, dass sie alles falsch machen: Lasst uns einfach gemeinsam schütteln und weitermachen! 

 

 

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5 comments

  1. Der Beitrag ist super
    Danke für den Beitrag.
    Wir sind doch alle nur normal und unperfekt.
    Die Normalität sind leicht verpeilte und leicht mopsige Mütter, die Alles doch irgendwie wieder hinkriegen.
    Der Rest ist Show für die Medien.

  2. Bringt es auf den Punkt
    Ich finde den Beitrag auch super! Ja, der Perfektionsanspruch der meisten Eltern (ich schließe mich da selbst nicht aus) ist heute völlig überzogen. Immer Harmonie, immer Kuschelkurs, eine lächelnde Mama, die mit links alles gewuppt bekommt, Job, Haushalt und Kinder und dabei noch knackig und gut aussieht, wie aus einem Modemagazin. Ich muss mich da selbst auch immer an die Nase nehmen, wenn ich an grauen Tagen mal wieder das Gefühl habe, nur von perfekten Vorzeigefamilien umgeben zu sein.;-)

  3. Super Text
    Finde den Text sehr passend zum Zeitgeist. Etwas mehr Entspannung und weniger Perfektionismus würde den meisten Eltern heute gut tun! Und ja es tut auch Mal gut andere ebenfalls „scheitern“ zu sehen (hat ja nichts damit zu tun das man es Ihnen wünscht oder sich darüber freut) es ist einfach menschlich und zeigt wir alle sind nicht perfekt. Und persönlich finde ich, ja es hat uns auch nicht geschadet super, denn Erfahrungen machen uns zu dem wer wir sind. Ich wünsche mir des öfteren einige Erziehungselemente vergangener Generationen zurück. Welche das muss jede Familie selbst erkennen.

  4. Das hat mir nicht geschadet
    „Das hat mir doch auch nicht geschadet“, ist wirklich die schrecklichste Formulierung, die ich kenne. Der Text an sich ist ja ok und verständlich,dass sich jeder das schlechte Gewissen klein reden möchte. Keiner ist perfekt, das ist klar. Und doch läuft wohl etwas schief, wenn die Autorin unzufrieden ist. Und es ist kein Trost, wenn andere Beziehungen auseinander gehen. Das ist egal und spielt keine Rolle. Jeder sollte sich in der eigenen Beziehung wohl fühlen. Sich mit anderen vergleichen macht auch keinen Sinn. Und das beste geben, in Beziehung gehen sollten wir trotzdem schaffen, auch wenn wir müde sind. Mal besser und mal weniger, denn die Kinder sind nun mal von uns abhängig. Und wir wissen nicht, was unseren Kindern schadet…eine dreckige Hose und ein Salamibrot bestimmt nicht, aber das Gesehen werden, dass Anerkennen und Akzeptiert werden so wie man ist, ist immer wichtig. Mir kommt es vor, als wäre die Autorin nicht zufrieden mit sich und den Kindern. Das merken die Kinder. Da fühlt sich keiner wohl. Vielleicht sollte die Autorin erst mal mit sich ins Reine kommen. Der Rest kommt dann. Und vielleicht hat ihr das „Vergessen werden“ beim Abholen doch geschadet…sie erinnert sich zumindest noch an die Situation. Also hat es doch vielleicht etwas bei ihr verursacht.

  5. Danke 🙂
    Toller Text, genauso könnten ihn wahrscheinlich 1000 Mütter unterschreiben.

    Wir alle tun unser Bestes und das merken auch unsere Kinder, auch wenn sie dir gerade die Tür vor der Nase zu knallen! Schon dass du reflektierst und es noch besser machen willst, macht dich zu einem tollen Vorbild für deine Kinder!

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