Fünf Jahre „Wir schaffen das“: Unsere kleine, private kölsch-syrische Glücks-Geschichte

Flüchtlinge 2015

Fünf Jahre "Wir schaffen das".

Ihr Lieben fünf Jahre ist es her, dass Angela Merkel ihren Satz „Wir schaffen das“ unter die Leute brachte. 2015, das Jahr, in dem Menschen hierzulande an Bahnhöfen Willkommens-Schilder in die Luft reckten. „Hier seid ihr sicher“, war die Botschaft.

Auch heute noch reden wir über Geflüchtete, erst gestern haben wir die Bilder von den Feuern im Lager von Moria auf unserer Facebookseite gezeigt. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat angekündigt, zumindest 1000 Menschen aus dem Lager in Nordrhein Westfalen aufzunehmen. Wir möchten euch aus diesem Anlass gern unsere kleine Glücks-Geschichte zu fünf Jahren „Wir schaffen das“ erzählen (hier haben wir vor ein paar Jahren schon mal über sie berichtet):

Es war ein Nachmittag, als eine Freundin bei Facebook aufrief, dass eine kleine Familie – Mama, Papa und ein herzkranker vierjähriger Sohn – dringend aus ihrer Massenunterkunft in einer Turnhalle in Köln rausmüssten, um mal die Tür hinter sich schließen zu können.

Raus aus der Massenunterkunft, rein in einen Raum mit Privatsphäre

Um mal zur Ruhe zu kommen, um anzukommen, sich zurechtzufinden. Sie hatten eine Flucht aus Afrin in Syrien hinter sich, hatten zum Teil auf Pappkartons übernachtet, haben in einem Boot angstvoll das Meer überquert, mussten ihr Kind in der Türkei operieren lassen.

Wir meldeten uns bei der Freundin und dann ging alles recht schnell. Mein Mann fuhr am Abend los zur Turnhalle, holte diese drei Menschen ab, die unsere Sprache nicht verstanden und deren Sprache wir nicht sprachen und machte sich mit ihnen auf zu uns. In ihr neues Zuhause auf Zeit.

Als es an der Tür klingelte, war ich nervös. Wie würde ich sie begrüßen, wie würden die Kinder reagieren, wer kam da zu uns und würde erstmal mit uns leben? Und dann sahen wir uns und es war klar, dass es keine Sprache brauchte, um Willkommen zu sagen.

Für ein herzliches Willkommen braucht es keine Worte

Ich drückte sie einfach. Und lächelte. Und sie taten es uns gleich. Wir baten sie an den Tisch. Es gab Bolognese, mit Bolognese würden wir schon nichts falsch machen, dachten wir. Aber zerhexeltes Fleisch? Ui, es blieb viel auf den Tellern. Vielleicht war es auch die Nervosität. Alles ungewohnt.

Es war aufregend zu Beginn, auch anstrengend, ohne Worte zu kommunizieren. Aber wir näherten uns an. Lächeln ging immer. Legotürme bauen mit dem Kleinen auch. Manchmal setzte sich einer unserer Jungs eifersüchtig auf meinen Schoß. Meine Mama!

Sie merkten, wie sehr ich den Kleinen ins Herz schloss. Wir kommunizieren über Fotos, über Landkarten über den Google Arabisch-Deutsch-Übersetzer. Einmal kochten sie für uns von morgens 10 bis abends 18.30. Zitronige Kartoffeln, gefüllte Weinblätter. Wir waren gerührt.

Die Dankbarkeit aus allen Richtungen: Was hatten wir für ein Glück

So viel Dankbarkeit. Vor allem auch bei uns. Was hatten wir für ein Glück, gerade diese Menschen kennenzulernen? Die, die mit auf den St.Martinszug gingen und fast vor Rührung weinten, als sie all die Lichter in den Fenster der Häuser sahen. Die, die mit uns Nikolaus feierten.

Die, die auf dem Wald-Weihnachtsmarkt kaum glauben konnten, wie schön das war, was wir da feierten. Die sich an Karneval bis zur Unkenntlichkeit verkleiden, weil sie das so lieben. Aber auch die, für die wir Absage nach Absage bekamen, als wir anfingen, eine Wohnung für sie zu suchen. Aus Syrien? Entschuldigung, die Wohnung ist schon vergeben.

Und dann über Kontakte doch eine Zusage. Eine eigene Wohnung. In der wir sie besuchen konnten. In der ein Bild von uns allen zusammen an der Wand hing. Eine Schwangerschaft <3. Ein kölsch-syrisches Mädchen, das am Tag des nächsten Martinszugs im Jahr darauf zur Welt kam.

Tränen der Rührung: Für immer verbunden

Ich stand zwischen all den Lichtern in den Häusern unseres Dorfes, als mich die Nachricht erreichte, dass sie ihr Baby nach unserer Tochter benannt hatten. Kein Auge blieb trocken. Wir würden damit Teil ihres Lebens bleiben. Wie unglaublich war das!?

Die Familie kaufte ein Auto von all ihren Ersparnissen – und wurde übers Ohr gehauen. Das Geld war weg, das Auto Schrott. Aber sie machten weiter. Besuchten Deutschkurse, ließen die Kinder nur deutsches Fernsehen schauen, um den Klang der Sprache zu inhalieren.

Von einer Freundschaft, die noch immer hält

5 Jahre später schicken wir immer noch die zu klein gewordene Kleidung unserer Jungs vorbei. Liken gegenseitig unsere Fotos bei Instagram und tauschen Sprachnachrichten aus. „Gute Nacht, Lisa, wir lieben dich“, sagt der kleine Jungs von damals dann, der heute bereits ein Schulkind ist.

Sie sprechen alle deutsch, ja, sie kamen vor Corona sogar zu einer Lesung von uns. Unser Foto in ihrer Wohnung hängt noch immer. Die Sprachbarrieren sind abgebaut. Es ist unsere kleine, private Glücks-Geschichte zu fünf Jahre „Wir schaffen das“. Wir alle könnten dankbarer nicht sein.     

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4 comments

  1. So eine schöne Geschichte. Und eben nicht nur eine Geschichte, sondern Realität. Ich bin sehr bewegt, gerührt und demütig. Vielen Dank an euch und viele Grüße an eure syrische Familie!

  2. Ihr Lieben, vielen Dank für diesen Beitrag. Ich habe Tränen in den Augen vor Rührung. Es müsste viel mehr solcher Menschen geben, die einfach handeln anstatt immer nur zu reden. Was gerade in Moria passiert und schon seit Monaten passiert ist, ist kaum zu ertragen. Ich selbst engagiere mich in einem Flüchtlingsheim in der Nähe und gebe etwas Deutschunterricht für die, die auf ihre richtigen Deutschkurse warten müssen. Meistens hilft es einfach nur Interesse zu zeigen. „Ich bin hier, ich hör dir zu, du bist mir nicht egal.“ Diese Botschaft ist so simpel und so wichtig, für Menschen die unvorstellbares erlebt haben.
    Ich würde mir sooo sehr wünschen, es würden sich mehr Menschen engagieren. Es geht uns doch so gut und es ist so einfach. Wenn jeder einen kleinen Beitrag leistet, könnte die Welt für so viele so viel Besser sein!!!
    DANKE für eure Geschichte!

  3. Guten Morgen, lieben Dank für deinen Beitrag. Ich habe Tränen in Augen, denn auch ich habe den Beitrag über Moria gesehen. Unfassbar. Wie dankbar können wir doch sein über ein Leben in Frieden mit gesunden Kindern <3

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