Interview mit Sonja: Der Vater meines Babys wurde nach Nigeria abgeschoben

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Liebe Sonja, Du hast einen vier Monate alten Sohn, dessen Vater aus Nigeria stammt. Wo hast Du Deinen Freund kennengelernt? 

Ich habe meinen Freund 2017 in einem Club in Leipzig kennen gelernt. Ich begleitete an diesem Abend meine Freundin zu ihrer Nachtschicht an der Bar und wir feierten dort meinen Geburtstag.  Im Laufe des Abends kam ich dann mit meinem heutigen Freund ins Gespräch.

Seit wann lebt Dein Freund in Deutschland? 

Mein Freund lebt seit 2007 in Deutschland. Er hatte einen festen Job und hatte B1 Sprachniveau. Leider aber alles nur mit einer Duldung. Damals kam er nach Deutschland, um professionell Fußball zu spielen. Er trainierte damals bei einem 2. Liga Team in Sachsen- Anhalt und hatte gute Chancen im Kader aufgenommen zu werden.

Er verließ damals Nigeria aus mehreren Gründen. Einer davon war, dass er 2005 mit seinem jüngeren Bruder in einen Hinterhalt geriet, sein Bruder wurde angeschossen und hat das nicht überlebt. Mein Freund konnte fliehen, fürchtete aber seitdem um sein Leben und beschloss, zu fliehen. 

Als Du hochschwanger warst, wurde Dein Freund plötzlich abgeschoben, worauf du eine Frühgeburt erlitten hast. Warum musste Dein Freund Deutschland plötzlich verlassen?

Mein Freund wohnte zu dieser Zeit bei mir, hatte aber selbst noch eine kleine Wohnung. An diese Adresse kam auch der Abschiebe-Bescheid. Weil er aber selten in seiner Wohnung war, hat er den Brief erst eine Woche später aus seinem Briefkasten geholt. Zu dieser Zeit gab es auch noch ein Verfahren vor Gericht, weil mein Freund von einem rechtsradikalen Täter angeriffen und verletzt worden war. Aufrund dieser Verletzung wollte sein Anwalt einen dauerhaften Aufenthalt erwirken. 

Wie wir feststellen mussten, interessierte es die Behörde wenig, dass er Schmerzpatient war. Eine Amtsärztin, die ihn zu Hause besuchte, um seine Reisetauglichkeit festzustellen, schrieb dann in ihren Bericht: "Er darf reisen, bitte mit Rollstuhl bis zum Flieger schieben”.

Sein Anwalt riet ihm dann, dass wir dem Gericht die Schwangerschaft anzeigen sollten, damit das Abschiebeverfahren gestoppt wird. Zur Glaubhaftmachung wurden meine privaten Daten weitergeleitet. Trotzdem hämmerte vier Wochen vor Geburtstermin die Polizei an meine Wohnungstür. Ich war total geschockt, verwirrt und ängstlich, als mehrere Beamte in meiner Wohnung standen, die ich als sehr aggressiv empfunden habe. Ich bekam sogar eine Tür gegen den Bauch und hatte wirklich Angst um mein Baby. Mein Freund war zu dem Zeitpunkt aber gar nicht in der Wohnung, also zog die Polizei wieder ab. 

Ich war völlig durch und einen Tag später platze die Fruchtblase. Mein Freund fuhr nicht mit in den Kreissaal, weil wir schon von Fällen gehört hatten, in denen die Polizei direkt aus dem Krankenhaus abgeschoben hatte – davor hatten wir zu große Angst. Nach langen Gesprächen beschloss mein Freund, freiwillig auszureisen, um mich und das Baby zu schützen. 

Das heißt, Dein Freund ist derzeit in Nigeria. Wie geht es jetzt weiter?

Er wartet jetzt auf einen Termin bei der deutschen Botschaft in Nigeria. Die Wartefrist beträgt 9 Monate. Wir haben eine Anwältin, die versucht einen Sondertermin zu bekommen, aber es sieht schlecht aus.

Wie geht es Dir und ihm mit dieser Situation?

Wir sind beide sehr traurig, besorgt und auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Für mich war das alles sehr schwer, weil ich im Wochenbett alleine war und nun meinen Alltag mit drei Kindern – ich habe noch zwei Kinder aus einer anderen Beziehung – meistern muss. Mein Freund macht sich große Vorwürfe, dass er mich nicht unterstützen kann. Für ihn ist es unerträglich, dass er sein Baby nicht baden kann, nicht mit ihm kuscheln kann – dass er die ganze erste Zeit komplett verpasst. Trotz allem versuchen wir, das Ganze irgendwie zu überstehen und nach vorne zu blicken. Wir wollen nicht aufgeben. 

Du hast uns geschrieben, dass Du schon öfter blöde Kommentare bekommen hast, weil du mit einem Mann aus Nigeria zusammen bist. Erzähl mal!

Nigerianer haben allgemein einen schlechten Ruf. Drogen, Korruption, Voodoo und geschäftliche Betrügereien sind die üblichen Stereotypen. Dabei ist mein Mann emsig, zielstrebig, verantwortungsbewusst, studiert und weltoffen. Dass in Ostdeutschland Menschen mit anderer Hautfarbe täglich Rassismus und Vorurteilen begegnen, ist kein Geheimnis.

Wie erlebst Du die Gesellschaft im Umgang mit Flüchtlingen?

Ich selbst bin Patin einer afghanischen Familie, die aus Eltern und drei Töchtern besteht. Wir lernten uns über den Kindergarten kennen und haben uns dann mal verabredet. Seitdem sind wir befreundet. Mein Eindruck ist, dass die Menschen am meisten gegen Flüchtlinge hetzen, die gar keine Berührungspunkte mit ihnen haben. Sie fühlen sich einfach bedroht und reagieren dann über. 

Was wünscht Du Dir für die Zukunft?

Familiär wünsche ich mir, dass wir bald wieder alle zusammen sind und wir das Trauma der Abschiebung gut verarbeiten. In Bezug auf Flüchtlinge wünsche ich mir, dass nicht immer von Kriminellen oder Straftätern gesprochen wird, die abgeschoben werden. Es sind auch Familienväter, Mitarbeiter, Kollegen, Freunde oder Kinder, die auf einmal gehen müssen. 

 

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