Ihr Lieben, am 17. November ist Welt-Frühgeborenen-Tag und aus diesem Anlass erzählt uns unsere Leserin Natascha die Geschichte ihres zweites Kindes, das als Extrem-Frühchen zur Welt kam. Sie schreibt: „Liebe alle, ich will versuchen unsere Geschichte aufzuschreiben, so dass sie vielleicht anderen Frühchen-Eltern etwas Hoffnung gibt.
Pauline ist unsere 2. Tochter. Ihre große Schwester war gerade 2, als ich schwanger wurde. Meine erste Schwangerschaft war völlig unauffällig gewesen, auch die Geburt verlief problemlos. Bei Pauline waren nur die ersten 12 Wochen unauffällig und entspannt. Dann saß ich eines Morgens im Büro auf Toilette und bemerkte eine starke Blutung.
Beim Gyn konnte erstmal nichts Auffälliges entdeckt werden. Also habe ich mich einfach ein paar Tage geschont. Das Glück sollte nur von kurzer Dauer sein. Es kamen wieder Blutungen. Im Krankenhaus wurde unter dem Baby ein Hämatom entdeckt. So richtig konnte keiner was dazu sagen…
Letztlich hatte ich bis zum Ende der Schwangerschaft immer wieder Blutungen. Pauline ging es trotz allem aber die ganze Zeit sehr gut. Bei einer Voruntersuchung in der 23. Woche stellte der Gynäkologe dann allerdings fest, dass ich einen Fruchtblasenriss hatte und Pauline wortwörtlich auf dem Trockenen saß. Aufgrund der dauerhaften Blutungen hatte ich diesen nicht bemerkt.
Ich musste sofort ins Krankenhaus. Dort lag ich eine Woche und konnte noch die Lungenreifespritze bekommen, bis ich leichte Wehen spürte. Allerdings war davon auf dem CTG nichts zu sehen. Auf dem Weg zum Ultraschall bekam ich eine schwallartige Blutung (Plazentaablösung) und wurde sofort für einen Not-Kaiserschnitt in den OP gebracht.
Welt-Frühgeborenen-Tag: Unsere Tochter kam mit 695g zur Welt
Das Aufmacherfoto dieses Beitrags ist das Erste, was ich von Pauline im Aufwachraum zu sehen bekam, da sie sofort auf die Neonatologie verlegt wurde. Sie kam mit 605 Gramm und 29 Zentimetern bei 24+1 Schwangerschaftswochen auf die Welt. Von Anfang an hat sie gekämpft… und allen ihren Überlebenswillen gezeigt. Direkt nach der Geburt kam sie auf die Neonatologie.
Mit knapp 3 Wochen durften wir sie zum ersten Mal zum „Känguruhen“ halten. Es war so schön, sie zum ersten Mal auf der Brust liegen zu haben! Sobald wir sie bekuscheln durften, konnte man am Monitor sehen wie gut die Werte wurden. Es gab einfach trotz allem wirklich viele schöne Momente. Auch, als sie nach Wochen die Augen geöffnet hat. und vor allen Dingen als wir sie das erste Mal auf der Brust zu liegen hatten.
Ihr erstes Lebensjahr war geprägt von vielen Rückschlägen, ernsten Momenten… Es war ein Auf und Ab. Ihr größtes Problem war die Lunge. Sie war die erste Zeit intubiert, konnte dann auf verschiedene andere Atmungssysteme umgestellt werden. Immer war da aber die Angst, wenn das Telefon klingelte… es hat sehr lange gedauert, bis das Gefühl wieder weg war. Trotzdem gab es eben auch so viele Fortschritte, so viele positive Überraschungen und die Erkenntnis, dass Pauline sich nicht an Pläne hält, sondern knallhart ihr eigenes Ding durchzieht.
Das ganze Personal war so toll und liebevoll. Wir hatten wirklich auch viele Momente, in denen wir lachen konnten. Unsere Große wurde von Anfang an mit einbezogen. Wir haben mit anderen Eltern schöne gemeinsame Stunden verbracht…auch viele traurige Stunden. Aber nie allein, wenn man das nicht wollte.
Mit Sauerstoff und einer Magensonde wurden wir nach fast einem Jahr Krankenhaus entlassen. Das erste Mal Zuhause war für mich völlig surreal… Vorher war sie das Baby im Krankenhaus, klar mein Baby, aber das Krankenhaus war ja in alles mit involviert. Diese Sicherheit fiel auf einmal weg und das hat mir auch erstmal ordentlich Respekt eingeflößt.
Zuhause war unser Alltag mit einer 3Jährigen und einem intensiv-pflegebedürftigen Baby extrem. Rückblickend habe ich keine Ahnung, wie wir das als Familie geschafft haben. Sie hatte einen Medikamentenplan, ohne den wir den Überblick verloren hätten. Wir haben gelernt, mit dem Sauerstoffgerät umzugehen…, gelernt wann es nur ein Fehlalarm ist, wann es ein echter ist, wie man eine Magensonde selber legt und und und…
Nach einer Esstherapie mit unserer Logopädin aus dem SPZ hat Pauline das Essen wieder erlernt (während eines Infekts wurde sie ins künstliche Koma gelegt, danach hat sie jegliche Form der Nahrung über den Mund komplett verweigert).
Mit 1,5 Jahren konnten wir das Sauerstoffgerät verbannen es wurde nur noch bei Infekten gebraucht. Mit 2,5 Jahren hat sie laufen gelernt. Alles Dinge, die viele Ärzte ausgeschlossen hatten. Mittlerweile sind wir zu sechst. Pauline ist kleine und große Schwester. Von beiden Seiten hat sie stark profitiert. Und ich als Mutter habe durch sie einen anderen Blick auf die Dinge bekommen.
Am meisten geholfen durch diese Zeit hat mir mein Partner, uns hat das alles als Eltern noch stärker zusammenrücken lassen, dass ich ja leider nicht in allen Fällen so. Meine Familie hat uns ebenfalls viel Rückhalt gegeben und Kraft gab mir auch unsere große Tochter, die neben all den Kabeln und Schläuchen einfach nur ihre Schwester gesehen hat.
Heute ist Pauline 15 und ein Teenie
Die meiste Hoffnung aber gab mir Pauline selber. Dieses kleine Wesen hat einfach allen Widrigkeiten getrotzt. Nach jedem Rückschlag hat sie einfach weitergemacht. Wie hätte man da die Hoffnung verlieren sollen?! Heute ist sie 15 und auf einer ganz wunderbaren Schule. Bis zur 4. Klasse wurde sie inklusiv beschult, seitdem ist sie dort im Förderbereich für Kinder mit geistiger Behinderung. Sie geht sehr, sehr gerne in die Schule. Hat tolle Lehrerinnen und tolle Mitschüler.
Sie liebt alles mit Bewegung: Schwimmen, Rad fahren und vor allen Dingen Trampolin hüpfen. Pauline begegnet jedem Menschen völlig wertfrei. Sie hat eine ganz tolle positive Art, mit Menschen umzugehen. Kleinere Kinder fühlen sich bei ihr immer besonders wohl.
Sie hat ein extremes Sozialempfinden. Über ihre kleineren Geschwister wacht sie mit Argusaugen. Selbstverständlich gibt es hier trotzdem die normalen Geschwisterstreitereien, das ist bei uns nicht anders als in anderen Familien.
Pauline hat uns so viel beigebracht und gelehrt. Zum Beispiel, dass es im Leben viel Wichtigeres gibt als Materielles: Unsere Gesundheit, uns als Familie. Dass wir alle viel öfter diese Unvoreingenommenheit haben sollten. Und dass nach Regen auch wieder die Sonne kommt…
Die Liebe, die wir unseren Kindern schenken ist unersetzlich. Wie oft hab ich mich im Krankenhaus hilflos gefühlt, weil ich so wenig tun konnte… dann die Vitalwerte zu sehen, sobald Pauline mit mir kuscheln durfte, haben mich eines Besseren belehrt. Und jetzt ist sie 15. Wenn ich sie mir jetzt als jungen Teenie ansehe, kann ich kaum glauben, was wir für einen Weg hinter uns haben <3″
9 comments
Es ist WUNDERvoll, dass Pauline überlebt hat. Bei einer Geburt in der 25. SSW ist das Überleben keine Selbstverständlichkeit und vor 15 Jahren schon mal gar nicht. Ich würde es im Gegenteil tatsächlich als Wunder und Geschenk begreifen und das lese ich auch aus diesem Bericht heraus. Alles gute für Pauline und ihre Familie!
Hallo Lisa,
In der Tat, das ist kein „Vorzeige-Frühchen“ Bericht, den die Mutter hier abgibt. Und vielleicht ist es schwierig, so etwas zu lesen, wenn man persönlich von einer Frühgeburt bedroht ist. Beruhigend ist diese Geschichte für manche Eltern, die ein „es wird alles schon gut gehen“ hören wollen, auch nicht.
Das ganz große Aber: es ist ein Bericht einer Mutter, die sehr sehr stolz auf ihr kämpferisches ehemaliges Frühchen ist. Und sich über jeden Entwicklungsschritt freut. Eine Mutter, die wahrscheinlich sehr froh ist, dass ihre Tochter überhaupt überlebt hat und bei ihr sein darf. Das wäre vor 30 Jahren technisch noch gar nicht möglich gewesen und ist nur Dank großem Einsatz von medizinischer Technik und super ausgebildetem Personal möglich.
Es ist ein Bericht, der die Realität widerspiegelt, dass Frühchen in einigen Fällen ihr Leben lang mehr zu kämpfen haben als andere. Es geht nicht immer alles gut, so ist das Leben nunmal.
Ich denke ganz und gar nicht, dass es eine Triggerwarnung braucht. Das ist überzogen. Wir müssen mit der Realität klarkommen, dass beim Kinderkriegen nicht alles „instagram“ perfekt läuft.
Ich fühle mich, als Mutter eines geistig behinderten Kindes, durch deinen Beitrag ebenfalls „getriggert“. Das nur am Rande, ist aber eher mein Problem und hab ich morgen wieder vergessen.
Viele Grüße
Stiefelkind
Wie genau soll der Bericht jetzt anderen Eltern Hoffnung geben?
Eine Triggerwarnung wäre wohl angebrachter gewesen…
Das Kind musste beatmet und mit Sonde nach Hause, lag im Koma, ist geistig behindert…als jemand der in einer ähnlichen Situation ist und gerade große Angst hat, dass dass Kind so früh bzw. früher kommt, ist das nichts positives, sondern der absolute Horror! Erfahrungsberichte etc. kann man natürlich immer schreiben, aber man sollte ne Triggerwarnung drüber setzen.
Sollen sich kranke und Menschen mit Behinderung verstecken, um andere nicht zu „triggern“?
Ich finde diese Forderung unverschämt.
In diesem Artikel ist soviel Liebe und Hoffnung.
Wir müssen alle damit leben, das das Leben so einige Variablen bereithält, als Eltern vielleicht noch mehr.
Da muss man das Beste hoffen aber sich auch für Unangenehmes wappnen.
Ich finde, Du dürftest gerne nochmal in Dich gehen. Ich hoffe, dass mit der geistigen Behinderung als triggernd schlimmen Outcome, hast Du einfach unüberlegt geschrieben. Das kommt bei mir recht ableistisch rüber.
Wenn jemand in einer solchen Situation ist, hilft es nicht weiter alles zu verdrängen, es gibt viele, die wissen wollen, was auf sie zukommt. Man muss aber auch nicht künstlich dramatisieren. Das ist meiner Meinung nach hier gar nicht passiert. Wenn ich jemand bin, die lieber nix wahrhaben möchte, lese ich am besten gar nichts darüber im Internet nach.
Was erwartest Du von einem Bericht über ein extrem früh geborenes Kind? Wenns nicht schlimm wäre, dann gäbe es keinen Anlass darüber zu berichten. Umso schöner, dass alle Beteiligten ein durchschnittlich schönes Leben führen können.
Seriously?! Wenn man weiß, dass man durch Berichte über Frühgeburten möglicherweise „getriggert“ wird, hat man die freie Wahl, den Artikel (dessen Thematik sich bereits aus der Überschrift ergibt) gar nicht erst zu lesen. Aber weder die mittlerweile absolut inflationär gestellte Forderung nach „Triggerwarnungen“ (guess what, das echte Leben läuft nunmal leider oftmals anders als auf instagram) noch die hier konkret getroffenen Aussagen („ist geistig behindert… der absolute Horror“) zeigen „Mitgefühl“ (im positiven Sinne) oder dass die Leserin in der Lage ist, anzuerkennen, dass die Autorin des Artikels offensichtlich – zu Recht – ihre Tochter als Bereicherung empfindet und stolz auf ihre Entwicklung ist. Bevor man bei allem immer sofort „Triggerwarnung“ schreit, sollte man möglicherweise einmal kurz reflektieren, wie man sich selber fühlen würde, wenn eine andere Person eine Triggerwarnung im Hinblick auf eigene Erfahrungen/Erlebnisse/Schicksale/geliebte Menschen fordert.
@Sarah: Volle Zustimmung in allen Punkten!
Was für ein unmöglicher, unsensibler Kommentar. Da kann man nur wünschen, dass das echte Leben immer rechtzeitig Triggerwarnungen schickt, bevor das Schicksal zuschlägt!
was für eine schöne, liebevolle Geschichte! Alles Gute für Eure tolle Familie!