Drillings-Mama: Ein Kind starb kurz nach der Geburt – über das Leben nach dem Verlust

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Liebe Doro, vor 4,5 Jahren hast Du Drillinge entbunden, leider kamen die Babys viel zu früh. Bitte erzähl uns von der Schwangerschaft.

Meine Schwangerschaft mit den Drillingen war schwierig. Meine Frauenärztin diagnostizierte bei mir ein PCO-Syndrom und meinte auf natürlichem Weg wird es schwierig schwanger zu werden. In der Kinderwunschpraxis wurde gesagt, dass wir zunächst mit Tabletten (Colomifen) versuchen, dass die Eizellen weit genug heranreifen, um dann gezielt einen Eisprung auszulösen. Tja, bei der Kontrolle vor dem Wochenende hieß es: „Wir warten noch bis Montag“. Am Montag hieß es: „Oh, sie hatten jetzt schon von alleine einen Eisprung, vielleicht haben wir ja Glück.“ Die Drillinge sind also das Ergebnis eines unkontrollierten Eisprungs nach einer Überstimulation meiner Eizellen. Das Ganze hätten wir uns sparen können, denn heute weiß ich, mein PCO-Syndrom wurde fehldiagnostiziert. 

Dass es gleich drei Kinder sind war sicher eine große Überraschung….

Ja, das war eine große Überraschung. Wir haben uns aber sehr gefreut. Leider war mir zwischen der 7. und 18. SSW konstant schlecht und ich behielt nahezu nichts bei mir. Besser wurde es erst, nachdem ich 1 Woche in der Klinik war und dort deutlich stärkere Medikamente gegen die Übelkeit bekam. Zu diesem Zeitpunkt war ich trotz 3 Kindern in meinem Bauch um 8 Kilo leichter geworden.

Bereits in der 12. SSW stellte sich heraus, dass unsere Kleinste unterversorgt war. Leider waren ihre Plazenta und die ihres Bruders zusammengewachsen und sie bekam sozusagen nur die Reste, die er übrig ließ. Somit war nicht gewiss, ob sie die Schwangerschaft überleben wird.

Wie war der Tag der Geburt?

Um die 22. SSW wurde bei mir dann ein verkürzter Gebärmutterhals festgestellt und ich blieb mit strenger Bettruhe in der Klink. 

Am Morgen des 06.05.2015 bei 26+2 SSW wurde bei einem Routine-Ultraschall festgestellt, dass sich Wasser in meinem Bauchraum und in der Lunge eingelagert hatte. Die Diagnose hieß HELLP-Syndrom, schwere Schwangerschaftsvergiftung. Der Kaiserschnitt wurde für den nächsten Morgen geplant.

Abends wurden aber dann die Werte von unserer Kleinsten, die sich als starke Kämpferin entpuppte, schlechter und es wurde ein Notkaiserschnitt unter Vollnarkose gemacht.
Ich glaube, mein Gehirn hat sich an diesem Tag in irgendeinen Schutzmodus umgestellt, denn ich war relativ ruhig und entspannt, als es los ging. Ich fühlte mich sehr gut in der Klinik aufgehoben.

Als ich aus der Narkose aufwachte, war mein Mann bei mir. Er sagte, dass alle drei Kinder auf der Frühchenstation versorgt werden. Somit war für mich klar, dass alle drei Kinder leben – und ich war erstmal erleichtert.

Wie ging es den Kindern nach der Geburt?

Meine Zwerge kamen gegen 21.30 Uhr mit 780g (Sohn M.), 736g (Tochter R.) und 460g (Tochter E.) auf die Welt und wurden sofort intensiv-medizinisch versorgt. Alle mussten einmal reanimiert werden und konnten nicht selbstständig atmen.

Die Ärzte waren sehr vorsichtig mit Prognosen. Bei so frühen und kleinen Frühchen ist es fast unmöglich, genaue Prognosen zu machen, weil vieles auch von den Kindern selbst und ein wenig vom Glück abhängt. Ich durfte die Kinder am Abend des 07.05 – also ca. 24 Stunden nach der Entbindung – das erste Mal sehen. Sie waren so winzig und dennoch so schön. Richtig zu begreifen, dass das jetzt meine Kinder sind, fiel mir noch schwer.
Den Kindern ging es zu diesem Zeitpunkt sicherlich allen nicht gut, aber sie waren stabil und am Leben.

Euer kleines Mädchen ist leider verstorben. Wann habt Ihr sie verloren?

Drei Tage nach der Entbindung hatten wir ein langes Gespräch mit dem Kinderarzt. Er sagte uns, dass alle drei Kinder schwere Hirnblutungen entwickelt hatten, man wisse nicht, wie diese sich entwickeln würden. An Tag elf ging es unserer Tochter R. sehr schlecht, der Arzt sagte, dass sie die Nacht voraussichtlich nicht überleben werde. Und falls doch, dann sei die Prognose, dass R. mehrfach schwerstbehindert ist und sie keinerlei Lebensqualität mehr habe.

Wir entschieden uns, unsere Kleine auf ihrem Weg zu begleiten, indem wir sie zum Kuscheln aus dem Inkubator holten und sie nur noch die medizinische Unterstützung bekam, die sie brauchte, um nicht zu leiden. Gegen 1:30Uhr am 18.05.2015 hörte ihr Herz auf zu schlagen. Ich durfte unseren kleinen Engel selbst waschen und in ein sauberes Tuch wickeln. In dieser Nacht hatten mein Mann und ich das erste und einzige Mal mit unserer Tochter kuscheln können.

Kannst Du beschreiben, wie Ihr Euch da gefühlt habt – auf der einen Seite die Trauer und das Kind, aber auch stark sein müssen für die anderen beiden?

Meine Gefühle in den Stunden, in denen wir die kleine Maus verabschiedet haben, sind bei mir emotional wie ein schwarzer Fleck in der Erinnerung. Ich weiß nicht, was ich gefühlt habe. Ich habe funktioniert und versucht, ihr soviel Liebe wie nur möglich mit auf ihren Weg zu geben.

Die Zeit danach war ein Auf und Ab. Einerseits verspürten wir unbändige Trauer über den Verlust und zugleich waren da diese zwei anderen winzigen Babys, die uns brauchten. Die beiden kämpften und jeden Tag mussten wir für sie Entscheidungen treffen – und nebenbei musste die Trauerfeier und die Beisetzung geplant werden. Ich kann heute sagen, dass ich durch den Verlust von R. unsere anderen beiden Drillingskinder mit allen Problemen und Besonderheiten, die sie haben, noch mehr als Geschenk sehe. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie leben!

Wie lange mussten die beiden Kinder noch im KH bleiben?

Wir waren insgesamt fast das komplette erste halbe Jahr stationär in der Klinik. Unsere Tochter E. musste mit nur 700g für eine Herz-OP in eine andere Klinik gefahren werden. Beide Kinder entwickelten in Folge der Hirnblutungen einen Hydrozephalus (umgangssprachlich aber nicht schön auch Wasserkopf genannt). Das bedeutet, dass ihr Hirnwasser nicht mehr normal abfließen kann. Da das Hirnwasser sich immer neu bildet entsteht ein Hirndruck, der zu Schäden im Hirngewebe führt, wenn er zu hoch ist.

Um einen Hirndruck zu vermeiden wurde bei beiden Kindern eine Rickham-Kapsel unter die Kopfhaut implantiert, von dieser geht ein Schlauch in die Hirnkammern. Über die Kapsel haben die Ärzte jeden Tag 1-2-mal überschüssiges Hirnwasser mit einer Spritze entnommen. Verstopft der Schlauch oder kommt es zu einer Infektion, muss die Kapsel raus und neu gesetzt werden. Mit 3kg sollten die Kinder dann einen sogenannten VP-Shunt bekommen. Das ist ein Schlauch mit Ventil, der von den Hirnkammern in den Bauchraum geht und das Hirnwasser dorthin ableitet. Von 460 und 780g zu 3000g ist es ein weiter langer Weg! Unser Leben bestand aus Ultraschall, Monitorpiepen, Wickeln mit winzigen Windeln, Physiotherapie, regelmäßigem Füttern über eine Magensonde und später immer mehr mit der Flasche.

Wie ging es den Kindern?

Unser Sohn machte sich gut, sein erstes Fläschchen mit 5ml Inhalt trank er mit Bravour – was, wie wir bei unserer Tochter sehen mussten, alles andere als selbstverständlich war. Unsere Tochter lief uns dank Verschlucken bei jeder Mahlzeit mehrfach blau an. Ihr nach dem Verschlucken zu helfen oder sie einfach durch gezieltes Massieren ans Atmen zu erinnern, waren Dinge, die uns in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Während unser Sohn dann Ende Oktober heim durfte, weil seine erste Shunt-OP gleich erfolgreich war, funktionierte der erste Shunt unserer Tochter für sie nicht wie er sollte. Nach einem erneuten Hirndruck bekam sie einen neuen Shunt mit einem anderen Ventil.

Im November waren dann endlich beide Kinder Zuhause. Im Feb/März 2016 hatte unser Sohn erneut eine Shunt-OP weil seiner nicht mehr richtig funktionierte. Unsere Tochter wurde ebenfalls 2016 aber im Mai geplant nochmal am Shunt operiert. Die OPs meiner Kinder hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon aufgehört zu zählen….

Welche Einschränkungen haben die Kinder durch die Folgen der Hirnblutung? 

Unser Sohn ist körperlich und geistig entwicklungsverzögert. Mit seinen 4,5Jahren krabbelt er, kann sich an Möbeln hochziehen und auch daran entlang laufen. Er hat einen Rollator für Kinder und kommt damit gut voran. An einer Hand laufen klappt mittlerweile auch recht gut. Er spricht mittlerweile auch ziemlich gut. Ohne seine Brille sieht er sehr schlecht, wäre in der Klinik damals nicht gelasert worden dann wäre er erblindet.

Unsere Tochter kann sich kaum fortbewegen, ihre rechte Hand hat durch die Hirnblutungen eine starke Spastik und sie kann sie kaum nutzen. Seit 3 Monaten schafft sie es, sich manchmal alleine hinzusetzen oder kommt in den Vierfüßlerstand. Sie spricht nur etwa 10 Wörter, was es oft selbst für uns Eltern schwer macht, zu wissen, was sie gerade möchte. E. hat auch eine Magensonde und bekommt 90% ihres Essens darüber.

Wie würdest Du Eure beiden Großen beschreiben?

Es sind fröhliche, neugierige, besondere Kinder, die ihre Umwelt verzaubern. Unsere Tochter hat dieses Funkeln in den Augen, das Kinder haben, wenn sie wieder einen Streich aushecken. Ich glaube, wenn sie könnte, wie sie wollte, dann müssten wir uns warm anziehen. Sie liebt vor allem ihren Papa über alles und meistens weiß der auch am besten, was sie uns gerade mitteilen will.

Unser Sohn ist ein kleiner Tüftler, er kann sich auch mal eine halbe Stunde konzentriert mit den Rädern eines Spielzeugautos beschäftigen. Er ist ein ziemlich empathisches Kind und merkt es sofort. wenn es jemandem in seiner Umgebung nicht gut geht, oft weint er dann mit. Manchmal treibt er mich aber auch in den Wahnsinn, er hat nämlich einen ausgewachsenen Schuhtick, das heißt, er krabbelt hier ständig mit allen möglichen Schuhen an den Händen durch die Bude.

Du bist dann nochmal schwanger geworden. Wie hast du diese Schwangerschaft erlebt?

Die Schwangerschaft war eine freudige Überraschung, die aber natürlich auch mit Sorgen verbunden war. Meine Blutwerte wurden sehr oft getestet, um im Notfall eine Schwangerschaftsvergiftung zeitnah zu erkennen. Mit dem Chefarzt der Frühchenstation hatte ich ausgemacht, dass er mich vor der 30. SSW nicht sieht, das brachte ich als Etappenziel. Als das geschafft war, fielen viele Sorgen von mir ab. Unsere Tochter wurde reif geboren.

Wie bereichert Eure Kleinste Eure Familie?

Sie ist ein echtes Räuberkind und macht alles unsicher. Mit ihr dürfen wir erfahren, wie der Alltag mit einem völlig gesunden Kind ist. Ich habe endlich ein Kind, mit dem ich intensiv Bücher anschauen kann, mit den Großen ist das aufgrund der Sehschwächen schwierig.

Sie streitet sich natürlich auch mit ihren Geschwistern. Aber sie ist auch sehr fürsorglich. Wenn ihre große Schwester etwas braucht, läuft sie sofort los und holt es. Oder sie sagt uns Bescheid, wenn die Nahrungspumpe piepst und somit fertig ist. Das ist wirklich sehr schön.

Ihr habt als Paar schwere Zeiten durchgestanden – was hat das mit Euch gemacht?

Alles in allem hat es uns zusammengeschweißt, wir haben auch immer alle Entscheidungen (z.B. für OPs ) gemeinsam getroffen. Aber es gab schon Phasen, in denen wir uns vor lauter Problemen ein wenig verloren haben. Manchmal zieht man sich dann in sein eigenes Schneckenhaus zurück. Alles in allem haben wir uns aber immer wieder gefunden und solange die Gefühle von beiden Seiten stimmen, ist alles gut.

Wie hast Du Dich durch all das verändert?

Ich habe das Leben mehr zu schätzen gelernt, ich bin unendlich dankbar für das, was ich habe und ich weiß, das es nicht selbstverständlich ist. Manchmal rege ich mich richtig auf, wenn Leute so unheimlich undankbar sind und immer nur rumheulen, weil alles so schlimm ist – statt aufzustehen und das beste aus der Situation zu machen. 

Ich bin in vielen Situationen selbstsicherer und es interessiert mich weniger, was andere sagen oder denken. Ich habe gelernt, was es heißt, wenn man als Mutter seine Kinder wie eine Löwin verteidigt. Ich muss aber auch dazusagen, dass ich, als die Großen etwa 2 Jahre alt waren, eine Psychotherapie gemacht habe, weil ich zu diesem Zeitpunkt unter Depressionen litt. Diese Entscheidung habe ich nie bereut und es hat mir viel gebracht. 

Was wünscht du dir für die Zukunft?

Das alle meine Kinder irgendwann ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben führen können. 

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