Inside Schule: Was sich Grundschul-Lehrer von uns Eltern wünschen

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Liebe Nina, Du bist Grundschul-Lehrerin. Erzähl mal, warum du dich für diesen Beruf entschieden hast.

Ich bin selbst immer gern zur Schule gegangen und hatte – wie wahrscheinlich die meisten – eine Mischung aus richtig tollen, mittelmäßigen und richtig furchtbaren Lehrern. Irgendwann kristallisierte sich dann bei mir der Wunsch heraus, dass ich meine Begeisterung für Schule und fürs Lernen gern weiter geben möchte. Deswegen habe ich nach dem Abi Grundschulpädagogik und Germanistik studiert. 2011 habe ich mein Studium abgeschlossen, 2012 mein Referendariat. Ich habe dann bis zu meiner Elternzeit 2014 an einer Gemeinschaftsschule in Berlin-Neukölln unterrichtet und bin seit 2015 an einer Grundschule in Berlin-Wilmersdorf. Dort leite ich eine jahrgangsübergreifende 1. und 2. Klasse.

Überall herrscht Lehrermangel – kannst Du verstehen, warum für viele Studenten der Lehrerberuf nicht attraktiv erscheint?

Ja, überall herrscht Lehrermangel. Das liegt aber nicht an mangelndem Interesse an dem Studienfach, die Bewerbungen für die Lehramtsfächer übersteigen an den Unis bei weitem die Kapazitäten. Die Politik hat verpennt, rechtzeitig genug Leute auszubilden und den Unis die Kapazitäten dafür freizuräumen. An mangelndem Interesse an diesem Gebiet auf Seiten der Bewerber liegt es nicht

Sind Quereinsteiger die Lösung für den Lehrermangel?

Nein, die Quereinsteiger können nicht die Lösung sein – schon allein, weil uns ausgebildeten LehrerInnen die Zeit fehlt, diese KollegInnen so engmaschig anzuleiten, dass da qualitativ vernünftiger Unterricht bei heraus kommt. Aber in der jetzigen Situation – die einfach aus jahrelangen Versäumnissen entstanden ist – sehe ich auch keine andere Möglichkeit. So werden die Kinder zumindest betreut.

Was sind für dich die schönsten Momente in deinem Beruf?

Die schönsten Momente sind die, wenn ich merke, dass ich mit meiner Art und Einstellung in meiner Klasse erfolgreich bin. Dass die Kinder mit Freude zur Schule kommen, motiviert und angstfrei lernen, sich wohlfühlen und eine Klassengemeinschaft entsteht, in der jeder akzeptiert und von der Gemeinschaft getragen wird.

Und gab es auch schon mal ein Kind, das dich an deine Grenzen gebracht hat?

Nein, an meine persönlichen Grenzen hat mich noch kein Kind gebracht. Leider gibt es aber in jedem Jahr Kinder, die die Grenzen des Systems sehr deutlich zu spüren bekommen. Die beispielsweise nicht am eigentlich kostenlosen Mittagessen teilnehmen können, weil die Eltern das nicht unterschreiben (weil sie oft selbst nicht schreiben können). Die nicht an Ausflügen teilnehmen können, weil ihre Eltern es nicht schaffen, die kostenlose Fahrkarte zu beantragen. Für die sich das Jugendamt bei Verwahrlosung oder Gewalt in der Familie nicht interessiert, weil das in den Herkunftskulturen halt so üblich ist. Zu wissen, diesen Kindern bei aller persönlicher Mühe, nur begrenzt helfen zu können, ist manchmal schwer zu ertragen.

Immer wieder wird beschrieben, dass die Eltern sich heute sehr in den Schulalltag einmischen und die Lehrer mit ihrem Ansprüchen nerven. kannst du das bestätigen und in wieweit haben sich die Eltern in den letzten Jahren verändert?

Ich würde sagen, wie insgesamt in der Gesellschaft, geht auch beim Thema Elterneinmischung die Schere immer weiter auf und die Extreme nehmen zu. Zwischen kompletter Kontrolle (jede Woche bei der Schulleitung auf der Matte stehen und den Unterricht mit Smartwatches überwachen) und komplettem Desinteresse ist alles dabei. Leider nimmt auch eine Egoisten-Mentalität zu. „Für mein eigenes Kind tue ich alles. Aber wehe, es könnte noch ein anderes Kind davon profitieren, dann lasse ich es sein.“ Es wird immer schwerer, Eltern zur Mithilfe bei Festlichkeiten oder Aktivitäten zu finden.

Welche Mitarbeit erwartest du von den Eltern zu Hause eigentlich?

Ich gebe grundsätzlich keine Hausaufgaben auf. Aber ich erwarte von den Eltern, dass sie 1x am Tag in die Postmappe und ins Mitteilungsheft gucken und auf die Post auch zeitnah reagieren. Es ist so nervig, diesen Dingen immer hinterherlaufen zu müssen. Eine Teilnahme an Elternabenden wäre wünschenswert. Das sind so die Mindestanforderungen von meiner Seite – die leider aber auch nicht von allen erfüllt werden.

 Gibt es ein Vorurteil über Lehrer, das dich total nervt?

Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei. Und außerdem 12 Wochen Urlaub im Jahr.“ Nichts nervt mich so sehr wie das. Ich arbeite 75%, habe also in Berlin eine Unterrichtsverpflichtung von 21 Stunden in der Woche. Um mir meine Ferien „freizuarbeiten“, also rein rechnerisch auf einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen im Jahr zu kommen, müsste ich jede Woche 34 Zeitstunden arbeiten. Wenn ich das einhalten kann, war es eine gute entspannte Woche. In der Regel bin ich bei 40 Zeitstunden in der Woche, in Zeugnisphasen und am Schuljahresanfang noch mehr. Und trotzdem arbeite ich auch in den Ferien. Und das sind Zeiten, die bei mir im Kollegium nicht ungewöhnlich sind.

Wenn du sofort etwas an deinem Beruf/an der Schule an sich ändern könntest – was wäre das?

Ich wünsche mir mehr staatliche Unterstützung in Fällen, bei denen das Elternhaus wirklich 0 Unterstützung leistet. Mehr Zeit für Kinder, die ohne Deutschkenntnisse in die Klassen kommen. Weniger bürokratische Hürden und Aufgaben.

Was möchtest du allen Eltern sagen, deren Kinder jetzt gerade eingeschult worden sind?

Für Eure Kinder – und auch die Lehrer – ist die erste Zeit aufregend und spannend. Begleitet Eure Kinder, lasst ihnen Zeit bei der Umgewöhnung. Sie sind und werden  auch keine Lernmaschinen, nur weil sie jetzt Schulkinder sind. Und lasst auch den Lehrern Zeit bei der Einstellung auf eine neue Klasse. Habt Geduld und bringt etwaige Kritik respektvoll vor. Auch wir sind und werden keine Unterrichtsmaschinen. Aber wir geben für Eure Kinder unser bestes. Jeden Tag!

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Liebe Silke, du bist Lehrerin für Sonderpädagogik an einer Grundschule. Was genau können wir uns darunter vorstellen? 

Ich arbeite an einer regulären Grundschule (Primarstufe) und wir sind laut ratifizierter UN-Konvention dazu verpflichtet inklusiv zu arbeiten. Das heißt, Kinder mit unterschiedlichen Förderbedarfen werden in der Regelschule unterrichtet. Ich unterstütze sowohl Kinder mit festgestelltem Förderbedarf als auch Kinder in der Schuleingangsphase (1.-2./3. Schulbesuchsjahr), die präventiv gefördert werden.

Warum hast du dich für Sonderpädagogik entschieden?

Ich habe mich für Sonderpädagogik entschieden, weil ich es spannend finde, Kindern zu helfen, die nicht ohne weiteres durch ihre Schulzeit marschieren. Meine Fachrichtungen waren im Studium Geistigbehinderten- und Sprachbehindertenpädagogik. Meinen Vorbereitungsdienst habe ich an einer Förderschule Geistige Entwicklung absolviert.

Was ist für dich die größte Herausforderung in deinem Job?

Die größten Herausforderungen sind zum Einen, jedem Kind so gerecht zu werden, wie es das braucht. Das Regelschulsystem ist eben noch stark auf Gleichschritt und Konformität ausgerichtet. Wenn jemand da aus dem Schema fällt, ist es schwierig ihn und sein Umfeld aufzufangen. Verständnis und Geduld fehlen oft. Und in diesem Spannungsfeld authentisch zu bleiben und mit allen Beteiligten auf Augenhöhe zu kommunizieren, ist nicht immer leicht.
Eine besondere Herausforderung ist der Förderbereich Emotionale und Soziale Entwicklung. Viele Kinder mit herausforderndem Verhalten stellen meine Kollegen und mich vor große Anstrengungen und Belastungen, aber auch die Zusammenarbeit mit Eltern ist manchmal schwierig.

Und was sind die schönsten Momente?

Zu den schönsten Momenten gehören sicher heute z. B. die strahlenden Augen der Erstklässler, das Vertrauen, das einem durch Schüler und Eltern geschenkt wird, gelungene Unterrichtsstunden, in denen die Kinder mit Begeisterung dabei sind, mit Kollegen an einem Strang zu ziehen, gute Elterngespräche,…

Hast du das Gefühl, dass die Eltern sich in den letzten Jahren verändert haben? 

Ich kann es nicht so besonders feststellen. Ich bin allerdings auch „erst“ seit 14 Jahren im Schuldienst und empfinde es im Moment nicht anders als zu Beginn. Ich denke schwierige Menschen oder Menschen, mit denen ich gut oder weniger gut kann, die gibt es immer. Und auch Menschen mit höheren oder niedrigeren Ansprüchen.

In vielen Familien ist Schule/Hausaufgaben ein totales Reizthema. Kannst du das verstehen und hast du einen guten Tipp, wie es zu weniger Spannungen kommen kann?

Ja, das kann ich sehr gut verstehen. Aber mein Tipp, um die Sache zu entspannen: Schule weniger ernst nehmen. Ja, wir haben die Schulpflicht und ja, ein Schulabschluss ist auch irgendwie notwendig, aber… die Schule ist nicht alles im Leben. Den Druck rausnehmen so gut es geht, denn dieser ist einfach ein schlechter Begleiter beim Lernen. Und: da kommt’s sicher auch auf den Lehrer an, mit dem man zu tun hat, aber grundsätzlich erst mal davon ausgehen, dass ihm oder ihr am Wohle der Kinder gelegen ist. Und versuchen an einem Strang zu ziehen. Ich wünsche mir Gespräche auf Augenhöhe. Wir müssen nicht über Anwälte kommunizieren. Jeder Lehrer und jedes Elternteil und jeder Schüler… wir sind alle nur Menschen mit unseren guten und schlechten Tagen. Vielleicht hilft ein bisschen mehr Verständnis für den anderen auf allen Seiten. Das wäre schön und würde vieles leichter machen.

Wenn du eine Sache sofort an Schule/deinem Job ändern könntest – was wäre das?

Dass mehr Geld ins Schulsystem fließt, um die Schulen besser auszustatten und um die Klassen kleiner zu machen und mehr Personal, das fair bezahlt wird (Alle Lehrer verdienen das gleiche Gehalt, egal welche Schulformen). Alles in allem mehr Wertschätzung für den Lehrerberuf. Wir haben nicht vormittags Recht und nachmittags frei!

Welchen Wunsch hast du an uns Eltern?

Habt Vertrauen in die Lehrer eurer Kinder. Wir geben uns alle Mühe mit ihnen. Drückt auch mal ein Auge zu, wenn es nicht so perfekt klappt und sucht das offene, persönliche Gespräch! Humor wirkt auch manchmal Wunder! Wir müssen nicht gegeneinander kämpfen. Letztlich geht’s doch immer um unsere Kinder und Schüler.

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