„Wir müssen immer damit rechnen, dass die Eltern uns verklagen“ Eine Lehrerin berichtet

Lehrerin

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Ihr Lieben, wir haben neulich einen Bericht über zwei Schüler gepostet, die von ihrer Schule geflogen sind, weil sie während einer Studienfahrt ins frühere Konzentrationslager Auschwitz den White Power Gruß gezeigt hatten. Die Eltern der Schule gingen juristisch gegen den Schulverweis vor – und wir stellten die Frage, was die Jugendlichen wohl dann aus der Sache lernen würden…

Daraufhin meldete sich Johanna bei uns, sie ist Lehrerin und sagte: Heute schalten viele Eltern schnell den Anwalt ein. Wir haben sie dazu befragt.

Liebe Johanna, du bist seit 20 Jahren Lehrerin. An welcher Schule arbeitest du und warum hast du dich für diesen Beruf entschieden?

Ich arbeite an einer Realschule und unterrichte Deutsch und Mathematik in den Klassen 5 bis 10. Wie die meisten habe ich mich für den Beruf entschieden, weil ich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollte, sie auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben ein Stück weit begleiten und es besser machen wollte, als einige meiner eigenen Lehrer.

Du hast dich auf den Post über Eltern gemeldet, die sich gegen den Schulverweis ihrer Kinder juristisch gewehrt haben. Du hast uns geschrieben: Heute wehren sich Eltern gegen fast alles juristisch. Kannst du uns mal ein paar Beispiele nennen?

Ein klassisches Beispiel ist natürlich das Thema Noten, das immer wieder Anlass für Diskussionen bieten. Da gibt es mittlerweile öfter mal direkt Briefe an die Schulleitung oder sogar ans Schulamt, bevor direkt mit dem Lehrer gesprochen wird und es werden juristische Schritte angedroht bzw. angekündigt. 

Es geht aber auch um Konsequenzen für Fehlverhalten, die Eltern anfechten, z.B. hat ein Vater mit juristischen Schritten gedroht, weil sein Sohn auf dem Schulhof mit anderen zusammen Müll aufsammeln sollte. Ein Elternpaar hat Einspruch erhoben, als sein Kind zum Nachsitzen einbestellt wurde. 

Viele Dinge sind von vorneherein seitens der Schulleitung nicht gestattet, aus Sorge, sich juristisch angreifbar zu machen. So dürfen wir z.B. Handys nicht mehr wie früher abnehmen und bis Schulschluss einbehalten, wenn es im Unterricht benutzt wurde. 

Außerdem muss alles am besten schriftlich und so genau wie möglich dokumentiert werden, dass man jederzeit in der Lage ist, sich bei einer eventuellen Klage oder einem Widerspruch juristisch rechtfertigen zu können. Bei allem ist es oberstes Gebot seitens der Schulleitung, dass man „juristisch auf der sicheren Seite“ ist. Das ist wahnsinnig anstrengend. 

Hast du manchmal das Gefühl, Eltern und Lehrer*innen ziehen nicht mehr an einem Strang? 

Das ist leider immer öfter so. Einerseits haben wir gerade an unserer Schule immer wieder Eltern, die gar nicht erst zu Elternabenden, vereinbarten Gesprächsterminen oder Anhörungen erscheinen und gar kein Interesse an einer Zusammenarbeit haben. 

Ich habe z.B. bei einer Schülerin angerufen, da sie mehrfach keine Hausaufgaben gemacht hatte und den Unterricht massiv gestört hat. Die Mutter war der Meinung, es wäre meine Aufgabe, dieses Problem zu lösen, da es ja innerhalb der Schulzeit stattfand und hatte kein Interesse daran, gemeinsam nach Ursachen oder Lösungen zu suchen. Das ist kein dramatisches Beispiel, wirkt sich aber natürlich auf die Zusammenarbeit von Lehrern und Eltern aus. Außerdem zeigt es natürlich auch der betroffenen Schülerin, dass meine Aussagen als Lehrkraft bzw. das Verhalten in der Schule für ihre Eltern keine Relevanz haben. Das wiederum schwächt meine Position.

Andererseits gibt es leider auch immer wieder Eltern, die grundsätzlich blind für ihre Kinder „kämpfen“, auch wenn das Kind sich offensichtlich falsch verhalten hat (z.B. ein anderes Kind verletzt hat oder sich respektlos verhalten hat). Statt anzuerkennen, dass das eigene Kind sich nicht richtig verhalten hat und dem Kind klarzumachen, dass das zu Recht Konsequenzen hat, wird versucht, diese Konsequenzen abzuwehren oder abzuschwächen oder das Verhalten des Kindes generell zu entschuldigen und den Fehler bei anderen zu suchen. 

Wie würdest du dir die Kommunikation und die Verbindung zwischen Schule und Eltern wünschen?

Eigentlich ganz einfach: Offen, ehrlich und vertrauensvoll. Wir sind keine Gegner, sondern Partner und wollen doch im Prinzip dasselbe: Dass die Schülerinnen und Schüler etwas lernen in einer Atmosphäre, die das ermöglicht. Angstfrei, vertrauensvoll, gewaltfrei, respektvoll und in einem fairen Miteinander. Glücklicherweise gibt es natürlich auch viele Eltern, mit denen das wunderbar funktioniert.

Hast du generell das Gefühl, dass die Schüler*innen heute selbstbewusster sind und auch ihre Grenzen mehr austesten?

Absolut. Die Schüler*innen nehmen klare Ansagen und Regeln oft nicht mehr einfach hin, sondern wollen diskutieren, verhandeln, austesten. Das ist nicht generell etwas Schlechtes, solange es in angemessenem Maß stattfindet.

Was mir in meinem Alltag viel mehr Probleme macht, ist die zunehmende Respektlosigkeit, mit der uns als Lehrkräften begegnet wird.

Wie machst du das ganz persönlich, wenn es einen Konflikt in der Schule gab, also z.B. Prügelei. 

Zur konkreten Klärung des Konflikts spreche ich natürlich mit den beteiligten Schüler*innen, den Eltern, der Klassenleitung, der Schulleitung. Das passiert in den Pausen, Freistunden, nachmittags. Ich rede auch mit Kollegen, um deren Meinung zum Vorfall zu hören oder eine evtl. Vorgeschichte zu erfahren. Wir haben auch die Möglichkeit, die Schulsozialarbeit dazuzuholen. Je nachdem, wie die Situation sich darstellt bzw. wie schwerwiegend der Konflikt war, gibt es dann eine Klassenkonferenz, eine Anhörung, einen runden Tisch usw., um den Konflikt einerseits zu lösen und andererseits um Konsequenzen zu beschließen. 

Ich ganz persönlich spreche viel mit Kollegen, um solche Situationen zu verarbeiten, mir Zuspruch oder Ideen zu holen.

Findest du, dass der Anspruch an Lehrkräfte heute höher ist als noch vor ein paar Jahren?

Das ist auf jeden Fall so.  Die Lebensrealität der Schüler*innen ist ja auch eine ganz andere als noch vor einigen Jahren. Das bringt neue Herausforderungen mit sich, vor allem weil sich am System Schule nicht wirklich viel geändert hat.

Viele Schüler*innen können sich gar nicht mehr über einen längeren Zeitraum hinweg auf eine Sache konzentrieren oder stillsitzen. Hinzu kommen bei einigen mangelnde Sprachkenntnisse. Auch Verhaltensauffälligkeiten und Gewaltbereitschaft haben zugenommen.

Wir müssen als Lehrer viel Erziehungsarbeit leisten und sollen eigentlich alles auffangen, was Zuhause und/oder der Gesellschaft schiefläuft.  Es kommt immer wieder Neues dazu (Stichwort z.B. digitale Medien und KI), ohne dass etwas anderes wegfällt, die Ausrüstung dafür vorhanden ist oder wir als Lehrer dafür ausreichend geschult werden. 

Wir müssen mehr dokumentieren, sollen differenziert und individualisiert unterrichten, haben aber zwischen 25 und 30 Schüler*innen in der Klasse.  

Was würdest du dir für deinen Lehrerberuf wünschen? 

Als Erstes kleinere Klassen, um der Heterogenität der Schüler*innen gerecht werden zu können und vernünftigen Unterricht machen zu können. Gerade ruhige Kinder bekommen oftmals zu wenig Aufmerksamkeit, das ist ungerecht. 

Am liebsten wäre mir natürlich eine komplette Reform dieses kaputten Systems Schule. Es gibt viele bekannte Vertreter, wie z.B. Bob Blume, die nicht müde werden, die Missstände anzuprangern und auch konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen. 

Die Probleme sind bekannt, alle sind unzufrieden, es passiert aber nichts. Die meisten Lehrer sind engagiert, besser als ihr Ruf und machen den Job trotz der Umstände immer noch echt gerne und mit Herzblut. Damit das so bleibt und sich auch weiterhin junge Menschen für diesen an sich tollen Beruf entscheiden, muss sich etwas ändern.

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