„Mama, ich bin lesbisch“. Wie sich das Outing des eigenen Kindes anfühlt

regenbogen

Ihr Lieben, Familie ist längst nicht mehr nur Vater-Mutter-Kind. Wir glauben, dass jeder Mensch das Recht hat, so zu leben, wie er möchte. Dass es egal ist, ob er sich in eine Frau oder in einen Mann verliebt. Wir glauben, dass Kinder vorallem Eltern brauchen, die sie lieben. Und das können auch zwei Mamas. Oder zwei Papas. Wohl alle von uns würden sofort unterschreiben, dass sie Homosexualität gegenüber aufgeklärt und tolerant sind – doch was, wenn das eigene Kind sich plötzlich outet. Dann zeigt sich, wie tolerant man wirklich ist… Heute stellen wir Euch Elisabet vor, deren Tochter lesbisch ist. Sie erzählt uns, wie sie das Outing ihres Kindes erlebt hat. Vielen Dank für dieses schöne, ehrliche Interview! 

Liebe Elisabet, Ihre Tochter ist 19 Jahre alt und hat sich im Alter von 12 als lesbisch geoutet. Können Sie uns von dem Tag berichten?

Wir waren im Auto und Charlotte wollte nonstop ein Lied von Rio Reiser hören. Im Text hieß es: „Was wir hier machen, ist verboten“. Immer und immer wieder spielte sie dieses Lied. Irgendwann fragte ich: „Willst Du mir irgendwas mit diesem Lied sagen?“ Da antwortete sie: „Du weißt doch, was los ist.“ Ich sagte: „Ja, Du willst mir sagen, dass Du Dich in Mädchen verliebst.“ Sie nickte – endlich war es raus.

Das hört sich so an, als hätten Sie eine Vorahnung gehabt.

Dass meine Tochter lesbisch ist, habe ich schon seit ihrer frühen Kindheit geahnt. Meine Schwester ist lesbisch und meine Tochter ist ihr in vielem sehr ähnlich. Beispielsweise war meine Tochter nie sanft, nie ein Mädchen-Mädchen. Sie hat immer nur mit Jungs gespielt und war mit dem Fußball unterwegs. Als ich sie einmal fragte, ob wir nicht mal eine Freundin einladen wollen, sagte sie: „Mit denen kann man nicht spielen, die wollen nicht über Zäune klettern, das sind Springseil-Zicken.“ Meine Tochter bewegte sich zudem so gar nicht mädchenhaft. Sie polterte die Treppen hoch und runter, schupste Schubladen mit der Hüfte zu. Das mag jetzt seltsam banal klingen, aber ich erkannte viel von meiner Schwester in ihren Bewegungen und in ihrem Umgang mit Dingen.

Warum haben Sie Charlotte nicht direkt auf Ihre Vermutung angesprochen?

Meine Tochter zog sich mehr und mehr zurück. Ich stellte mir vor, wie schlimm ihre inneren Kämpfe sein müssen und wollte ihr Last abnehmen. Deshalb habe ich mich zuerst an das Mädchenhaus Hannover gewandt, dort werden Mädchen unterstützt, die sich in Mädchen verlieben. Sie haben mir geraten, zu warten, bis meine Tochter sich von selbst öffnet. Denn zuerst muss das innere Outing, also das vor sich selbst stattfinden, bevor das äußere Outing passieren kann. Diese Haltung war sehr schwer für mich, weil ich nicht wollte, dass mein Kind leidet. Meine Schwester hat sich erst sehr spät geoutet, war zuvor sogar mit einem Mann verheiratet. Ihr Weg war steinig, das wollte ich Charlotte ersparen. Ich wollte nicht, dass sie vielleicht aus einer Not heraus etwas mit Jungs anfängt, dass sie Ablehnung und Ausgrenzung erfährt. Trotzdem habe ich auf den Rat der Fachleute gehört und darauf vertraut, dass Charlotte dann kommt, wenn sie dazu bereit ist. Etwa drei Monate später war es dann soweit.

Waren Sie dann noch geschockt, als die Gewissheit da war?

Nein, ich war nur erleichtert. Monatelang hatten wir kaum miteinander gesprochen, mit dem Outing platzte der Knoten und wir konnten über alles reden. Durch meine Schwester habe ich das ja alles schon einmal erlebt. Daher hatte auch meine Seite der Familie keinerlei Probleme mit dem Outing. Heute ist meine Schwester eine große Stütze und ein Vorbild für Charlotte. Die beiden haben viel Kontakt und tauschen sich aus. Die Familie von Charlottes Vater, von dem ich schon lange getrennt bin, hatte schon Probleme mit dem Outing. Ihr Vater hat enttäuschende Sachen zu ihr gesagt und hat lange gebraucht, sich an die neue Situation zu gewöhnen.

Und was hat ihr Bekanntenkreis gesagt?

Ach, da waren schon einige „Nicht traurig sein, das verwächst sich sicher noch“ und „Oh, jetzt kriegst Du keine Enkelkinder“ dabei.

Wie waren die Reaktionen in der Schule?

Charlotte war sehr mutig und ist mit ihrer damaligen Freundin sogar händchenhaltend auf den Schulhof. Auf Anfeindungen hat sie sehr schlagfertig reagiert – zuhause hat sie allerdings oft geweint, weil sie wusste, dass andere Menschen sie diskriminieren.

Haben Sie sich externe Hilfe gesucht?

Charlotte ist oft in das Mädchenhaus gegangen. Mir war einfach wichtig, dass sie außer mir noch Leute hat, die sie tragen und unterstützen. Dass sie andere Mädchen in ihrer Situation kennenlernt. Ich bin zum „Bundeverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen“ gegangen, weil ich einfach wissen wollte, wie andere Eltern mit dem Outing ihrer Kinder umgehen. Mittlerweile engagiere ich mich dort ehrenamtlich und berate andere Eltern.

Wie erleben Sie andere Eltern, deren Kinder sich outen?

Zunächst mal haben es schwule Jungs schwerer als lesbische Mädchen. Schwulsein finden viele eklig, weil sie nur an Analsex denken. Lesbischen Sex verbinden viele mit mehr Zärtlichkeit und scheint daher leichter zu akzeptieren. Generell kann man sagen, dass Mütter die Homosexualität ihrer Kinder besser annehmen können als Väter. Besonders Väter von schwulen Jungs tun sich schwer. Sie möchten, dass ihr Sohn männlich ist. Und schwulsein wird immer noch als unmännlich gesehen.

Haben Sie denn die Freundinnen von Charlotte kennengelernt?

Ja, natürlich. Ich habe auch Kontakt zu deren Eltern aufgenommen, wir haben dann auch oft alle gemeinsam etwas unternommen. Charlottes Freundinnen durften auch bei uns übernachten. Ich habe mich immer gefreut, wenn Charlotte glücklich verliebt war.

Was wünschen Sie Ihrer Tochter?

Sie sehnt sich nach einer stabilen Beziehung, möchte heiraten und Kinder bekommen. Ich engagiere mich dafür, dass sie keine Heirat zweiter Klasse bekommt. Wenn sie Kinder haben möchte, finde ich das toll. Kinder brauchen Liebe und eine starke Bezugsperson. Ob das nun eine alleinerziehende Mutter ist, zwei Väter, eine Patchworkfamilie oder zwei Mütter – ist doch egal! Ich wünsche mir für Charlotte, dass sie ihren Weg geht und glücklich wird. Ich finde es bewundernswert, wie selbstbewusst sie ist. Es ist ihr egal, was andere denken, möchte nicht irgendwelchen Normen entsprechen. Es gibt wenig bekannte Vorbilder, an denen sie sich orientieren kann. Sie muss sich ihren Weg erkämpfen.

Was wünschen Sie sich für die Gesellschaft?

Dass Menschen nicht danach beurteilt werden, wie sie aussehen, wen sie lieben, ob sie im Beruf erfolgreich sind. Ich wünsche mir, dass Homosexualität irgendwann ganz normal wird. Ich glaube, dass wir alle von einer Vielfalt profitieren können. Ich wünsche mir von ganzem Herzen viel mehr Toleranz.

elisabeth

Und das ist Elisabet 🙂

 

Fotoquelle: .marqs / photocase.de

 

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10 comments

  1. wow
    Auch wenn es selbstverständlich sein sollte, dass Eltern ihre Kinder in dieser Lebenssituation unterstützen und bestärken, finde ich es wirklich absolut wie Elisabet hier reagiert hat und es immernoch tut.
    eine tolle Mutter und starke Frau mit starker Tochter.
    Ich hoffe ihre Zukunftswünsche erfüllen sich.

  2. als Mutter….
    … eines knapp 12 jährigen Sohnes geht es mir antuell wie Elisabeth mit ihrer Tochter. Ich bin mir sicher, dass mein Sohn schwul ist, warte darauf, dass er sich outet. Es ist sehr früh für ein Outing, vielleicht weiß er es selbst noch gar nicht… vielleicht irre ich mich. Sollte es aber so sein, ist es absolut ok. Ich bin selbst mit einer gleichgeschlechtlichen Beziehung innerhalb der Familie groß geworden und habe eine sehr liberale Einstellung mitbekommen. Mein Mann tut sich da leider schwerer. Ich finde mich daher in den Aussagen von Elisabeth absolut angesprochen. Meinem Sohn möchte ich ein mitunter langes Ringen um seine Identität ersparen und wünsche mir für die Zukunft, dass er „einfach so“ damit um die Ecke kommt, das Vertrauen hat, dass er gut ist, so wie er ist.

  3. http://www.baby-erfahrungen.de/
    Ich war vor kurzem in einer ähnlichen Lage. Meine beste Freundin war in einer Beziehung in der sie sehr unglücklich war. Davor hatte sie noch zwei andere Beziehungen mit Männern die sie jedoch auch beendete. Vor paar wochen hat sie dann die Beziehung beendet und hat mir auch den Grund und sozusagen ihr Outing mitgeteilt das sie auf Frauen steht. Sie wollte es mir erst verheimlichen, da sie gedacht hat es würde sich etwas an unserer Freundschaft ändert oder das ich keinen Kontakt mehr mit ihr möchte was ich totalen Schwachsinn finde, da ich nichts gegen Lespen habe und es mich für sie freut. Paar Tage später hat sie sich dann auch vor ihrer Familie geoutet die alle damit kein Problem haben. Wir stehen alle hinter ihr und stärken sie genau wie du deine Tochter mach weiter so und ein sehr schönes Interview.
    Liebe Grüße
    Emma

  4. <3
    Elisabet, Du bist eine richtig richtig tolle Frau! Meine Tochter ist noch sehr klein, wir wissen also nicht, in wen sie sich mal verlieben wird. Es ist mir auch total wurscht. Hauptsache, sie sucht sich einen netten Menschen aus.

  5. Da hat Charlotte ja
    Da hat Charlotte ja wahnsinnig viel Glück mit ihrer Mutter (gehabt), auch wenn das Verhalten eigentlich normal sein sollte. Ich glaube nicht, dass ich Probleme mit der Homosexualität meiner Kinder hätte, aber im Umfeld höre ich das schon ab und an.
    Meine Wahrnehmung ist übrigens ganz anders. Ich habe das Gefühl, Schwule werden viel besser anerkannt als homosexuelle Frauen.
    Ich freue mich immer wieder, dass hier die unterschiedlichsten Themen aufgegriffen werden. Toller Blog (jaja tolles Blog eigentlich)
    Schöne Grüße
    Jutta

  6. Ein gutes Beispiel
    Ich als junge Frau, die in Berlin lebt halte die völlige ( leider nur mentale) Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen und hetero Paaren oft für selbstverständlich. Jedes Mal ist es ein Schock, wenn ich dann doch einmal mit homophoben Ansichten konfrontiert werde. Doch das ist nichts weiter als Menschenhass, der sich auf alles „Andersartige“ konzentriert. Trotzdem finde ich es immer wieder schön, wenn auch Menschen früherer Generationen, wie die interviewte Mama, so reflektiert und normal mit der Sexualität Ihrer Kinder umgehen.

  7. Danke
    Ach wie schön, dass es so tolle Mamas gibt. Das hätte ich mir damals auch gewünscht. Ganz tolle Geschichte mit soviel Einfühlungsvermögen und dem richtigen Zeitpunkt. Traumhaft.
    Viel Spaß an Charlotte die Welt weiterhin so offen erleben zu können. Der Weg Zuhause ist mit der schwierigste und wenn es da klappt ist schon vieles leichter.
    Wir leben als Regenbogenfamilie mit zwei Mamas und einer süßen Tochter,die dank meiner Frau auch Familie um sich hat. Meine hat sich nach meinen outing verabschiedet.

  8. So eine Mutter
    Wünscht sich wohl jedes Kind. Bravo! Ich finde toll, wie Elisabeth hinter ihrer Tochter steht!