„Möglichst nicht auffallen“: Deutsch-Türkin über Rassismus nach Hanau

Eine Deutsch-Türkin über Alltags-Rassismus

In der Öffentlichkeit versucht Ebru, sich möglichst unauffällig zu verhalten.

Liebe Ebru, du sagst, seit den Anschlägen von Hanau hast du ein mulmiges Gefühl. Kannst du das genauer beschreiben?

Ich bin im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen. Ich habe hier meine Familie gegründet, bin verheiratet und habe drei Kinder.

Dieses mulmige Gefühl kann ich eher als Unbehagen beschreiben. Wenn ich über die Geschehnisse länger nachdenke, muss ich insgeheim an meine Kinder denken. Ob wir hier überhaupt noch Zukunft haben… ob wir tatsächlich unerwünscht sind.

Ganz schlimm empfand ich es, als direkt vor meiner Haustür in der Innenstadt eine Kundgebung von Nazis stattfand. Sie wurden durch die Polizei bzw. durch den SEK mit richtig großem Aufgebot geschützt. Da wird einem schlecht bei.

Du hast also selbst schon Erfahrungen mit Rassismus gemacht?

In der Schulzeit wurde ich öfter mit Rassismus konfrontiert, obwohl ich kein „typisch-türkisches“ aussehen habe (blaue Augen retten einen da doch.) Trotzdem habe ich aktuell eine ältere Nachbarin, die der Überzeugung ist, dass Ausländer nur so viele Kinder kriegen, um Kindergeld zu kassieren.

Ich belächle es, denke mir meinen Teil – und gut ist. Ich meide meist die Konfrontation. Früher in der Jugend sah es anders aus. Da durfte mich niemand beleidigen oder rassistische Äußerungen von sich geben. Aber mit der Zeit lernt man, tief durchzuatmen und sachlich zu bleiben. Eben so Deutsch zu bleiben, wie nur möglich…

Du hast bei Facebook einen Brief gezeigt, der die Opfer von Hanau verhöhnt. Dieser Brief wurde von einer Moschee an einen Rechtsanwalt weitergegeben und veröffentlicht (er bezeichnet u.a. die Opfer als Feiglinge und Idioten). Was empfindest du, wenn du so etwas liest? Wie reagierst du und wie reagiert dein Umfeld auf solche Verunglimpfungen?

Solche Briefe begegnen einem öfter im Internet. Als Erstes denk ich mir: „Nicht schon wieder“… Wütend werde ich nicht, da man an der Schreibart schon sieht, WER so etwas schreibt.

Solche Leute MÖCHTE ich nicht ernstnehmen, aber ich SOLLTE es… WIR sollten es ernstnehmen, wenn wir Hanau und die anderen rassistisch-motivierten Anschläge betrachten (NSU, SOLINGEN…).

Gibt es Orte oder Situationen, die du im Alltag meidest, weil sie dir zu gefährlich sind?

Als ich zwei Tage nach Hanau auf einem Konzert in den „Katakomben“ in Essen war bei einer türkisch-niederländischen Jazz-Sängerin, musste ich in einem kurzen Moment durchspielen, was passieren würde, wenn da ein Geisteskranker mit einem Gewehr auftauchen würde.

Ich habe instinktiv nach Notausgängen Ausschau gehalten. Wer die Katakomben kennt, kriegt leichte Panik-Attacken. Dass man solche Gedanken hat, ist schon heftig.

Was macht das mit dir?

Wenn ich mich mit dem Thema allerdings viel zu lange beschäftige, dann nimmt mich das extrem mit. Als Selbstschutz ziehe ich es lieber vor, gelassen zu bleiben, in dem ich mich ablenke. Ich muss an meine Familie und vor allem aber an meine Kinder denken.

Hast du das Gefühl, der alltägliche Rassismus wird eher schlimmer seit einiger Zeit?

Der alltägliche Rassismus scheint mehr zu werden, ja. Aber ich kriege es weniger ab, da ich relativ „inkognito“ unterwegs bin. Sprich „nicht ausländisch“ aussehe und zum Beispiel kein Kopftuch trage.

Meine Freundin ist gebürtige (Ur-/Bio-?!) – Deutsche, allerdings zum Islam konvertiert mit Kopftuch und vier Kindern. Sie wird viel zu oft auf der Straße angepöbelt und beleidigt. Das auch überwiegend von der älteren Generation.

Wie meinst du, können hier Vorurteile abgebaut werden, wie könnten wir alle besser zusammenleben?

Zusammenleben? Eher nebeneinander her würde ich sagen. Das geht nur, wenn man offen für sein Gegenüber ist. Im Alltag bedeutet das, Kontakt zu Menschen in der Kita, Schule etc. Vorurteile abzubauen ist gar nicht so einfach. Gäbe es DIE Lösung, würden wir hier nicht über Hanau diskutieren.

Ich habe keine Lösung parat, außer mein Leben zu leben. Am besten so, dass meine Familie am wenigsten auffällt. Dies beginnt schon bei der Namensgebung meiner Kinder. Landsleute schreien dann natürlich auch auf und meinen „VORSICHT ASSIMILATION“…

Aber wenn ich eins gelernt habe als „Deutsch-Türkin“, dann ist es, cool zu bleiben und mich nicht mehr von meinem Temperament leiten zu lassen. Es nimmt nämlich kein Ende. Man kann es nicht allen recht machen. Ich versuche es auch gar nicht mehr. Früher mit 15 schon. Aber das ist jetzt auch 20 Jahre her. 😉

Was würdest du dir für dich und deine Familie hier in Deutschland wünschen?

Für meine Familie wünsche ich mir einfach nur ein gesundes, harmonisches Leben.

Ich bin dankbar für jeden Tag ohne Krieg und Elend vor meiner Haustür. Ich bin dankbar für warmes Wasser, dass sogar IN meiner Wohnung ist. Für tägliches Essen. Ich möchte und werde mich nicht von Rassisten, Nazis oder rechten Politikern einschüchtern lassen.

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3 comments

  1. Auch ich habe einen Migrationshintergrund. Uns hat die Tat extrem getroffen zumal wir einen Familienangehörigen verloren haben. Unsere Herzen sind gebrochen und ja, es fällt uns sehr schwer einfach ganz normal weiterzumachen. Das Leid der engsten Angehörigen, also der Eltern und Geschwister der verstorbenen jungen Menschen, direkt mitzuerleben und anzusehen, tut unfassbar weh. Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass man diese schreckliche Tat verdrängen möchte, weil es einen einfach runterzieht. Trotzdem hat sich für mich persönlich etwas geändert. Ich habe mir fest vorgenommen, bei einer nächsten Diskussion über Flüchtlinge oder andere Migrantengruppen den Mund aufzumachen. Auch beim indirekten Alltagsrassismus. Weil Schweigen ist indirektes Akzeptieren. Sowas darf niemals akzeptiert werden. Ich finde es toll, dass Ihr darüber berichtet, weil Hanau uns alle angeht! Wer möchte nicht in einer friedlichen Gesellschaft leben?!
    Das Thema Rassismus darf nicht runtergespielt werden. Rassismus ist menschenverachtend!

  2. Hallo,

    ich finde die rassistischen Angriffe genauso schrecklich wie die Schreiberin und wünsche ihr und ihrer Familie alles Gute.

    Was mir leider nicht gefällt, ist, dass unsere Polizei wieder mal als Nazi-schützend dargestellt wird. Im deutschen Grundgesetz gibt es das Recht auf Versammlungsfreiheit. Das gilt leider für jeden, der ordnungsgemäß eine Demo anmeldet. Wird so eine angemeldete Demo angegriffen, muss die Polizei diese Menschen schützen. Ganz egal, ob die Polizisten oder wir das toll finden.

  3. Toller Beitrag der es für mich ziemlich genau trifft. Mein Vater ist Nigerianer meine Mutter Deutsche. Geboren und aufgewachsen sind wir hir. Meine Eltern leben zusammen hier. Wir sprechen alle Zuhause nur deutsch, mein Vater arbeitet seit dem ersten Tag hier, wir haben alle Abitur und Studienabschluss. Aber wir haben alle trotzdem einen braune Haut. Die Frage warum ich so gut Deutsch sprechen kommt mindestens einmal die Woche und natürlich der beliebte Klassiker, wo kommen Sie denn her, Antwort aus Deutschland, nächste Frage ja aber wo denn ursprünglich, Erklärung Mischling und so, als nächstes kommt: „na toll das Sie trotzdem so gut Deutsch sprechen“??? Meine Mutter ist ja auch Deutsche??? Meine beiden Töchter sind von der Hautfarbe her sehr unterschiedlich die große fast wie ich nur das Haar noch etwas europäischer, aber definitiv braune Haut, die kleinen weiß Haut und Blondes Haar, mit ,Stich ins rötliche. Ich ertappe mich wie ich manchmal denke Gott sei Dank. Sie wird es leichter haben. Dann werde ich traurig und wütend zu gleich bis mir die Tränen kommen. Über mich selbst und meine Gedanken, über einen Teil der Gesellschaft der mich dazu bringt und darüber das ich Angst habe mich mit meinen nigerianischen Wurzeln zu identifizieren. Möglichst deutsch sein, möglichst erfolgreich sein (aber nicht zu sehr damit niemand schimpft wir klauen die guten Jobs), möglichst nicht auffallen, angepasst in jeder Situation, schnell ins Wahllokal hüpfen und wieder raus, keine politische Meinung laut sagen. Verzweiflung runterschlucken wenn man die Wahlplakate bestimmter Parteien sieht, die innere Frage runterschlucken: meinen Sie damit auch mich oder bin ich schon deutsch genug? Den Gedanken wegschieben wo könnten wir den hin wenn es hier zu schlimm wird mit unsrer braunen Haut und dem deutschen Pass. Hier ist mein Zuhause, meine Heimat.

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