Wir sind hilflos: Mit 12 fing unser Sohn an zu kiffen

kiffen

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, kürzlich hatten wir hier den Beitrag von Yanna, die jahrelang abhängig von Cannabis war. Daraufhin hat sich auch Svenja bei uns gemeldet, deren Sohn schon mit 12 Jahren anfing zu kiffen. Wie es der Familie damit geht und was sie zur Legalisierung von Cannabis sagt, erzählt sie im Interview.

Liebe Svenja, du hast einen 18-jährigen Sohn, der kifft. Wann, wie und wo ist er das erste Mal in Kontakt damit gekommen?

Zunächst möchte ich sagen, dass unser Sohn nicht „normal“ entwickelt ist. Er hat eine Intelligenzminderung, ADHS und vermutlich eine Autismus-Spektrumstörung ,was die Kommunikation schon immer schwierig mit ihm machte.

Als er zu kiffen begann, war er gerade mal 12 Jahre alt und hatte bei einem Freund übernachtet. Am nächsten Tag rief mich der Vater des Klassenkameraden an, die Jungs hätten nachts Klingelstreiche gemacht und es hätte auch nach Gras gerochen. Ich war total geschockt und hab unseren Sohn gemeinsam mit meinem Mann sofort zur Rede gestellt.

Wie hat euer Sohn auf den Verdacht zu kiffen reagiert?

Er hat es zugegeben. Viel schlimmer und beängstigender als das Kiffen selbst, fand ich aber damals seine Aussage, dass durch das Kiffen mal endlich Ruhe in seinem Kopf wäre. Unser Sohn zeigte zu dieser Zeit schon einige Verhaltensauffälligkeiten. Wir waren damals auch schon mit dem Jugendamt in Kontakt, aber da nahm man da alles nicht so ernst. Es wäre halt ein schwieriges Alter, hieß es…Genau das Gleiche erlebten wir bei Ärzten und Therapeuten. Wir wurden nirgends so richtig ernst genommen, wir haben viele Stellen abgeklappert, aber so richtig helfen wollte oder konnte uns keiner – das war enorm frustrierend und macht mich heue noch sprachlos.

Wie hat sich sein Konsum entwickelt? Und was hat das mit ihm gemacht?

Wir hatten schnell den Eindruck, dass er häufig konsumiert, eben auch, weil er ruhiger und ausgeglichener war. Er hat das Zeug von älteren Mitschülern bekommen, vermutlich hat er es irgendwann auch selbst vertickt.

Kurz vor seinem 13. Geburtstag musste ich ihn dann das erste Mal von der Polizei abholen, er hatte mit einem anderen Jungen ein Fahrrad geklaut. Von da an wurde es immer schlimmer, er schlich sich auch immer wieder nachts raus und blieb weg.

Wie fühlt es sich als Mutter an, wenn das Kind regelmäßig kifft? 

Einfach nur hilflos. Wir haben so versucht, mit ihm zu reden, aber unsere Argumente kamen gar nicht mehr an ihn ran. Er hat nur gesehen, dass es ihm durchs Kiffen „besser“ geht, daher hatten wir gar keine Hebel mehr. Wir haben uns ans Jugendamt gewandt, versuchten auch, ihn zur Therapie zu überreden, aber das hat alles nicht geklappt.

Auch, als es später um Eigen- und Fremdgefährdung unter Drogen ging, konnten wir ihn nicht in die Psychiatrie bringen. Für mich ist das schon unterlassene Hilfeleistung….Wie schon erwähnt, haben wir wirklich viel versucht, haben uns an die unterschiedlichsten Stellen gewandt – aber niemand hat uns ernst genommen.

Was hat das alles mit eurer Mutter-Sohn-Beziehung gemacht?

Ich liebe meinen Sohn, ich hätte ihm so gerne so viel erspart. Mein Mann und ich waren total überfordert, wir wollten ja verhindern, dass er noch weiter abrutscht. Irgendwann haben wir uns entschieden, ihn eine Jugendhilfeeinrichtung zu geben, weil wir einfach nicht mehr weiterwussten. An diesem Tag ist mir echt das Herz gebrochen, ich hatte Panikattacken und meine Schuldgefühle haben mich total erdrückt. In der Einrichtung ging es aber auch total schief, er hat ständig Straftaten begangen. Also haben wir ihn nach Hause geholt. Da hat man aber auch gemerkt, dass die Zeit in der Einrichtung Spuren hinterlassen hat, er hatte totale Verlustängste.

Dann kam noch dazu, dass unsere jüngere Tochter selbst zum Jugendamt gegangen ist und gesagt hat, dass sie nicht mehr zu Hause wohnen will, weil es mit ihrem Bruder einfach zu krass ist. Das war ein Schock. Wir waren so auf unseren Sohn fokussiert, dass es ihm gut geht, dass er gesund wird und dass sein Leben wieder in die richtigen Bahnen gelenkt wir, dass wir alles andere aus dem Blick verloren haben…

Wie geht es eurem Sohn heute?

Als er 15 war hat er sich dann doch entschieden in die Klinik zu gehen. Dort war er damals sechs Wochen und dort wurde auch ADHS diagnostiziert und er wurde medikamentös eingestellt. In Klinik hat er auch nicht gekifft, aber kaum war er wieder zu Hause, habe ich es sehr schnell gemerkt, dass er wieder gekifft hat. Ich versuche einfach, für ihn da zu sein – er ist einfach mein Kind. Seit es nun leider noch einen anderen Schicksalsschlag in unserer Familie gab, ist sein Konsum explodiert…

Bist du für oder gegen eine Legalisierung und warum?

Ich halte Cannabis für gefährlich, genau wie Alkohol auch – der hier ja total verharmlost wird. Beides sind Drogen und beides kann großen Schaden anrichten. Jugendliche überschätzen sich ja oft und Konsum von Alkohol oder Cannabis im Straßenverkehr hat fatale Folgen. Ich fürchte also, dass die Legalisierung als Zeichen angesehen wird, nach dem Motto: Ist doch alles halb so schlimm.

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16 comments

  1. Als Mensch, der mit dem Thema Kiffen sehr viel eigene Erfahrung hat, möchte ich mich hier mal zu Wort melden.

    Zunächst mal vorweggestellt: Ich bin zwar ein absoluter Legalisierungs-Befürworter, aber ich finde, dass Jugendliche nicht kiffen sollten und vor allem nicht in dem jungen Alter von 12 Jahren.

    Trotzdem kann ich die Situation Eures Sohnes nachfühlen. Ich habe auch eine ganze Zeitlang gekifft und für mich war das auch eine Art Selbstmedikation, die mir damals geholfen hat, meine Überdrehtheit und meine Aggressionsprobleme zu managen.

    Auch kenne ich die Situation von meinen Eltern von der Polizei abgeholt zu werden, wobei es da bei mir nicht um Cannabisdelikte ging, sondern eher um Taten, die ich unter Alkoholeinfluss begangen habe.

    Vielleicht kann ich Euch dahingehend beruhigen, dass aus mir letztlich doch ein beruflich erfolgreicher Mensch mit abgeschlossenem Masterstudium, finanzieller Absicherung und zwei gesunden Kindern geworden ist.

    Tatsächlich hatte das Kiffen bei mir auch sehr positive Effekte. Manche der Leute, mit denen ich mir damals den Joint geteilt habe, sind heute noch Freunde fürs Leben, auch sich unser Leben heute natürlich nicht mehr um die Kifferei dreht.

    Für mich selbst war Kampfsport irgendwann ein Weg, meinen Kiffkonsum zunächst deutlich zu reduzieren und irgendwann dann ganz runterzufahren.

    Dadurch, dass ich meiner Heimatstadt treu geblieben bin, konnte ich auch sehr viele Biographien meines damaligen Kifferfreundeskreises über Jahre hinweg beobachten. Aus den meisten dieser Leute sind anständige Leute mit ordentlichen Jobs geworden.

    Nur mal als Beispiel: Einer meiner besten Freunde hatte die gesamte Zeit zwischen dem sechzehnten und dem achtundzwanzigsten Lebensjahr komplett mit Party und Drogen verbracht und zwar nicht nur Kiffen, sondern auch mit Pillen, Koks, Speed und vielen anderen Substanzen. Irgendwann hat er sich aus eigener Kraft gefangen und ist heute staatlich anerkannter Erzieher in einer glücklichen Beziehung mit einem gesunden Kind.

    Was ich damit sagen will: Geratet bitte nicht in Panik. Schreibt Euer Kind nicht ab. Kiffen ist nicht Heroin.

    Trotzdem muss ich nochmal betonen: Mit 12 sollte man nicht kiffen. Punkt.

    Wie Ihr Eurem Kind helfen könnt:

    1. Klärt sachlich und ungeschönt, aber auch ohne Dramatisierung und Verteufelung über Drogen auf.
    2. Macht Hilfsangebote, aber versucht nicht eine Therapie zu erzwingen.
    3. Macht bitte weder Euch selbst noch Eurem Sohn Vorwürfe.
    4. Habt Vertrauen, auch wenn es schwerfällt. Die allermeisten jugendlichen Kiffer enden später nicht in der Gosse, sondern finden irgendwann entweder den Weg ganz raus aus der Kifferei oder zumindest den Weg zu einem alltagstauglichen Gelegenheitskonsum.

  2. Ich finde die Reaktion der Mutter völlig übertrieben. Natürlich ist es nicht toll wenn ein 12 Jähriger Cannabis raucht. Aber deswegen völlig durchzudrehen anstatt dem Jungen mal zuzuhören ist nicht hilfreich denke ich. Cannabis ist kein Heroin. Eine Medikation bei ADHS wird von vielen Ärzten zu Recht verschrieben, der Junge hat sich seine „Medikation“ selbst verschafft. Natürlich gilt es die Gründe für eine Suchtentwicklung zu hinterfragen, aber dennoch sollte man Cannabiskonsum nicht verteufeln oder mit Alkoholsucht gleichsetzen. Es gibt so viele Menschen die Jahrzehnte lang Cannabis konsumieren und dabei ein ganz normales Leben führen. Vielleicht sollte die Mutter mal versuchen eine andere Perspektive einzunehmen und ihren Sohn nicht als Junkie aka schwarzes Schaf der Familie betrachten.

    1. Natürlich ist es eine Sucht, genauso wie Alkoholismus, er kann nicht aufhören! Kiffer sind Abhängige, funktionale Abhängige bis es kippt. Auch das kennt man von Alkoholikern. Und mit reden erreichen Sie Abhängige nicht mehr ein Junkie wird Ihnen alles erzählen, Hauptsache er kriegt Geld und hat seine Ruhe.

    2. Wenn mein 12-jähriges(!) Kind sagt, es kifft Cannabis, weil es dann entspannt ist- ich würde alles tun- aber nicht locker bleiben und denken, da kifft halt einer mal.
      Wenn er das mit Anfang 20 im Studium macht- von mir aus. Aber 12!!!

  3. Die wesentliche und nicht minder erschreckende Erkenntnis, die sich aus den geschilderten Erfahrungen von Svenja und ihrem Sohn ablesen lässt, betrifft weniger das Thema der Legalisierung von Cannabis, sondern vielmehr das Problem einer unbehandelten bzw. unentdeckten ADHS.
    In Studien konnte gezeigt werden, dass unbehandelte Kinder eher Marihuana konsumieren als mit MPH behandelte Kinder (zB im Rahmen des EU-Projektes ADDUCE). Ohne die Position von Svenja gegenüber der Cannabislegalisierung infragezustellen, sollte die Einordnung der hauptsächlichen Ursache von Cannabiskonsum bei ADHS nicht außer Acht gelassen und berücksichtigt werden, wie wichtig das Erkennen und die Entstigmatisierung von ADHS ist. Solange medizinisches Fachpersonal ADHS nicht erkennt, Eltern den Stempel „ADHS“ ablehnen oder gesagt bekommen, sie stellten die Kinder mit Ritalin ruhig, wird’s auch weiterhin Kinder/ Jugendliche geben, die Möglichkeiten zur Selbstmedikation wahrnehmen – egal ob mit legalen oder illegalen Mitteln.

    1. Meine jüngste Schwester hat nach knapp 10-jähriger Ritalineinnahme nach ADHS Diagnose nun seit nunmehr 8 Jahren Psychosen mit Verfolgungswahn und massive Schwierigkeiten, im Leben zurecht zu kommen. Laut diversen Neurologen und Psychiatern sehen sie das in den letzten Jahren immer häufiger und führen dies auf die jahrelange Ritalineinnahme zurück. Psychosen sind mittlerweile eine „offizielle“ mögliche Nebenwirkung bzw. Folgeerkrankung von dieser Art Psychopharmaka. Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Risiken vielen nicht wirklich bekannt sind.

      1. Da das lebenslange Risiko an Psychosen zu erkranken für jeden bei 1-2% liegt, müsste das schon mit mehr als ein paar Beobachtungen geklärt werden. DasRisiko durch THC-Konsum ausgelöst psychotische Episoden zu erleben, ist auf jeden Fall erhöht.

      2. Hallo Eva, das tut mir sehr leid für Deine Schwester und Deine Familie.
        Es gibt keine Metastudie, die diesen Zusammenhang zwischen Methylphenidat (MPH, Wirkstoff von Ritalin) und Psychosen belegt. Nach der Auswertung einer großen schwedischen Datenbank kann hier Entwarnung gegeben werden. MPH hat Nebenwirkungen, aber diese ist nicht belegt. Es ist sehr wichtig, hierzu seriös aufzuklären, um Ängste richtig einzuordnen.

        https://link.springer.com/article/10.1007/s15014-020-2322-0#:~:text=Viele%20Eltern%20fürchten%2C%20Methylphenidat%20könne,das%20Risiko%20für%20Psychosen%20erhöhen.

  4. Oh weh, Vorsicht mit solchen Vermutungen von außen! Und ist exzessiver Konsum nicht immer aus der Not geboren?

    Die Familie hat in meinen Augen ihr bestes gegeben. In vielen Familien fällt es zunächst jahrelang gar nicht auf das massiv, was auch immer, konsumiert wird. Oder die Kapazitäten sind ausgereizt, andere innerfamiliäre Probleme sind vorrangig. Wie geschrieben, ein weiterer Schicksalsschlag kann dann den Genickschuss geben… Irgendwann ist keine Kraft mehr da. Und manchmal hilft leider auch keine Diagnose, Therapie, Medikation, keine Gespräche , Hilfestellung, Unterstützung…so schmerzlich das ist. Spätestens mit Übertritt ins Erwachsenenalter ist dann Selbstschutz dringend notwendig, um nicht selbst kaputt zu gehen, in diesen Strudel gezogen zu werden. Und natürlich Schutz der anderen Familienmitglieder, aber auch dass die Tochter so lange nicht gesehen wurde, ist leider menschlich in Ausnahmesituationen.

    1. Alles richtig. Mir ging es aber um die Zeit bevor das Kind zum Joint gegriffen hat.
      Auch die Not des zweiten Kindes wurde ja nach eigener Aussage erstmal „übersehen“

    2. Richtig Isabelle! Süchtige begreifen es erst ( wenn überhaupt jemals) wenn sie ganz unten sind. Und das funktioniert nur wenn jegliche familiäre Unterstützung ausbleibt. Vom Reden und Therapie kommt das nicht, daß funktioniert nur durch hartes lernen und dann kommt ( vielleicht) die Einsicht.

  5. Schwierig…es wirkt auf mich so, als hätte der Junge im Alter von 12 Jahren keine ausreichende Unterstützung erhalten, als er bereits Verhaltensauffälligkeiten zeigte. Seinen Leidensdruck hat er bereits in dem Alter benannt („endlich Ruhe im Kopf“). Aus dem Text geht nicht hervor, ob die Eltern daraufhin in irgendeiner Form aktiv wurden (Gespräche mit dem/der Klassenlehrer/in, Kinderarzt, Vorstellung beim Psychiater).
    Jetzt scheint die Situation sehr verfahren zu sein.
    Ich würde der Mutter zur Kontaktaufnahme mit einer Suchtberatungsstelle raten; auch über eine Familientherapie könnte evtl. eine Option sein.

  6. Ich weiß nicht, er sagt ja selbst, dass das Kiffen für ihn Selbstmedikation war, also in gewisser Weise aus der Not geboren. Gab es denn davor einen Dialog mit ihm, Diagnose, Therapieangebote, medikamentöse Optionen? Das kommt mir irgendwie zu kurz, lediglich der Hinweis auf die Untätigkeit des Jugendamtes, kommt mir ein bischen wenig vor. Meiner Erfahrung nach ist exzessives Kiffen inklusive Abrutschen eher ein Symptom und Hilfeersuchen als Ursache des Problems. Und ja, 12 ist verdammt früh.

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