Teenager in Großstädten: Verdammt, wir müssen reden – über Drogen!

Skater

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, wir haben selbst lange in Berlin Prenzlauer Berg gelebt, wir haben es damals sehr genossen, unter so vielen Gleichgesinnten zu leben, alle hatten Kinder, wir trafen uns auf Spielplätzen, quatschten, tauschten uns aus, unsere Kinder schlossen Freundschaften – und wir Erwachsenen auch. Zur Einschulung der Großen zogen wir dann raus aufs Land, dabei riss der Kontakt zu unseren Freunden und Freundinnen dort aber nie ab. Von einer von ihnen kommt dieser anonyme Gastbeitrag.

Berlin-Prenzlauer Berg: das Dorf in der Großstadt

Bis vor ein paar Jahren war für mich der Prenzlauer Berg, wo wir leben, das Bionade Biedermeier, wie es die Zeit 2007 taufte. Kleine Finkid-bemützte Kindergartenkinder bevölkerten die Straßen auf ihren Laufrädern. Eltern mit wertvoll befüllten Brotdosen teilten auf den Spielplätzen Bio-Apfelschnitze und Reiswaffeln aus. Man geht zum Musikgarten, ins Mitmachmuseum oder auf den Kinderbauernhof am Mauerpark.

Eine merkwürdige Idylle – das Dorf in der Großstadt. Kam mir damals schon etwas überzogen vor als Alleinerziehende und ich fühlte mich dieser Bio-Szene nicht ganz zugehörig. Aber gut: es gibt Schlimmeres, dachte ich.

Wenn man sich abends auf die Straße verirrte, wirkte alles leer und ausgestorben. Manchmal traf man eine Reisegruppe Spanier, die in einem alten Reiseführer vom Party Mekka Prenzlauer Berg gelesen hatte und nun vergeblich nach einer tollen Clublocation suchte. Das wars dann aber auch mit dem Nachtleben.

Schnitt. PrenzlBerg 2020.

Jugendliche bevölkern nachts die Plätze – Starplatz, Helmholtzplatz, Humannplatz. Sie sind noch zu jung um in einen Club zu kommen, aber auch zu alt um abends im Kinderzimmer abzuhängen. Rap-Musik aus Bluetooth Boxen. Anfangs freue ich mich über das Leben, das hier wieder Einzug hält.

Während frühere Generationen der Bionade Biedermeier Eltern irgendwann den Absprung ins Grüne schafften, oder zumindest ein nettes Häuschen am Stadtrand kauften, blieb man irgendwann. Die Immobilienpreise waren extrem gestiegen, Umzüge stellten oft eine finanzielle Verschlechterung dar.

Aus dem Heer von Kitakindern wurde irgendwann das Heer von Jugendlichen, die gemeinsam erwachsen werden wollen.

Im Sommer 2019 erzählt die erste Mutter von massiven Drogenproblemen ihres Teenagers. „Was? Ausgerechnet der Adrian, der immer so schön Klavier und Theater spielte?” Mitleidige Blicke und einige Tipps – mit der Gewissheit, die eigenen Kinder würden die Finger sicher davon lassen.

Kiffen
Vom Kinderkiez zum Kifferkiez. Foto: pixabay

Ein halbes Jahr später kann auch der Rest der Mütter dann mitreden. Nachdem ich im Kinderzimmer meines 14jährigen eine Bong (Wasserpfeife) finde, mache ich mich auf die Suche. Ich frage meinen Sohn, andere Kinder. Schaue mir Instagram an. Der jüngste ist erst 12. Die meisten konsumieren Cannabis, andere schon härtere Drogen.

Und den Stoff bringt nicht etwa der große Bruder mit. Die Kinder gehen zu Dealern im Mauerpark oder ordern per Telegram. Einige Kinder wurden abgezogen und ausgeraubt. Mein Sohn auch. Sein Smartphone wurde mir einige Tage später zum Kauf angeboten. Das haben wir nun davon, denke ich. Zu lange gewartet mit einem Wegzug aus Berlin.

Drogen-Prävention, die an den Jugendlichen vorbei geht

Ein Gespräch mit der Schule bringt auch keine Lösungen. Ja, man hätte sich doch um Prävention bemüht. Das Tanztheater aus Leipzig zum Mitmachen. Leider an der Zielgruppe vorbei. Mein Kind fand es eher lächerlich als abschreckend. Immerhin lerne ich, dass es bei der Polizei für die Schulen jeweils einen eigenen Beamten gibt, der das Treiben um die Drogen mitverfolgt.

Die Reaktionen der Eltern fallen sehr unterschiedlich aus. Eine Mutter wird sauer als ich sie anrufe, murmelt was von Helikopter und man müsse den Kindern doch vertrauen. Andere machen sich ebenfalls Sorgen und wir stehen im Telefonkontakt. Viele wussten auch nichts von den Hobbies ihrer Sprösslinge.

Was bleibt ist eine allgemeine Hilflosigkeit. Bisher habe ich auch noch keinen guten Beratungsansatz gefunden. Man soll in Kontakt mit den Jugendlichen bleiben. Verbote bringen es nicht. Ja, das merke ich auch. Sie verlassen nachts einfach die Wohnung und man kann sie auch nicht auf jedem Weg begleiten. Corona und der verschobene Rhythmus hat es nochmal schlimmer gemacht.

„Geht niemals mit Fremden mit“: Ein Mann bietet seine Wohnung an

Bleibt nur: wachsam sein und im Gespräch bleiben. Und mein persönliches Rezept: Instagram checken. Immerhin wurde ich so auf einen Mann aufmerksam, der auf einmal in den Followern der Kinder auftauchte. Mitte 50. Er markiert die Clique meines Sohnes auf einem Foto und schreibt drunter „Chillen mit meinen Bros”.

In seiner Wohnung im Prenzlauer Berg hatte er ihnen Unterschlupf gewährt, Drogen verschenkt und Getränke spendiert. Mit der Schule, der Polizei und einigen Eltern zeigen wir ihn an und setzen dem Treiben ein Ende.

Die Kinder sind am Ende doch etwas erschreckt, dass sie arglos in die Wohnung mitgegangen sind. Trotz der jahrelangen Aufklärung „Geh nicht mit dem Fremden mit.” Und glaubt nicht alles, was euch der Nachwuchs im ersten Gespräch sagt. Oft schwindeln und bagatellisieren sie.

Ein Fazit oder einen guten Tipp habe ich nicht. Ich bin noch dabei herauszufinden, was ich machen kann. Vielleicht eine Facebookgruppe gründen um wenigstens einen größeren Austausch unter den Eltern hinzubekommen? Hätten wir, als die Kinder noch kleiner waren, mal überlegen sollen, ob ein Umzug Sinn macht oder ob es auf dem Dorf nachher ähnliche Probleme gibt?

Es ist auf jeden Fall gut, dieses Thema auf dem Schirm zu haben. Ich hatte damit irgendwie nicht gerechnet und dachte: „Na mein Kind trifft es hoffentlich nicht”…

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7 comments

  1. Also ich wohne in einem kleinen Dorf in Bw. In der Nachbargemeinde gibt ein ein kleines Schulzentrum, dort gibt es auch Probleme mit Drogen und vorallem Alkohol. Dafür muss man nicht in Berlin leben.

  2. Ich bin damals in einer dieser behüteten Kleinstädte aufgewachsen, Haus mit Garten und so. Und Drogen waren da auch überall. Auf dem Schulhof, im Jugendverein, Sportverein… sie waren so einfach zu bekommen. Nicht zu vergessen der auf dem Land allgegenwärtige Alkohol. Erster Joint mit 13. Ich glaube, dass hier das Umfeld überschätzt wird. Es sind Jugendliche. Egal wo.

  3. Hm. Also ich (Jahrgang ’83) bin selbst Berlinerin und klar, in der Großstadt kommt man definitiv früher mit Drogen in Kontakt als auf dem Land. Meinen ersten Joint hab ich mit 14 geraucht. Aber ansonsten ist es hier wie überall auch: Abgerutscht sind nur Leute aus eher schwierigen Familienverhältnissen. Für die ganzen bürgerlichen Kinder war es nur ein Ausprobieren und man wusste genau, wo die Grenze war. Meine Eltern haben das Kiffen toleriert (die haben in dem Alter ja selbst gekifft) und mir immer gesagt „Es ist okay, wenn du das ausprobierst. Wir vertrauen dir, dass du es nicht übertreibst“. Vor harten Drogen haben sie mich natürlich gewarnt. Ich hatte auch schon mit elf „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ gelesen und so wollte ich ganz sicher nicht enden. So ist es bei ab und zu kiffen und einmal LSD geblieben und ab etwa 20 hab ich nie wieder was angerührt.

  4. Als – überspitzt gesagt – echte Prenzlauer Bergerin (jetzt im weiten Westen der Stadt lebend) muss ich sagen: Es war schon immer so. Viele, die Prenzlauer Berg erst bezogen haben und daraus ein bestimmtes Bild entstehen ließen, sind erschrocken, dass in dieser Bio-Öko-Szene auch knallharte Realität zu sehen ist. Nur weil Anne und Michael ihre Kinder Sören und Jette mit Bildung, guter Familienbindung und Toleranz erzogen haben, heißt es nicht, dass diese Kinder nie neugierig sind und sich nicht ausprobieren wollen. Es ist immer furchtbar für Eltern, wenn ihre jugendlichen Kinder dieser Neugier nachkommen. Sie riskieren damit viel. Und einigen kann es dauerhaft schaden. Egal, wie und warum.
    Prenzlauer Berg ist ein Bezirk wie jeder andere auch. Bunter gemischt als Marzahn oder Zehlendorf, heutzutage noch offener als früher Anfang der 90er und davor. Aber hier kommt alles zusammen. Auch die negativen Seiten.

  5. Hallo.
    Ein Thema was mich beruflich begleitet, da ich mit Jugendlichen zusammen arbeite.Mir haben Jugendliche bei diesem Thema zurück gemeldet, dass sie sich eher von Leuten mit Drogenerfahrung informieren lassen. Es gibt solche Angebote, wo Jugendliche/junge Erwachsene von ihren Drogenkonsum und wie sich das auf ihr Leben ausgewirkt hat, erzählen. Das kann helfen und Augen öffnen.
    Weiter versuche ich die Jugendlichen mit ihren Zielen zu motivieren. Ein tolles Praktikum? Berufliche Wünsche? Ehrgeiz wecken, Drogen als Hemmschuh verdeutlichen (das ist hier auf dem Land wahrscheinlich leichter, Thema: Mobilität, Führerschein).
    Alles Gute

    1. Ich weiß nicht warum die Mütter so schockiert sind. Das zeigt nur umso mehr in was für einer Pipi-Langstrumpf-Welt die Latte-Macchiato-Muttis aus ihrem sauber gentrifizierten Öko-Paradies da leben. Da hat man dem Torben-Pascal immer fleißig das Teilen beigebracht, jeden Wutanfall pädagogisch wertvoll ignoriert und Plastikflaschen für Bäh erklärt. Warum macht der das jetzt nur? Und mal ehrlich, wer, der bei klarem Verstand ist, zieht sein Kind in Berlin groß und erwartet, dass das nicht passiert? Da werden einem die Drogen ja schon aus dem Taxi raus angeboten. Das müssten die Hipster Muttis und Vatis doch noch aus ihrer eigenen Jugendzeit kennen. Ist ja nicht so, dass Berlin dafür bekannt wäre…

  6. Ich bin heute 34 und ebenfalls in Prenzlauer Berg aufgewachsen. Mit 13 ging es bei uns auch schon los, Kiffen, erste Bong kaufen und Gras im Mauerpark kaufen. Mit Fremden sind wir nie mit. Meine Mutter war sehr offen und lies mich machen. Sie wollte nur wissen wo wir sind und wann wir nach Hause kommen. Sie wollte lieber das wir auf unseren Balkon mit Joint und Bong abhängen als irgendwo anders, wir waren zwar anstrengend aber sie hatte ein Auge auf uns. Mit 16 und meiner Ausbildung kam ich alleine aus dem Kifferalltag raus aber manche aus unserer Clique kiffen bis heute 🙂
    Vielleicht hilft es dir ja. Ich denke Verbote verschlimmern das alles tatsächlich aber ein Auge auf alles zu haben und Gespräche über diese Themen mit den eigenen Kindern zu führen sind wichtig. Aufklärungsarbeit in der Schule interessiert die meisten Kids nicht. Ich hoffe dennoch das meine Kinder jetzt später nie so wie ich werden 😉

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