Ü40 an der Uni: Die Kinder werden flügge, Mama studiert nochmal

Ü40 an der Uni

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Ihr Lieben, wir interssieren uns ja immer sehr für die Geschichten von Müttern, die nochmal neu durchstarten, wenn ihre Kinder größer werden. Verena Carl etwa hat sich nochmal für ein Studium entschieden und ist mit Ü40 an der Uni zurück.

Als sie zu Beginn des Studiums mal einen Hänger hatte und überlegte, doch wieder aufzuhören, sagten ihre Kinder: „Kommt nicht in Frage, Mama, du hast dich so über den Studienplatz gefreut, das ziehst du auch durch.“ Hier erzählt sie, was es heißt, 30 Jahre nach dem Erststudium nochmal die Hörsaal-Bank zu drücken. Wer mehr dazu lesen mag: Verena bloggt dazu auch.

Verena, du bist jetzt mit Ü40 an der Uni zurück: In welchem Semester bist du grad und was studierst du?

Offiziell hat gerade das zweite von vier Semestern begonnen, wobei in meinem Studium das Jahr in jeweils drei Trimester unterteilt ist, da bin ich mit dem zweiten schon fast fertig. Ist ähnlich wie bei einer Schwangerschaft, je nachdem, ob man mit neun Monaten oder zehn Zyklen rechnet 😊. Ich studiere berufsbegleitend, im Masterstudiengang Digitaler Journalismus.

Wie lang ist dein erstes Studium her (das du damals ja auch abgeschlossen hast)?

30, in Worten: DREISSIG Jahre. Exakt damals saß ich gerade an meiner Diplomarbeit an der Fachhochschule München, Studiengang BWL, Schwerpunkt Tourismus, und habe versucht herauszufinden, ob Zeitschriften von Reiseunternehmen tatsächlich der Kundenbindung dienen. Das Ergebnis war durchwachsen, wenn ich mich recht erinnere.

Inwiefern unterscheidet sich deine Lebenssituation diesmal von der von damals?

Ein Unterschied wie Tag und Nacht, wobei ich gar nicht sagen kann, was Tag ist und was Nacht, es hat alles seinen Reiz. 1994 war ich 24, wohnte in einer schlecht isolierten Dachwohnung (im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt), scharrte gerade in einer Langzeit-Fernbeziehung zwischen München und Köln mit den Hufen, weil ich nicht mehr glücklich war (und machte bald darauf Schluss, was mit Sicherheit nicht an Köln lag!).

Ich verbrachte meine Nächte in Clubs und rauchte wie ein Schlot. Heute, 30 Jahre später, bin ich genau seit 20 Jahren verheiratet, habe zwei fast erwachsene Kinder, rauche schon lang nicht mehr, gehe zu selten tanzen, meine Wohnung ist in Hamburg, größer und besser isoliert, und ich darf tun, was ich am besten kann, nämlich schreiben. Wobei…. nächste Frage, bitte!

Wie kam es dazu, dass du dich jetzt mit Ü40 nochmal eingeschrieben hast? 

Ü40 an der Uni
Ihre Kinder sind groß: Verena Carl studiert nochmal

….eben. Vom Schreiben allein zu leben ist im Laufe meines Berufslebens als Journalistin (der Berufszweig, auf den ich nach meinem Erststudium umgeschwenkt bin) deutlich schwieriger geworden. Die Honorare sind auf einem Stand von vor etwa 15 Jahren eingefroren oder sogar gesunken, egal, ob für Print, Buch oder Hörspiel.

Wie viele Journalist:innen meiner Generation stand ich vor der Frage: Muss ich, um weiter zum gleichen Teil das Familieneinkommen zu wuppen, diesen Berufszweig verlassen, in die PR gehen, die interne Kommunikation oder ähnliches? Ehrenwerte Jobs, aber eigentlich nicht das, wofür ich angetreten bin? Oder kann ich mich digital aufschlauen, mich fit machen für eine Medienwelt, in der im Zweifelsfall TikTok und Instagram wichtiger sind für die Verbreitung journalistischer Inhalte als „Zeit“ oder „Spiegel“?

Ich hätte sicherlich auch eine Reihe separater Fortbildungen machen können, habe dann aber beschlossen, nochmal in die Tiefe zu gehen mit einem Studium, inklusive wissenschaftlichem Zugang, Hausarbeiten schreiben, und am Ende nochmal eine richtige Masterarbeit. Auch hier gibt es übrigens Parallelen zum Kinderhaben: Hätte ich EXAKT gewusst, wie viel Arbeit das mit sich bringt, wer weiß, ob ich mich nicht hätte abschrecken lassen. Gleichzeitig ist das Studium eben auch ein großes Glück und enorm horizonterweiternd.

Bist du die Älteste im Seminar? Was macht das mit dir, wie reagieren die anderen, was bringt das für eine Dynamik mit sich?

Ja – und ich glaube, ich sollte endlich mal damit aufhören, immer diese „Opa-erzählt-vom-Krieg“-Storys aus dem Journalismus zum Besten zu geben („Damals, Kinder, wir hatten ja nicht mal Internet!“). Denn eigentlich sind wir alle bei Teamarbeit oder gemeinsamen Hausarbeiten sehr auf Augenhöhe, jede:r bringt etwas anderes mit ein, das ist superkollegial, und ich bin selbst schuld, wenn ich immer wieder mein Alter und meine leichte Technikscheu ins Spiel bringe.

Aber oft ist es einfach so: Ich sehe eine ganz lange Strecke, die schon hinter mir liegt, und so, wie ich die Medienwelt vor 30 Jahren kennengelernt habe, so fühlt sich eben mein Normalnull an. Und ich bin immer noch verdattert, wenn z.B. Print für die Jüngeren gar nicht mehr den Nimbus hat im Gegensatz zu Online, wie es in meiner Zeit als Berufseinsteigerin war. Und für meine Kommiliton:innen, die jetzt größtenteils zwischen Mitte 20 und Anfang 30 sind, ist das eben Ancient History.

Was überrascht dich an der jüngeren Generation? Was hattest du nicht erwartet?

Ich finde es überhaupt ganz spannend, mit 30-jährigen zu tun zu haben, denn das ist die einzige Alters-Kohorte, die ich vorher so gut wie gar nicht kannte. Älter als meine Kinder, Nichten und Neffen, jünger als die meisten meiner Kolleginnen, Freund:innen etc. Deshalb war ich auch total überrascht, dass niemand von ihnen dem Klischee entspricht, das so oft kolportiert wird, von wegen: nicht leistungsbereit, überempfindlich, lebensuntüchtig und so. Ich finde die alle super – pragmatisch, aber meist auch idealistisch, feiern gern, hängen sich aber auch in Job und Studium rein. Und ich freue mich sehr, wie divers meine Studiengruppe ist, etwa in Sachen Herkunft.

Wie haben deine Kinder, die selbst im bald studierfähigen Alter sind, reagiert darauf, dass du jetzt nochmal für Klausuren lernen musst?

Die finden das großartig! Ich hatte ein einziges Mal gleich zu Studienbeginn so einen Hänger, da habe ich gesagt: Wisst ihr was, das ist doch alles viel zu viel, ich muss so viele Arbeitstechniken neu lernen, mich völlig neu mit so vielem auseinandersetzen, das so ganz anders ist als in meinem Erststudium, ich glaube, ich lasse das doch bleiben. Aber sie haben mich nicht gelassen: „Kommt nicht in Frage, Mama, du hast dich so über den Studienplatz gefreut, das ziehst du auch durch.“

Was waren deine größten Sorgen – und haben sie sich bewahrheitet?

Ich neige dazu, mir eher zu wenig als zu viel Sorgen zu machen, wenn es um neue Herausforderungen geht – und das finde ich eigentlich ganz gut, lieber ein bisschen blauäugig ins kalte Wasser springen und dann schwimmen lernen, als sich gar nicht ins Becken trauen. Aber dann kamen Herausforderungen von Seiten, die ich gar nicht auf dem Schirm hatte. Etwa Literatursuche: Vor 30 Jahren bin ich halt in die Bibliothek getrabt und habe auf Mikrofiche nach Stichwörtern gesucht, was nicht da war, war eben nicht da.

Heute geht das alles digital und es gibt es keine Entschuldigung dafür, wenn man zu wenige Quellen findet. Eine völlig neue Welt für mich, ich hatte als Journalistin auch kaum je mit Bibliotheksrecherchen zu tun. Dito zum Beispiel Präsentationstechniken: Meine Mitstudierenden sprechen alle fließend PowerPoint, ich habe das in meinem Job buchstäblich vorher nie gebraucht, wozu auch. Das ist alles kein Hexenwerk, es sind keine superkomplizierten Tools, aber die schiere Masse, die ich mir in kürzester Zeit aneignen musste, hat mich in den ersten Monaten echt an den Rand gebracht.

Lernst du viel, das du auch in der Praxis anwenden kannst?

Ich glaube, eher anders herum: Wenn ich im Sommer 25 fertig bin, werde ich einen so gut gefüllten Werkzeugkasten haben, dass ich mich um andere Jobs bewerben kann, ob frei oder möglicherweise wieder fest. Weil ich dann die gesamte Palette halbwegs beherrsche, vom Klassiker – Geschichten finden, Texte schreiben, was ich ja ohnehin schon lang mache – über die Social-Media-Begleitung, Marketingkonzepte für journalistische Produkte, Markt- und Publikumsforschung, Multimediales Storytelling. Das wird, so hoffe ich, mein Profil deutlich erweitern.

Manchmal braucht es ja so einen Impuls von außen, damit das Hirn nochmal neu angeknipst wird – merkst du auch, dass du grad viele neue Ideen entwickelst, weil du nochmal ganz neue Hirnareale ansteuerst? 

Ich sage immer: Mein Studienanfang war so, als hätte jemand die Tür zu einem kleinen, gemütlichen aber auch ein bisschen verstaubten Arbeitszimmer aufgerissen und gesagt: Ist ja nett hier bei dir, aber du weißt schon, dass du hier in der Turmkammer vom Westflügel versauerst, während unten im Ballsaal die Musik spielt?

Mit anderen Worten, ja, auf jeden Fall – allerdings muss ich auch aufpassen, dass ich mich nicht völlig irre mache, denn ich muss ja arbeiten, sprich Geld verdienen, nebenbei studieren, also Präsenzveranstaltungen besuchen und Hausarbeiten schreiben, und wenn ich dann auch noch vor lauter Inspiration komplett neue Dinge im Job ausprobieren würde, dann wäre noch das letzte Zipfelchen Freizeit hops.

Was würdest du insbesondere Müttern raten, die gerade überlegen, ob sie sich auch nochmal in den Hörsaal wagen sollten?

Ich finde so einen One-size-fits-all-Rat gar nicht so einfach, weil die Voraussetzungen so unterschiedlich sind. Wie alt ist das Kind (oder die Kinder), sind sie eher „Selbstläufer“ oder brauchen sie besondere Unterstützung, gesundheitlich, mental, beim Lernen? Ist ein Partner oder eine Partnerin mit gleichen Rechten und Pflichten mit im Boot oder nicht, aber auch umgekehrt: Ist die studierende Mutter eher Zuverdienerin und lassen es die Familienfinanzen zu, dass sie eine Zeitlang auch wenig bis gar nichts verdient? Oder ist sie möglicherweise die Hauptverdienerin (und der Mann oder die Frau übernimmt dafür vielleicht den Löwenanteil der Carearbeit)?

Das alles kalibriert die Zeit- und Geld-Konten unterschiedlich und lässt mal mehr, mal weniger Platz für ein (Zweit-)Studium. Was für mich tatsächlich gut passt: Meine Kinder sind 15 und 18, also mit Volldampf auf dem Weg in die Selbständigkeit, mein Mann und ich sowieso beide im Home-Office, das lässt sich alles ganz gut zusammenbringen. Dafür können wir uns nicht leisten, dass ich wegen des Studiums weniger Geld verdiene, ich muss die unbezahlten Studienzeiten also irgendwie ausgleichen.

Das heißt, Wochenenden und Urlaub sind bis Studienabschluss auf ein Minimum zusammengestrichen. Aber ich glaube, dieses Abwägen zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Notwendigkeiten muss jedes Elternteil individuell vornehmen, wenn es um ein (weiteres) Studium geht.

Was wünschst du dir auf dem Weg zum Studienabschluss?

Angenehme und fair bezahlte Aufträge, die mich fordern, aber nicht überfordern und mir Hirn- und Zeitkapazität übrig lassen für all das Neue, das ich lernen und üben will und muss. Dass es meinen Kindern, meinem Mann, meinen Freund:innen und mir selbst körperlich und mental gut geht und nicht überraschend irgend eine Hiobsbotschaft meine eng gesteckten Ziele sprengt.

Noch mehr von den vielen anregenden, überraschenden, inspirierenden Begegnungen mit Studierenden und Dozent:innen, noch mehr von dem, was meine Gedanken beflügelt, mir aber auch handfestes Werkzeug für meinen zukünftigen Job mitgibt. Und eine Vision, was ich denn eigentlich genau vorhabe mit den nächsten mindestens 15 Jahren, die ich auf jeden Fall noch weiter als Journalistin und Autorin arbeiten möchte.

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4 comments

  1. Bewundernswert, jetzt nochmal zu studieren. Mich drängt es, um keinen falschen Eindruck über die wissenschaftliche Güte unserer Studienausbildung aufkommen zu lassen, an einem Punkt zu widersprechen. Es war auch schon 1994 ein Muss, eine möglichst aktuelle und fundierte Recherche zu betreiben. Ich wsr zwar 1994erst im Grundstudium und habe ein anderes Fach studiert. Es gab Mikrofiche und Handkästen, aber es gab auch Datenbänke, die zumindest an guten Unis aufwendig gepflegt wurden. Es gab einen Bestelldienst. Ich denke, natürlich gibt es heute sehr viel leistungsfähigere Suchmöglichkeiten und das kann verwirrend sein. Dafür geht alles schneller und vieles ist digitalisiert. Alleine die Zeit, die ich in Copyshops verbracht habe…

    1. Das ist völlig richtig, was du sagst, ich war damals allerdings an der FH, und da wurden überhaupt keine Hausarbeiten geschrieben, es war komplett verschult, Stoff lernen, Klausur, fertig. Erst ganz zum Schluss, im 8. Semester, war eine Diplomarbeit nötig, wir bekamen eine zweistündige Einführung ins richtige Zitieren, das war’s. Viele – ich auch – waren damals zum ersten und letzten Mal in der Bibliothek. Insofern rächt es sich jetzt, dass mein Erststudium so unakademisch war. Im Vergleich zu Freundinnen fiel mir aber auch 1994 auf: Die arbeiteten sehr viel wissenschaftlicher, dafür durften sie länger schlafen. Bei mir begann die erste Vorlesung täglich um 8, es war sehr kompakt und stofflich vollgepackt, schiere Masse, wenig Tiefe. Das ist jetzt ganz anders. Hätte ich im Interview nochmal erklären können, dass sich das nicht verallgemeinern lässt.

  2. Respekt.
    Aber eine redaktionelle Anmerkung… wenn ich richtig gerechnet habe, ist 24+30=54. „Studium mit Ü50″wäre daher die ehrlichere Überschrift.

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