Schwanger mit Zwillingen – nur ein Baby kam lebend zur Welt

Zwillinge

Ihr Lieben, unsere Leserin Manu war mit Zwillingen schwanger. Leider ist ein Kind während der Schwangerschaft verstorben. Wir danken Manu sehr für ihren Mut und die Offenheit, uns ihre Geschichte zu erzählen und wünschen der ganzen Familie alles, alles Liebe!

„Als unser erster Sohn zwei Jahre alt war, wünschten wir uns ein weiteres Kind. Mein Mann war etwas zögerlicher als ich, denn er hatte bereits eine Tochter aus erster Ehe und deshalb ein bisschen mehr Bammel, sich für ein weiteres Kind zu entscheiden.

Im Mai 2021 erfuhren wir, dass ich schwanger bin. Beim ersten Ultraschall sagte mein Frauenarzt scherzend: „Na, was glauben Sie? Sind es eins, zwei oder drei?“ Der Ultraschall begann, plötzlich war Schweigen im Raum, die Arzthelferin schaute ihren Chef mahnend an. Und der wiederum schaute mich an und sagte: „Es sind zwei. Eine eineiige Zwillingsschwangerschaft mit zwei Fruchthöhlen.“

Leicht zitternd und bedingt fahrtüchtig fuhr ich mit einem Tunnelblick vom Gynäkologen nach Hause. Wie sollen wir das schaffen? Was würde mein Mann sagen, der sich zum dritten Kind „überreden“ lassen hat? Klar war auch, unsere Wohnung und unser Auto waren zu klein für eine Großfamilie.

Wir kriegen Zwillinge!

Als ich zu Hause aus dem Auto stieg, bekam mein Mann Panik, weil ich so fertig aussah und er natürlich dachte, dass etwas mit dem Baby nicht in Ordnung sei. Unter Tränen berichtete ich, dass alles super aussieht, was zu noch mehr Verwirrung seinerseits führte. Dann kam mein Zusatz: „Wir bekommen Zwillinge.“

Meinem Mann fiel die Kinnlade runter, doch dann lachte er. Er öffnete sich ein großes Bier, nahm mich in den Arm und sagte, dass wir das natürlich alles schaffen werden – irgendwie. In mir machte sich Erleichterung breit.

Die Schwangerschaft verlief bis dato – abgesehen von großer Übelkeit – unkompliziert. Wir freuten uns auf die Zwillinge und bereiteten uns gedanklich darauf vor unser vorhandenes Babyequipment zu verdoppeln. In der 12. Woche stand die Nackenfaltenmessung an, die im Fall meiner Zwillingsschwangerschaft direkt bei der Pränataldiagnostik erfolgte.

Die Ärztin stellt ein seltenes Syndrom fest

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Dort stellte die Ärztin anhand der Blasenfüllung der Babys fest, dass ein Verdacht auf das Zwillingstransfusionssyndrom, auch FFTS (Fetofetales Transfusionssyndrom) genannt, bestand, was sich in den kommenden Wochen in einer engmaschigen Untersuchungsreihe bestätigte. Sie klärte uns auf, dass dies bei 15% aller eineiigen Schwangerschaft passieren würde und hierbei ein operativer Eingriff erforderlich sei, um das Überleben beider Kinder zu sichern.

Das war ein Schock für uns, wir stellten wahnsinnig viele Fragen und mussten die Nachricht erst einmal verdauen.

FFTS bedeutet, dass der Blutaustausch der Babys über die Plazenta im Ungleichgewicht ist. Es gibt ein Spender-Kind und ein Empfänger-Kind. Als Laie denkt man direkt, dass es dem Empfänger-Kind besser gehen muss als dem Spender-Kind, aber dem ist leider nicht so. Der Organismus des Empfänger-Kindes wird mit zu viel Blut versorgt. Diese Überversorgung manifestiert sich u.a. dadurch, dass die Fruchthöhle viel zu viel Fruchtwasser enthält, da das Baby überdurchschnittlich viel pieseln muss.

Das hatte auch die Konsequenz, dass ich in der 14. Schwangerschaftswoche aussah wie im 7. Monat bei meinem ersten Sohn. Bei einer Operation wird die Plazenta, die sich die beide teilen, gelasert und alle Blutverbindungen zwischen den Zwillingen gekappt, damit sie sich nicht mehr gegenseitig über-bzw. unterversorgen.

Wir hatten das große Glück, dass wir in dieser schweren Zeit von einer ganz großartigen Ärztin betreut wurden, die uns dann schlussendlich für die Operation nach Hamburg ins UKE geschickt hat.

Die lebensrettende OP steht an

Nachdem die Ärzte im UKE zwei Wochen zögerten, da die Fruchthöhle für den Eingriff eine gewisse Größe haben muss, wurde ich am 11.08. operiert (SSW 17). Die Wahrscheinlichkeit lag bei 75%, dass beide den Eingriff überleben würden und bei 95%, dass zumindest ein Baby den Eingriff überlebt. Würde man nicht operieren, hätten beide Babys keine Überlebenschance. Es mag etwas komisch klingen, aber ich war froh darüber, dass mir die Entscheidung, ob man operieren sollte, abgenommen wurde.

Als die OP anstand war der Raum voller Menschen und ich wurde für den Eingriff vorbereitet. Mein Mann durfte im hinteren Bereich des Raumes dabei sein. Ich war sehr nervös, aber die ruhige Art der behandelnden Ärzte und Schwestern färbte zum Glück auf mich ab.

Den Eingriff haben der Chefarzt und ein Oberarzt der Pränatalmedizin vorgenommen. Es wird ein ein Zentimeter großer Schnitt in die Bauchdecke vorgenommen und ein Laser in die größere Fruchthöhle des Empfänger-Kindes eingeführt, um die Verbindungen /Adern auf der Plazenta zwischen den beiden zu trennen.

Man bekommt eine örtliche Betäubung in der Bauchdecke und kann den Eingriff am
Bildschirm mitverfolgen. Es war beeindruckend, was wir alles sehen konnten. Der Chefarzt erklärte
alle Details und zeigte uns dann sehr liebevoll beide Babys. Da waren sie: Patrick und Tim. Sie waren
schon so „fertig“. Es war alles dran. Dadurch, dass wir beim Empfänger Baby (Patrick) in der
Fruchthöhle mit der Kamera und dem Laser unterwegs waren, konnte man ihn ganz detailliert
anschauen. Das war ein ganz besonderer Moment für uns.

Die Operation verlief ohne Komplikationen

Durch die wie Seide wirkende Wand der Fruchthöhle konnten wir auch das Spender-Baby Tim sehen, der zum Zeitpunkt des Eingriffs nur noch sehr wenig Fruchtwasser hatte und ganz klein und zart vor sich hin schwamm. Die beiden hatten durch das FFTS einen starken Größenunterschied. Patrick war bereits 15cm groß und Tim nur ca. 8 cm. Der Eingriff verlief ohne Komplikationen und war nach 30 Minuten beendet.

Am Schluss wurden noch knapp 2 Liter Fruchtwasser aus der Fruchthöhle von Patrick abgelassen, um meinen überdimensionalen Babybauch und den Druck auf meine Lunge zu reduzieren. Danach fiel mein Bauch ein ganzes Stück in sich zusammen, was sich anfühlt wie der schlimmste Bauchmuskelkater, den man sich vorstellen kann, da die Gebärmutter sich erst wieder der neuen Füllmenge anpassen muss.

Am Abend der OP redete ich viel zu den Babys und machte ihnen Mut, dass wir uns gemeinsam durchkämpfen. Am nächsten Morgen stand die erste Untersuchung nach dem Eingriff an. Ich hatte ein sehr gutes Gefühl, weil der Eingriff so gut verlaufen war. Die Ärztin auf der Station startete den Ultraschall und sagte direkt, sie sähe bei beiden Kindern Vitalzeichen. Eine riesige Erleichterung. Doch plötzlich wirkte sie sehr konzentriert und flüsterte schließlich zur Kollegin, dass sie bitte die Oberärztin holen sollte. Ich wurde nervös.

Ein Baby hat es nicht überlebt

Diese führte erneut einen Ultraschall durch und teilte mir dann mit, dass das Empfänger-Baby Patrick
verstorben sei. Tim ging es gut, aber seine Werte seien noch erhöht. Ich ging wieder auf mein Zimmer und brach in Tränen aus. Ich rief meinen Mann an und er machte sich sofort auf den Weg ins Krankenhaus. Wir konnten es beide nicht fassen, weil wir so sehr an die 75% Überlebenschance beider geglaubt hatten.

Zwei Tage nach dem Eingriff wurde ich entlassen und fuhr von da an regelmäßig zur Kontrolle ins UKE
nach Hamburg. Die positive Nachricht war, dass sich Tim sehr schnell nach dem Eingriff erholte und
innerhalb kürzester Zeit auf dem Level einer Einlingsschwangerschaft war.

Beim Organscreening in
der 20. Woche wurde dann noch besprochen, was man beim Eingriff nebenbei bemerkt hatte (und
mir auch berichtet, aber ich hatte nicht realisiert, was es bedeutete) – ich hatte eine Vasa Prävia,
eine Nabelschnur am Gebärmutterausgang. Dies kann sehr risikoreich fürs Baby sein. Es darf keinen
Blasensprung geben, weil dann die Gefahr besteht, dass die Nabelschnur des Babys verletzt wird und das Kind dann verbluten würde. Es hat nichts mit dem FFTS zu tun, es war einfach eine weitere
Komplikation.

Während des Organscreenings teilten sie uns außerdem noch mit, dass mit dem entnommenen Fruchtwasser ein sogenanntes Mosaik in der DNA gefunden wurde. Dies war allerdings nur in einer Probe zu sehen und die zweite Probe, die gemacht wurde, war unauffällig – man war sich unsicher, ob es sich um ein Artefakt handele, aber ausgeschlossen wird in der Gendiagnostik per se mal gar nichts. Also wurden wir auch noch über das Risiko einer möglichen Behinderung von Tim aufgeklärt und ließen uns im Nachgang noch bei der Gendiagnostik beraten.

Wir entschieden uns gegen weitere Untersuchungen

Schlussendlich wollten wir hier keine weiteren Untersuchungen durchführen. Ich war fix und fertig
nach alledem und der Gedanke eine weitere Fruchtwasserpunktion durchzuführen war furchtbar. Ich
wurde weiterhin engmaschig untersucht, Tim entwickelte sich glücklicherweise ganz wunderbar. Den
kleinen Patrick habe ich bei jedem Ultraschall gesehen, er befand sich immer links oben in meinem
Bauch. Es klingt vielleicht etwas poetisch, aber er lag immer ganz nah an meinem Herzen.

Nachdem ich auf eigenen Wunsch noch Weihnachten zu Hause verbringen wollte, ging ich am 27.12.
stationär in die Klinik, es wurde täglich zweimal ein CTG geschrieben, um sicherzustellen,
dass keine vermehrten Wehen-Aktivitäten stattfanden.

Endlich können wir Tim im Arm halten

Am 3. Januar 2022, drei Wochen vor ET, war dann der geplante Kaiserschnitt. Wir wurden gefragt, ob wir den kleinen Patrick noch mal nach der Entbindung sehen möchten. Wir entschieden uns dagegen. Die Frauenärztin hatte uns gesagt, dass er sich bereits zurückgebildet habe. In den Operationsaufnahmen hatte er damals so rosig und friedlich ausgesehen. So hatten wir ihn in Erinnerung und wollten dieses Bild nicht durch ein anderes ersetzen.

Nach kurzem Eingriff hatten wir dann endlich Tim im Arm. Mopsfidel, noch ganz zart und leicht. Es war so ein wunderschöner Moment mit der größten Erleichterung, die man sich vorstellen kann.

Zwillinge

Am 22.02.2022 wurde Patrick im Rahmen einer Sammelbestattung der Klinik beerdigt. Wir hatten
gemischte Gefühle, wie das Begräbnis ablaufen würde, aber waren so froh teilgenommen zu haben.
Es waren ca. 40 Personen anwesend, die alle mit unterschiedlichsten Hintergründen ein Sternenkind
bekommen hatten. Hier konnte man nochmal gemeinsam Abschied nehmen und wir legten fünf
Rosen, eine von jedem Familienmitglied aufs Grab.

Im Januar 2023 haben wir Tims ersten Geburtstag gefeiert. Er ist ein Sonnenschein und macht gerade alle tollen Entwicklungsschritte, die die Phase mit sich bringt. Ich denke viel an Patrick, wenn ich Tim
anschaue. Oft frage ich mich, wie ähnlich sie sich gesehen hätten und ob Patrick auch so ein kleiner
Lachsack wie Tim geworden wäre. Aber wir wissen auch, dass dieser Weg von wem oder was auch
immer für uns so vorgesehen war. Eine große Lebenserfahrung, die hart war, aber die wir gemeistert haben. Und die ich teilen möchte, um anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.“

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3 comments

  1. Liebe Manu,

    danke für das Teilen deiner Geschichte! Es tut mir so leid, was du bereits in der Schwangerschaft alles durchleben musstest. Und es tut mir so leid, dass du einen kleinen Schatz gehen lassen musstest.
    Ich freue mich für euch, dass Tim gesund auf die Welt gekommen ist und eure Familie reicher macht.
    Einen Aspekt hätte mich noch interessiert, aus persönlichem Interesse: hast du das Gefühl, dass Tim seinen Bruder unbewusst vermisst? meine Tochter war eigentlich auch ein Zwilling , eigentlich sogar ein Drilling, wenn man die gleichzeitig zur normalen Schwangerschaft auftretende Eileiterschwangerschaft miteinrechnet. Allerdings ist das zweite Baby in der Gebärmutter schon früher verstorben als deines. Direkt nach der Geburt konnte meine Tochter nicht ohne Körperkontakt sein, ich durfte sie nie ablegen. und selbst heute, nach 2,5 Jahren, ist sie in ihrem Verhalten sehr extrem: bedarf sehr viel Körperkontakt, hat Verlustängste mir gegenüber, sehr viele Ängste, kann mich nicht mit ihrem Bruder teilen etc…
    manchmal frage ich mich, ob das mit ihren vorgeburtlichen Erfahrungen zusammenhängt, vielleicht suche ich aber nur nach Erklärungen, wo keine zu finden sind.
    Ganz liebe Grüße und alles Gute dir!

  2. Liebe Manu,
    ich kann deine Geschichte – das Hoffen und Bangen – so gut nachvollziehen.
    Auch ich bin damals vor fast 13 Jahren im UKE in Hamburg gelasert worden, weil FFTS in der 22 SSW. festgestellt wurde.
    Meine Söhne haben überlebt und bei der Fruchtwasser-Untersuchung wurden ebenfalls Mosaike in den Proben gefunden. Da wollte der Humangenetiker mit uns besprechen, welches der Kinder zuerst entbunden werden soll – das gesündere oder möglicherweise behindertere Kind. Eine schwere Zeit in meinem Leben!
    Beide Söhne sind gesund zur Welt gekommen, darüber bin ich natürlich sehr glücklich. Und sehr froh, dass wir solch ein gutes Gesundheitssystem und phantastische Ärzte in Deutschland haben.
    Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute und dass Tims Fröhlichkeit, sein Lachen euch auch weiterhin im Leben begleitet. Alles Liebe!

  3. Es klingt merkwürdig, aber meine Freundin Manu ist aktuell in der 17. Woche mit Zwillingen schwanger und auch sie haben das FFTS.
    Ich glaube, ich schicke ihr den Artikel aktuell nicht. Aber ich finde ihn ganz arg schön geschrieben.
    Alles Gute euch!

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