Corona-Impfung für Kinder: Was das für meinen behinderten Sohn bedeutet

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Ihr Lieben, von einigen Tagen gab es die Nachricht, dass bald schon Kinder ab 12 Jahren geimpft werden könnten. Diesen Artikel haben wir bei uns auf der Facebook-Seite geteilt, er wurde auch rege kommentiert. Daraufhin meldete sich Line bei uns – ihr Sohn ist schwerstbehindert, weshalb die ganze Familie seit über einem Jahr fast ohne Kontakte lebt. Für sie ist die Impfung ein absoluter Lichtblick, denn sie könnte endlich mehr Normalität bringen. Wir haben mit Line gesprochen:

Liebe Line, Du hast einen 13-jährigen Sohn. Erzähl uns doch bitte ein bisschen was über ihn.

Tim-Jonathan wurde als Frühchen mit einem Notkaiserschnitt in der 31. Woche geboren. Er wog 1400 g und war 32 cm groß. Im Mutterleib war er immer schon zu leicht im Schätzgewicht. Da auch meine großen Kinder eher als Leichtgewichte waren, beunruhigte dies in der Schwangerschaft erstmal weiter nicht.

In der 29. SSW hatte ich aber ein komisches Gefühl, deshalb bin ins Universitätsklinikum gefahren. Dort stellte man Unregelmäßigkeiten in der Versorgung durch die Nabelschnur fest. Das Ärzteteam wollte aber um jeden Tag kämpfen, den der kleine Mann im Bauch bleiben kann – wir schafften noch zwei Wochen.

In Tims erster Lebenswoche kam das Ärzteteam zu mir, mit der Bitte ihn einer weiteren Diagnostik zu unterziehen. Es wurde anhand der Vierfingerfurche an den Füßen eine Trisomie 21 vermutet. Das Ergebnis kam 2 Wochen später und die Vermutung bestätigte sich. Die Behinderung veränderte unser Leben kaum, weil Tim zu diesem Zeitpunkt noch mit ganz anderen Begleitsymptomen der Frühgeburt kämpfte.

Glücklicherweise war er ein Kämpfer und als wir entlassen wurden, bleib alles ganz gut händelbar -mal mit mehr oder mal mit weniger stressfreien Zeiten, wie mit jedem anderen Kind ohne Handicap auch. Die Entwicklung verlief etwas zeitverzögert, dennoch mit nicht allzu großem Unterschied zu Gleichaltrigen von Tim.

Je älter Tim wurde umso mehr Begleiterkrankungen und Einschränkungen traten auf. Unter anderem Hüftdysplasien mit Luxationen rechts und links, Patellaluxationen, Beinlängendifferenz, 100% Taubheit rechtes Ohr, Apnoen, Schlafstörungen, Inkontinenz, Autismusspektrumstörung, Verdacht auf Kinderdemenz, Autoaggression, schlechtes Immunsystem, Tim kann nur lautieren. 

Tim ist ein Kind mit sehr starkem Pflegeaufwand. Er kann keinerlei Hygienemaßnahmen alleine durchführen. Auch Essen und Trinken bedarf Assistenz durch uns. Er geht auf eine Heilpädagogische Waldorfschule, welche sich wundervoll um ihn kümmert und versucht, ihn für das Leben später fit zu machen. Unser Leben ist schon in großem Umfang auf Tim ausgerichtet. Schlafmangel, körperliche und psychische Belastungen bleiben leider nicht aus. Nur die große Liebe zum Kind und die schönen Momente mit Tim lassen es uns durchhalten/ aushalten. Tim hat noch eine kleine Schwester bekommen. Sie ist 3 Jahre alt. Seine älteren Geschwister studieren schon und wohnen nicht mehr zuhause. 

Tim musste leider schon oft operiert werden und lag dann lange Zeit in Beckenbeingips beidseitig. Das Versorgen der Gips-Innenverbände und das Wickeln von Tim war für uns dann sehr schwer, weil er ja nur liegen konnte. Nach der Gipsentnahme musste er immer wieder neu laufen lernen – das war eine Riesen Herausforderung.

Dein Sohn gehört zu Corona-Risikogruppe. Wie habt Ihr das letzte Jahr verbracht?

Tim war schon seit Februar 2020 zuhause, da er mal wieder krank war. Dann kam der Lockdown. Also sind wir seit Februar 2020 auf uns allein gestellt. Tims große Schwester war temporär zu ihrem Freund gezogen, weil sie dort besser fürs Abi lernen konnte – durch den Lockdown bliebt sie erstmal dort. Tim musste verkraften, dass seine Schwester weg war und auch erstmal nicht wieder kommen konnte – das Risiko für eine Ansteckung war einfach zu groß.

Tim war gesundheitlich seit dem Februar in einer extremen Situation. Ohne Vorwarnung und Anzeichen riss Tim sich Haare aus, verletzte sich selbst, war aggressiv uns gegenüber, war einfach wesensverändert. Durch Corona war kein Arzt bereit ihn anzuschauen, weil es damals noch keine Schutzausrüstung für Praxen gab. Nach 2 Monaten bekamen wir dann endlich ein Termin in einer Klinik und die Diagnose Verdacht Kinderdemenz.

Seit dem Lockdown unterrichte ich Tim zuhause. Ich werde aber durch seinen Klassenlehrer sehr unterstützt. Unser Sohn macht im Eins zu Eins -Unterricht durch mich sogar besser mit als in der Schule. Seine kleine Schwester macht einfach mit. So bekomme ich das gut umgesetzt. Therapien finden nur online statt. Allerdings muss ich sagen, dass sich alle große Mühe geben. 

Soziale Kontakte zu anderen gibt es nicht. Wir bleiben hier in unserer kleinen Blase. Mein Mann kann seit dem Lockdown im März 2020 im Homeoffice arbeiten. Was natürlich für mich eine Erleichterung bringt – wenn auch manchmal nur mental.

Das war sicher eine sehr harte Zeit. Was war das Härteste daran?

Unsere großen Kinder nicht mehr sehen zu können. Und der kleinen Schwester nicht den Kindergarten ermöglichen zu können, ebenso ihr Kinderturnen und Musikstunden. Die Isolation hier ohne Garten und Balkon war sehr hart. Dazu belastete mich die Unbelehrbarkeit der Coronaleugner/ Querdenker. Und ja, oft habe ich mich auch über andere Eltern geärgert, wenn ich gelesen habe, über was sie sich aufregen. Ich dachte mir dann oft: „Kommt einmal für ein bis zwei Tage zu uns, dann würdet Ihr vielleicht anders denken“ Aber ich weiß, dass das auch unfair ist, weil eben jede Situation anders ist, jede Familie anders tickt.

Hattest Du das Gefühl, dass Familien mit kranken Kindern einfach oft vergessen wurden? 

Nein, eigentlich hat sich das für mich nicht so angefühlt. Viele Menschen haben sich wirklich Mühe gegeben, uns zu helfen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir schon vor der Coronakrise gut aufgestellt waren, was Therapeuten, Ärzte und Rehamittelversorger betrifft. Außerdem haben wir wirklich tolle Freunde, die für uns da sind.

Was hättest du dir gewünscht?

 Mehr Solidarität und Rücksichtnahme aus Teilen der Bevölkerung, die eher nur an sich denken.

Nun gibt es Hoffnung, denn es könnte bald einen Impfstoff für Kinder geben. Wirst du deinen Sohn impfen lassen?

Ja, für uns wird es ein Segen sein. Durch eine Impfung wird Tims Risiko, einen schweren bis tödlichen Verlauf zu bekommen, verringert. Unser Leben wird sich durch die Impfung deutlich normalisieren.

Wie stehst du zu Impf-Skeptikern?

Das sollte jeder für sich selbst entscheiden dürfen, dennoch denke ich, dass in einer weltweiten Pandemie die Nutzen-Risiko-Abwägung anders betrachtet werden muss.

Was wünscht Du Dir für 2021?

Dass die Pandemie weltweit eingedämmt ist und wir alle wieder in unser altes Leben zurückfinden können.  

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7 comments

  1. Liebe Line,
    danke für Deinen offenen Einblick in Euer Leben.
    Ich kann Dich sooooo gut verstehen!
    Viel Kraft weiterhin und ich hoffe Euer Sohn bekommt die Impfung sobald sie zugelassen ist!
    Alles Liebe
    Ka

  2. Ich kann Line verstehen, sie hat Angst um ihren Sohn, sieht die Impfung als Ausweg aus dem ganzen Chaos um uns herum…..Ich werde meine Söhne noch nicht impfen lassen und bin erstaunt, dass sonst seitenweise über Bio oder konventionelle Lebensmittel, Schadstoffe in Gummistiefeln und Gefährlichkeit von Zucker diskutiert wird, aber bei einer Impfung für unsere Kinder, die noch nicht mal ansatzweise ein paar Jahre auf Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen erprobt wurde, sagen viele: Egal! Manche sind sogar der Meinung, das müsste man auch aus Solidarität machen…..Sehe ich anders. Ich wünsche Line und ihrem Sohn trotzdem von Herzen, dass mit der Impfung für sie alles besser wird.

    1. Hallo Ina,
      Bei Corona weiss auch keiner welche Langzeitwirkung das für unsere Kinder haben kann – vielleicht ist es wie bei Masern und in ein paar Jahren bricht das Virus bei Infizierten wieder aus und hat dann schlimme Folgen. Auch bei Windpocken kann man Jahre später Gürtelrose bekommen, hat meinen Bruder mehrere Monate sehr stark gesundheitlich belastet und seitdem war sein Immunsystem nicht mehr wie davor.
      Von daher sehe ich das als Abwägung – es gibt bisher keine Impfung bei der jemals Langzeitfolgen aufgetreten ist und daher sehe ich das als extrem unwahrscheinlich dass das passiert. Bei Viruserkrankungen wissen wir, dass es Spätfolgen geben kann. Also entscheide ich mich für meine Kinder für das kleinere Risiko wenn es soweit ist.
      Liebe Grüße von einer Bio-Reboarder-wenig Zucker Mama 😉

      1. Hallo! Ich kann dich sehr gut verstehen, die Behinderung deines Sohnes hat viele Parallelen mit unserem besonderen Kind. Auch ich werde mein Kind impfen lassen. Da vertraue ich auch den Worten meines Kinderarztes, obwohl es keine Langzeitstudien gibt. Die Sorge, mein Sohn könnte an Corona erkranken mit all den schrecklichen Folgen ist bei mir einfach zu groß. Wir leben in dieser pandemischen Zeit so isoliert und zurückgezogen, selbst stundenweise Unterstützungen durch die Lebenshilfe zur Entlastung meinerseits konnten durch Corona nicht stattfinden. Man funktioniert einfach aber man will ja auch leben! Allen Impfgegnern sei gesagt, ein Einblick in meinem Alltag ändert vielleicht deren Einstellung. Alles erdenklich Gute für dich!

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