Adoption: „Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom adoptiert“

Babyfüße

Foto: pixabay

Liebe Laura, ihr habt vor einigen Monaten einen Säugling adoptiert, erzähl doch mal, wie es euch aktuell als Familie geht.

Die erste Zeit war wahnsinnig aufregend und stressig. Inzwischen ist unser Kind drei Monate alt und wir fangen an, uns als Familie einzuspielen. Mein Mann, der anfangs wegen Corona im Homeoffice war, geht wieder arbeiten. Es war eine Umstellung für mich, den ganzen Tag alleine zu Hause zu sein. Und ich habe immer noch oft das Gefühl, „nichts geschafft“ zu haben, wenn ich den ganzen Tag damit beschäftigt war, mich um das Kind zu kümmern. Am Anfang war alles nur stressig, mein Mann und ich hatten beide das Gefühl, ständig am Arbeiten zu sein und gar keine Pause mehr zu haben. Inzwischen gibt es auch Momente, in denen wir so etwas wie Familienidylle empfinden und genießen. Nun haben auch Herz und Verstand begriffen, dass wir Eltern sind. Und wir sind beide echt glücklich darüber.

Wie kam es zur Adoption, hattet ihr das schon länger vor?

Mein Mann und ich haben uns erst spät kennengelernt (er war 36, ich war 34 Jahre alt). Wir waren uns einig, dass wir Kinder haben möchten. Nach unserer Hochzeit 2017 haben wir aktiv mit der Familienplanung angefangen. Leider stellte sich heraus, dass ich keine Kinder bekommen kann. So beschlossen wir, uns als Adoptiveltern zu bewerben. Im Dezember 2018 hatten wir das erste Gespräch mit unserem örtlichen Jugendamt. Im Februar 2020 haben wir dann endlich die Zulassung bekommen und angefangen, uns zu bewerben. Wir haben vielleicht 50 oder 60 Bewerbungen verschickt. Nach nur drei Wochen kam dann der Anruf, dass es ein Kind für uns gibt. Das ist wirklich wahnsinnig schnell, wir waren sehr überrascht davon.

Beschreib doch gern mal den ersten Moment, in dem du euer Baby zum ersten Mal gesehen hast…

Als wir den Anruf bekamen, lag das Kind noch im Krankenhaus, es war zwei Wochen alt. Bevor wir es zum ersten Mal sehen durften, hatten wir erst ein Gespräch bei unserem örtlichen Jugendamt, dann beim Jugendamt des Ortes, wo das Kind geboren wurde. Wir waren also im Krankenhaus in einem Zimmer, das als Schlaflabor genutzt wurde und deshalb tagsüber leer war. Zuerst kamen die Ärztinnen und informierten uns über die wichtigsten medizinischen Details, dann endlich wurde das Baby ins Zimmer geschoben.

Es hatte den gleichen Strampler an wie auf dem Foto, das wir gesehen hatten. Es war gerade wach, denn es hatte Hunger. Mein Kopf und mein Herz konnten in dem Moment noch gar nicht begreifen, dass dies nun mein Kind, unser Kind sein würde. Ich sah es an und sprach mit ihm, aber es fühlte sich nicht so an, als würde ich zu meinem Kind sprechen. Ich habe keine Liebe auf den ersten Blick gespürt.

Zum Glück hat mich das nicht irritiert, weil ich schon von anderen Adoptiveltern gehört hatte, dass es nicht immer Liebe auf den ersten Blick ist. Geliebt habe ich dieses Kind also nicht sofort, aber ich war mir absolut sicher, dass ich dieses Kind annehmen kann. Schon nach den ersten paar Minuten sagte die Ärztin zu uns: „Sie nehmen es mit.“ Es war eigentlich keine Frage. Sie hat gespürt, dass wir die Entscheidung schon getroffen hatten.

Trotzdem haben mein Mann und ich beide spontan „Ja“ gesagt. Nachdem wird mit dem Kind allein waren, haben mein Mann und ich es im Body strampeln lassen, ihm alles andere ausgezogen, weil es im Zimmer so warm war. Und wir haben es genau betrachtet. Ich habe erst später gelesen, dass die meisten Eltern ihr Kind nach der Geburt erst einmal nackt lassen und ausgiebig ansehen. Irgendwie haben wir automatisch fast dasselbe getan wie leibliche Eltern.

Nun kam euer Baby mit dem Down-Syndrom zur Welt, wusstet ihr das vorab oder war das eine Überraschung?

Als ich den Anruf vom vermittelnden Jugendamt bekam, sagte mir die Mitarbeiterin gleich am Anfang, dass das Kind das Down-Syndrom hat und deshalb von den Eltern zur Adoption freigegeben wird. Es war also direkt klar, dass dieses Kind ein kleines Extra hat. Während des Zulassungsverfahrens mussten wir seitenweise Fragebögen ausfüllen, und in diesen wurde auch detailliert abgefragt, ob wir uns vorstellen könnten, ein Kind mit Behinderung aufzunehmen und welche Behinderungen für uns vorstellbar wären – und welche nicht.

Da wir zu den eher wenigen Adoptionsbewerbern gehörten, die für viele Behinderungen offen waren, haben wir immer geahnt, dass wir wahrscheinlich ein Kind mit einer Behinderung vermittelt bekommen würden. Insofern hatten wir damit gerechnet. Daher mussten wir auch nicht mehr darüber diskutieren, ob dieses Kind für uns in Frage kam oder nicht. Tatsächlich war es sowohl bei mir als auch bei meinem Mann so, dass unser Herz sofort laut und deutlich „Ja“ gesagt hat, als wir die Anfrage bekamen, ob wir dieses Baby aufnehmen würden.

Ihr bekommt nun von vielen Seiten zu hören, wie „bewundernswert“ und „mutig“ es sei, ein Kind mit Behinderung zu adoptieren, was macht das mit dir?

Natürlich verstehe ich, dass diese Aussagen positiv gemeint sind. Ich weiß den Respekt und die Anerkennung, die damit ausgedrückt werden, durchaus zu schätzen. Aber ein bisschen machen sie mich auch traurig. Weil darin der Subtext mitschwingt, dass ein Kind mit Behinderung weniger wert ist. Dass es irgendwie eine Heldentat wäre, wenn mensch sich eines solchen Kindes, das „keine/r haben will“ annimmt.

Es mag sein, dass es eine größere Herausforderung ist, ein Kind mit einer Behinderung groß zu ziehen. Dennoch – es sind eher die Vorurteile und Vorstellungen der Mitmenschen, die ihnen unser Handeln als „Heldentat“ erscheinen lässt.

Du sagst: Es ist immer mutig ein Kind zu bekommen, auch bei leiblichen Kindern wissen wir vorab nicht, ob sie mit oder ohne Behinderung zur Welt kommen…

Ja, das stimmt. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür. Auch ich bin mit einer Behinderung zur Welt gekommen, und meine Eltern wussten vorher nichts davon. Dennoch haben sie mich großgezogen und ich finde, sie haben ihre Sache gut gemacht.

Papa mit Baby
Symbolbild: Papa mit Baby. Foto: pixabay

Das größte Problem ist, dass wir Menschen ein Bild im Kopf haben, wie unsere Kinder, wie Menschen generell, sein sollen. Wir denken, wenn ein Kind nicht so ist, wie wir es uns vorgestellt haben, wenn es nicht der Norm entspricht, dann könnten wir niemals glücklich sein. Und das Kind selbst schon gar nicht! Weil die meisten Menschen überzeugt sind, dass nur ein Mensch, der der Norm entspricht, in diesem Leben glücklich sein kann. Aber das stimmt nicht.

Und ich glaube, die meisten Familien, in denen ein Kind oder ein Mensch mit Behinderung lebt, wissen das. Die wenigsten Menschen mit Behinderung empfinden ihre Behinderung als Problem; es sind die anderen Menschen, die die Behinderung zu einem Problem machen. Die Barrieren errichten, statt sie zu beseitigen.

Ein guter Punkt, den du anführst ist auch, dass die meisten Behinderungen nicht angeboren sind, dass es selbst bei ohne Behinderung geborenen keine Garantie gibt,  dass es auch so bleibt…

Richtig. Im Grunde kann jeder Mensch irgendwann durch einen Unfall oder eine Krankheit von einer Behinderung betroffen sein. Und die meisten Menschen stellen dann fest, dass sie sich damit arrangieren können. Wie ich oben schon sagte: das Problem ist meistens gar nicht die Behinderung, sondern die Umwelt. Und Eltern, deren Kind durch eine Erkrankung oder einen Unfall eine Behinderung erwirbt, kümmern sich ja trotzdem und sehr liebevoll darum.

Leider ist es so, dass in unserer Gesellschaft sehr stark sortiert wird. Und dass es immer noch Strukturen gibt, die Menschen mit Behinderung in eine Art Parallelgesellschaft zwingen: eigene Kindergärten, eigene Schulen, eigene Arbeitsplätze. Dadurch gibt es wenig Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung und das sorgt für Vorurteile und Berührungsängste. Meine Erfahrung ist: je näher ich an einem Menschen bin, desto leichter fällt es mir, den Menschen zu sehen. Dann macht mir auch eine Behinderung keine Angst mehr.

Das hast du aber schön gesagt! Erzähl doch mal, wie sich euer Alltag verändert hat, seit euer Baby da ist…

Das erste, was sich verändert hat, sind unsere Essgewohnheiten. Mein Mann und ich haben immer abwechselnd gekocht, mit frischen Zutaten und so, richtig traditionell. Jetzt, wo das Kind da ist, haben wir oft weder Zeit noch Energie, um richtig zu kochen, und machen dann doch irgendwas aus der Tiefkühltruhe, was nur in den Ofen geschoben werden muss. Gemeinsames Essen ist auch schwierig geworden, weil häufig das Baby genau dann gefüttert werden will, wenn wir eigentlich essen wollten.

Auch unsere Arbeitsteilung im Haushalt hat sich verändert. Bisher haben wir abwechselnd die Arbeiten im Haushalt erledigt, also Wäsche waschen, putzen etc. Häufig haben wir parallel gearbeitet; er hat z.B. das Bad geputzt und ich hab in der Zeit Wäsche aufgehängt oder Staub gesaugt. Einkaufen sind wir immer gemeinsam gegangen. Nun passt immer einer von uns auf das Baby auf, während der andere Haushalt macht. Das gilt auch fürs Einkaufen; einer bleibt mit Baby zu Hause, der andere geht einkaufen.

Zu guter Letzt: Bevor ich Mama wurde, hab ich beim Einschlafen fast immer mit Kopfhörern ein Hörspiel gehört. Das mache ich jetzt nicht mehr, weil ich Angst habe, das Kind dann nicht zu hören, wenn es aufwacht.

Was würdest du anderen Adoptiveltern für die erste Zeit mit Baby raten?

Lasst euch nicht stressen. Klopft euch gegenseitig auf die Schulter und sagt euch, dass ihr gerade etwas Großartiges leistet. Denn leider ist es nicht so, dass Außenstehende immer erkennen, was es tatsächlich bedeutet, von heute auf morgen, ohne neun Monate Vorbereitungszeit, Eltern zu werden. Was alles innerhalb kürzester Zeit zu tun und zu organisieren ist.

Was uns geholfen hat: Ein Netzwerk von Leuten, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen und uns mit Babyausstattung unterstützen konnten. Wenn mein Mann und ich so ein Netzwerk nicht gehabt hätten, wären wir wirklich aufgeschmissen gewesen, zumal zu dem Zeitpunkt, als wir unser Kind bekamen, die Läden alle geschlossen waren. Außerdem tragen wir unser Kind so oft es geht im Tragetuch oder Tragesystem am Körper. Das ist für uns die beste Bindungsarbeit, die es gibt. Ein Kind lernt dadurch sehr schnell euren Geruch und eure Stimme kennen und reagiert auf euch.

Aber ganz gleich, wie ihr es handhabt: Es ist eine echte Mammutaufgabe und ihr dürft euch dafür feiern, dass ihr sie bewältigt.

743d2713ffc943b2bdae6524134d2d54

Du magst vielleicht auch


3 comments

  1. Besonders schön finde ich, wie du beschreibst, dass du dein Hörspiel bei Seite gelegt hast. Das ist soooo Mama sein….ohne wenn und aber! Bin selber Mutter von Zwillingen und einer meiner Söhne hat eine infantile Zerebralparese. Alles was du da sagst, stimmt, es sind die Anderen die den Unterschied machen. Das Kind will Kind sein und bei euch darf sie es wohl sein.

    Und so finden sich Menschen, die einfach zusammengehören. Mama, Papa und eine Tochter. Eine wunderschöne Geschichte!

  2. Liebe Laura,

    ich habe mich so über das kurze Interview mit dir gefreut und wie selbstverständlich ihr euer Adoptivkind aufgenommen habt.
    Mein jüngster Bruder hat das Down Syndrom, er ist jetzt 19 Jahre alt und du hast Recht, Probleme mit seiner Besonderheit hat nicht er sondern leider ein großer Teil der Gesellschaft. Und das liegt daran, dass vielen das „Fremde, Unbekannte “ irgendwie Angst macht und sie nicht wissen worauf sie sich einlassen, wie sie sich verhalten sollen.
    Es könnte anders laufen. Wenn Kinder z.B. mit Down Syndrom wirklich inklusiv! in Kindergärten, Schulen etc. aufgenommen würden dann könnten alle anderen schon ganz früh selbstverständlich in Kontakt kommen und es würde sich ganz natürlich anfühlen miteinander zu leben. Ja, es ist nicht ganz so einfach, die Kinder brauchen zum großen Teil eine zusätzliche Begleitung und da müssen sich Einrichtungen umstellen, aber es ist machbar!!! Auf jeden Fall!!! Und es würde sich sooo lohnen, für alle Beteiligten.
    Meine Eltern haben seit der Geburt meines Bruders gekämpft, gekämpft um ihm so viel Normalität wie es geht zu ermöglichen. Und immer wieder konnten sie Menschen finden, die den Mut hatten meinen Bruder wie er ist anzunehmen. Kindergarten, Schule und nun beginnt bald das Berufsleben. Leider lagen auf diesem Weg auch seeehr viele Steine…ich hätte sie unendlich gern alle beiseite geschoben….es hat viel Kraft gekostet.
    Du merkst, dieses Thema bewegt mich persönlich sehr und ich bin dankbar, für die Selbstverständlichkeit mit der ihr eure Liebe weitergebt! Ich wünsche euch viel Freude mit dem/der Kleinen. Die werdet ihr haben!
    Und ich wünsche euch möglichst wenig Steine auf eurem Weg und immer mehr Menschen die diese mit euch zusammen aus dem Weg rollen.
    Alles Liebe, Maria

  3. Liebe Laura,
    das hast du schön gesagt und beschrieben. Ich musste schmunzeln als du vom Babyalltag erzählt hast… einer hat immer das Baby und der andere erledigt den Haushalt/Einkauf. Genau so ist es!
    Ich wünsche euch von Herzen alles Gute!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert