Bindung ohne Burnout: Warum sind so viele Mütter am Limit, Nora Imlau?

Bindung ohne Burnout

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Ihr Lieben, wer Nora Imlau ist, brauchen wir euch nicht mehr zu erklären, sie ist Journalistin, Speakerin, Vierfachmutter und ist mit ihrem neusten Buch Bindung ohne Burnout* doch tatsächlich auf PLATZ EINS der SPIEGEL Bestseller-Liste gelandet! Mit einem Eltern-Thema! Ist das nicht der Wahnsinn?! Wir durften Nora zu diesem absoluten Erfolgswerk interviewen. (*Affiliate Link)

Liebe Nora, so viele Mütter fühlen sich in ihrem Alltag am Limit – wie kommt es dazu?

Das hat ganz viele Gründe: Viele strugglen sehr mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und haben oft das Gefühl, ein zu kleines Laken über eine tu große Matratze ziehen zu müssen: es passt einfach nicht. Die Kita hat ständig zu, die Kinder sind ständig krank, die Anforderungen aus dem Job verschieben sich in den Abend und ins Wochenende, der Haushalt wächst uns über den Kopf.

Dazu kommt die weltpolitische Lage, die Klimakrise, das Gefühl, in einer immer unsichereren Welt zu leben. Konflikte in der Partnerschaft, Abgrenzung von den Erziehungsvorstellungen der Großeltern-Generation – und dann ist da auch noch dieser Bindungs-Perfektionismus, der gerade sehr engagierte Mütter oft erfasst: Begleite ich mein Kind auch wirklich achtsam und bedürfnisorientiert genug?

Bindung verträgt eine Menge elterlicher Unvollkommenheit, schreibst du. Das entlastet schon beim Lesen… hast du da ein paar Alltags-Beispiele?

Bindung verträgt ganz viel: Genervtheit, Müdigkeit, Phasen von Erschöpfung und Verzweiflung. Bindung hält Konflikte und Meinungsverschiedenheiten aus, unpädagogische Bestechungsversuche und hilflose Drohungen. Entscheidend ist bei all dem, dass wir miteinander in Verbindung bleiben, uns nicht abkehren von unseren Kindern, nicht das Interesse verlieren. Und: Bindung lässt sich reparieren. Wenn ich unfair war zu meinem Kind, kann ich um Verzeihung bitten und wieder gutmachen, was war. Bindung hält das alles aus, und wird vom Flicken sogar stärker. 

Verstehen viele „Bindung“ auch falsch, so dass sie denken, sie müssten rund um die Uhr für die gute Verbindung mit ihren Kindern sorgen?

Bindung ohne Burnout

Viele denken, man müsse für eine sichere Bindung ganz viel ganz aktiv tun. Dabei entsteht Bindung in unzähligen Momenten nahezu von allein: wenn wir miteinander essen, einkaufen gehen, lesen, kuscheln, aber auch über Hausaufgaben diskutieren oder einfach einvernehmlich vor uns hin wurschteln. Bindung entsteht also ganz von selbst, so lange wir sie nicht sabotieren – etwa indem wir unsere Kinder in ihren Bedürfnissen wieder und wieder ignorieren, sie beschämen und bestrafen. 

Du sagst, Bindung sei nicht nur kuschelig und schön, was ist sie noch?

Bindung ist manchmal auch sehr profan: Sie markiert, dass wir eine Fürsorgeverantwortung haben, dass wir uns kümmern müssen auch wenn wir eigentlich gerade lieber frei hätten. Bindung erinnert uns an unsere Zuständigkeiten und unsere Kinder daran, dass sie im Zweifelsfall zu uns kommen sollen, wenn sie was brauchen. Das ist nicht immer romantisch, aber es ist ganz wichtig, dass Kinder dieses tiefe Wissen in sich tragen: Hier wird mir auf jeden Fall geholfen.

Du plädierst in „Bindung ohne Burnout“ auch mal für einen Mut zum „Faulsein“, Eltern dürfen auch mal nichts tun, weil sie dann in der nächsten brenzligen Situation ruhiger bleiben können. Meinst du da den sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt?

Ja, genau. Eltern rasten oft aus, weil sie im Grunde schon lange „drüber“ sind. Dagegen hilft kein Anti-Wut-Mantra und auch kein bis zehn zählen, dagegen hilft nur konsequente Selbstfürsorge. Sich Pausen und Schönes gönnen, jeden Tag. Zu schauen, dass die eigenen Bedürfnisse genauso Raum bekommen wie die der Kinder. Und dafür ist es ganz wichtig, sich klar zu machen, dass wir uns Erholungspausen nicht verdienen müssen.

Wir haben ein Recht auf Pausen, völlig unabhängig davon, was andere leisten. Ich selbst kann nur eine gute Mutter sein, wenn ich immer wieder im Tagesverlauf gut für mich sorgen kann: mit einer Tasse Tee, einem guten Gespräch, bisschen Handy-Gedaddel ohne Schuldgefühle. 

Die SZ-Journalistin Barbara Vorsamer lobt deinen „realistischen Blick auf die Ressourcen von Eltern. Weil du sagst: Mei, dann gibt´s halt mal eine Tiefkühlpizza, dann ist es halt mal eine 5 in der Schule, dann gibt´s halt mal mehr Medienzeiten für die Kids, wenn es der Entlastung dient…  

… auch, aber nicht nur. Ich sage zum Beispiel auch: Glaubt nicht der Lüge, dass Ihr alles haben könnt im Leben. Entscheidet euch, was euch am wichtigsten ist. Mir ist zum Beispiel ein entspanntes Familienleben gerade wichtiger als Sport zu machen. Vielleicht mache ich irgendwann auch wieder Sport, aber gerade liegen meine Prioritäten woanders. Andere sagen vielleicht: für mich sind meine Kinder und mein Sport super wichtig, dafür fahre ich beruflich zurück oder verbringe keine Zeit auf Social Media oder … Wir müssen uns halt entscheiden. Alles geht nicht, weil unser aller Ressourcen endlich sind. 

In welcher Situation hast du zuletzt privat gedacht: Lieber glücklich als perfekt?

Als wir alle krank waren und hier mehr oder weniger von morgens bis abends der Fernseher lief. Und ich einfach nur froh war, dass wir uns dadurch alle ausruhen und gesund werden konnten. 

Mal fern von den Dingen, die wir selbst in der Hand haben: Was könnten wir gesellschaftlich und politisch tun, damit Eltern nicht dauernd am Limit sind?

Wir brauchen endlich eine gescheite Kindergrundsicherung, damit nicht mehr jedes 5. Kind in Armut aufwächst und Familien nicht mehr so am Limit sind, weil sie schlicht Existenzängste haben. Wir brauchen eine Anpassung des Elterngeldes an die gestiegenen Lebenshaltungskosten seit 2007, wir brauchen eine Qualitätsoffensive in Kitas und richtig gute Ganztagsbetreuungsplätze für alle Familien, die sie brauchen.

Wir brauchen eine eigene, faire Lohnsteuergruppe für Alleinerziehende und viel stärkere politisch-finanzielle Anreize für eine fairere Verteilung der Care-Arbeit in unserer Gesellschaft. Die beste Eltern-Entlastungsmaßnahme wäre es, die 40-Stunden-Woche abzuschaffen und zu schauen, dass Familien auch dann ein gutes Leben haben können, wenn Eltern gemeinsam (!) vielleicht auf 50 Arbeitsstunden pro Woche kommen. Dann wäre ganz automatisch viel weniger Druck im Kessel.

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3 comments

  1. Die hier genannten politischen Forderungen sehe ich auch als strukturell absolut wichtige Voraussetzung! Und finde es gut, wenn benannt wird, dass das Fehlen dieser zu der aktuellen Situation beitragen.
    Ansonsten… bitte nicht böse sein, aber manchmal lässt mich das Gefühl nicht los, dass im letzten Jahrzehnt an vielen Stellen auf Eltern die Notwendigkeit der Beachtung der Bedürfnisse der Kids und das Thema ‚Bindung‘ in allen Facetten eingeprasselt ist und dass auch diese Ansprüche viel mit dem Thema Erschöpfung-der-Eltern zu tun haben. Und dass im Zuge dessen die Verhältnismäßigkeit, in der Bindung im gesunden Maße, wie in diesem Artikel formuliert, total untergegangen ist.
    Und hui, da gibt es jetzt dann plötzlich Bücher, die uns Eltern den Weg aus dieser Situation wieder rauszeigen wollen. Nicht missverstehen, ich glaube, dieses Buch wird sehr vielen helfen und eine (wieder) gesunde Orientierungsrichtung geben! Aber irgendwie wirkt es auch wie ein Kreis, der sich schließt, der von vielen Ansprechpartnern zum Thema Erziehung herbeigeführt wurde.
    Ergänzen möchte ich aber noch, dass ich es sehr positiv finde, dass im Artikel die Auswirkung auf Eltern durch die politischen Krisen und die Klimathemen erwähnt ist. Hier erkenne ich mich wieder. Mich belastet dies phasenweise sehr und ich frage mich, wie andere Eltern das für sich händeln, um bei den Sorgen in einem gesunden Maß zu bleiben. Ein Beitrag zu diesem Thema würde ich mich riesig freuen.

  2. Die politischen Forderungen sind genau richtig. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei einem sich nur laaangsam verändernden Familienbild bringen Familien und insbesondere Mütter an die Grenzen des Leistbaren. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung ist wichtig, aber nicht das Allheilmittel, weil Kinder auch (manchmal auch oft) mal krank sind oder auch einfach zu erschöpft, um einen ganzen Tag leisten zu können. In den Ganztagsschulen wird oft trotzdem erwartet, dass die Kinder nach der Schule um 17 Uhr noch Vokabeln lernen, fürs Diktat oder das Lesen üben. Eine Familienarbeitszeit von insgesamt max. 60 Wochenstunden auf beide Elternteile möglichst gerecht aufgeteilt bei möglichst hohem Lohnausgleich, würde Familien mit Kindern unter 12 Jahren massiv entlasten. So wie es ist bleibt es zu oft bei dem Modell, dass Väter max 2 Monate Elternzeit nehmen, dann aber Vollzeit und mehr arbeiten, und die Mutter diejenige ist, die im Beruf zurück steckt, finanzielle Einbußen bis zum Lebensende hinnimmt und am Ende des Tages trotzdem diejenige ist, die völlig erschöpft auf dem Sofa liegt, weil der viel besprochene Mental Load so hoch ist, dass sie nicht einmal die Zeit hatte, darüber nachzudenken, sich selbst eine Pause oder etwas Gutes zu gönnen, während der Vater sich auf die Schulter klopfen lässt, weil er auch mal eine Windel wechselt.

  3. So ein schöner Bericht und Ansichten,
    die ich absolut befürworte. Das Buch ist bisher komplett an mir vorbeigegangen – das muss ich dringend ändern 😉

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