Ihr Lieben, wir denken, alle Eltern größerer Kindere haben sich schon öfter gefragt, was die Kleinen da eigentlich so machen im Netz – und wann aus einer Leidenschaft für Computerspiele vielleicht auch eine Sucht entstehen kann. Laslo Pribnow ist in den Strudel der Sucht hineingeraten. 13 Jahre lang war er abhängig von Computerspielen.
Killerspieler, Smombie, Serienjunkie, so nannte man ihn. Und diese Begriffe stehen eben auch für die Ambivalenz unserer Gesellschaft gegenüber dem digitalen Zeitalter und für die schwelende Angst vor dem Kontrollverlust. Laslo glaubt, dass wir nur durch einen offenen Dialog – ohne Glorifizierung oder Tabuisierung – die Frage beantworten können, wie wir die Medien in unser Leben einbinden können, ohne ihnen unser Leben zu übergeben. Er muss es wissen, denn er hat den Weg raus gefunden.
Darüber wird Laslo Pribnow am 18. Oktober auf dem Präventionstag „Starke Jugend – starke Zukunft“ der F. Foundation in Berlin einen Vortrag halten. Unter der Schirmherrschaft von Volker Beck werden Referenten, die selbst einmal von Essstörungen, Selbstverletzungen oder Drogenabhängigkeit betroffen waren Vorträge für Jugendliche, Eltern und Pädagogen halten. Denn einfache Antworten auf die Frage, wie wir unsere Kinder schützen können gibt es nicht.
„Rauschmittel als solche sind nicht (alleinige) Ursache für eine Sucht, sondern viel tiefer Liegendes: ein Mangel an Selbstwertgefühl, kommunikative Schwierigkeiten, Defizite in der Ausbildung von Urvertrauen, Trauma, zu viel oder zu wenig Anerkennung, Überforderung, angestaute Aggression, Depressionen und viel mehr“, heißt es in der Pressemitteilung zum Präventionstag.
„Um Kinder vor Sucht zu bewahren, müssen wir ihnen Kompetenz und Stärke vermitteln. Sie über Rauschmittel und stoffungebundene Abhängigkeiten aufklären, Nach- wie auch Vorteile benennen, und sie zu Menschen voller Wissen und Selbstliebe großziehen, damit sie vernünftige Entscheidungen fällen.“
In seinem Vortrag „Digital Total“ wird Laslo Pribnow zu Internet- und Spielsucht sprechen. Wir durften uns vorab schon einmal seine Geschichte anhören – und ihn fragen, was er uns Eltern im Umgang mit der Nutzung digitaler Medien durch unsere Kinder mit auf den Weg geben möchte.
Lieber Laslo, du warst 13 Jahre lang computersüchtig, wie lange ist das jetzt her?
Ich war 13 Jahren, als mein Konsum von Computerspielen problematisch und krankhaft wurde. Mit 26 Jahren bin ich 2014 in die Klinik und seitdem abstinent.
Ab wann wusstest du, dass dein Verhalten eher eine Sucht als eine Leidenschaft ist?
Ich habe schon mit 17/18 Jahren gemerkt, dass mich manche Spiele sehr fesseln. Zu der Zeit habe ich aber die typischen Bagatellisierungen und Kontrollversuche vorgeschoben. Zum Beispiel habe ich bei bestimmten Games angefangen zu cheaten (Anm. d.Red.: mogeln in Spielersprache), damit der Spaß verloren geht und ich von dem Spiel los komme. Die stärkste Ausrede war jedoch: „Wenn ich wollte, könnte ich aufhören aber es macht doch so viel Spaß“.
Nach der Klinik hatte ich einen Rückfall mit Computerspielen und ab da wusste ich persönlich, dass es ganz oder gar nicht geht. Ich hatte die Kontrolle verloren und somit war ich definitiv süchtig nach Games.
Welche Spiele haben dich in ihren Bann gezogen und wieso?
Rpgs (role playing games) gab es einige, z.b. Skyrim, die mich in den Bann gezogen haben, da man dort die Heldenfantasien stillen kann. Aufbausimulationen wie Civilization befriedigten meine Allmachts-Fantasien und lieferten eine großartige Spielwiese für perfektionistische Taktiken. Und bei Teamspielen wie Dota oder Egoshootern war der Wettkampf sehr aufregend und befriedigend.
Ich habe oft verschiedene Spiele am Tag gespielt, um Abwechslung zu haben.
Wie viele Stunden pro Tag warst du am Computer?
Am Computer war ich jede freie Minute, also bis zu 18 Stunden am Tag (Wochenende o.Ä.). Davon reine Spielzeit dürfte so ca. die Hälfte gewesen sein. Der Rest ging für Social Media, Serien und Pornos drauf.
Inwiefern hat dein Privatleben unter der Sucht gelitten? Warst du noch zugänglich für Freunde/Familie/Kollegen? Wie haben sie darauf reagiert?
Nur mit meinen nahen Verwandten gab es wirklich Auseinandersetzungen. Die Freunde, die negativ reagiert hätten, habe ich halt nicht an mich heran gelassen und so schleichend ein Umfeld aufgebaut, bei dem ich es mir leisten konnte, so viel zu zocken wie ich mag. Generell war ich aber für niemanden wirklich zugänglich.
Konntest du denn dein berufliches Leben so weitermachen?
Ich war sieben Jahre als Student eingeschrieben und hatte einen Nebenjob bei einem großen Supermarkt. Da war die Motivation nicht schwer, denn ohne Geld kein Zocken. Und Regale einräumen kann man sich auch zu einem Game machen 😉
Hattest du auch Entzugserscheinungen?
Starke innere Unruhe und körperliche Anspannung waren die offensichtlichen Erscheinungen.
Was hast du für dein jetziges, neues Leben als Suchthelfer und angehender Erzieher aus dieser Zeit mitgenommen/gelernt?
Jedes Verhalten hat einen Grund. Auch wenn das Verhalten für Außenstehende noch so dumm erscheint. Und Glück und Wohlbefinden können nicht von außen kommen.
Was würde der Laslo von heute dem süchtigen Laslo von damals sagen?
Hör auf dich zu belügen, dir geht es scheiße.
Manche Menschen lassen die eine Sucht hinter sich und füllen die Lücke mit einer anderen, zum Beispiel mit Sport. Gibt es so etwas bei dir auch?
Ich wollte mich nicht von etwas Neuem abhängig machen. Sport als Ersatz ist doof, wenn man eine Verletzung hat. So kann es mit allem gehen. Ich versuche die Lücke mit dem Glauben daran zu füllen, dass das Leben genug geile Sachen in petto hat, wenn ich nur die Augen und den Geist offen halte.
Welche Regeln und Maßnahmen hältst du im Umgang mit der digitalen Welt für essentiell?
Eigenreflektion und Eigenverantwortung. Regelmäßig die Frage beantworten, ob es mir gut geht, ob ich zufrieden bin. Wenn das nicht der Fall ist, bin nur ich in der Lage die nötigen Schritte einzuleiten und wenn das nur ein Ruf nach Hilfe ist. So können all die Bequemlichkeiten genossen werden, ohne toxisch zu werden.
Für uns als Eltern wäre es natürlich wichtig, zu wissen, ob wir unsere Kinder in irgendeiner Weise vor so einer Sucht schützen können… geht das? Und wenn ja, wie?
Beziehungsarbeit, Beziehungsarbeit und Beziehungsarbeit. Und auch für Eltern gilt: man muss das nicht alleine machen.
Für mich als Mutter ist es ganz schwer, zu akzeptieren, dass die Kinder Computerspiele spielen. Für mich ist das einfach verlorene Zeit ihrer Kindheit, außerdem habe ich das Gefühl, dass es sie aggressiv und unausgeglichen macht. Vermutlich geht es vielen Eltern so…
Als Erzieher ist es auch schwer, das Konzept vom 'Freispiel' zu vermitteln. Kinder lernen vor allem dann, wenn sie ihren Interessen nachgehen.
Computerspiele sind unglaublich weitreichend, was das Lern- und Entwicklungspotenzial angeht. Verlorene Zeit gibt es nur in einer Welt, die aus Leistungsdruck besteht und der Begriff steht für mich für eine generelle Angst, nicht zu genügen.
Wenn mehr Menschen mal ein bisschen mehr Zeit „verschwenden“ würden, gäbe es weniger Fälle von Burnout, Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen. Daran glaube ich fest. Doch wie immer: das Maß entscheidet.
Tatsächlich fürchte aber auch ich, im Umgang mit den digitalen Verlockungen die Kontrolle zu verlieren. Ich habe eine App, mit der ich die Handys meiner Kinder im Zweifel sperren kann. Hältst du das für sinnvoll oder macht es die Versuchung nur noch größer?
Klare Regeln, die für alle gelten. Und berechenbare Konsequenzen. Alles mit den Kindern Abgesprochen und Vereinbarte gibt allen Beteiligten Sicherheit. Gerade hier können externe Fachkräfte super als Moderator für beide Seiten agieren und so Absprachen verhandeln, auf die dann konsequent reagiert wird.
Ist es denn wirklich so, dass die Kinder virtuell Erfolge feiern und dadurch sehr schnell Glückshormone generieren, für die sie analog sehr lang brauchen (wenn sie sie überhaupt kriegen, denn wahre Erfolge sind ja auch Arbeit)?
50 Spielstunden durch Aufgaben ackern, um endlich mal unter den Besten zu sein, ist Arbeit. Wenn dann jemand kam und sagte, das ist kein wirklicher Erfolg, hatte die Person für mich jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Kinder und Jugendliche können nicht zwei Jahre im Voraus planen. Der größte Unterschied aber ist, dass die Erfolge in Spielen sicher sind. Wer hart arbeitet, wird belohnt.
Im realen Leben gibt es sehr viele Beispiele, dass das hier nicht so ist. Da liegt der gefährliche Reiz. Denn die digitale Welt kann man verlassen. Die echte nicht wirklich.
Gibt es denn auch Spiele für Kinder, die du unbedenklich findest?
Ich kenne mich mit dem aktuellen Markt nicht aus. Generell sind alle Dinge, die Kinder tun, bedenklich wenn nicht ein Erwachsener da ist um mit ihnen darüber zu reden und ihnen Sicherheit zu geben.
Die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle) ist meiner Meinung nach bei Computerspielen äußerst fragwürdig, solange 6jährige mit 49jährigen online zusammen zocken können.
Vielleicht hast du noch ein letztes Wort an uns Eltern…
Schön, dass ihr euch sorgt, aber versucht aus Liebe zu handeln und nicht aus Angst. Keiner muss etwas alleine durchstehen.
Infos zum Präventionstag:
Um Eltern und Pädagogen für das Thema Sucht zu sensibilisieren, veranstaltet die F. Foundation unter der Schirmherrschaft von Volker Beck am 18. Oktober 2018 einen Workshop-Tag „Starke Jugend – starke Zukunft“ in Berlin. Zielgruppe in erster Linie sind Jungen und Mädchen, sowie junge Frauen und Männer im Alter von 13 bis 21 Jahren (in Begleitung ihrer Lehrer, Vereinstrainer, Sozialpädagogen oder sonstigen Lehr- und Erziehungspersonen). Eingeladen sind Vereine, Schulen, OSZ sowie Jugend- und Suchthilfeeinrichtungen.
Die Teilnahme am Vormittags- sowie am Nachmittagsprogramm kostet je SchülerIn 5 Euro, beziehungsweise9 Euro für das gesamte Tagesprogrammm. Die Kosten für erwachsene Begleitpersonen liegen bei 7 Euro je Modul, beziehungsweise 13 Euro für den gesamten Workshoptag. Schüler mit Berlinpass, Behindertenausweis oder anderen sozialen Benachteiligungen erhalten eine Ermäßigung von 2 Euro je Modul. Es gibt noch Tickets! Hier kann das Anmeldeformular angefordert werden.