Digitale Kindheit: Sie wollen dauernd ans Ipad! Wie wir als Eltern entspannt bleiben können

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Ihr Lieben, manchmal ist es ja sooo schön, Journalistin oder Bloggerin zu sein, denn dann kann man einfach Experten zu Themen anfragen, die einen grad selbst so wahnsinnig beschäftigen.

Bei uns in der Familie finden wir gerade kaum einen Konsens über die Mediennutzung – oder vor allem über die mediennutzungsfreie Zeit. Wenn ich nach gefühlten Stunden sage, die Kinder sollten das Ipad jetzt mal aus der Hand legen, sagen sie: "Leg Du doch erstmal Dein Handy weg." Dann sage ich Sachen wie: "Ja, aber ich brauche das für die Arbeit. Während ihr blöd virtuelle Häuser baut oder Tiere füttert (während die Real-Life-Hasen draußen im Garten auf eure Möhren warten), dann habe ich zwei Texte geschrieben, vier Mails beantwortet und GELD verdient."

Das lassen sie aber natürlich nicht gelten. Wenn wir nicht dürfen, darfst du eben auch nicht. Puh. Müßig. Umso schöner ist es, dass Katja Reim ein Buch zum Thema geschrieben hat: Ab ins Netz?! Wie Kinder sicher in der digitalen Welt ankommen und Eltern dabei entspannt bleiben*. Wir haben die Autorin (die unter meincomputerkind.de auch sehr lesenswert bloggt) um ein paar Tipps für unseren und euren Alltag gebeten. 

ab ins netz 175977Liebe Katja, wir sind auf der Suche nach sehr konkreten Empfehlungen im Umgang mit unseren Kindern und digitalen Medien. Legen wir mal los:

Wie viel Medienzeit hältst du als Expertin für Kinder für sinnvoll?

Medienzeit ist Bildschirmzeit – egal ob vorm Fernseher, an der Konsole oder einem digitalen Gerät.  Kindergartenkinder sollten am Tag nicht mehr als eine halbe Stunde vor Bildschirmen verbringen. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Mediennutzungszeit auf täglich maximal 45 Minuten zu begrenzen. Das sind Orientierungshilfen und wenn die Zeitschranke gerissen wird, geht die Welt auch nicht unter. Genauso wenig muss das Kind jeden Tag vor Bildschirme gesetzt werden. Wir halten es bei unserer Tochter so, dass die Zeit für reine digitale Spiele bzw. Videos begrenzt wird. Wenn sie aber digitale Medien als Werkzeug nutzt und beispielsweise ein Fotobuch erstellt oder in der „Minecraft“-Welt Häuser baut, darf sie länger basteln. 

Wenn ich unseren Achtjährigen sage: Nein, heute gibt es kein Ipad. Dann sagen sie oft: Aber Mama, wir gehen auch wirklich nicht an die Spiele, wir wollen doch nur Musik hören. Ist das dann auch Ipad-Zeit? Ich finde es sehr schwierig, da die richtigen Entscheidungen zu treffen…

Wenn sie wirklich nur Musik hören und dabei analog spielen oder basteln, dann hätte ich damit überhaupt kein Problem. Wenn sie aber davorsitzen und sich die Musik-Videos dazu ansehen – dann ist es wieder Bildschirmzeit.

Ich merke: Die Kinder verlieren über ein Spiel wie Clash Royal komplett ihr Zeitgefühl. Wenn 20 Minuten abgemacht waren, gibt es nach 20 Minuten oft Ärger, weil sie sagen, sie hätten doch GERADE erst angefangen.

Ich erinnere mich an die Zeit, als meine Tochter die Uhr noch nicht lesen konnte und ich die Herrin über die Zeit war. Da konnten fünf Minuten auch mal eine halbe Stunde dauern oder nur drei Minuten – je nachdem, wie es mir passte. Dass Kinder den gleichen Trick anwenden wollen, ist verständlich. Vor allem, weil man bei Spielen – bei analogen ebenso wie digitalen – leicht das Zeitgefühl verliert. Wir hatten am Anfang auch regelmäßig solchen Zeit-Ärger. Dagegen half bei uns die Uhr selbst. Wir ließen unsere Tochter vor Spielbeginn die ausgemachte Spiele-Zeit am Tablet-Wecker einstellen. Wenn der dann klingelte, durfte sie die Runde noch zu Ende spielen und dann war Schluss. Diese Regelung hat die nervigen Zeitdiskussionen sehr reduziert.   

Ich merke oft, dass diese Spielerei auf dem Ipad oder am Handy meine Kinder aggressiv macht, sie schreien und streiten danach viel intensiver als sonst. Sie stehen offenbar unter einer unheimlichen Spannung und ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass das gesund ist. Deswegen geraten wir über den Spielekonsum immer wieder aneinander… Hast du da einen Tipp parat?

Oft fällt bei virtuellen Spielen kaum ins Gewicht, dass sie genau wie analoge Spiele auch Spaß machen und die persönliche Entwicklung fördern können. Dafür ist wichtig, dass sie altersgerecht sind und mehr als nur schnelle Spielerfolge bieten. Ich würde deshalb als erstes einen „Spielplatzwechsel“ vorschlagen. Einen auf dem weniger gekämpft und mehr gestaltet wird! Kampf trägt immer auch Konfliktpotential in sich, während Gestalten die Kreativität fördert.

Für die Suche nach einem passenderen Spiel empfehle ich den Spieleratgeber NRW und die Datenbank Apps für Kinder vom Deutschen Jugendinstitut. Dort werden Spiele und Apps für Kinder nach Inhalt, Zielgruppe, In-App-Käufen, Genre und pädagogischem Mehrwert gelistet und bewertet. Auch bei „Timster“, dem Kika-Medienmagazin für Grundschüler, kann man sich Anregungen holen, entweder Samstag um 17.45 Uhr im TV oder auf der Website.

Neulich hatten wir ein Kind zu Besuch, das die ganze Zeit meinen Sohn zu mir schickte, um zu fragen, ob sie jetzt ans Ipad dürfen. Ich sagte jedes Mal: Nein, Ipad spielen könnt ihr allein, jetzt seid ihr verabredet, ihr könnt Fußball oder Playmobil spielen oder Monopoly oder auf einen Baum klettern. Das Kind wusste mit keinem dieser Hinweise etwas anzufangen und saß die ganze Zeit gelangweilt auf dem Sofa, in der Hoffnung, ich würde doch noch Medienzeit erlauben. Was macht diese Geräte so faszinierend – und warum löschen sie offenbar bei einigen sämtliche Kreativität in anderen Bereichen aus?

Vielleicht haben die Eltern des Kindes selbst verlernt, Kreativität und freies Spiel zu fördern und es zuhause permanent mit dem digitalen Babysitter ruhiggestellt. Das wäre eine mögliche Erklärung dafür, warum es mit deinen Vorschlägen so wenig anfangen konnte. Zum anderen ist es für Kinder auch nicht ganz einfach, wenn es keine klaren Regeln zur iPad-Nutzung gibt – dann hängt es auch vom „Bettelerfolg“ des Kindes ab, ob gespielt werden darf. Wenn das Kind sich also exemplarisch langweilt, steigen damit die theoretischen Chancen, doch noch ans digitale Spielzeug zu kommen. Und das ist umso faszinierender je willkürlicher und knapper die Nutzungszeit damit ist.

Als meine Tochter beispielsweise für mein Smartphone 15 Minuten Spielzeit bekam, hat sie diese Zeit fast täglich eingefordert, wenn ich von der Arbeit kam. Dann haben wir ihr zur Schuleinführung ein Kinder-Tablet geschenkt und dafür klare Regeln festgelegt. Sie durfte zwar immer noch nicht über das „wie lange“ bestimmen, aber sie konnte selbst entscheiden, wann sie damit spielen wollte. Die ersten zwei Wochen hat sie ihre neue Macht jeden Tag ausgekostet, aber dann verlor das Gerät seinen Reiz und wurde ein Spielzeug wie jedes andere, das oft tagelang unbenutzt in der Ecke lag. Wenn Freundinnen zu Besuch kamen, wurde manchmal damit gespielt, manchmal nicht. Es lag in ihrer Verantwortung.

Um die Rechte und Pflichten im Umgang mit Medien – und auch die Regelung bei Verstößen – nachvollziehbar festzulegen, gibt es ein tolles Tool von internet-abc.de und klicksafe.de. Unter www.mediennutzungsvertrag.de können Eltern gemeinsam mit ihren Kindern einen Vertrag zur Nutzung von TV, Konsolen, Tablet, Handy oder Smartphone aufsetzen und ausdrucken.

Unsere Kinder haben schon einmal heimlich für 500 Euro virtuelles Heu für ihre Tiere in einer Bauernhofspiele-App gekauft – durch In-App-Käufe. Wie kann ich als Eltern verhindern, dass so etwas passiert? 

Es ist für Kinder schwer zu begreifen, dass in der virtuellen Welt echtes Geld ausgeben wird. Im analogen Leben würden sie wahrscheinlich nicht an deine Geldbörse gehen, 100 Euro rausnehmen und damit Spielzeug kaufen. Und wenn sie es täten, wüssten sie sehr genau, dass es Unrecht ist und sie eine Strafe erwartet. In der virtuellen Welt sehen sie nur, dass man ein paar Nummern eingibt (den Pin-Code, den sie durch beobachten ganz schnell lernen) und schon erscheint das Gewünschte.  Um zu zeigen, dass auch virtuelles Geld verdient werden muss, hilft es, eine Art digitales Taschengeld einzuführen. Dafür kann man auf einer Google-Play- oder App-Store-Karte den Geldwert mit Aufklebern markieren, zum Beispiel ein Kreis für 50 Cent. Dann bekommt das Kind die Karte als Taschengeld oder als Geschenk und muss jedes Mal, wenn es virtuell etwas einkaufen will, Aufkleber im Kaufwert von der Karte abkratzen. Außerdem empfehle ich allen Eltern, ihre Einkäufe in App-Stores nicht über die Telefonrechnung oder die Kontonummer abzuwickeln, sondern über diese Guthaben-Karten. Ist zwar manchmal lästig, wenn das Geld auf der Karte nicht mehr reicht und man los muss, eine neue zu holen, aber es begrenzt den möglichen Verlust durch heimliche oder unbedachte Abo- oder In-App-Käufe auf ein übersichtliches Maß.     

Mal raus aus dem Alltag zu den größeren Themen: Wie können wir unseren Kindern erklären, dass sie nicht alles glauben dürfen, was im Netz steht?

Dafür müssen wir Eltern als erstes raus aus der Bequemlichkeitsfalle 😉 Denn wir sind die ersten, die unseren Kindern das allwissende Netz vorleben. Bei Fragen wie „Halten Maulwürfe Winterschlaf?“ suchen wir im Netz nach der Antwort und lesen sie vor, ohne Zweifel an der Antwort zu wecken. Das wurde mir wirklich bewusst, als meine Tochter zu mir meinte: Frag doch das Internet. Von da an habe ich Zweifel eingestreut, im Sinne von „Hier steht …, aber das heißt nicht, dass es genauso stimmt. Da müsste ich erst recherchieren.“ Außerdem haben wir miteinander darüber gesprochen, dass jeder etwas ins Internet schreiben kann, egal, ob es richtig oder falsch ist.

Wie schaffe ich es, meine Kinder von schlüpfrigen, pornografischen oder gewaltverherrlichenden Inhalten fern zu halten?

Das ist schwierig. Selbst wenn Eltern die eigenen PCs per Kinderschutzsoftware schützen und die Kinder nur auf kindgerechten Seiten wie blinde-kuh.de, fragfinn.de oder klexikon.zum.de recherchieren lassen, können sie doch bei Freunden auf verstörende Inhalte treffen. Bei einigen Heranwachsenden – Mädchen wie Jungen –  ist es eine Art Mutprobe sich Pornos oder Gewaltvideos anzusehen. Deshalb ist es wichtig, mit den Kindern vorher darüber zu reden, dass es auch diese dunklen Seiten des Webs gibt und sie darin zu bestärken, dass sie zu einem kommen, wenn sie verstörendes im Web treffen.

Und zum Abschluss: Welchen Gewinn haben Kinder denn heute durch diese digitale Welt, in der sie aufwachsen? 

Neben all den Fallstricken und Gefahren gibt es auch viele großartige Möglichkeiten, die das Web bietet. Heranwachsende können mit Freunden und Verwandten in Kontakt bleiben, die weit weg wohnen. Sie können Freunde rund um den Globus finden, die ihre Interessen teilen.

Sie haben völlig neue Möglichkeiten, ihre Kreativität auszuleben und ihrer Neugierde nachzugehen. Der 16-jährige Berliner Schüler Jonas Wanke beispielsweise entwickelte ein Leucht-Hundegeschirr, das sich über eine App steuern lässt. Sein „Light Your Dog“ präsentierte er in diesem Jahr auch bei „Jugend forscht“ und der „Maker Faire Berlin“.

Und digitale Medien geben Heranwachsenden die Möglichkeit, ihre Meinung und ihre Stimme einzubringen. So wie die Wiesbadener Schüler vom Gymnasium am Mosbacher Berges. Sie kämpfen gegen die Abschiebung ihrer Mitschüler Fadi und Mariam Al-Haj. Mit einer Online-Petition sammelten sie innerhalb von zehn Tagen über 6000 Unterstützer und erreichten so, dass der Fall jetzt im Stadtparlament Thema ist.

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Zur Autorin: Katja Reim (geboren 1974) ist Journalistin, Mutter einer Tochter im Grundschulalter und von Natur aus neugierig. Seit Jahren bloggt sie über die gemeinsamen Ausflüge in die virtuelle Welt und ihre Aha-Erlebnisse, wenn Erziehung mit digitalen Medien richtig Spaß macht. Sie ist vertreten auf zahlreichen Diskussionsrunden, Tagungen und Kongressen zum Thema Medienkompetenz.

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Foto von Katja Reim: Nina Rücker

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5 comments

  1. Reglementieren finde ich sehr wichtig!
    Ich sehe das genauso: Auch meine Kinder möchten unbedingt permanent an das iPad bzw. Tablet. Das ging so weit, dass meine beiden Jungs Max und Carl verschiedene Apps auf meinem iPad installiert haben, wo ich echt ein Schrecken bekommen habe. Daher hat mein Mann und ich entschieden, dass beide Jungs ein eigenes gemeinsames Tablet bekommen und das mit Kindersicherung! Das Tablet (https://kinderprogrammieren.de/equipment/tablet/fire-hd-8-kids-edition-tablet-review/), welches wir gekauft haben, lässt sich so gut vorkonfigurieren, dass die Jungs nicht mehr einfach so Apps darauf installieren können und die Nutzungszeit auch reglementiert ist. Dadurch bekommen wir ihren Drang nach dem Tablet etwas geregelt, da die beiden wissen, dass wenn die Nutzungszeit zu ende ist, diese nicht mehr ans Tablet gehen dürfen. Bis jetzt klappt es ganz gut und das kann ich auch jedem so empfehlen.

  2. In-App-Käufe und andere Funktionen
    Ich habe noch eine Ergänzung zu den In-App-Käufen: auf dem iPad kann man unter Einstellungen –> Allgemein–> Einschränkungen die In-App-Käufe sperren (und noch einige andere Funktionen). Man muss einen Passcode festlegen um diese Funktionen zu aktivieren bzw. zu deaktivieren. Außerdem kann man am iPhone und iPad durch 3x Drücken des Homebuttons in den geführten Modus gehen. Hier kann man das Spielen auf eine App beschränken sowie eine Zeit einstellen, wie lange gespielt werden darf. Unsere Geräte bieten auch einige Funktionen um uns in diesem Thema zu unterstützen. Nur die Diskussion mit den Kindern müssen wir selbst aushalten und unseren Kindern auch unsere nicht-digitale-Welt zeigen. Den Ausdruck „digitaler Babysitter“ aus dem Artikel finde ich sehr passend. Werde ich mir merken.

  3. Als Mutter von 3 Kindern
    Als Mutter von 3 Kindern beschäftige ich mich natürlich auch mit dem Thema. Bis jetzt musste ich leider feststellen, dass fast alle veröffentlichen Artikel dieses Thema sehr einseitig und unrealistisch dargestellt haben. Wie leben schließlich im Jahre 2017. Digitale Medien gehören heutzutage zum Alltag dazu. Wichtig ist es, den Kindern den richtigen Umgang beizubringen.

    LG Tabea (AnMoMi Blog)

  4. Toller Beitrag
    Ich möchte mich nur kurz bei der Autorin für diesen tollen Artikel und die praxianahen Tipps bedanken! LG Ines