„Dieses ständige Deutsche Bahn-Bashing ärgert mich!“ Eine DB-Mitarbeiterin im Interview

Deutsche Bahn

Ihr Lieben, ja ja, die Deutsche Bahn… am Wochenende bin ich mit der Bahn nach Hamburg gefahren, weil ich da zwei Tage mit meiner großen Tochter verbracht habe. Der Zug war sowohl auf der Hin-als auch die Rückfahrt verspätet, daraufhin habe ich in einer Insta-Story leicht genervt gefragt: „Gibt es eigentlich überhaupt noch Züge, die pünktlich sind?“

Tatsächlich ist es so, dass ich Bahnfahren eigentlich total toll finde und es auch gerne öfter machen würde – aber ich kann mich wirklich an kaum eine Fahrt erinnern, in der alles reibungslos geklappt hat und das ärgert mich bei immer steigenden Ticketpreisen.

Auf meine Insta-Story hin meldet sich Birgit bei uns. Sie ist über 20 Jahre bei der Deutschen Bahn und sagte: „Solche Posts belasten uns Mitarbeiter*innen, dieses ständige Bahn-Bashing macht auch was mit uns.“ Diese Rückmeldung fand ich wichtig und habe Birgit gefragt, ob sie sich ein Interview vorstellen könnte. Glücklicherweise hatte die Lust dazu. Hier kommen Birgits Antworten…

Liebe Birgit, Du bist bei der Deutschen Bahn angestellt. Seit wann und was arbeitest du dort genau?

Ich habe 2004 nach dem Abitur meine Ausbildung in einem kaufmännischen Beruf begonnen und arbeite seitdem durchgängig bei der DB. Nach meiner Elternzeit habe ich neben dem Beruf noch einmal studiert und arbeite jetzt in einer Führungsposition.

Du hast dich auf meine Insta-Story gemeldet und uns gesagt, dass solche Posts euch Deutsche-Bahn-Mitarbeiter belasten. Wie oft musst du dir was aus deinem Umfeld über deinen Arbeitgeber anhören?

Ich kann nicht für alle Kolleg*innen sprechen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob man durchgehend von Belastung sprechen kann, oder man auch manchmal, salopp gesprochen, einfach nur abgenervt und müde ist, sich immer wieder anhören zu müssen, wie inkompetent und peinlich das eigene Unternehmen ist. Vor allem, wenn man Tag für Tag aufsteht und seinen Job bestmöglich macht. 

Unter den Kolleg*innen, mit denen ich spreche, herrscht sehr viel Verständnis für den Unmut der Kunden, wenn Züge ausfallen oder unpünktlich sind. Es berechtigt aber niemanden, Kolleg*innen persönlich anzufeinden oder gar zu verletzen. Der Ton ist teilweise schon sehr rau. Das zieht sich leider auch in den privaten Bereich. Vielleicht weniger aggressiv, aber dennoch schon so, dass man augenrollend das Thema wechseln möchte.

Ich wünschte mir, dass die Menschen kurz mal innehalten würden und überlegen, wie sie es finden würden, das Gefühl zu bekommen, man sei inkompetent und das, was man tut, „ist für die Katz“ bzw. hat keinen Wert. Wenn ich von Fremden gefragt werde, wo ich arbeite, dann kommen auch schon mal reflexartig Sprüche wie: „Ach herrje“, „Echt? Das wär mir ja fast ein bisschen peinlich“ oder „Hoffentlich zahlen sie wenigstens pünktlich“. HAHA…nicht immer kann ich darüber lachen.

In meinen Augen ist dies aber auch ein Beispiel für das, was sich in der Gesellschaft abspielt. Fehler anderer werden sofort kommentiert, abgestraft und in eine Schublade gesteckt. Witze auf Kosten anderer gemacht. Ohne über Hintergründe, warum dass so ist und was diese Art der Kommentierung mit den Menschen dahinter macht, wird geurteilt und reißerisch draufgekloppt. Das klingt jetzt bestimmt so, als würde mich das super belasten. Nein, so ist es nicht. Aber es ärgert mich.

Kannst du den Ärger der Kunden über die ständigen Verspätungen, kaputte Klos, ausgefallene Klimaanlagen usw. verstehen? 

Natürlich!!! Man erwartet ein einwandfreies Produkt, wenn man bezahlt – das ist ganz verständlich und legitim. Ich verstehe auch, dass man sich beschwert, dass man kritisiert und auf Missstände aufmerksam macht. Gerade Familien mit Kindern, ältere Menschen und Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind auf einen reibungslosen und zuverlässigen Betrieb angewiesen. Die Kritik sollte aber in meinen Augen immer angemessen sein – und das in Bezug auf Wortwahl und Tonalität.

Darüber hinaus, wünsche ich mir, dass auch überlegt wird, ob derjenige jetzt eigentlich auch der richtige Adressat für strukturelle Probleme ist. Niemand ist berechtigt andere persönlich zu beleidigen und körperlich anzugreifen -es kommt vor, dass Kolleg*innen bespuckt oder geschlagen werden.

Ich würde mich manchmal einfach darüber freuen, wenn man mich mal fragen würde, wie es mir damit geht, dass mein Unternehmen so einen schlechten Ruf hat, anstatt sich darüber lustig zu machen. Denn ich mag mein Unternehmen, es gibt viel Gutes und den meisten Menschen ist auch nicht bewusst, wie komplex so ein Bahn-System ist. Wie es finanziert ist, wer die Verantwortung dafür hat und wem die Bahn eigentlich gehört. Aber das ist ein Punkt, auf den ich hier gar nicht näher eingehen will.

Was meinst du: Wer hat Schuld an dem der ganzen Misere?

Wie ich eben schon sagte, will ich gar nicht tiefer in das Thema Unternehmen des Bundes, Finanzierung und Verantwortung eingehen. Das gehört hier nicht hin und ist auch nicht mein Anliegen. Dazu gibt es im Netz auch sehr gut aufgearbeitete Berichte und Reportagen. Vielmehr geht es mir um Achtsamkeit und Wertschätzung derer, die tagtäglich dafür sorgen, dass die Kunden unter den gegebenen Umständen gut versorgt und informiert sind und das nicht nur bei der Bahn, sondern auch in anderen Unternehmen oder Behörden.

Was müsste deiner Meinung nach passieren, dass all das eben nicht mehr passiert? 

Es ist wichtig sich immer wieder klarzumachen, dass hinter jedem Unternehmen, jeder Behörde, Mitarbeiter*innen sind, die versuchen ihren Job bestmöglich zu machen. Wir nehmen für uns häufig Dinge in Anspruch, die wir selbst nicht bereit sind zu geben. Oder machen uns nicht klar, was flapsige Sprüche auslösen können. Ich mag jetzt gar nicht den Zeigefinger heben und mahnen, ich mag lediglich zum Nachdenken anregen. Ich selbst bin auch immer dankbar, wenn man mich darauf aufmerksam macht, dass ich gerade danebengelegen habe.

Wie oft reist du privat mit der Bahn und wie erlebst du da das Reisen?

Ich reise natürlich dienstlich und privat sehr viel mit der Bahn und bin häufig auf Bahnhöfen unterwegs. Insofern denke ich, einen guten Blick dafür zu haben, wo der Schmerz der Kunden sitzt – ich erlebe ihn ja auch. Es hilft allerdings bei Verspätungen und anderen Störungen zu versuchen, nicht gleich von Inkompetenz einzelner Menschen oder Mutwilligkeit auszugehen. Wenn im Zug durchgesagt wird, dass man nicht weiterfahren kann, weil sich Personen/Kinder auf der Strecke im Gleis befinden, dann glaube ich das. Das liegt aber natürlich daran, dass ich als Mitarbeiterin informierter bin. 

Hier geht es mir mehr um ein Mindset, welches ich auch anwende, wenn mich im Privaten auf einer Behörde etwas nervt, dem Kassierer im Supermarkt die Kasse abgestürzt ist oder mein Arzt erst in 6 Monaten einen Termin frei hat. 

Aber klar, ich komme auch nicht umhin, mich zu ärgern und genervt zu sein, weil ich einfach nur nach Hause möchte. Aber ich habe auch schon sehr interessante Menschen kennengelernt und viele gute Gespräche erlebt, weil man zusammen festsaß. Das soll nichts romantisieren, aber so komme ich mit diesen Situationen am besten klar.

Kennst du Kollegen – z.B. Schaffner*innen –, die von Kunden übelst bepöbelt wurden?

Die kenne ich natürlich und bewundere sie – am meisten dafür, dass sie tagtäglich wieder aufstehen und ihren Job machen. Natürlich nicht IMMER gut gelaunt. Fragt euch doch das nächste Mal, wenn der Zugbegleiter nicht, wie vielleicht erwartet, super freundlich ist und eine kurze Zündschnur hat, woran das liegen könnte.

Wurde er heute vielleicht schon 3 Mal mit den Worten: „Du Vollidiot, ich bezahle hier dein Gehalt“ angepöbelt, weil jemand seinen Anschlusszug nicht bekommen hat? Hat er am Vortag im Dienst eventuell einen schlimmen Unfall mit ansehen oder sich die traurige Lebensgeschichte einer einsamen älteren Dame anhören müssen? Klar, Mitarbeiter in Dienstleitungsbranchen müssen funktionieren, aber man darf auch nachsichtig sein und sich fragen, warum das eventuell gerade so ist – und, ob man gerade selbst auch einen guten Tonfall hatte. 

Wie erlebst du die Deutsche Bahn als Arbeitgeber?

Ich arbeite nach wie vor gern bei der Deutschen Bahn. Nicht immer, und in letzter Zeit häufiger, bin ich mit allem einverstanden. Das bringen aber glaube ich die Strukturen in einem großen Konzern und die politischen Debatten mit sich.

Ich weiß allerdings die vielen Möglichkeiten, in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schätzen. Ich arbeite flexibel zwischen Homeoffice und Büro und kann mir meine Zeit selbst einteilen, was ich als vollberufstätige Mutter als sehr wertschätzend empfinde. Nun bin ich in der sehr komfortablen Lage, nicht im Schichtdienst arbeiten zu müssen, aber auch bei den Kolleg*innen gibt es wohl Möglichkeiten, darauf Rücksicht zu nehmen. Was ich aber als sehr angenehm empfinde, sind die vielen Angebote zur mentalen und körperlichen Gesundheit, was in der heutigen Zeit ja immer wichtiger wird. Ich fühle mich gesehen.

Gibt es noch etwas, was deiner Meinung nach viel zu selten gesagt wird, was aber dringend mal gehört oder diskutiert werden müsste? 

Ich glaube, ich habe in den vorherigen Fragen schon viel von dem loswerden können, was mir manchmal auf der Seele liegt. Dies soll jetzt auch kein Plädoyer auf die Deutsche Bahn sein, vielmehr wollte ich den Anstoß geben, manchmal über das nachzudenken was man sagt und was es mit den Menschen machen kann. Wir reden überall sehr viel über Achtsamkeit, Empathie und Wertschätzung – und das ist auch gut so und wichtig.

Deinen Post wollte ich gern zum Anlass nehmen zu sensibilisieren, dass hinter mittlerweile zum Alltag gewordenen Klischees, Menschen sind, mit denen „Unternehmens- oder Behörden-Bashing“ durchaus was machen kann. Ansonsten bin aber auch ich nach wie vor für gute Witze über die Bahn zu haben.

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4 comments

  1. Denke bei den ganzen Aggressionen gegenüber der DB immer, warum so viele Menschen in Deutschland mit zweierlei Maß messen. Hat hier irgendjemand schon mal erlebt, dass er mit der Lufthansa wirklich pünktlich angekommen ist? Und damit meine ich mit seinem Gepäck aus der Flugzeugtür ist. Wie selbstverständlich werden bei einem Flug großzügige Zeit Puffer eingebaut und seltenst die Bodencrew angegangen, wenn das Boarding 3x verschoben wird und erst 30 Minuten nach eigentlichem Abflug beginnt. Ganz zu schweigen von gänzlich Ausfällen oder Überbuchungen. Da sollte man wirklich fair bleiben. Wünschenswert wären natürlich geringere Preise und ein modernes Schienennetz. Aber das ist eine politische Entscheidung und hat nichts mit der Qualität der Mitarbeitenden der DB zu tun.

  2. Dass Mitarbeiter angepöbelt werden, geht natürlich nicht, dennoch hat die Bahn ein strukturelles Problem und hält ihre Seite des geschlossenen Vertrages nicht ein. Durch die Monopolstellung auf vielen Strecken gibt es leider keine Ausweichmöglichkeit auf andere Anbieter. In einem Umfeld, in dem es einen realen Wettbewerb zwischen mehreren Unternehmen gibt, wäre die db schon längst weg vom Fenster. Jeder von uns weiß, dass die Nutzung der db einem Glücksspiel gleicht. Man hat beim Einsteigen die positive Hoffnung, dass alles gut läuft und wird doch jedes Mal wieder aufs Neue enttäuscht.
    Dem Zugbegleiter habe ich das natürlich noch nie vorgehalten. Der sitzt wie wir im Zug und würde lieber früher am Zielort ankommen als zu spät. Immer wieder schön ist es, wenn die Zugbegleiter es schaffen, die Fahrgäste auf ihre Seite zu ziehen. Ich kann verstehen, dass man keine gute Laune hat, wenn man angepöbelt wurde. Es gibt aber auch Zugbegleiter, die bringen sehr gut rüber: „Ich verstehe Sie. Es nervt mich genauso“. Oder wiederholt: „Bitte nicht in den Türen stehen, die anderen Fahrgäste danken es Ihnen, wenn wir nicht noch mehr Verspätung durch Sie haben“ (so vor Kurzem erlebt und vollstes Verständnis für den Zugbegleiter gehabt).

  3. Danke für diese frische Perspektive! Auch wenn ich als häufige Bahnfahrerin den Frust und das Unverständnis sehr gut nachempfinden kann, weil sich von außen betrachtet einfach keine Verbesserung bei Zuverlässigkeit und Preis-Leistung einstellt, finde ich es sehr wichtig, das Personal – wie alle anderen Menschen auch – wenn dann sachlich zu kritisieren und niemanden anzugehen, der wahrscheinlich genauso gefangen in der Situation ist wie man selbst. Ich bin immer wieder geschockt darüber, welches Maß an Aggressivität teilweise salonfähig geworden ist – als bräuchten viele einfach ein Ventil, welches auch gesellschaftlicher Konsens ist. Ich denke, gute Arbeit entsteht immer dort, wo Menschen mit Herzblut bei der Sache sind, und diese Menschen gibt es sicherlich auch bei der Bahn und bei Behörden – auch wenn es nicht immer einfach ist das hinter den Missständen zu sehen. Wenn wir diesen Menschen auch noch die Freude an ihrem Job verleiden, weil wir pauschal erst mal draufhauen, wird es dann für irgendwen besser?
    Gilt ja zB auch für Erzieher und Lehrer …

  4. Danke für diesen Beitrag! Ich bin selbst bei einer der DB-Töchter seit mehr als 12 Jahren. Die Bahner mit Herzblut gibt es noch und genau die sollte man nicht vergraulen! Dass das ganze komplexe System gerade massive Probleme hat, sehen und erleben wir jeden Tag. Und manchmal ist das ein Kampf gegen Windmühlen und echt frustrierend. Und genau dann kämpfen wir weiter, dass es endlich wieder besser wird. (ja klar, auch wir haben mehr als genug schwarze Schafe…)

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