Raus aus dem Selbsthass: Saralisa Volm über „Das ewige Ungenügend“

Selbsthass

Foro: Svenja Trierscheid

Ihr Lieben, Saralisa Volm ist 38, hat vier Kinder und eine schillernde Karriere beim Film. Trotzdem sind da die Selbstzweifel, schlummert da Selbsthass, spürt sie Das ewige Ungenügend der gesellschaftlich bewerteten Frauen und wagt sich nun in ihrem neuen Buch an eine spannende Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers. Warum sie das Thema Schönheit, Körperkult und Selbstoptimierung nicht für oberflächlich hält, erzählt sie uns im Interview. Danke für die Denkanstöße, liebe Saralisa!

Körperkult und Selbstoptimierung

Liebe Saralisa, du bist Schauspielerin, Filmproduzentin, Vierfachmutter, Kreative, dein Kopf ist voller Ideen, warum gehst du mit deinem neuen Buch nun ein vermeintlich oberflächliches Thema wie das äußere Erscheinungsbild, den bewerteten Körper von Frauen, an?

Unser Körper ist nicht nur Hülle, sondern auch unser Erfahrungsraum und schlicht unser Leben. Daher handelt das Buch von Schamgefühlen, Essstörungen, sexualisierter Gewalt, Gesellschaftspolitik, Abtreibung, dem Orgasm Gap und nicht zuletzt von einer großen Sehnsucht nach Freiheit. Als Künstlerin und Feministin treiben mich diese Themen beruflich wie privat um.

Der weibliche Körper sei öffentlich, sagst du, fragst aber gleichzeitig, wo die Selbstbestimmung bliebe. Hast du im Zuge des Schreibens eine Antwort darauf gefunden?

Was der Selbstbestimmung dient, ist Unabhängigkeit. Ich beschreibe in diesem Buch, wie essentiell Frauenrechte sind, wie sehr wir ökonomische Gleichberechtigung brauchen und was es bedeutet, seine eigene Selbstwirksamkeit zu erfahren. Intersektionalität ist dabei genauso wichtig, wie ein paar wenigen Großkonzernen die die Deutungshoheit zum Thema Schönheit zu entziehen. Nur Frauen, die unabhängige Entscheidungen treffen können, werden die vorherrschenden Bewertungsschemata aufzulösen verstehen.

Du wirfst weitere Fragen auf wie: Wie viel Hyaluron passt in das Gesicht einer intelligenten Frau? Wie viel Botox kann ich meiner politischen Haltung zumuten? Wie viel Hängebrust ertragen? Welche Antworten lieferst du uns darauf?

Wir sollten uns diesbezüglich entspannen. Ich bin überzeugt davon, dass die Problematik viel tiefer liegt. Schönheits-OPs sind ein Symptom, nicht die Wurzel des Übels. Ich finde es absurd, wenn wir uns gegenseitig wegen solcher Äußerlichkeiten verurteilen. Was wissen wir schon über die Nöte, Krankheiten und Erlebnisse anderer Frauen*? Ob durchgeliftet oder radikal natürlich: Lasst uns gemeinsam für mehr Freiheit und Gleichberechtigung eintreten. We have bigger fish to fry.

Du bist 38, fällt dir das Altern – rein körperlich – schwer?

Selbsthass
Foto: pixabay

Selbstverständlich. Wäre ich Balletttänzerin oder Sportlerin wäre meine Karriere jetzt zu Ende. Ich brauche heute mehr Schlaf als früher, ich habe manchmal Rückenschmerzen und meine Zähne zerbröseln. Ich sehe immer schlechter und habe einen kaputten Fuß. Es ist sicherlich unsere Aufgabe, im Laufe des Lebens auch das loszulassen zu lernen, mit Gebrechen umzugehen und den schleichenden Verfall irgendwann anzunehmen. Das ist eine große Herausforderung an deren Ende der Tod steht, der uns alle erwartet.

Hast du selbst schon mal etwas machen lassen?

Nein. Aber vermutlich nur aus Zeit- oder Geldmangel. Immer war irgendetwas anderes dringender oder spannender. Ich gehe nicht einmal zum Friseur. Das kommt aber alles bestimmt noch.

In welchen Bewertungsmomenten deines Körpers denkst du in deinem Privat- aber auch in deinem Berufsleben einfach „Fuck you“?

In jedem Fall immer öfter. Als Schauspielerin musste ich schmerzlich lernen, sowas abperlen lassen. Da ist man ständig zu groß, zu dünn, zu braunhaarig, zu faltig, zu wenig faltig, … Das bringt der Beruf mit sich. Der Endgegner bleibt aber die eigene mit Zweifeln gefütterte Psyche. Die versuche ich abzulenken. Womit ich aber auf jeden Fall entspannter geworden bin, sind Haare. Früher habe ich wirklich jedes einzelne Haar von meinem großen Zeh, aus meinen Augenbrauen, von meinem Bauch oder sonstwo entfernt. Da denke ich heute ständig: Fuck you.

Zählt bei dir eine Weiterbildung als Gehirnlifting, das ebenfalls schöner macht? Von innenheraus eben?

Ich glaube nicht, dass eine Weiterbildung sichtbar ist. Aber Haltung, die sieht mensch durchaus. Überzeugungen, Begeisterung, Selbstgewissheit, Erfolge und Bildung können uns attraktiver machen und uns vielleicht auch vor der milliardenschweren Werbetrommel der Schönheitsindustrie schützen. In jedem Fall macht uns eine Weiterbildung oft unabhängiger und das ist das Wichtigste.

In deinem Buch heißt es ganz zu Anfang: Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Feminist. Brauchen wir diesen Rückenwind? Ist es alleine nicht zu schaffen?

Mein Mann liebt schlechte Witze und so ist meine Widmung für ihn ein Joke, um den Spieß – also diesen veralteten Spruch – einmal umzudrehen. Für mich wäre es unmöglich mit einer*einem Partner*in zu leben, die sich nicht für Gleichberechtigung einsetzt und Carework sowie Verantwortung mit mir teilt. Aber ehrlicherweise reicht ein Feminist allein nicht aus, als Rückenwind. Was wirken mag, wie die „Saralisa-Volm-Solo-Show“ ist die Arbeit sehr vieler Menschen. Ich bin nur das Gesicht.

Um vier Kinder großzuziehen, braucht es ein Dorf. Engagierte Freund*innen oder Verwandte, die uns unterstützen, dazu Babysitter und Nachbar*innen, Meschen in der U-Bahn, die beim Aussteigen helfen und etliche Köche und Köchinnen* in der ganzen Stadt. Um Filme zu drehen, braucht es Teams, die mich als Regisseurin und Schauspielerin tragen und auffangen, wenn es sein muss.

Das Gleiche gilt für Bücher, Kunst und Co. Ich habe fantastische Partner*innen und Mitarbeiter*innen an allen Ecken und Enden, ohne die ich nicht annähernd das umsetzen könnte, was ich tue. Allein hätte ich außerdem keinen Computer, keine Turnschuhe und keine Wohnung. Nicht einmal ein Sandwich. Vielleicht sehe ich uns Menschen deshalb immer als soziale Wesen im Kontext und Zusammenspiel mit der Gesamtgesellschaft. Hier liegt meines Erachtens der Schlüssel: In einer Gesellschaft, die gegenseitigen Support pflegt.

Du selbst hast als Kind stark geschielt, wie sehr hast du darunter gelitten und welches Selbstbild gibt´s zu deinen Kindern mit auf den Weg?

Ich schiele bis heute. Eine OP, wie sie mir von verschiedenen Menschen aus rein ästhetischen Gründen immer wieder nahegelegt wurde, unter anderem von einer Schauspielagentin und Regisseuren, lehnte ich immer ab. Ich war aus verschiedenen Gründen ein sehr unbeliebtes Kind in der Schule und passte nicht nur wegen meiner Brille nicht ganz rein. Das hat mich natürlich sehr belastet, aber auch geprägt. Ich bin trotzdem durch dieses Leben gestolpert und irgendwo angekommen, obwohl ich bis heute keine Bälle fangen kann.

Als Mutter scheitere ich naturgemäß ständig. Mein Wunsch wäre es, meinen Kindern zu vermitteln, dass ihr Körper ihr Hoheitsgebiet ist. Hier entscheiden nur sie. Wer nicht geküsst werden will, sollte nicht geküsst werden. Wer nicht geknuddelt werden will, sollte das selbst entscheiden dürfen. Das ist das Wichtigste. Außerdem will ich, dass sie wissen, dass sie vollkommen ok sind. Jedes Kind für sich in seiner Einzigartigkeit.

Was muss sich gesellschaftlich ändern, um den Druck auf uns Frauen zu verringern?

Da braucht es sehr viele unterschiedliche Stellschrauben, die wir teilweise schon seit Jahrzehnten diskutieren. Zum Beispiel brauchen wir eine breitere medizinische Forschung und ein besseres Bildungssystem, das unsere Körper respektvoll mitdenkt und auch ihre Unterschiedlichkeit, unsere Lust und unsere Hilfsbedürftigkeit erklärt. Wir brauchen eine Kulturbranche, die diversen Menschen und Frauen* jenseits der 40 eine Bühne, eine Hauptrolle und eine Moderation zutraut. Wir benötigen die Abschaffung des Ehegattensplittings, das Schließen des Paygap und eine Emanzipation der Männer*. Und das ist erst der Anfang.

Wenn du mal groß träumen darfst: Was möchtest du mit „Das ewige Ungenügend“ erreichen, wenn du dir das Maximum wünschen darfst?

Als Erstes wünsche ich mir, dass sich Menschen, wenn sie dieses Buch lesen, weniger alleine fühlen, als ich mich als junge Frau fühlte, und dass wir alle die Zusammenhänge begreifen, die hinter unserem Selbsthass stecken. Ich glaube, dass aus diesem gewonnenen Wissen und Gefühl heraus dann sicherlich ein Mut erwachsen würde, der Großes entstehen lässt.

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7 comments

  1. Hallo Eva, ich sehe es genauso wie Sie. Dieses Gendern ist eine Schande für unsere schöne Sprache und ich meide konsequent alle Beiträge oder Online Zeitungen, die Gendern. Sei es mit * oder :
    Leider wird das von den Betreibern von Stadtlandmama auch getan (siehe die interviewfragen des aktuellsten Beitrages) und deswegen lese ich hier nicht mehr mit. Sehr traurig, denn ich habe die Beiträge hier immer sehr gerne gelesen.

  2. „mit einer*einem Partner*in zu leben“….
    Ein eigentlich interessanter Text aber bei so vielen Sternchen ist mir die Lust vergangen. Jedem das seine aber ich finde dieses Gendern eine Verschandelung der deutschen Sprache. Ich habe nie jemanden gekannt, der sich bevor diese Idee in die Köpfe der Menschen gepflanzt wurde diskriminiert gefühlt hätte. Und warum man nun nicht mehr „man“ sagen darf und das nun „mensch“ heißen soll erschließt sich mir auch nicht (man ist ja nicht gleich Mann)…

    1. interessant Eva, dass Du das so empfindest.
      Ich kann da ganz entspannt drüber weglesen und finde den Niederschlag der Gleichberechtigung in der Sprache wichtig und richtig.

      Mein Gedanke zu dem Inhaltlichen ist oft: ist es wirklich die ominöse „Gesellschaft“, die Frauen so bewertet und kategorisiert, oder sind es nicht vielmehr die Frauen selbst, die sich vom Urteil der anderen schlecht freimachen können? Die ihre eigenen überzogen hohen Ansprüche (immer noch ein Kind, Supermutter sein, gut aussehen, Karriere machen, Zeit für den Partner, für Hobbies, für Freunde, Sport) nicht erfüllen können (wie auch, das ist einfach zu viel) und aber nicht sehen, dass „die Männer“ oder „die Gesellschaft“ diese Ansprüche gar nicht haben?!

    2. Eva
      Da bin ich ein wenig bei Ihnen. Ich persönlich staune nur, dass Frausein zwangsläufig einen Partner voraus setzt? Da fallen gleich mal alle Alleinerziehenden ( auch Väter!) raus, die sich dieses Luxusproblemchen nicht gönnen können und wissen müssen wer sie sind, nicht zuletzt für ihre Kinder! Also ich hasse mich nicht und kann auch gut dumme Kommentare/ Wertungen ignorieren und gleich wieder vergessen ohne einen “ Feministen“ ( schlimme Wortschöpfung) an meiner Seite. Das ist einfach nur der individuelle Charakter der Frau, was bzw wieviel lasse ich mir gefallen. Da sind wir Frauen aber garnichts Besonderes, das geht Männern, Transmenschen… genauso. Das ist nur wieder das stärkere weibliche Mitteilungs- und Diskussionsbedürfnis.

      1. PS.
        Der Spruch: Hinter jeder starken Frau steht ein starker Mann.“ ist das Gegenteil von Feminismus. Das impliziert ohne Mann kann ich garnicht stark sein? Und im Text klingt ja an, daß man mit Kind den Versorger braucht, also das Weltbild von vorgestern. ( können Alleinerziehende ( auch Papas) mal herzlich lachen über die Karikatur von Feminismus, fragen wir uns da wirklich noch warum Männer ( und auch Frauen) das nicht wirklich ernst nehmen???) Aber Hauptsache man hat mal ein Buch geschrieben und schön gegendert!

    3. danke. endlich sagt es mal jemand. Diese Sternchen sind ein unnötiges Ärgernis und nehmen mir jede Lust den Text zu lesen oder mich tiefer mit dem eigentlich Gesagten auseinanderzusetzen.

    4. @Eva: Wenn sich niemand diskriminiert gefühlt hätte, wäre wohl auch niemand auf die Idee gekommen, sprachlich etwas zu ändern. Dass die Idee dazu „eingepflanzt“ wurde, hat was von Verschwörungserzählung.

      Und das „Argument“, selbst niemanden zu kenne, den es betrifft, ist nun wirklich nicht stichhaltig.
      Ich persönlich kenne auch keine Person, die mal im Lotto gewonnen hat, an Malaria erkrankt ist oder aus Lettland stammt. Trotzdem bin ich mir sicher, dass es diese Menschen gibt. Wen wir kennen, hat wohl mehr mit der Blase zu tun, in der wir uns bewegen, als dass es was über die Gesamtgesellschaft aussagt.

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