Fehlende Mutterliebe? Ich wollte mein Kind nach der Geburt am liebsten weggeben

Mutterliebe

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Ihr Lieben, von Müttern wird erwartet, dass sie ihr Kind ab dem Moment lieben, ab dem es auf die Welt kommt. Und zwar bedingungslos und über alles. Doch was, denn das nicht so ist? Was, wenn die Mutter keine Mutterliebe spürt, wenn sie verzweifelt ist, wenn sie das Kind sogar aus einem ersten Impuls heraus abgeben will? Genau darüber schreibt heute Moni. Sie hatte große Probleme, ihr Kind so anzunehmen wie es ist. Heute kann sie nicht mehr verstehen, warum sie sich damals so gefühlt hat. Wir danken ihr sehr für ihr Vertrauen, dass sie uns so tief mit in ihre Gefühlswelt von damals nimmt. Alles Liebe für dich und euch, liebe Moni.

„Mein Name ist Moni und ich erzähle euch heute die Geschichte meines zweiten Kindes. Als ich schwanger wurde, konnte ich mich irgendwie nicht freuen. Es blieb auch lange nicht richtig greifbar, weil das Baby sich ewig nicht richtig auf dem Ultraschallbild gezeigt hat.

In der 14. SSW gab es dann plötzlich die Diagnose auf eine Trisomie, ob Trisomie 13, 18 oder 21 sei nicht ganz sicher, hieß es. Wir entschieden uns für eine Fruchtwasseruntersuchung. Für mich stand fest, dass ich das Kind nicht weiter austragen würde, wenn es nicht lebensfähig wäre.

Die Fruchtwasseruntersuchung bestätigte die Trisomie nicht, die Ultraschalluntersuchungen blieben aber auffällig. Es hieß, das Kind habe das sogenannte Pierre-Robin-Syndrom bzw. -Sequenz, hier ist der Unterkiefer zu klein und liegt zu weit zurück, die Zunge fällt zurück und meist gibt es eine Gaumenspalte. Endgültig konnte dies aber nicht bestätigt werden. Die Ärzte klärten uns dennoch sehr gut auf, was auf uns zukommen würde, würde sich diese Diagnose nach der Geburt doch bestätigen. Wir Eltern hofften natürlich, dass das Kind gesund auf die Welt kommen würde.

Dann wurde unser Sohn zehn Tage nach ET geboten. Und als wir ihn sahen, war sofort klar, dass etwas nicht stimmt. Er hatte dieses auffällig zufliegende Kinn und auch eine Gaumenspalte. Für mich fühlte es sich so an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen, mehr noch: Ich habe das Universum gehasst, geheult und mich immer wieder gefragt: WARUM? Warum er? Warum wir? Ich hielt meinen Sohn im Arm und konnte mich nicht freuen.

Ich spürte keine Mutterliebe

Die Kinderärztin kam, untersuchte ihn und dann wurde er sofort in die Kinderklinik (zwei Flure weiter) gebracht. Ich war froh, dass sie ihn mitnahmen und ich mich nicht kümmern musste. Das habe ich so natürlich niemandem gesagt, bis heute nicht. Aber ja, damals war ich erleichtert. Ein paar Stunden später ging ich zu ihm auf die Station, meine Gefühle waren wirr.

Die ersten drei Tage waren hart. Unser Sohn hat viel gespuckt, weil er zu viel Fruchtwasser geschluckt hatte. Er trank schlecht, konnte keinen Sauger halten, er konnte eigentlich nicht mal den Sog aufbauen, um zu saugen. Schließlich wurde ihm eine Nasensonde gelegt, über die er dann ernährt wurde.

An einem der Abende hat er kurz vor 23 Uhr eine Mahlzeit bekommen und ich machte mit den Schwestern aus, dass ich mich hinlege und dann zur nächsten Mahlzeit wiederkomme. Aber ich bin nicht gekommen. Ich konnte nicht. Ich wäre am liebsten abgehauen. Ich wollte ihn nicht sehen, fühlte mich so schlecht deshalb. Erst am nächsten Tag um 10 Uhr bin ich wieder zum Baby hin, ich hatte es dann auf dem Arm und spürte… keine Liebe. Nur riesige Traurigkeit.

Ich wollte dieses Baby nicht mehr haben

Dazu kam, dass unsere große Tochter nicht in die Kinderklinik durfte, auch keine anderen Verwandten, keine Freunde. Nur mein Mann und ich durften zu ihm, die ganzen 17 Tage lang. Ich habe meine Tochter unfassbar vermisst, machte mir Vorwürfe, dass ich sie so lange alleine lasse. Ich machte mir Vorwürfe, warum wir überhaupt ein zweites Kind haben wollten, denn ich wollte dieses Baby nicht mehr haben.

Ich hatte die schlimmsten Gedanken. Gedanken, die eine Mama eigentlich nicht denken sollte. Ich wollte unseren Sohn zur Adoption frei geben, war mir sicher, dass er woanders glücklicher wird. Ich wollte nach Hause, aber ohne ihn. Ich wollte mich nicht um ihn kümmern und war froh über jede Minute, in der er schlief. Wenn ich kurz nach Hause fuhr, wäre ich am liebsten dort geblieben, habe ihn nie vermisst.

Über all das habe ich nie geredet. Nicht mit den Krankenschwestern, nicht mit den Ärzten, nicht mit meinem Mann, nicht mit meiner Familie. Ich habe immer so getan, als sei alles in Ordnung, als ob ich stolz auf unseren Sohn sei. Ich hab gesagt, dass wir das schaffen und alles durchstehen können.

Wie es wirklich in mir aussah? Ich habe ständig geweint, immer gehofft, dass er schläft und ich mich nicht kümmern muss. Heimlich hab ich gegoogelt, wie und wo man Babys zur Adoption abgeben kann.

Zu Hause wurden die Gedanken erstmal schlimmer

Nach 17 Tagen wurden wir entlassen. Unser Sohn trank immer noch schlecht, bekam alle zwei Stunden die Flasche. Nachts aufstehen war der Horror für mich, am liebsten hätte ich das Kind schreien lassen. Dazu kam das schlechte Gewissen unserer Tochter gegenüber – völlig unberechtigt, denn sie war immer stolz auf ihren Bruder und hat bis heute eine ganz enge Bindung zu ihm. Nur ich, ich hatte keine Bindung.

Jede Schwangere, die ich auf der Straße sah, habe ich gehasst. Meine Freundin wurde ebenfalls schwanger und ich hatte die schlimmsten Gedanken. Ich hab ihr auch ein krankes Kind gewünscht und dass sie nicht glücklich wird. Auch darüber habe ich nie gesprochen, niemand hat geahnt, was ich denke und fühle.

Die Wende: Wie ich lernte, meinen Sohn zu lieben

Als unser Sohn drei Monate alt war, habe ich nie Notbremse gezogen und bin zum Psychologen gegangen. Ich konnte endlich meine Gefühle teilen, mit jemandem reden – und meinen Sohn annehmen, wie er ist. Ich konnte zum ersten Mal Liebe zu ihm zulassen, konnte ihn endlich in mein Herz schließen.

Nach und nach wurden all die hässlichen Gedanken leiser und weniger. An jedem einzelnen Tag wurde es besser – und ich wollte ihn nicht mehr hergeben… auf einmal war ich angekommen. Ich bin Zweifach-Mama und wahnsinnig stolz auf ihn. Ich liebe ihn unendlich, so dass es manchmal schon wehtut.  

Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Wir haben so viele Höhen und Tiefen bewältigt. Ende des Jahres wird es nochmal hart, da wird unser Sohn operiert, aber das stehen wir jetzt auch noch durch. Ich weiß, er hat sich uns ausgesucht, weil wir starke Eltern sind. Weil er wusste, wir schaffen alles. 

Ansonsten macht er sich mit seinen jetzt sechseinhalb Monaten bisher sehr gut. Er schafft es heute sogar, seine Flasche in 30 Minuten zu trinken, kriegt eigenständig Luft und hat keine Sättigungsabfälle. Er wächst und gedeiht super, hat keine körperlichen Beeinträchtigungen oder Einschränkungen. Er ist kerngesund, obwohl er die Gaumenspalte hat. Er ist ein toller und zufriedener Junge.

Holt euch Hilfe, wenn ihr nicht weiterwisst

Mittlerweile kann ich nicht mehr verstehen, was in den ersten Wochen nach der Geburt mit mir los war. Ich schäme mich für meine Gedanken und Gefühle meinem Sohn und anderen Schwangeren gegenüber, hasse mich in schlechten Momenten sogar dafür. Wenn ich daran zurückdenke, wie gemein ich war, fange ich sofort an zu weinen. Ich bin froh, dass ich niemandem aus meiner Familie davon erzählt habe, denn so weiß es nun auch keiner…

Ich erzähle diese Geschichte, um anderen Frauen Mut zu machen. Wenn ihr Ähnliches durchgemacht habt, holt euch Hilfe! Diese Gedanken und Gefühle sind schrecklich, aber man kann sie verändern. Macht es für euch und eure Kinder!

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3 comments

  1. Liebe Moni, hattest du eine postpartale Depression? Für mich hört es sich danach an. Hast du das denn alles aufgearbeitet? Ich finde nämlich nicht, dass du dich für deine Gedanken schämen musst. Sie scheinen ja mehr ein Ausdruck der Überforderung gewesen zu sein. Und wer wäre in so einer Situation nicht überfodert?
    Liebes StadtLandMama Team, ich fände es toll wenn ihr dem Aufruf von Moni sich Hilfe zu holen noch entsprechende Anlaufstellen wie zb Schatten & Licht e.V. oder das Hilfetelefon für schwierige Geburten hinzugefügt hättet.

  2. Wow, ich finde du bist eine starke Frau und eine tolle Mutter. Dass du dich da durch gekämpft hast und den Mut hattest dir Hilfe zu holen finde ich beachtlich! Danke fürs Teilen! Sehr bewegend und ich bin sicher, dass du damit nicht die Einzige bist!

  3. Vielen Dank für das Teilen dieser Gedanken und deiner Geschichte. Mir ist allerdings die Umbruchphase zu kurz gekommen. Warum genau hast du dir einen Psychologen gesucht, was hat die Veränderung bewirkt? Wie lange dauerte es?

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