Interview mit Melanie über den Alltag mit einem hochallergischen Kind

baby 864137 1280
Liebe Melanie, Dein Kind ist hochallergisch auf Erdnuss. Wie habt Ihr das festgestellt?
 
Unser Sohn wird bald sieben und kommt in wenigen Wochen in die Schule. Als er etwa anderthalb war, bekam er nach einer Geburtstagsfeier u.a. einen Erdnussflip in die Finger. Irgendwann fiel uns auf, dass seine Augen gerötet waren und seine Nase ununterbrochen lief. Das ließ uns keine Ruhe und beim nächsten Kinderarztbesuch sprach ich es an. Ich listete auf, was er an dem Tag alles gegessen hatte (das hatte ich mir zum Glück notiert, das war wohl die mütterliche Intuition!) und eine Blutprobe im Labor brachte dann das Ergebnis. Der Kinderarzt rief mich am nächsten Morgen an und sagte: „Herzlichen Glückwunsch, Ihr Sohn hat die beschissenste Lebensmittelallergie von allen erwischt!“
Sollte Dein Sohn nun versehentlich Erdnuss essen, welche Folgen hätte das?
 
Es gab bereits mehrere gefährliche Situationen, die aber zum Glück alle glimpflich ausgegangen sind. Meist beginnt es mit einem Kribbeln im Mund, dem schnell ein Kratzen im Hals folgt. Letzteres bedeutet, dass die Atemwege zuschwellen. Außerdem schwellen oft die Augen zu und es kommt zu Quaddelbildung am ganzen Körper. Hinzu kommen Bauchschmerzen und Übelkeit, oft mit Erbrechen. In einem schlimmen Fall ist unser Sohn sogar kurz ohnmächtig geworden. Wenn keine medizinische Hilfe erfolgt, kann es zu einem anaphylaktischen Schock kommen, das bedeutet, dass der Kreislauf versagt, was tödlich enden kann.
 
Sehr beunruhigend für uns ist, dass die Reaktionen jedes Mal unterschiedlich waren, sowohl was die Intensität der Reaktion als auch die Schnelligkeit, mit der sie ablief, betrifft. Im schlimmsten Fall, das muss man leider ganz klar sagen, kann er sterben. Zum Glück ist das unter unseren Lebensbedigungen recht unwahrscheinlich, aber man darf es eben nicht vergessen.
 
Erzähl mal mehr von diesen gefährlichen Situationen…
 
Tatsächlich war das kurz nach der Diagnose. Er war zu diesem Zeitpunkt drei einhalb Jahre alt und seit einem halben Jahr im Kindergarten. Hätten wir zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er diese Allergie hat, wäre er möglicherweise nicht mehr am Leben. Der Kindergarten rief an, er hätte sich beim Mittagessen übergeben. Da er einen empfindlichen Magen hat und zu der Zeit Magen-Darm im Umlauf war, machte ich mir keine weiteren Gedanken und machte mich auf den Weg. Dort angekommen, hing er schlapp auf dem Schoß einer Erzieherin und rieb sich permanent die Augen. Außerdem lief seine Nase, die Erzieherinnen vermuteten, er hätte sich Rotz in die Augen gerieben und sei einfach krank, aber ich sah zum Glück, dass sich an seinen Lidern mehrere Quaddeln bildeten und zu einer großen zusammenschlossen.
 
Als ich dann auf der Allergenkennzeichnung des Speiseplans ein „EN“ sah, war alles klar, der Rettungswagen wurde gerufen und wir fuhren in die Klinik. Dort wurden wir dann tragischerweise im Warteraum vergessen, da ich aber dachte, wir seien in sicheren Händen und das Personal wisse schon, wieviel Wartezeit uns zuzumuten wäre, realisierte ich das nicht und fragte ich nicht nach, zumal es an dem Tag extrem voll war. Außerdem lieferte ich am Empfangstresen mehrere Nierenschalen Erbrochenes ab, dachte also, wir wären „präsent“. Als unser Kind nach einem heftigen Kratzanfall (Quaddeln am Bauch) dann aber plötzlich still wurde und schlaff auf meinem Arm zusammensackte, bat ich eine Schwester, seinen Zustand zu kontrollieren. Sie maß seinen Blutsauerstoffwert und verschwand. Kurz darauf kam panisch eine Ärztin angerannt, schnappte unsere Sachen, wies mich an, ihr hinterherzurennen und binnen weniger Sekunden saßen wir im Behandlungszimmer, unser Kind bekam eine Notfallspritze und die Ärztin war sichtlich fertig. Wir mussten die Nacht dort verbringen und die Klinikleitung entschuldigte sich mehrfach bei uns.

Wie geht Dein Sohn damit um?

Er versteht es und konnte sich glücklicherweise schon sehr früh klar äußern, wenn sein Körper eine Reaktion zeigte. Außerdem hat er zum Glück auch als kleines Kind schon immer alles von uns absegnen lassen und nicht einfach etwas von Anderen angenommen. Wir machen ihm immer wieder bewusst, dass er nicht einfach irgendwas essen darf, ohne dass wir es kontrolliert haben. Manchmal gibt es allerdings Situationen, in denen er wütend wird (wenn er z.B. unterwegs nicht spontan ein Eis essen darf) und einmal ist er einfach unvermittelt in Tränen ausgebrochen und hat geschluchzt, dass er Angst hat zu sterben. Das bricht einem das Herz.

Wie beeinflusst die Allergie Euren Alltag?

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Zum Beispiel hat einmal eine Vertretungskraft, die unseren Sohn nicht kannte, im Kindergarten Erdnüsse an die Kinder verteilt. Zum Glück haben die Kinder(!) das bemerkt und sofort Alarm geschlagen, aber solche Vorfälle zeigen, dass wir unser Umfeld immer wieder „updaten“ müssen. Wichtig ist vor allem, dafür zu sorgen, dass wenn es eben doch zu Kontakt kommt, unverzüglich gehandelt werden muss: Es muss immer ein Notruf abgesetzt werden!
Außerhalb der Kita ist immer mindestens ein Elternteil bei ihm oder eine andere Person, die wir natürlich aufgeklärt haben. Er hat IMMER sein Notfallset dabei. Dieses enthält zwei Epipens (selbstauslösende Adrenalinspritzen), Zäpfchen, seine Krankenkassenkarte und seinen Allergiepass mit entsprechenden Anweisungen. Schwierig sind Dinge wie spontanes Eis essen im Sommer, Einkaufen beim Bäcker, Restaurantbesuche… Da müssen wir immer wachsam sein. Asiatisch essen gehen z.B. geht gar nicht mehr. Außerdem ändern auch große Lebensmittelkonzerne mal eine Rezeptur, sodass wir auch bei uns bekannten, „sicheren“ Lebensmitteln immer und immer wieder lesen müssen, was drin ist.
Außerdem ist vielen Leuten nicht bekannt, dass Erdnüsse keine Nüsse sind (Nüsse darf er nämlich essen). Das führt manchmal zu Missverständnissen. Außerdem macht uns Sorgen, dass die Erdnuss als Zutat gerade einen Aufschwung erlebt, es kommen momentan viele Produkte auf den Markt, die Erdnuss enthalten. Außerdem ist Erdnussöl schmackhaft und gut zum Frittieren geeignet, weshalb immer mehr Pommesbuden darauf umsteigen, also ist auch da Vorsicht geboten.

Bisher haben wir uns ja hauptsächlich im geschützten Raum zwischen Kita und zu Hause bewegt. Mit dem Beginn der Schulzeit wird sich da vieles ändern, er wird sich mehr allein bewegen. Das macht uns schon unruhig, aber auch das wird er lernen, genau wie wir. Die Angst und das Notfallset sind einfach immer dabei!

Wie machst du das, wenn Ihr bei Freunden eingeladen seid oder dein Kind auf einem Geburtstag?

Das wichtigste: Aufklären, aufklären, aufklären. Ich kann mich manchmal schon selbst nicht mehr hören, aber es ist unbedingt notwendig, den Leuten klarzumachen, dass es keine Hysterie ist, sondern unser Kind schlicht und einfach in Lebensgefahr ist, wenn es mit Erdnuss in Berührung kommt: Ein Messer, mit dem ein erdnusshaltiger Kuchen durchgeschnitten wurde, darf für den Kuchen, den unser Sohn bekommt, nicht zum Schneiden benutzt werden.
Zum Glück ist das Thema im Kindergarten bekannt und die Eltern sind sehr lieb und verständnisvoll, so dass unser Sohn sich nicht ausgeschlossen fühlen muss, wenn ein Kind im Kindergarten am Geburtstag Kuchen mitbringt. Dann schickt mir z.B. am Tag vorher eine Mutter eine SMS, in der eine Zutatenliste zum Absegnen steht. Mit Essenseinladungen bei Freunden verhält es sich genauso. Schwieriger sind schon offene Grillpartys oder ähnliches, da müssen wir einfach immer hinterher sein und im Zweifelsfall wird der unbekannte Salat eben nicht gegessen. Übrigens auch nicht von uns!

Wie erlebst Du Euer Umfeld? Gibt es auch mal blöde Kommentare?

Ja, die gibt es leider. Dazu trägt sicher bei, dass das Thema Lebensmittelunverträglichkeit immer präsenter wird und beinahe jeder etwas nicht zu vertragen scheint. Da es zudem Leute gibt, die sich ohne medizinische Expertise selbst diagnostizieren, wird z.B. Lactoseintoleranz oder Glutenunverträglichkeit vielerorts mit Augenrollen kommentiert und belächelt und in dieser Schublade landen dann eben auch wir.

Dass es einen gravierenden Unterschied zwischen einer Unverträglichkeit und einer Allergie mit Anaphylaxierisiko gibt, ist den meisten Leuten eben leider nicht bekannt. (Damit will ich um Himmels Willen nicht die beiden genannten Intoleranzen kleinreden!)
Es gibt aber auch viel positives. Die Eisdiele in unserer Nachbarschaft z.B. hat extra für uns die Rezeptur einer Eissorte geändert und nimmt nun statt Erdnüssen Cashewkerne. Außerdem ruft uns der Besitzer immer schon von weitem zu, wenn sie an einem Tag doch mal Erdnusseis anbieten, sodass wir uns das Anstellen sparen und gleich den Weg zum Supermarkt antreten können (um dort sicheres verpacktes Eis am Stiel zu holen). Sowas ist unglaublich toll!

Was würdest Du Dir von deinem Umfeld wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass der Problematik einfach mit mehr Ernsthaftigkeit begegnet wird, im privaten, wie im öffentlichen Umfeld.

Einen dringenden Appell habe ich z.B. an Eltern, die mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen: Bitte verteilt nicht einfach Snacks an fremde Kinder! Das ist sicher lieb gemeint, aber kann leider tatsächlich dem Kind schaden (auch wenn es nicht gleich so schlimme Folgen haben muss wie in unserem Fall).

Außerdem ganz allgemein: Liebe Nahrungsmittelindustrie, bitte führt eine klare, verbindliche Kennzeichnungspflicht ein! Das würde Allergikern das Leben unheimlich erleichtern!

 
Foto: Pixabay

 

e94161a9d83942a596d07abab94bb0c6

Du magst vielleicht auch


2 comments

  1. Danke für die Info
    Danke für diesen Artikel. Ich gehöre zu den Leuten, die es immer lustig fanden, dass überall drauf steht „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“, aber wenn diese Allergie schon bei winzigen Mengen so krass sein kann, ist das natürlich klar.

  2. Was für ein toller Artikel!
    Was für ein toller Artikel! Sehr gut dargestellt. Ich wünsche der Familie noch viele schöne und rücksichtsvolle Erlebnisse und dass ihr Kind gesund aufwachsen kann. Nur die Krankenhausgeschiuchte stimmt nachdenklich. Dort hätte ich mich wohl auch sicher gefühlt. Aber es scheint, als müsste man selbst dort „nerven“ und für sich kämppfen. Immerhin gab es eine Entschuldigung von der Klinik, ist ja leider auch nicht selbstverständlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert